Sie sind Kinder, und sie arbeiten als Gemüse- oder Zeitungsverkäufer, in der Landwirtschaft, in Ziegeleien oder als Teppichknüpfer - für einen Hungerlohn, auf den sie und ihre Familien angewiesen sind.
„We wanted to see the world without child labour.“ Eine Welt ohne Kinderarbeit, das war und ist noch immer der Traum von Kailash Satyarthi. Der indische Elektroingenieur gab 1981 seinen gutbezahlten Job auf und widmete sein Leben fortan dem Kampf gegen Kinderausbeutung. Seine ‚Bewegung zur Rettung der Kindheit‘ war bekannt für spektakuläre Aktionen, bei denen Kinder aus Fabriken oder Haushalten befreit wurden. Seit Ende der Neunzigerjahre wollte Kailash Satyarthi sein Engagement nicht mehr nur auf Indien beschränken. Damals mussten weltweit mehr als 250 Millionen Kinder arbeiten. Diese skandalöse Zahl wollte er in den Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit rücken.
Mehr als 250 Millionen Kinder mussten arbeiten
"Wir wissen, dass ein Kind, das in Kinderarbeit oder Sklaverei gerät, ein Kind ist, dem Bildung vorenthalten wird, das in extremer Armut lebt, das keinen Zugang zu Sicherheit oder medizinischer Versorgung hat und dessen Eltern keine soziale Absicherung haben. Wenn wir nicht anfangen, zusammenzuarbeiten, werden wir es nicht schaffen, jedes Kind aus dieser Krise zu befreien.“
Mit einer weltumspannenden Aktion wollte Kailash Satyarhi Druck auf die Vereinten Nationen ausüben, endlich wirkungsvoll die Kinderarbeit zu ächten. Unterstützt von unzähligen Kinder- und Menschenrechtsorganisationen, von Kirchen, Gewerkschaften und Schulen organisierte er den weltweiten ‚Marsch gegen Kinderarbeit‘.
Marsch durch mehr als hundert Länder
„Aus vielen Teilen der Welt werden sich arbeitende Kinder auf den Weg nach Europa machen.“ Hans-Otto Hahn von ‚Brot für die Welt‘ am 17. Januar 1998. An diesem Tag setzte sich in der philippinischen Hauptstadt Manila der Protestmarsch in Bewegung. „Sie werden hier auf keine Festung Europa stoßen, sondern als Gäste willkommen geheißen, ja, in ihren Forderungen unterstützt.“
Nicht nur in Manila, auch in São Paulo und Kapstadt starteten in den kommenden Wochen weitere Märsche. Ihre Routen führten durch über 100 Länder und erreichten zusammen eine Strecke von 80.000 Kilometern. In der Regel schlossen sich die Teilnehmer für kleine Etappen innerhalb ihrer Region an.
Forderungen der ILO in Genf übergeben
Nur die sogenannten Kernmarschierer, etwa 150 Personen aus über 60 Ländern, wurden am 30. Mai 1998 am Ziel des Sternmarsches erwartet: in Genf. Hier wollte man Einfluss nehmen auf die Verhandlungen der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen. Bislang waren ihre Versuche, die Kinderarbeit einzudämmen, wirkungslos geblieben. Für viele arme Länder war sie einfach ein zu wichtiger Wirtschaftsfaktor. Insofern war es unrealistisch, ihre komplette Ächtung zu fordern. Was aber endlich umgesetzt werden sollte, war eine Konvention zumindest gegen die schrecklichsten Auswüchse der Kinderarbeit, wie Kailash Satyarthi sie in Genf beschrieb:
"Hunderttausende von Kindern werden wie Tiere verkauft oder wie Sklaven gehalten. Kinder werden auf der ganzen Welt zur Prostitution gezwungen, sie müssen in Steinbrüchen arbeiten oder in gefährlichen Unternehmen wie Chemiefabriken. Man lässt sie 14, 15 Stunden pro Tag arbeiten, sieben Tage die Woche, und dabei werden sie geprügelt und gequält.“
Zahl der Kinderarbeiter um 40 Prozent gesunken
Das Anliegen wurde erhört. Werner Blenk, bei der ILO für das Thema Kinderarbeit zuständig, war bei den Beratungen über die neue Konvention dabei: „Was wir wollen, sind integrierte Programme, sind Programme, die auf Bewusstseinsänderung abzielen, die im normativen, also im gesetzgeberischen Bereich den Ländern helfen, in der Gesetzesanwendung den Ländern helfen.“
All dies floss ein in die ‚Konvention gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit‘, auf die sich die Vertreter der Internationalen Arbeitsorganisation im Juni 1998 verständigten. Ein Jahr später wurde sie verabschiedet. Keine andere Konvention wurde bislang so schnell und mittlerweile von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert. Und sie wirkte: Bis 2016 sank die Zahl der arbeitenden Kinder von 250 auf 150 Millionen - also um immerhin 40 Prozent.
Seitdem steigen die Zahlen allerdings wieder an. Die dahinter stehende Dynamik ist einfach: Je mehr Krisen, desto mehr Armut, desto mehr Kinderarbeit.