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"Der Wald kann relativ gelassen dem Klimawandel entgegensehen"

Er ist das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet des Landes und soll sich zum Urwald mitten in Deutschland entwickeln - der Nationalpark Hainich. Für Forscher ist der Hainich aus einem ganz bestimmten Grund interessant: Sie beobachten, wie die Wälder auf den Klimawandel reagieren und kommen zu teilweise überraschenden Ergebnissen.

Von Johannes Kaiser |
    Zu verdanken ist der Nationalpark Hainich im Prinzip der Nationalen Volksarmee und der Roten Armee, die hier übten und damit jegliche forstwirtschaftliche Nutzung des Waldes verhinderten. Das Ergebnis erfreut Nationalparkleiter Manfred Großmann:

    "Wir sind auf dem Weg hin zum Urwald, und wir haben hier im Nationalpark mittlerweile die größte nutzungsfreie Laubwaldfläche in ganz Deutschland. Dieser Laubwald wird geprägt von der Rotbuche, aber es sind noch viele andere Baumarten mit dabei. Ingesamt sind es 30 Laubbaumarten, die von Natur aus hier vorkommen. Dazu muss man wissen auch, die Rotbuche ist eine Baumart, die auf Europa beschränkt ist, die hier ihren Verbreitungsschwerpunkt in Deutschland hat. Deutschland wäre von Natur aus kein Eichenland, sondern ein Buchenland und erst recht nicht ein Fichtenland. Die Buche würde zwei Drittel unserer Landesfläche dominieren, das heißt, der Hainich zeigt hier, wie Deutschland von Natur aus aussehen würde."

    Da dem Wald seit über 60 Jahren kein Holz mehr entnommen wurde, findet sich viel verrottende Biomasse, und sie ist besonders artenreich. Allein 15 verschiedene Fledermausarten, über 2000 Käferarten und über 1600 Pilzarten fanden die Biodiversitätsforscher bislang. Die enorme Artenvielfalt des Waldes hat aber nicht nur Bedeutung als Genpool, sondern interessiert auch die Klimaforscher vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Sie haben inmitten der Kernzone einen 42 Meter hohen mikrometeorologischen Messturm errichtet, der rund um die Uhr 365 Tage im Jahr den Kohlenstoffgehalt der Luft über dem Wald misst. Zwanzig Mal in der Minute wird automatisch registriert, wie viel Kohlenstoff der Wald während des Tages aufnimmt und wie viel er in der Nacht wieder ausatmet. Die Ergebnisse nach rund zehn Jahren Forschung sind verblüffend, so Werner Kutsch, Leiter der Arbeitsgruppe "Ökosystemflüsse":

    "Wir haben bisher festgestellt, dass der Hainich, obwohl er ein sehr alter Wald ist, immer noch Kohlenstoff aufnimmt. Wenn man jetzt einen Wald in seiner Entwicklung verfolgt, dann hat man am Anfang in den ersten 100 Jahren Aufnahmen von 400 bis 500 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter und Jahr und zwischen 100 und 200 Jahren nimmt, so sagt es die Theorie zumindest, die Kohlenstoffaufnahme des Waldes langsam ab. In der Praxis, die wenigen alten Wälder, die wir untersuchen, nehmen zur Zeit alle Kohlenstoff auf. Das ist eine Überraschung und die Frage ist natürlich jetzt, warum? Ist die Theorie von vorn herein falsch gewesen oder hat sich jetzt durch Klimawandel was verändert?"

    Eine mögliche Erklärung wäre, dass der erhöhte Kohlendioxidgehalt der Luft und der durch Landwirtschaft und Verkehr bedingte gestiegene Stickoxideintrag in die Wälder diese düngt und deren Wachstum anregt. Dennoch werden die Wälder im Höchstfalle, das zeigen die Forschungsergebnisse, nicht mehr als zehn Prozent unserer CO2-Emissionen schlucken, bieten also wenig Entlastung im Klimawandel.

    Doch die Forscher haben auch gute Nachrichten. Die Erwärmung wird dem Hainich wenig schaden können. Noch einmal der Biologe Werner Kutsch:

    "Wir haben ja zum Beispiel 2003 dieses sehr heiße, trockene Jahr gehabt. Da ist die Photosynthese dann eingeschränkt gewesen. Wenn man das jetzt aber über die zehn Jahre, die wir im Hainich messen, sieht, dann ist das ein kleiner Ausreißer nach unten. Also der Wald kann relativ gelassen dem Klimawandel entgegensehen, zumindest hier der Buchenwald oder der Laubmischwald. Da mag es Einschränkungen geben, aber die Buche ist jetzt nicht physiologisch so gestresst worden, dass wir uns um den Buchenwald Sorgen machen müssten."