"Der Drogenkrieg in Mexiko hat eine neue Dimension angenommen". Das meldeten die Nachrichtenagenturen in dieser Woche. Ein ranghoher Politiker Mexikos war mit vier Mitarbeitern in einen Hinterhalt geraten und erschossen worden – die Tat wurde der Drogenmafia zugeschrieben. Mexikos Kabinett wurde sogleich zu einer Sondersitzung zusammengerufen.
Seit dreieinhalb Jahren tobt der Drogenkrieg in Mexiko. Eine der bis dahin blutigsten Phasen erlebte das Land Mitte Juni. Die Woche begann mit der Entdeckung eines Massengrabes im Süden des Landes, im Bundesstaat Guerrero, mit 55 Toten. Am Ende jener Woche wurden die Spuren eines weiteren Massakers in der Nähe der mexikanischen Urlaubsstadt Cancun gefunden. Und zwischen beiden Ereignissen 300 weitere Morde - zusätzlich zu den 23.000 Toten, die der Drogenkrieg bereits gefordert hat.
Die meisten Opfer starben im Kampf zwischen den rivalisierenden mexikanischen Drogenbanden, viele aber auch in Konfrontationen mit der mexikanischen Armee. Das Geschäft mit dem Kokain-Schmuggel ist heiß umkämpft. Bis vor wenigen Jahren konzentrierten sich der Drogenanbau und der Drogenhandel in Lateinamerika auf Kolumbien und Peru. Erst in den vergangenen fünf Jahren ist Mexiko zum Brennpunkt des Drogenhandels geworden. Die nordmexikanische Grenz-Stadt Ciudad Juarez ist eine der gefährlichsten der Welt.
"Zunächst ist mal festzuhalten, dass Mexiko an einer ganz entscheidenden Nahtstelle liegt zwischen den Erzeugerregionen Südamerikas für Kokain und in begrenztem Umfang für Heroin und einem der größten Abnahmemärkte, den USA."
Max-Peter Ratzel war bis vor einem Jahr Direktor von Europol. Die Bekämpfung von Drogenhandel und organisierter Kriminalität gehörte von Beginn an zu den Prioritäten der europäischen Polizeibehörde. Als Ratzel im Jahr 2005 die Leitung von Europol übernahm, formierten sich die mexikanischen Drogenbanden gerade. Inzwischen haben sie den amerikanischen Drogenmarkt weitgehend übernommen. Die kolumbianische Mafia, die früher das Geschäft dominierte, spielt hier nur noch eine nachrangige Rolle.
"In der Vergangenheit sind die Drogen in einem verstärkten Maße über den Seeweg und über den Luftweg in die USA transportiert worden. Die zunehmende Kontrolldichte in den Vereinigten Staaten, insbesondere auch als Konsequenz der Terroranschläge des 11. September, haben dazu geführt, dass diese Wege stärker kontrolliert worden sind. Und man hat selbstverständlich dann Ausweichrouten gesucht, die über die Landbrücke Mittel- und Zentralamerikas gegangen sind."
Angesichts der Übermacht der Mafia hat sich die mexikanische Polizei geschlagen gegeben. Im Februar 2008 ist der Chef der Bundespolizei zurückgetreten, sein Vorgänger wurde ermordet. Zahlreiche hochrangige Polizeibeamte erwiesen sich als korrupt. Anstelle der Polizei kämpft daher heute das Militär gegen die Drogenhändler. 50.000 Soldaten sind in ganz Mexiko im Einsatz.
Dennoch hat die Gewalt weiter zugenommen, bestätigt Linda Helfrich. Die Politikwissenschaftlerin arbeitet für die Entwicklungshilfe. In der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ist sie zuständig für das Programm "Entwicklungsorientierte Drogenpolitik" und in dieser Funktion häufig in Lateinamerika.
"Der Einsatz von Militär ist natürlich nicht unproblematisch. Es gibt auch immer wieder Begebenheiten, wo man sehen kann, dass zum Beispiel ehemalige Militärs sich ausgliedern, wenn sie dann aus dem Militärdienst entlassen werden und organisierte Gruppen bilden."
Auch die Armee in Mexiko könne nicht verhindern, dass jährlich mehr als 7000 Menschen im Drogenkrieg ihr Leben verlören, sagt auch Thomas Pietschmann. Er arbeitet für die Drogenbehörde der Vereinten Nationen in Wien und ist Mitverfasser des jährlich erscheinenden Welt-Drogenberichts. Pietschmann gilt als herausragender Kenner der weltweiten Drogenszene.
"Wir hatten das Problem der Polizeikorruption in Mexiko und als die unmittelbare Lösung wurde gesehen, das Militär einzusetzen. Das ist natürlich eine kurzfristige Lösung, langfristig kann das Ergebnis nicht sein, dass das Militär Polizeiaufgaben übernimmt, sondern langfristig braucht man eine korruptionsfreie Polizei."
Dennoch ist Pietschmann optimistisch, dass die Zahl der Drogentoten in den nächsten Jahren eingedämmt werden kann.
"Das Problem Mexiko, warum ist es entstanden? Einerseits richtig: Die Drogenkartelle in Kolumbien sind zerschlagen worden und das war richtig. Das war wichtig und notwendig, weil die Gefahr bestand, dass die Drogenkartelle die Macht übernehmen. Glücklicherweise: In Mexiko sind wir noch weit davon entfernt. Also die Situation in Mexiko heute ist absolut in der Gefährlichkeit nicht vergleichbar mit der Gefährlichkeit Kolumbiens um 1990 herum. Und wir hatten in Kolumbien, wiederum auf die Zahl der Toten bezogen, einen ganz massiven Rückgang gehabt, nachdem der Staat eingegriffen hat und Territorium und Gebiete wieder erobert hat, und etwas Ähnliches versucht jetzt die mexikanische Regierung. Die Erfahrungen, die wir aus Kolumbien hatten, waren, dass so wie es jetzt auch in Mexiko passiert, die Gewalt zunimmt, mittel- bis langfristig die Gewalt aber deutlich abnimmt."
Unterstützt wird Mexiko dabei von den USA. Die US-Behörden verzeichnen es als Erfolg, dass sie in den vergangenen zwei Jahren 2000 Mitarbeiter der mexikanischen Drogenkartelle fassen konnten. Doch was sind 2000 große und kleine Dealer gemessen an geschätzten Hunderttausenden, die für die mexikanische Mafia aktiv sind? Die US-Regierung freut sich auch, dass der Kokain-Konsum in den USA seit drei Jahren stark rückläufig ist. Nach den Zahlen der Vereinten Nationen ist er um 60 Prozent gesunken.
Dies aber sei, so Thomas Pietschmann, weniger ein Verdienst der US-amerikanischen Drogenpolitik als vielmehr eine Begleiterscheinung des inner-mexikanischen Drogenkriegs.
"Aufgrund dieses Kampfes in Mexiko, dieses grauenhaften Kampfes ist der Drogenhandel als solcher deutlich zurückgegangen. Der Hintergrund ist im Wesentlichen, dass die mexikanischen Drogenkartelle sich gegenseitig bekämpfen, zum Teil auch mit der Polizei bekämpfen, zum Teil mit dem Militär bekämpfen, und aufgrund dessen weniger Möglichkeiten haben, Kokain in die USA zu liefern. Das heißt, es kommt einfach weniger Kokain in die USA hinein, es wird weniger gehandelt, aber wir haben im Moment mehr Gewalt in Mexiko."
