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Der Wert der Fische

Meeresforschung. - Im Jahr 2010 stellten das Kieler Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft", der mare-Verlag und das von Elisabeth Mann Borgese gegründete International Ocean Institute den ersten "World Ocean Review" vor. Nach diesem ersten allgemeinen Teil war schnell klar, dass weitere tiefer gehende Berichte zu einzelnen Fachgebieten folgen sollten. Heute wurde nun in Hamburg der zweite Teil vorgestellt: "Zukunft der Fische – Fischerei der Zukunft".

Von Tomma Schröder |
    Fische zu zählen, ist eine aufwändige Angelegenheit. Und eine oft umstrittene. So gelten laut Welternährungsorganisation FAO knapp 30 Prozent der Fischbestände als zusammengebrochen oder überfischt. Doch da die FAO längst nicht alle Fischbestände weltweit erfasst, hat ein amerikanisch-deutsches Forscherteam jüngst allein auf der Basis von Fangdaten auch bisher nicht berücksichtigte Meeresgebiete und Bestände untersucht. Ihr Ergebnis: Über die Hälfte der Bestände sind überfischt. Der neue World Ocean Review lässt beide Befunde und die dazugehörige Kritik einfach nebeneinander stehen. Den beteiligten Forschern geht es nicht darum, eindeutige Zahlen in die Welt zu posaunen oder neue Schreckensszenarien zu zeichnen. Sie wollen gut verständliche, von einem Journalisten aufbereitete Hintergründe für eine Tatsache liefern, die tatsächlich unumstritten und schrecklich genug ist: Den Fischen in den Weltmeeren geht es schlecht.

    "Ein Hauptproblem ist, dass Fisch ein Allgemeingut ist, wo es keine Eigentumsrechte gibt. Nicht wie bei einem Feld, was einem Bauern gehört, wo er weiß, wenn ich da entsprechend anbaue, habe ich den Ertrag. Das ist bei Fisch nicht so, das ist eine allgemeine Ressource. Die gehört halt erst jemandem, wenn er sie gefangen hat."

    Ein Bauer würde nie so viel Vieh auf einmal schlachten, dass er seinen Ertrag damit auf Dauer gefährdet. Eben das aber ist lange Jahre in der Fischerei geschehen, wie der Kieler Fischereibiologe Jörn Schmidt und zahlreiche weitere Forscher im World Ocean Review nun noch einmal zusammengefasst haben. Besonders schwierig ist die Situation dabei auf der so genannten Hohen See, also außerhalb der 200 Seemeilen breiten, nationalen Wirtschaftszonen. Denn dort kann im Prinzip jeder so viel fischen, wie er will. Der Kieler Wirtschaftswissenschaftler Martin Quaas:

    "Und das ist eine Situation, die besonders schlecht ist für die Fischbestände, weil es da natürlich auch so ist, dass keiner berücksichtigen kann, was in Zukunft passiert. Denn in der Zwischenzeit kann ein anderer kommen und die Fische fangen."

    In den nationalen Wirtschaftszonen dagegen, auch das verschweigen die Forscher nicht, gibt es teilweise positive Entwicklungen. Das jüngste Beispiel ist die im EU-Parlament angenommene Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik: Sie schreibt ab 2015 den so genannten "MSY" als Zielwert für die Fangquoten vor. Die englische Abkürzung steht für den maximalen Dauerertrag und beschreibt eine Bestandsgröße, bei der die Fischer Jahr für Jahr den größtmöglichen Ertrag erzielen würden und die zumeist weit über den heute existierenden Bestandsgrößen liegt. Dass dieser Wert eine sinnvolle Richtschnur liefert, ist unter Forschern mittlerweile unumstritten. Doch weil die Bestandsentwicklungen von vielen Umweltfaktoren abhängen, ist seine genaue Ermittlung nicht ganz einfach, wie Jörn Schmidt erklärt.

    "Es ist relativ schwierig, jetzt so einen Punkt festzulegen wo man sagt, das ist jetzt die Biomasse, bei der die MSY produziert wird. Von daher kann man eher Bereiche annehmen und sollte daher lieber Unsicherheiten mit einbeziehen, um dann auf der sicheren Seite zu sein."

    Neben dem MSY, der in einigen Regionen bereits angewendet wird, zeigen die Ökonomen und Ökologen im World Ocean Review aber auch weitere Modelle auf, wie die Fischerei sinnvoll begrenzt werden kann. Denn bisher hat nur der gefangene Fisch einen Preis. Der Wert, den ein Fisch im Meer hat, bleibt dagegen unberücksichtigt. Quaas:

    "Der Fisch kann entweder gefangen werden, oder er kann im Wasser bleiben und kann sich reproduzieren. Und wenn er gefangen wird und kann sich nicht reproduzieren und nicht weiter wachsen, dann hat das im Prinzip auch seinen Preis. Aber dafür gibt es im Moment in den meisten Ländern keinen Marktpreis."

    Deswegen, so Martin Quaas, plädieren Ökonomen für die Einführung von handelbaren Quoten. Ähnlich wie beim CO2-Handel müssten Fischer dann für den Fang ihrer Fische zunächst Quoten erwerben, die eben genau diesen Preis des fehlenden Fisches im Meer abbilden. Forderungen, Lösungsansätze wie die handelbaren Quoten oder das Konzept des maximalen Dauerertrags umzusetzen, sucht man in dem World Ocean Review allerdings vergebens. Wie beim letzten Mal ist auch der aktuelle Bericht in leisen Tönen gehalten. Nicht die politische Aussage ist das Ziel, sondern ein breites verständliches Hintergrundwissen. Denn das, so hoffen die beteiligten Forscher, könnte schließlich auch zu guten politischen Entscheidungen führen.