Zwei Straßenhändler schreien gegen den Lärm an. Sie verkaufen Kushari in Plastikbechern, ein Nudelgericht mit Linsen, Reis, Kichererbsen und Tomatensoße obendrauf. Ein paar Meter weiter werden Tröten angeboten, für umgerechnet 50 Cent das Stück. Die Kundschaft der Händler sind die Leute, die zum demonstrieren auf den Tahrir-Platz gekommen sind, wie seit vier Wochen schon an jedem Freitag.
Aktivisten verschiedener Protestbewegungen haben dazu aufgerufen, sie nennen die Demonstration diesmal "Tag der Säuberung". Die Übergangsregierung soll entrümpelt werden, sie soll am besten ganz zurücktreten und den Weg frei machen für eine Regierung, die wirklich das Vertrauen der Menschen genießt.
Viele der mehreren zehntausend Demonstranten tragen eine Plakette am Hemd. "Weg mit Ahmed Shafiq", steht auf ihr geschrieben. Mubarak hat den Ministerpräsidenten noch kurz vor seinem Sturz benannt, und für die Leute ist und bleibt er ein Mann Mubaraks.
Mubarak sollte vor Gericht gestellt werden, fordern Demonstranten an einer Ecke des Platzes, an der nächsten protestieren andere gegen einen gewalttätigen Übergriff der Polizei im Kairoer Stadtteil Maadi. Dort hatte ein Polizist den Fahrer eines Sammeltaxis im Streit erschossen.
Am Gebäude der Arabischen Liga protestiert Mansour El-Oqeily aus dem Sinai ganz privat gegen den Vizepräsidenten Omar Sulaiman, denn der hatte ihn und seine Familie vor ein paar Jahren bei einem Landkauf betrogen:
"Er hat das Geld genommen, aber wir haben das Land nie erhalten. Er nahm unser Geld, ließ sich von uns mit einem Lammgericht bewirten. Und gab uns nichts. Das war Omar Sulaiman persönlich."
So hat jeder sein eigenes Anliegen an die Revolution. Es fehlt das gemeinsame Ziel, einig sind sich die Leute in ihrem Zweifel an der Übergangsregierung und an deren Absichten. Sie misstrauen ihr.
Vor ein paar Tagen hat der prominente Publizist Muhammad Hassan Haikal dem Staatsfernsehen ein Aufsehen erregendes Interview gegeben, das Millionen Menschen sahen. Darin bezeichnete er Sharm El-Sheikh, wo sich Ex-Präsident Mubarak aufhält, als das Zentrum der Konterrevolution. Eine Revolution, sagte er, sei erst erfolgreich gewesen, wenn das gesamte System gestürzt sei und nicht nur der Präsident aus der Schusslinie genommen wurde.
"Die Konterrevolution ist sehr aktiv."
Sagt Osama Harb, Chef der liberalen Oppositionspartei "Demokratische Front".
"Es gibt viele Kräfte, die einen wirklichen Wandel verhindern wollen. Wir müssen weiterhin Druck ausüben. So muss der Wandel endlich auch die Staatsmedien erreichen. Es gibt noch viel zu tun."
In knapp sechs Monaten sollen Wahlen stattfinden, aber viele halten den Termin für zu früh, wie die Lehrerin Hebba Mahmoud:
"Die Oppositionsparteien sind noch zu schwach. Sechs Monate reichen nicht aus, damit sie sich gut aufstellen können. Außerdem muss die jetzige Übergangsregierung ausgetauscht werden, damit eine Atmosphäre geschaffen werden kann, die allen Parteien nutzt."
Von der Opposition wäre nur die Muslimbruderschaft in sechs Monaten bereits gut auf die Wahlen vorbereitet.
"Das gestürzte Regime",
sagt eines ihrer Mitglieder auf dem Tahrir-Platz,
"hat behauptet, Religion und Politik hätten nichts miteinander zu tun. Der Islam umfasst aber nicht nur Politik, sondern auch Wirtschaft, soziale Fragen, Glaubensfragen, alle Lebensbereiche. Und: Der Islam gewährt Muslimen wie Nichtmuslimen ihre Rechte."
Trotz dieses Anspruches vieler ihrer Mitglieder haben die Ägypter keine Angst vor der Bruderschaft. Sie bekennt sich zu demokratischen Spielregeln, operiert seit vier Jahrzehnten gewaltfrei, und die meisten im Land fühlen sich ohnehin nicht von ihr vertreten. Sollten die Menschen die ganze Bandbreite glaubwürdiger Optionen zur Auswahl haben - liberal, bürgerlich, links oder bürgerbewegt -, dann würde die Bruderschaft nach Ansicht vieler Beobachter nur zwischen 15 bis 25 Prozent der Stimmen kriegen.
Aber wird es eine lebendige, vielgestaltige Opposition in sechs Monaten schon geben? Die Menschen befürchten nicht, dass Demokratie die Islamisten an die Macht bringt, sondern, dass die Demokratie nicht stark genug entwickelt sein wird, um dies zu verhindern.
Unter anderem deshalb kommen sie immer noch jeden Freitag auf den Tahrir-Platz, um Druck auf die Übergangsregierung auszuüben. Sie haben Angst, dass diese an einer wirklichen Demokratisierung gar nicht interessiert ist.
Aber die Menschen sind optimistisch. Sie haben sich ihre Freiheit selbst erkämpft und sind stolz darauf. An den Straßenrändern stehen Männer, die den Leuten für 50 Piaster Nationalflaggen ins Gesicht malen.