Nicht nur die Wege des Kokainhandels haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Auch im Anbau gab es deutliche Verschiebungen. Kolumbien ist zwar immer noch der weltgrößte Kokainproduzent. Doch die Produktion in Kolumbien ist rückläufig. Die Kartelle wurden zerschlagen, die Armee hat außerdem mithilfe der USA etliche Kokafelder mit Gift besprüht und somit zerstört. Auf lokaler Ebene war der Krieg gegen den Drogenanbau durchaus erfolgreich. Auch die Sicherheitslage in Kolumbien ist heute sehr viel besser, man kann sich wieder einigermaßen sicher durch Bogotá bewegen, anders als noch vor zehn Jahren.
Doch in der Gesamtschau relativieren sich diese Erfolge. Denn, was heute in Kolumbien weniger an Koka angebaut wird, wächst nun in Peru und Bolivien. Solche raschen Verlagerungen des Anbaus sind typisch für das weltweite Drogengeschäft.
"Es gibt auch Verlagerungseffekte innerhalb Kolumbiens. Ich war zum Beispiel vor vielen Jahren unterwegs in der Küstenregion Kolumbiens, in der Pazifikregion, wo vor allem die afro-kolumbianische Bevölkerung lebt und damals gab es dort noch so gut wie keinen Drogenanbau. Wenn Sie heute durch die südlichen Bundesstaaten, wo die afro-kolumbianische Bevölkerung hauptsächlich lebt, gehen und sich diese Situation vor Ort anschauen, dann können sie sehen, dass der Anbau in diesen Regionen deutlich zugenommen hat."
Der Handel sucht sich neue Transport- und Absatzwege, die Anbauflächen verlagern sich – je nachdem, welche Maßnahmen im jeweiligen Land ergriffen werden. US-Verteidigungsminister Robert Gates bilanzierte diese Entwicklung auf dem amerikanischen Kontinent resignierend: Der Krieg gegen die Drogen sei verloren!
Ein Krieg, der gar nicht zu gewinnen war, meint der frühere Chef von Europol, Max-Peter Ratzel:
"Sie können solch komplizierte Phänomene wie Drogenkriminalität oder Terrorismus nicht mit militärischen Mitteln lösen. Der sogenannte War on Drugs, den die Amerikaner geführt haben, war aus meiner Sicht schon sprachlich falsch angelegt, und deshalb war es auch relativ konsequent, dass er als solcher gescheitert ist. Diese Militärmaßnahmen, so wichtig die vielleicht zu einem gewissen Zeitpunkt gewesen sind, diese Militärmaßnahmen sind letztendlich nicht tauglich, um Drogenanbau tatsächlich zu stoppen, es kommt immer wieder zu Verdrängungseffekten. Sie haben immer wieder die enormen Umweltschäden durch die Besprühungen, die sind ja auch problematisch für sich unter Umweltgesichtspunkten und sie haben eine Verlagerung des hochtoxischen Anbaus von Kokain in andere Gebiete, und ich würde auch davor warnen zu glauben, dass man auch mit diesen repressiven Maßnahmen, dieser Fokussierung auf War on Drugs das Problem alleine in den Griff bekommen kann."
Immer mehr Kokain kommt aus Bolivien, dem Land des charismatischen Präsidenten Evo Morales. Morales, der erste Indio-Präsident eines lateinamerikanischen Landes, war selbst einmal Koka-Bauer. Eines seiner erklärten Ziele bei seinem Amtsantritt war, dem Kokablatt wieder die Bedeutung zukommen zu lassen, die es in der Region traditionell hatte. Morales spricht von der "Revalorisierung",
"Da stecken zwei Aspekte im spanischen Wort schon mit drin. Das eine ist sozusagen den Wert, den historisch kulturellen Wert der Koka wieder darzustellen und zum anderen die In-Wertsetzung des Kokablattes durch das, was die Bolivianer Industrialisierung des Kokablattes nennen, das heißt, sie wollen ihr Kokablatt vermarkten können zu einem gewissen Teil, umwandeln können in Industrieprodukte und ähnlich wie das auch in anderen Ländern ist, diese Produkte auf dem heimischen Markt und möglicherweise auch im Ausland absetzen können. Was man aber auch sagen muss und sehen muss ist, dass die Bauern zum Teil natürlich ihre Identität über Koka, den Anbau von Koka, den Konsum von Koka definieren, dass die lokale Bevölkerung sagt, Koka ist zum Beispiel gut gegen die Höhenkrankheit, Koka erhöht die Konzentration und die Arbeitsfähigkeit, das haben wir jetzt eben schon Jahrhunderte so gemacht, das ist unsere Tradition und diese Tradition soll geschützt werden."
Mit Evo Morales wird in Bolivien der Koka-Anbau für den traditionellen Eigenverbrauch der indianischen Bevölkerung also von höchster staatlicher Stelle aus verteidigt. Aber auch der Präsident will die Herstellung von Kokain und den Drogenexport keineswegs unterstützen. Beides zu trennen sei in der Praxis allerdings nahezu unmöglich, sagt Linda Helfrich von der GTZ.
"Man hat deswegen die Schwierigkeit, dass man eben die Trennung hat, zwischen einem Teil legalen Anbau und einem Teil illegalem Anbau. Und da können sie sich vorstellen, dass es da Schwierigkeiten gibt, das Ganze zu kontrollieren, das ist klar."
Für den früheren Europol-Chef Max-Peter Ratzel dagegen steht fest: Vom Koka, das in Bolivien angebaut wird, gehen große Mengen in den internationalen Handel. Über den rein kulturell geprägten Kokaanbau sei die Zeit hinweggegangen:
"Der Drogenanbau zur damaligen Zeit und der Drogenkonsum haben in einem völlig isolierten, abgeschotteten System stattgefunden, hat da noch funktioniert, war beherrschbar, war begrenzbar und über dieses Kulturdrogenargument, meine ich, sucht man sich einen leichten Ausweg, um sich des eigentlichen Problems anzunehmen. Und für mich ist die Politik, der Morales macht da ein weiteres Bild, er macht diese Politik wohl vorrangig um sich innenpolitisch zu positionieren, um seine Wiederwahl und die Stabilisierung seiner politischen Macht zu gewährleisten, weil diese Kokabauer von ihm natürlich einen enormen Rückhalt bekommen und über den Anbau sich natürlich auch Finanzquellen erschließen."
Während die mexikanische Mafia den nordamerikanischen Markt beherrscht, wird Europa noch weitgehend von kolumbianischen Händlern beliefert. Allerdings haben auch sie ihre Strategie und ihre Handelsrouten geändert. Auf diese Weise ist eine weitere Region in den letzten Jahren zum Brennpunkt des internationalen Drogengeschehens geworden: Westafrika.
Im gesamten Raum zwischen Nigeria und Mauretanien hat sich die Situation seit 2004 massiv verschlechtert, so Thomas Pietschmann von der Weltdrogenbehörde. Die Händler haben Westafrika in diesem Zeitraum zu einem zentralen Transitgebiet für den Drogentransport nach Europa gemacht. In einzelnen Ländern Westafrikas, wie in Guinea oder Guinea-Bissau hat die Drogenmafia einen enormen Einfluss auch auf den Staatsapparat gewonnen.
"Das ist für diese Staaten typisch, also Staaten mit sehr kleinem Bruttoinlandsprodukt, wo die Drogenkartelle mit ihrer Macht einen wahnsinnigen Einfluss ausüben können, wo wir es erlebt haben, dass bis in die höchsten Regierungskreise Leute involviert waren, das Militär involviert war, dass die Polizei involviert war. Dabei ist interessant, dass ein Teil dieses Weges angefangen hat über Gefängnisse in Spanien, wo kolumbianische Drogenhändler mit marokkanischen Drogenhändlern eingesperrt waren, sich quasi die Visitenkarten ausgetauscht haben und als sie wieder 'raus waren aus den Gefängnissen, gesagt haben, jetzt arbeiten wir zusammen und jetzt bauen wir diesen Markt auf."
Dass Westafrika zum Transitland vor allem für kolumbianisches Kokain geworden ist, ist Folge eines weiteren Verlagerungseffekts. Früher ist das Kokain direkt auf dem Seeweg von Südamerika über Spanien nach Europa gelangt. Diese Transporte über den Atlantik, sagt der frühere EUROPOL-Chef, hätten die europäischen Sicherheitskräfte weitgehend unterbunden.
"Dort hat man zunehmend Schiffe aufgebracht, große Ladungen sichergestellt. Die Spanier, die Portugiesen haben enorme Mengen von Kokain auf See sicherstellen können, auch im Bereich des Flugverkehrs, sodass eine Verlagerung nach Westafrika durchaus eine Logik in sich hatte, zumal die Nigerianer auch in der Kleindistribution in Europa eine wichtige Rolle spielten. Und Nigerianer spielen natürlich auch in Westafrika eine große Rolle im regionalen Verbund."
Lateinamerika, Westafrika, Afghanistan - die dritte zentrale Region im internationalen Drogengeschäft ist das Land am Hindukusch. Seit zwei Jahrzehnten ist Afghanistan das Zentrum in der Herstellung von Opium und Heroin.
Bis in die 1980-er Jahre hinein wurde der meiste Schlafmohn noch in Südostasien angebaut, im sogenannten Goldenen Dreieck, also in den Ländern Thailand, Laos und Burma. Das änderte sich in den Wirren des afghanischen Bürgerkriegs und der sowjetischen Besatzung in den 80-er Jahren, die Drogenproduzenten fanden ihre Nischen. In den 90-er Jahren wurde Afghanistan zur größten Erzeugerregion der Welt. Und, nachdem der Westen als Konsequenz auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 das Taliban-Regime beseitigte, stieg der Anbau erneut an. Nicht zuletzt, weil die aufständischen Taliban mit dem Drogenanbau ihren bewaffneten Widerstand finanzieren.
Heute stammen mehr als 90 Prozent des weltweiten Opiums und Heroins aus Afghanistan. Doch die Strukturen sind völlig anders als bei der Produktion und dem Vertrieb von Kokain in Lateinamerika. Es gibt in Afghanistan keine großen organisierten Kartelle. Es gibt keine durchstrukturierte Handelskette vom Hindukusch bis nach Europa. Alles sei kleinteiliger, sagt Thomas Pietschmann, von der UN-Drogenbehörde in Wien:
"Also es wird von den Paschtunen angebaut, die verkaufen es an die Belutschen, die verkaufen es über die Grenzen nach Pakistan und Iran. Dann wird es übernommen von Iranern, geht über die Grenze, wird von Kurden übernommen, geht über die Grenze in die Türkei, entweder direkt oder über den Umweg, über den Irak, geht dann nach Istanbul. Istanbul ist ein Hauptumschlagsplatz. Von Istanbul sind es im Wesentlichen dann türkisch-kurdische Organisationen, die es dann in Westeuropa verbreiten. Über die Balkanroute wird es dann sehr häufig nach Holland gebracht."
Und von da wieder zurück nach Deutschland. Und unterwegs, entlang der Strecke, gibt es verschiedene Vorratslager, für den Fall, dass der Nachschub ausbleibt, sei es aufgrund schlechter Ernten oder weil polizeiliche bzw. militärische Maßnahmen den Drogenanbau eindämmen konnten.
Tatsächlich ist der Drogen-Anbau in Afghanistan in den vergangenen zwei Jahren rückläufig. Ein Rückgang, der vor allem im Norden und Osten Afghanistans zu beobachten sei, sagt Linda Helfrich von der GTZ:
"Während in den südlichen Provinzen, Helmand, Kandahar, der Hauptteil des Anbaus stattfindet, und da muss man sich fragen warum. Auf der einen Seite kann man sagen: O.k., in den nördlichen Provinzen hat in den letzten Jahren mehr Veränderung stattgefunden, da hat es Reformen gegeben, da hat es ein bisschen was an Staatsaufbau gegeben, während im Süden des Landes weniger passiert ist und verschiedene nicht-staatliche Gewaltakteure – die bekanntesten sind die Taliban – unterwegs sind, und die Auseinandersetzungen sehr viel höher sind, und dadurch findet man im Süden bessere Bedingungen vor als im Norden."
Die Taliban, so beschreibt der frühere Chef von Europol, Max-Peter Ratzel, die Lage in Afghanistan, spielten beim Drogenhandel nach wie vor eine entscheidende Rolle:
"Sie geben zum einen Anstoßfinanzierung, um Drogen herzustellen, sie gewähren Schutz und nehmen auch Steuern, das heißt, sie haben entdeckt, dass sie bei einer Förderung des Drogenanbaus auch Gelder abzweigen können für sich selbst, im Wesentlichen für den Waffenkauf, womit dadurch auch direkt oder indirekt der Terrorismus und Aktivitäten der Taliban finanziert werden."
Vergleiche man aber die Situation in Afghanistan mit jener in Lateinamerika, so Ratzel, zeigten sich große Unterschiede. Unterschiede aufgrund gesellschaftlicher Besonderheiten in Afghanistan.
"Es gibt dort Clan-Strukturen, Familienstrukturen und in denen läuft sehr viel ab, da liegen auch Vertrauensverhältnisse vor, und man kann davon ausgehen, dass dort absolute Sicherheit herrscht, dass, wenn man innerhalb des Clans, innerhalb des Stammes verkauft, auch keine Involvierung der Polizei möglich ist. Insofern haben wir diese starke Kartellbildung, wie wir sie in Kolumbien hatten, in Afghanistan so nicht gesehen, was es natürlich für Bekämpfungsmaßnahmen noch komplizierter macht, weil sozusagen das polizeiliche Gegenüber immer diffuser wird."
Max-Peter Ratzel und Linda Helfrich blicken auf das weltweite Drogen-Problem durch unterschiedliche Brillen. Ratzel, der ehemalige Direktor von Europol, spricht aus der Perspektive eines polizeilichen Ermittlers. Linda Helfrichs Sichtweise beruht auf ihren Erfahrungen aus der Entwicklungshilfe.
Früher standen sich die Positionen von Polizei und Entwicklungshilfe diametral entgegen. Die Sicherheitsbehörden setzten vor allem auf repressive Maßnahmen, Entwicklungsorganisationen dagegen glaubten, man müsse den Koka-Bauern in Peru oder den Schlafmohn-Bauern in Afghanistan nur entsprechende legale Alternativen bieten, dann würden sie den Anbau von Koka und Opium schon bleiben lassen.