"In den Landesfarben rot, weiß und schwarz",
sagt einer der Maler,
"und in die Mitte, wo das Emblem ist, kommt ein gelber Punkt."
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Aktivisten verschiedener Protestbewegungen haben dazu aufgerufen, sie nennen die Demonstration diesmal "Tag der Säuberung". Die Übergangsregierung soll entrümpelt werden, sie soll am besten ganz zurücktreten und den Weg frei machen für eine Regierung, die wirklich das Vertrauen der Menschen genießt.
Viele der mehreren zehntausend Demonstranten tragen eine Plakette am Hemd. "Weg mit Ahmed Shafiq", steht auf ihr geschrieben. Mubarak hat den Ministerpräsidenten noch kurz vor seinem Sturz benannt, und für die Leute ist und bleibt er ein Mann Mubaraks.
Mubarak sollte vor Gericht gestellt werden, fordern Demonstranten an einer Ecke des Platzes, an der nächsten protestieren andere gegen einen gewalttätigen Übergriff der Polizei im Kairoer Stadtteil Maadi. Dort hatte ein Polizist den Fahrer eines Sammeltaxis im Streit erschossen.
Am Gebäude der Arabischen Liga protestiert Mansour El-Oqeily aus dem Sinai ganz privat gegen den Vizepräsidenten Omar Sulaiman, denn der hatte ihn und seine Familie vor ein paar Jahren bei einem Landkauf betrogen:
"Er hat das Geld genommen, aber wir haben das Land nie erhalten. Er nahm unser Geld, ließ sich von uns mit einem Lammgericht bewirten. Und gab uns nichts. Das war Omar Sulaiman persönlich."
So hat jeder sein eigenes Anliegen an die Revolution. Es fehlt das gemeinsame Ziel, einig sind sich die Leute in ihrem Zweifel an der Übergangsregierung und an deren Absichten. Sie misstrauen ihr.
Vor ein paar Tagen hat der prominente Publizist Muhammad Hassan Haikal dem Staatsfernsehen ein Aufsehen erregendes Interview gegeben, das Millionen Menschen sahen. Darin bezeichnete er Sharm El-Sheikh, wo sich Ex-Präsident Mubarak aufhält, als das Zentrum der Konterrevolution. Eine Revolution, sagte er, sei erst erfolgreich gewesen, wenn das gesamte System gestürzt sei und nicht nur der Präsident aus der Schusslinie genommen wurde.
"Die Konterrevolution ist sehr aktiv."
Sagt Osama Harb, Chef der liberalen Oppositionspartei "Demokratische Front".
"Es gibt viele Kräfte, die einen wirklichen Wandel verhindern wollen. Wir müssen weiterhin Druck ausüben. So muss der Wandel endlich auch die Staatsmedien erreichen. Es gibt noch viel zu tun."
In knapp sechs Monaten sollen Wahlen stattfinden, aber viele halten den Termin für zu früh, wie die Lehrerin Hebba Mahmoud:
"Die Oppositionsparteien sind noch zu schwach. Sechs Monate reichen nicht aus, damit sie sich gut aufstellen können. Außerdem muss die jetzige Übergangsregierung ausgetauscht werden, damit eine Atmosphäre geschaffen werden kann, die allen Parteien nutzt."
Von der Opposition wäre nur die Muslimbruderschaft in sechs Monaten bereits gut auf die Wahlen vorbereitet.
"Das gestürzte Regime",
sagt eines ihrer Mitglieder auf dem Tahrir-Platz,
"hat behauptet, Religion und Politik hätten nichts miteinander zu tun. Der Islam umfasst aber nicht nur Politik, sondern auch Wirtschaft, soziale Fragen, Glaubensfragen, alle Lebensbereiche. Und: Der Islam gewährt Muslimen wie Nichtmuslimen ihre Rechte."
Trotz dieses Anspruches vieler ihrer Mitglieder haben die Ägypter keine Angst vor der Bruderschaft. Sie bekennt sich zu demokratischen Spielregeln, operiert seit vier Jahrzehnten gewaltfrei, und die meisten im Land fühlen sich ohnehin nicht von ihr vertreten. Sollten die Menschen die ganze Bandbreite glaubwürdiger Optionen zur Auswahl haben - liberal, bürgerlich, links oder bürgerbewegt -, dann würde die Bruderschaft nach Ansicht vieler Beobachter nur zwischen 15 bis 25 Prozent der Stimmen kriegen.
Aber wird es eine lebendige, vielgestaltige Opposition in sechs Monaten schon geben? Die Menschen befürchten nicht, dass Demokratie die Islamisten an die Macht bringt, sondern, dass die Demokratie nicht stark genug entwickelt sein wird, um dies zu verhindern.
Unter anderem deshalb kommen sie immer noch jeden Freitag auf den Tahrir-Platz, um Druck auf die Übergangsregierung auszuüben. Sie haben Angst, dass diese an einer wirklichen Demokratisierung gar nicht interessiert ist.
Aber die Menschen sind optimistisch. Sie haben sich ihre Freiheit selbst erkämpft und sind stolz darauf. An den Straßenrändern stehen Männer, die den Leuten für 50 Piaster Nationalflaggen ins Gesicht malen.
"In den Landesfarben rot, weiß und schwarz",
sagt einer der Maler,
"und in die Mitte, wo das Emblem ist, kommt ein gelber Punkt."
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