Doch das hat weder in Südamerika funktioniert, noch funktioniert es in Afghanistan. Nicht zuletzt in der Entwicklungspolitik habe ein Umdenken stattgefunden, sagt Linda Helfrich. Ohne die entsprechende Sicherheitslage und nicht zuletzt auch ein wenig repressiven Druck, seien bestimmte Projekte nicht umzusetzen.
"Nicht zu sagen, wir können das machen, was man früher gemacht hat, wir können einfach, sagen wir mal die Drogen oder den Koka- oder Schlafmohnanbau durch Kaffee- oder Kakao-Anbau ersetzen. Wir müssen gucken, was braucht ländliche Entwicklung noch, was für Rahmenbedingungen. Wir brauchen Bildung, wir brauchen Gesundheit, wir brauchen Infrastruktur, also in Afghanistan hat der Straßenbau eine ganze Menge bewirkt, früher hat man das in der Entwicklungszusammenarbeit kritisiert und gesagt, wir können doch nicht immer nur Straßen bauen etc., aber in so Ländern wie Afghanistan ist es sehr wichtig, weil über die Straßen der Zugang zum Bildungswesen, der Zugang zu Gesundheit enorm gestärkt wird, und in unseren Befragungen kam heraus, dass gerade die Frauen sehr froh waren, dass die Straßen sicherer sind, dass die Straßen da sind etc."
Linda Helfrich hat dabei eine konkrete Maßnahme im Auge, die aus ihrer Sicht mit dazu beigetragen hat, dass im Osten Afghanistans der Opiumanbau zurückgegangen ist. Das internationale, sogenannte "PAL-Projekt für eine alternative Lebensweise", an dem die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit federführend beteiligt war. Straßen wurden gebaut, das Trinkwasser wurde sauberer, kleine Wasserkraftwerke wurden gebaut. Nur infolge solcher verbesserter Rahmenbedingungen, so Linda Helfrich, ließen sich die Landwirte dazu bringen, vom Opiumanbau umzusteigen auf legale Feldfrüchte oder Weidewirtschaft. Voraussetzung: Die Sicherheitslage stimmt und es drohen Strafen und Repressionen.
"Also ein Motiv ist die Sicherheit. Es ist nicht angenehm für Bauern, sich in einer illegalen Situation zu befinden. Und in den Projektregionen dieses PAL-Projektes, da wurde von staatlicher Seite ziemlich stark durchgesetzt, dass eben keine Drogen angebaut werden dürfen, das heißt, die Bauern mussten befürchten, wenn sie Drogen anbauen würden, würden sie auch mit staatlicher Repression rechnen müssen. Und außerdem, wenn sie in den Drogenhandel verwickelt sind, kommen natürlich Gruppen in den Ort, unter Umständen, die die Sicherheitslage in den Orten gefährden und das ist schon ein wichtiger Grund, es nicht zu tun."
Und damit kommt auch in Afghanistan bei der Bekämpfung des Drogenhandels- und Anbaus das Militär ins Spiel. Zwar, so sagt der frühere EUROPOL-Chef Max-Peter Ratzel, habe die Bundeswehr nicht die Aufgabe, direkt gegen Drogenhändler vorzugehen oder Opiumfelder abzubrennen. Dennoch spiele sie indirekt doch eine Rolle bei der Drogenbekämpfung.
"Die Bauern sind ja per se nicht daran interessiert, in eine Illegalität abzutauchen. Das darf man den Leuten einfach nicht unterstellen. Aber ich muss denen Alternativen bieten, insofern kommen wir auch hier wieder dahin, dass das Militär in Afghanistan eine Rolle spielt, wenn es denn die allgemeinen Rahmenbedingungen für Sicherheit setzt und ermöglicht, dass Kraftwerksbau, Straßenbau überhaupt stattfinden können. Das ist aber etwas anderes als der reine War on Drugs, insoweit bin ich relativ optimistisch, dass wir wenn es dort schrittweise zu einer Änderung des Ansatzes kommt, wofür wir eine Reihe von Indikatoren haben, dass wir da auch perspektivisch erfolgreich sind, die Anbaumengen zurückdrängen zu können."
Die Zahlen der Vereinten Nationen bestätigen diesen Zusammenhang zwischen Drogenanbau und Sicherheitslage in Afghanistan. In Dörfern, in denen die Bürgermeister die Lage als schlecht bezeichnen, wird sehr viel Opium angebaut. Dort dagegen, wo sich die Menschen sicher fühlen, wird kaum noch welches angebaut.
Ein Problem allerdings ist im Nordosten Afghanistans geblieben: Die Heroin-Laboratorien – in denen Opium erst zu Heroin verarbeitet wird – konzentrieren sich nach wie vor im Norden des Landes. Hier sieht nicht zuletzt die afghanische Regierung auch die Staaten in der Pflicht, in denen die Drogen ihre Abnehmer finden.
"Das eine ist, dass sie mit einer gewissen Berechtigung sagen, die ganzen Precursor, also die Chemikalien, um Heroin und Kokain herzustellen, kommen ja auch aus den hochindustrialisierten Ländern. Tut etwas dagegen, dass dort diese Chemikalien abgezweigt werden. Das Zweite ist, wir sind auch gefordert, mehr gegen die Drogenabhängigkeit zu tun, aber hier haben wir gerade in Westeuropa in den letzten Jahren durchaus positive Erfolge erzielt."
Die sich allerdings in Grenzen halten und zum Teil demografische Gründe haben: In Westeuropa schrumpfen die für den Drogenkonsum besonders anfälligen Altersgruppen. Der Drogenkonsum geht damit aber nicht generell zurück. Zwar wird heute in Westeuropa weniger Heroin gespritzt als noch vor zehn Jahren, dafür wird mehr Kokain geschnupft, und es werden mehr synthetische Drogen konsumiert.
Vor allem aber: Der Drogenkonsum außerhalb Westeuropas, insbesondere in Osteuropa sowie entlang der weltweiten Handelsrouten hat zugenommen.
"Auf diesen Transitstrecken ist die Konsumrate dramatisch gestiegen und hat natürlich in diesen Transitstaaten zu katastrophalen wirtschaftlichen Konsequenzen geführt. Das Beispiel Iran verdeutlicht es. Dort ist ein Großteil der männlichen erwachsenen Bevölkerung mittlerweile heroinabhängig, was dazu geführt hat, dass diese als Ernährer der Familie völlig ausfallen und der Staat enorme Sozialleistungen aufbringen muss, um die Familien zu ernähren."
So rechnet der frühere EUROPOL-Chef Max-Peter Ratzel nicht nur beim Drogenanbau und –handel, sondern auch beim Konsum mit Verschiebungen: Ist die Nachfrage in Nordamerika und Europa heute weitgehend gesättigt, so werden sich die Märkte zunehmend in die Weltregionen verlagern, in denen die Bevölkerung wächst und der Wohlstand zunimmt.
"Was die Bevölkerungssituation angeht in Südasien, in Südostasien, kann man davon ausgehen, dass möglicherweise eine Marktverlagerung in diese Regionen durchgeführt werden wird, was das Problem aber nicht vermindert, sondern nur eine geografische Verlagerung nach sich zöge."
Auf der Landkarte des internationalen Drogenhandels macht sich das bereits bemerkbar. Die Produktion im lange vergessenen "Goldenen Dreieck" steigt wieder. In Burma wird seit drei Jahren wieder verstärkt Schlafmohn angebaut. Zudem spezialisiert sich die Region verstärkt auf die Herstellung von synthetischen Drogen. Weltweit nachgefragte Designerdrogen wie Metamphetamin tragen schon jetzt das Label: "Made in Burma" oder "Made in Thailand"!
Seit dreieinhalb Jahren tobt der Drogenkrieg in Mexiko. Eine der bis dahin blutigsten Phasen erlebte das Land Mitte Juni. Die Woche begann mit der Entdeckung eines Massengrabes im Süden des Landes, im Bundesstaat Guerrero, mit 55 Toten. Am Ende jener Woche wurden die Spuren eines weiteren Massakers in der Nähe der mexikanischen Urlaubsstadt Cancun gefunden. Und zwischen beiden Ereignissen 300 weitere Morde - zusätzlich zu den 23.000 Toten, die der Drogenkrieg bereits gefordert hat.
Die meisten Opfer starben im Kampf zwischen den rivalisierenden mexikanischen Drogenbanden, viele aber auch in Konfrontationen mit der mexikanischen Armee. Das Geschäft mit dem Kokain-Schmuggel ist heiß umkämpft. Bis vor wenigen Jahren konzentrierten sich der Drogenanbau und der Drogenhandel in Lateinamerika auf Kolumbien und Peru. Erst in den vergangenen fünf Jahren ist Mexiko zum Brennpunkt des Drogenhandels geworden. Die nordmexikanische Grenz-Stadt Ciudad Juarez ist eine der gefährlichsten der Welt.
"Zunächst ist mal festzuhalten, dass Mexiko an einer ganz entscheidenden Nahtstelle liegt zwischen den Erzeugerregionen Südamerikas für Kokain und in begrenztem Umfang für Heroin und einem der größten Abnahmemärkte, den USA."
Max-Peter Ratzel war bis vor einem Jahr Direktor von Europol. Die Bekämpfung von Drogenhandel und organisierter Kriminalität gehörte von Beginn an zu den Prioritäten der europäischen Polizeibehörde. Als Ratzel im Jahr 2005 die Leitung von Europol übernahm, formierten sich die mexikanischen Drogenbanden gerade. Inzwischen haben sie den amerikanischen Drogenmarkt weitgehend übernommen. Die kolumbianische Mafia, die früher das Geschäft dominierte, spielt hier nur noch eine nachrangige Rolle.
"In der Vergangenheit sind die Drogen in einem verstärkten Maße über den Seeweg und über den Luftweg in die USA transportiert worden. Die zunehmende Kontrolldichte in den Vereinigten Staaten, insbesondere auch als Konsequenz der Terroranschläge des 11. September, haben dazu geführt, dass diese Wege stärker kontrolliert worden sind. Und man hat selbstverständlich dann Ausweichrouten gesucht, die über die Landbrücke Mittel- und Zentralamerikas gegangen sind."
Angesichts der Übermacht der Mafia hat sich die mexikanische Polizei geschlagen gegeben. Im Februar 2008 ist der Chef der Bundespolizei zurückgetreten, sein Vorgänger wurde ermordet. Zahlreiche hochrangige Polizeibeamte erwiesen sich als korrupt. Anstelle der Polizei kämpft daher heute das Militär gegen die Drogenhändler. 50.000 Soldaten sind in ganz Mexiko im Einsatz.
Dennoch hat die Gewalt weiter zugenommen, bestätigt Linda Helfrich. Die Politikwissenschaftlerin arbeitet für die Entwicklungshilfe. In der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ist sie zuständig für das Programm "Entwicklungsorientierte Drogenpolitik" und in dieser Funktion häufig in Lateinamerika.
"Der Einsatz von Militär ist natürlich nicht unproblematisch. Es gibt auch immer wieder Begebenheiten, wo man sehen kann, dass zum Beispiel ehemalige Militärs sich ausgliedern, wenn sie dann aus dem Militärdienst entlassen werden und organisierte Gruppen bilden."
Auch die Armee in Mexiko könne nicht verhindern, dass jährlich mehr als 7000 Menschen im Drogenkrieg ihr Leben verlören, sagt auch Thomas Pietschmann. Er arbeitet für die Drogenbehörde der Vereinten Nationen in Wien und ist Mitverfasser des jährlich erscheinenden Welt-Drogenberichts. Pietschmann gilt als herausragender Kenner der weltweiten Drogenszene.
"Wir hatten das Problem der Polizeikorruption in Mexiko und als die unmittelbare Lösung wurde gesehen, das Militär einzusetzen. Das ist natürlich eine kurzfristige Lösung, langfristig kann das Ergebnis nicht sein, dass das Militär Polizeiaufgaben übernimmt, sondern langfristig braucht man eine korruptionsfreie Polizei."
Dennoch ist Pietschmann optimistisch, dass die Zahl der Drogentoten in den nächsten Jahren eingedämmt werden kann.
"Das Problem Mexiko, warum ist es entstanden? Einerseits richtig: Die Drogenkartelle in Kolumbien sind zerschlagen worden und das war richtig. Das war wichtig und notwendig, weil die Gefahr bestand, dass die Drogenkartelle die Macht übernehmen. Glücklicherweise: In Mexiko sind wir noch weit davon entfernt. Also die Situation in Mexiko heute ist absolut in der Gefährlichkeit nicht vergleichbar mit der Gefährlichkeit Kolumbiens um 1990 herum. Und wir hatten in Kolumbien, wiederum auf die Zahl der Toten bezogen, einen ganz massiven Rückgang gehabt, nachdem der Staat eingegriffen hat und Territorium und Gebiete wieder erobert hat, und etwas Ähnliches versucht jetzt die mexikanische Regierung. Die Erfahrungen, die wir aus Kolumbien hatten, waren, dass so wie es jetzt auch in Mexiko passiert, die Gewalt zunimmt, mittel- bis langfristig die Gewalt aber deutlich abnimmt."
Unterstützt wird Mexiko dabei von den USA. Die US-Behörden verzeichnen es als Erfolg, dass sie in den vergangenen zwei Jahren 2000 Mitarbeiter der mexikanischen Drogenkartelle fassen konnten. Doch was sind 2000 große und kleine Dealer gemessen an geschätzten Hunderttausenden, die für die mexikanische Mafia aktiv sind? Die US-Regierung freut sich auch, dass der Kokain-Konsum in den USA seit drei Jahren stark rückläufig ist. Nach den Zahlen der Vereinten Nationen ist er um 60 Prozent gesunken.
Dies aber sei, so Thomas Pietschmann, weniger ein Verdienst der US-amerikanischen Drogenpolitik als vielmehr eine Begleiterscheinung des inner-mexikanischen Drogenkriegs.
"Aufgrund dieses Kampfes in Mexiko, dieses grauenhaften Kampfes ist der Drogenhandel als solcher deutlich zurückgegangen. Der Hintergrund ist im Wesentlichen, dass die mexikanischen Drogenkartelle sich gegenseitig bekämpfen, zum Teil auch mit der Polizei bekämpfen, zum Teil mit dem Militär bekämpfen, und aufgrund dessen weniger Möglichkeiten haben, Kokain in die USA zu liefern. Das heißt, es kommt einfach weniger Kokain in die USA hinein, es wird weniger gehandelt, aber wir haben im Moment mehr Gewalt in Mexiko."
Nicht nur die Wege des Kokainhandels haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Auch im Anbau gab es deutliche Verschiebungen. Kolumbien ist zwar immer noch der weltgrößte Kokainproduzent. Doch die Produktion in Kolumbien ist rückläufig. Die Kartelle wurden zerschlagen, die Armee hat außerdem mithilfe der USA etliche Kokafelder mit Gift besprüht und somit zerstört. Auf lokaler Ebene war der Krieg gegen den Drogenanbau durchaus erfolgreich. Auch die Sicherheitslage in Kolumbien ist heute sehr viel besser, man kann sich wieder einigermaßen sicher durch Bogotá bewegen, anders als noch vor zehn Jahren.
Doch in der Gesamtschau relativieren sich diese Erfolge. Denn, was heute in Kolumbien weniger an Koka angebaut wird, wächst nun in Peru und Bolivien. Solche raschen Verlagerungen des Anbaus sind typisch für das weltweite Drogengeschäft.
"Es gibt auch Verlagerungseffekte innerhalb Kolumbiens. Ich war zum Beispiel vor vielen Jahren unterwegs in der Küstenregion Kolumbiens, in der Pazifikregion, wo vor allem die afro-kolumbianische Bevölkerung lebt und damals gab es dort noch so gut wie keinen Drogenanbau. Wenn Sie heute durch die südlichen Bundesstaaten, wo die afro-kolumbianische Bevölkerung hauptsächlich lebt, gehen und sich diese Situation vor Ort anschauen, dann können sie sehen, dass der Anbau in diesen Regionen deutlich zugenommen hat."
Der Handel sucht sich neue Transport- und Absatzwege, die Anbauflächen verlagern sich – je nachdem, welche Maßnahmen im jeweiligen Land ergriffen werden. US-Verteidigungsminister Robert Gates bilanzierte diese Entwicklung auf dem amerikanischen Kontinent resignierend: Der Krieg gegen die Drogen sei verloren!
Ein Krieg, der gar nicht zu gewinnen war, meint der frühere Chef von Europol, Max-Peter Ratzel:
"Sie können solch komplizierte Phänomene wie Drogenkriminalität oder Terrorismus nicht mit militärischen Mitteln lösen. Der sogenannte War on Drugs, den die Amerikaner geführt haben, war aus meiner Sicht schon sprachlich falsch angelegt, und deshalb war es auch relativ konsequent, dass er als solcher gescheitert ist. Diese Militärmaßnahmen, so wichtig die vielleicht zu einem gewissen Zeitpunkt gewesen sind, diese Militärmaßnahmen sind letztendlich nicht tauglich, um Drogenanbau tatsächlich zu stoppen, es kommt immer wieder zu Verdrängungseffekten. Sie haben immer wieder die enormen Umweltschäden durch die Besprühungen, die sind ja auch problematisch für sich unter Umweltgesichtspunkten und sie haben eine Verlagerung des hochtoxischen Anbaus von Kokain in andere Gebiete, und ich würde auch davor warnen zu glauben, dass man auch mit diesen repressiven Maßnahmen, dieser Fokussierung auf War on Drugs das Problem alleine in den Griff bekommen kann."
Immer mehr Kokain kommt aus Bolivien, dem Land des charismatischen Präsidenten Evo Morales. Morales, der erste Indio-Präsident eines lateinamerikanischen Landes, war selbst einmal Koka-Bauer. Eines seiner erklärten Ziele bei seinem Amtsantritt war, dem Kokablatt wieder die Bedeutung zukommen zu lassen, die es in der Region traditionell hatte. Morales spricht von der "Revalorisierung",
"Da stecken zwei Aspekte im spanischen Wort schon mit drin. Das eine ist sozusagen den Wert, den historisch kulturellen Wert der Koka wieder darzustellen und zum anderen die In-Wertsetzung des Kokablattes durch das, was die Bolivianer Industrialisierung des Kokablattes nennen, das heißt, sie wollen ihr Kokablatt vermarkten können zu einem gewissen Teil, umwandeln können in Industrieprodukte und ähnlich wie das auch in anderen Ländern ist, diese Produkte auf dem heimischen Markt und möglicherweise auch im Ausland absetzen können. Was man aber auch sagen muss und sehen muss ist, dass die Bauern zum Teil natürlich ihre Identität über Koka, den Anbau von Koka, den Konsum von Koka definieren, dass die lokale Bevölkerung sagt, Koka ist zum Beispiel gut gegen die Höhenkrankheit, Koka erhöht die Konzentration und die Arbeitsfähigkeit, das haben wir jetzt eben schon Jahrhunderte so gemacht, das ist unsere Tradition und diese Tradition soll geschützt werden."
Mit Evo Morales wird in Bolivien der Koka-Anbau für den traditionellen Eigenverbrauch der indianischen Bevölkerung also von höchster staatlicher Stelle aus verteidigt. Aber auch der Präsident will die Herstellung von Kokain und den Drogenexport keineswegs unterstützen. Beides zu trennen sei in der Praxis allerdings nahezu unmöglich, sagt Linda Helfrich von der GTZ.
"Man hat deswegen die Schwierigkeit, dass man eben die Trennung hat, zwischen einem Teil legalen Anbau und einem Teil illegalem Anbau. Und da können sie sich vorstellen, dass es da Schwierigkeiten gibt, das Ganze zu kontrollieren, das ist klar."
Für den früheren Europol-Chef Max-Peter Ratzel dagegen steht fest: Vom Koka, das in Bolivien angebaut wird, gehen große Mengen in den internationalen Handel. Über den rein kulturell geprägten Kokaanbau sei die Zeit hinweggegangen:
"Der Drogenanbau zur damaligen Zeit und der Drogenkonsum haben in einem völlig isolierten, abgeschotteten System stattgefunden, hat da noch funktioniert, war beherrschbar, war begrenzbar und über dieses Kulturdrogenargument, meine ich, sucht man sich einen leichten Ausweg, um sich des eigentlichen Problems anzunehmen. Und für mich ist die Politik, der Morales macht da ein weiteres Bild, er macht diese Politik wohl vorrangig um sich innenpolitisch zu positionieren, um seine Wiederwahl und die Stabilisierung seiner politischen Macht zu gewährleisten, weil diese Kokabauer von ihm natürlich einen enormen Rückhalt bekommen und über den Anbau sich natürlich auch Finanzquellen erschließen."
Während die mexikanische Mafia den nordamerikanischen Markt beherrscht, wird Europa noch weitgehend von kolumbianischen Händlern beliefert. Allerdings haben auch sie ihre Strategie und ihre Handelsrouten geändert. Auf diese Weise ist eine weitere Region in den letzten Jahren zum Brennpunkt des internationalen Drogengeschehens geworden: Westafrika.
Im gesamten Raum zwischen Nigeria und Mauretanien hat sich die Situation seit 2004 massiv verschlechtert, so Thomas Pietschmann von der Weltdrogenbehörde. Die Händler haben Westafrika in diesem Zeitraum zu einem zentralen Transitgebiet für den Drogentransport nach Europa gemacht. In einzelnen Ländern Westafrikas, wie in Guinea oder Guinea-Bissau hat die Drogenmafia einen enormen Einfluss auch auf den Staatsapparat gewonnen.
"Das ist für diese Staaten typisch, also Staaten mit sehr kleinem Bruttoinlandsprodukt, wo die Drogenkartelle mit ihrer Macht einen wahnsinnigen Einfluss ausüben können, wo wir es erlebt haben, dass bis in die höchsten Regierungskreise Leute involviert waren, das Militär involviert war, dass die Polizei involviert war. Dabei ist interessant, dass ein Teil dieses Weges angefangen hat über Gefängnisse in Spanien, wo kolumbianische Drogenhändler mit marokkanischen Drogenhändlern eingesperrt waren, sich quasi die Visitenkarten ausgetauscht haben und als sie wieder 'raus waren aus den Gefängnissen, gesagt haben, jetzt arbeiten wir zusammen und jetzt bauen wir diesen Markt auf."
Dass Westafrika zum Transitland vor allem für kolumbianisches Kokain geworden ist, ist Folge eines weiteren Verlagerungseffekts. Früher ist das Kokain direkt auf dem Seeweg von Südamerika über Spanien nach Europa gelangt. Diese Transporte über den Atlantik, sagt der frühere EUROPOL-Chef, hätten die europäischen Sicherheitskräfte weitgehend unterbunden.
"Dort hat man zunehmend Schiffe aufgebracht, große Ladungen sichergestellt. Die Spanier, die Portugiesen haben enorme Mengen von Kokain auf See sicherstellen können, auch im Bereich des Flugverkehrs, sodass eine Verlagerung nach Westafrika durchaus eine Logik in sich hatte, zumal die Nigerianer auch in der Kleindistribution in Europa eine wichtige Rolle spielten. Und Nigerianer spielen natürlich auch in Westafrika eine große Rolle im regionalen Verbund."
Lateinamerika, Westafrika, Afghanistan - die dritte zentrale Region im internationalen Drogengeschäft ist das Land am Hindukusch. Seit zwei Jahrzehnten ist Afghanistan das Zentrum in der Herstellung von Opium und Heroin.
Bis in die 1980-er Jahre hinein wurde der meiste Schlafmohn noch in Südostasien angebaut, im sogenannten Goldenen Dreieck, also in den Ländern Thailand, Laos und Burma. Das änderte sich in den Wirren des afghanischen Bürgerkriegs und der sowjetischen Besatzung in den 80-er Jahren, die Drogenproduzenten fanden ihre Nischen. In den 90-er Jahren wurde Afghanistan zur größten Erzeugerregion der Welt. Und, nachdem der Westen als Konsequenz auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 das Taliban-Regime beseitigte, stieg der Anbau erneut an. Nicht zuletzt, weil die aufständischen Taliban mit dem Drogenanbau ihren bewaffneten Widerstand finanzieren.
Heute stammen mehr als 90 Prozent des weltweiten Opiums und Heroins aus Afghanistan. Doch die Strukturen sind völlig anders als bei der Produktion und dem Vertrieb von Kokain in Lateinamerika. Es gibt in Afghanistan keine großen organisierten Kartelle. Es gibt keine durchstrukturierte Handelskette vom Hindukusch bis nach Europa. Alles sei kleinteiliger, sagt Thomas Pietschmann, von der UN-Drogenbehörde in Wien:
"Also es wird von den Paschtunen angebaut, die verkaufen es an die Belutschen, die verkaufen es über die Grenzen nach Pakistan und Iran. Dann wird es übernommen von Iranern, geht über die Grenze, wird von Kurden übernommen, geht über die Grenze in die Türkei, entweder direkt oder über den Umweg, über den Irak, geht dann nach Istanbul. Istanbul ist ein Hauptumschlagsplatz. Von Istanbul sind es im Wesentlichen dann türkisch-kurdische Organisationen, die es dann in Westeuropa verbreiten. Über die Balkanroute wird es dann sehr häufig nach Holland gebracht."
Und von da wieder zurück nach Deutschland. Und unterwegs, entlang der Strecke, gibt es verschiedene Vorratslager, für den Fall, dass der Nachschub ausbleibt, sei es aufgrund schlechter Ernten oder weil polizeiliche bzw. militärische Maßnahmen den Drogenanbau eindämmen konnten.
Tatsächlich ist der Drogen-Anbau in Afghanistan in den vergangenen zwei Jahren rückläufig. Ein Rückgang, der vor allem im Norden und Osten Afghanistans zu beobachten sei, sagt Linda Helfrich von der GTZ:
"Während in den südlichen Provinzen, Helmand, Kandahar, der Hauptteil des Anbaus stattfindet, und da muss man sich fragen warum. Auf der einen Seite kann man sagen: O.k., in den nördlichen Provinzen hat in den letzten Jahren mehr Veränderung stattgefunden, da hat es Reformen gegeben, da hat es ein bisschen was an Staatsaufbau gegeben, während im Süden des Landes weniger passiert ist und verschiedene nicht-staatliche Gewaltakteure – die bekanntesten sind die Taliban – unterwegs sind, und die Auseinandersetzungen sehr viel höher sind, und dadurch findet man im Süden bessere Bedingungen vor als im Norden."
Die Taliban, so beschreibt der frühere Chef von Europol, Max-Peter Ratzel, die Lage in Afghanistan, spielten beim Drogenhandel nach wie vor eine entscheidende Rolle:
"Sie geben zum einen Anstoßfinanzierung, um Drogen herzustellen, sie gewähren Schutz und nehmen auch Steuern, das heißt, sie haben entdeckt, dass sie bei einer Förderung des Drogenanbaus auch Gelder abzweigen können für sich selbst, im Wesentlichen für den Waffenkauf, womit dadurch auch direkt oder indirekt der Terrorismus und Aktivitäten der Taliban finanziert werden."
Vergleiche man aber die Situation in Afghanistan mit jener in Lateinamerika, so Ratzel, zeigten sich große Unterschiede. Unterschiede aufgrund gesellschaftlicher Besonderheiten in Afghanistan.
"Es gibt dort Clan-Strukturen, Familienstrukturen und in denen läuft sehr viel ab, da liegen auch Vertrauensverhältnisse vor, und man kann davon ausgehen, dass dort absolute Sicherheit herrscht, dass, wenn man innerhalb des Clans, innerhalb des Stammes verkauft, auch keine Involvierung der Polizei möglich ist. Insofern haben wir diese starke Kartellbildung, wie wir sie in Kolumbien hatten, in Afghanistan so nicht gesehen, was es natürlich für Bekämpfungsmaßnahmen noch komplizierter macht, weil sozusagen das polizeiliche Gegenüber immer diffuser wird."
Max-Peter Ratzel und Linda Helfrich blicken auf das weltweite Drogen-Problem durch unterschiedliche Brillen. Ratzel, der ehemalige Direktor von Europol, spricht aus der Perspektive eines polizeilichen Ermittlers. Linda Helfrichs Sichtweise beruht auf ihren Erfahrungen aus der Entwicklungshilfe.
Früher standen sich die Positionen von Polizei und Entwicklungshilfe diametral entgegen. Die Sicherheitsbehörden setzten vor allem auf repressive Maßnahmen, Entwicklungsorganisationen dagegen glaubten, man müsse den Koka-Bauern in Peru oder den Schlafmohn-Bauern in Afghanistan nur entsprechende legale Alternativen bieten, dann würden sie den Anbau von Koka und Opium schon bleiben lassen.
Doch das hat weder in Südamerika funktioniert, noch funktioniert es in Afghanistan. Nicht zuletzt in der Entwicklungspolitik habe ein Umdenken stattgefunden, sagt Linda Helfrich. Ohne die entsprechende Sicherheitslage und nicht zuletzt auch ein wenig repressiven Druck, seien bestimmte Projekte nicht umzusetzen.
"Nicht zu sagen, wir können das machen, was man früher gemacht hat, wir können einfach, sagen wir mal die Drogen oder den Koka- oder Schlafmohnanbau durch Kaffee- oder Kakao-Anbau ersetzen. Wir müssen gucken, was braucht ländliche Entwicklung noch, was für Rahmenbedingungen. Wir brauchen Bildung, wir brauchen Gesundheit, wir brauchen Infrastruktur, also in Afghanistan hat der Straßenbau eine ganze Menge bewirkt, früher hat man das in der Entwicklungszusammenarbeit kritisiert und gesagt, wir können doch nicht immer nur Straßen bauen etc., aber in so Ländern wie Afghanistan ist es sehr wichtig, weil über die Straßen der Zugang zum Bildungswesen, der Zugang zu Gesundheit enorm gestärkt wird, und in unseren Befragungen kam heraus, dass gerade die Frauen sehr froh waren, dass die Straßen sicherer sind, dass die Straßen da sind etc."
Linda Helfrich hat dabei eine konkrete Maßnahme im Auge, die aus ihrer Sicht mit dazu beigetragen hat, dass im Osten Afghanistans der Opiumanbau zurückgegangen ist. Das internationale, sogenannte "PAL-Projekt für eine alternative Lebensweise", an dem die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit federführend beteiligt war. Straßen wurden gebaut, das Trinkwasser wurde sauberer, kleine Wasserkraftwerke wurden gebaut. Nur infolge solcher verbesserter Rahmenbedingungen, so Linda Helfrich, ließen sich die Landwirte dazu bringen, vom Opiumanbau umzusteigen auf legale Feldfrüchte oder Weidewirtschaft. Voraussetzung: Die Sicherheitslage stimmt und es drohen Strafen und Repressionen.
"Also ein Motiv ist die Sicherheit. Es ist nicht angenehm für Bauern, sich in einer illegalen Situation zu befinden. Und in den Projektregionen dieses PAL-Projektes, da wurde von staatlicher Seite ziemlich stark durchgesetzt, dass eben keine Drogen angebaut werden dürfen, das heißt, die Bauern mussten befürchten, wenn sie Drogen anbauen würden, würden sie auch mit staatlicher Repression rechnen müssen. Und außerdem, wenn sie in den Drogenhandel verwickelt sind, kommen natürlich Gruppen in den Ort, unter Umständen, die die Sicherheitslage in den Orten gefährden und das ist schon ein wichtiger Grund, es nicht zu tun."
Und damit kommt auch in Afghanistan bei der Bekämpfung des Drogenhandels- und Anbaus das Militär ins Spiel. Zwar, so sagt der frühere EUROPOL-Chef Max-Peter Ratzel, habe die Bundeswehr nicht die Aufgabe, direkt gegen Drogenhändler vorzugehen oder Opiumfelder abzubrennen. Dennoch spiele sie indirekt doch eine Rolle bei der Drogenbekämpfung.
"Die Bauern sind ja per se nicht daran interessiert, in eine Illegalität abzutauchen. Das darf man den Leuten einfach nicht unterstellen. Aber ich muss denen Alternativen bieten, insofern kommen wir auch hier wieder dahin, dass das Militär in Afghanistan eine Rolle spielt, wenn es denn die allgemeinen Rahmenbedingungen für Sicherheit setzt und ermöglicht, dass Kraftwerksbau, Straßenbau überhaupt stattfinden können. Das ist aber etwas anderes als der reine War on Drugs, insoweit bin ich relativ optimistisch, dass wir wenn es dort schrittweise zu einer Änderung des Ansatzes kommt, wofür wir eine Reihe von Indikatoren haben, dass wir da auch perspektivisch erfolgreich sind, die Anbaumengen zurückdrängen zu können."
Die Zahlen der Vereinten Nationen bestätigen diesen Zusammenhang zwischen Drogenanbau und Sicherheitslage in Afghanistan. In Dörfern, in denen die Bürgermeister die Lage als schlecht bezeichnen, wird sehr viel Opium angebaut. Dort dagegen, wo sich die Menschen sicher fühlen, wird kaum noch welches angebaut.
Ein Problem allerdings ist im Nordosten Afghanistans geblieben: Die Heroin-Laboratorien – in denen Opium erst zu Heroin verarbeitet wird – konzentrieren sich nach wie vor im Norden des Landes. Hier sieht nicht zuletzt die afghanische Regierung auch die Staaten in der Pflicht, in denen die Drogen ihre Abnehmer finden.
"Das eine ist, dass sie mit einer gewissen Berechtigung sagen, die ganzen Precursor, also die Chemikalien, um Heroin und Kokain herzustellen, kommen ja auch aus den hochindustrialisierten Ländern. Tut etwas dagegen, dass dort diese Chemikalien abgezweigt werden. Das Zweite ist, wir sind auch gefordert, mehr gegen die Drogenabhängigkeit zu tun, aber hier haben wir gerade in Westeuropa in den letzten Jahren durchaus positive Erfolge erzielt."
Die sich allerdings in Grenzen halten und zum Teil demografische Gründe haben: In Westeuropa schrumpfen die für den Drogenkonsum besonders anfälligen Altersgruppen. Der Drogenkonsum geht damit aber nicht generell zurück. Zwar wird heute in Westeuropa weniger Heroin gespritzt als noch vor zehn Jahren, dafür wird mehr Kokain geschnupft, und es werden mehr synthetische Drogen konsumiert.
Vor allem aber: Der Drogenkonsum außerhalb Westeuropas, insbesondere in Osteuropa sowie entlang der weltweiten Handelsrouten hat zugenommen.
"Auf diesen Transitstrecken ist die Konsumrate dramatisch gestiegen und hat natürlich in diesen Transitstaaten zu katastrophalen wirtschaftlichen Konsequenzen geführt. Das Beispiel Iran verdeutlicht es. Dort ist ein Großteil der männlichen erwachsenen Bevölkerung mittlerweile heroinabhängig, was dazu geführt hat, dass diese als Ernährer der Familie völlig ausfallen und der Staat enorme Sozialleistungen aufbringen muss, um die Familien zu ernähren."
So rechnet der frühere EUROPOL-Chef Max-Peter Ratzel nicht nur beim Drogenanbau und –handel, sondern auch beim Konsum mit Verschiebungen: Ist die Nachfrage in Nordamerika und Europa heute weitgehend gesättigt, so werden sich die Märkte zunehmend in die Weltregionen verlagern, in denen die Bevölkerung wächst und der Wohlstand zunimmt.
"Was die Bevölkerungssituation angeht in Südasien, in Südostasien, kann man davon ausgehen, dass möglicherweise eine Marktverlagerung in diese Regionen durchgeführt werden wird, was das Problem aber nicht vermindert, sondern nur eine geografische Verlagerung nach sich zöge."
Auf der Landkarte des internationalen Drogenhandels macht sich das bereits bemerkbar. Die Produktion im lange vergessenen "Goldenen Dreieck" steigt wieder. In Burma wird seit drei Jahren wieder verstärkt Schlafmohn angebaut. Zudem spezialisiert sich die Region verstärkt auf die Herstellung von synthetischen Drogen. Weltweit nachgefragte Designerdrogen wie Metamphetamin tragen schon jetzt das Label: "Made in Burma" oder "Made in Thailand"!