Freitag, 23. November. Vor der Verlagszentrale von Gruner+Jahr am Hamburger Baumwall bringen sich Journalisten und Kamerateams in Position. Für 13 Uhr hat die Verlagsleitung ein öffentliches Statement angekündigt. Dabei wurde schon Tage vorher über das Ende der Financial Times Deutschland (FTD) und der drei weiteren Wirtschaftstitel Capital, Impulse und BörseOnline spekuliert. Pünktlich um eins tritt Unternehmenssprecher Claus Peter Schrack an ein provisorisch aufgestelltes Rednerpult vor dem Haupteingang. Durch die Fensterfronten hinter ihm sind die betrübten Gesichter der Mitarbeiter zu erkennen. Schrack nimmt seine vorgefertigten Karteikarten – seine Hände zittern:
"Der Gruner+Jahr-Vorstand hat soeben die Mitarbeiter darüber informiert, dass die Financial Times Deutschland FTD eingestellt wird."
Während der Sprecher der Öffentlichkeit diese Entscheidung verkündet, muss sich der Vorstand um Julia Jäkel den Redakteuren und Mitarbeitern der Wirtschaftsmedien stellen. Auch sie wurden erst am Vormittag informiert.
"Das ist auch einer der ganz, ganz großen Frustpunkte auch für die Belegschaft. Wir haben jetzt wochenlang eigentlich gehört, was mit uns passieren wird. Es ist extrem unwürdig, deprimierend – und das ist neben der Einstellung an sich das größte Problem für die Leute im Moment."
Erklärt Maike Rademaker, Betriebsrätin und FTD-Redakteurin aus der Berliner Redaktion. Ihr sind die Wut und die Enttäuschung anzusehen, so wie vielen Mitarbeitern, die mit gesenktem Kopf das Gebäude verlassen. Einige können ihre Tränen kaum verbergen:
"Wenn ich jetzt an die 320 Kollegen denke, die sich da unheimlich reingehängt haben, dann ist das eine aberwitzige Angelegenheit. Weil wir hier so großartigen Journalismus gemacht haben. Und so viel Großartiges geleistet haben. Und wissen sie: Wir waren auch ein Team. Das war auch mehr als nur eine Redaktion, wo man so zusammenarbeitet, sondern wir waren hier wirklich wie eine Familie. Und deshalb tut das jetzt natürlich besonders weh, was hier passiert."
Für viele ist die Einstellung der Financial Times Deutschland ein Schock – aber keine Überraschung. Seit ihrer Gründung im Jahr 2000 schrieb die FTD Verluste. Insgesamt sollen die Wirtschaftstitel in den vergangenen zwölf Jahren ein Minus von 250 Millionen Euro eingebracht haben. Allein 15 Millionen Euro in diesem Jahr. Gruner+Jahr-Sprecher Claus Peter Schrack:
"Vor diesem Hintergrund sehen wir keinen Weg, die Financial Times Deutschland weiter zu betreiben. Gruner+Jahr hat sich bis zuletzt sehr intensiv, aber am Ende ohne Erfolg, bemüht, einen Käufer für die FTD zu finden. Auch eine Fortführung als Onlinetitel wurde erwogen. Doch nach ausgiebiger Prüfung haben wir dafür keine realistische Chance auf Erfolg gesehen."
Während die FTD vom Markt verschwindet, morgen erscheint sie zum letzten Mal, sollen das Monatsmagazin Impulse sowie BörseOnline verkauft werden. Es gebe durchaus ernsthafte Interessenten, versichert der Verlag. Derzeit werden unterschiedliche Konzepte potenzieller Käufer geprüft. Dabei sei wichtig, dass der Erhalt der Marke für mindestens 18 Monate gesichert ist und die Mitarbeiter in ein neues Konstrukt wechseln können. Bis Mitte Januar soll entschieden sein, wer den Zuschlag bekommt.
Auch ein Management-Buy-Out – also die Übernahme durch verlagsinterne Mitarbeiter - ist nach wie vor eine Möglichkeit. Capital, einst das Zugpferd der Wirtschaftstitel, bleibt im Verlag, wird jedoch künftig mit einem größeren wirtschaftspolitischen Fokus von einer kleineren Redaktion von Berlin aus bespielt. Doch warum überlebt jetzt nur ein kleiner Teil der Wirtschaftsmedien des Hamburger Verlages? Viele sehen den Kapitalfehler in der Zusammenlegung der einzelnen Redaktionen zu einer großen Mantelredaktion – die Qualität habe darunter gelitten, dass die Redakteure vier Publikationen mit jeweils unterschiedlichen Ansprüchen bedienen mussten. Das will FTD-Mitarbeiterin Maike Rademaker so nicht ganz gelten lassen:
"Das Problem war eher, dass Personal da auch reduziert wurde. Und zu glauben, dass man mit einem zusammengewürfelten Stamm, der aber letztlich kleiner ist, als wenn man alle wirklich zusammengelegt hätte, dass man da mehrere Titel bespielen kann. Bei einer Tageszeitung, die ja in der Regel die volle Kraft erfordert, da ist es teilweise sehr, sehr knapp gewesen. Das hat die Leute schon erschöpft."
Das Ende der Financial Times Deutschland wirft ein Schlaglicht auf eine Branche, die mit großen Umbrüchen zu kämpfen hat. Gab es 1992 noch 426 Tageszeitungen, so werden es nach dem Tod der FTD und der Insolvenz der Frankfurter Rundschau in diesem Jahr noch 331 sein. Doch nicht nur die zunehmende Konzentration auf dem Zeitungsmarkt macht Beobachtern Sorge.
Die Ausdünnung von Redaktionen bei gleichzeitiger Arbeitsverdichtung droht, so warnen Journalistengewerkschaften und Medienwissenschaftler davor, die Wächterfunktion der Presse zu gefährden. Um Tarifbindungen zu umgehen, werden immer mehr journalistische Arbeitsplätze ausgelagert. Oder es werden freie Mitarbeiter beschäftigt, für die keine Sozialabgaben bezahlt werden müssen. Gleichzeitig hat die Arbeit in den Redaktionen zugenommen. Journalisten, die früher nur für ihr Blatt schrieben, erstellen nun zusätzlich auch Onlinetexte oder nehmen auf Termine Videokameras mit, um die Internetauftritte ihrer Zeitungen mit kleinen Filmen zu bedienen.
Denn Deutschlands Verleger müssen verstärkt ins Internet investieren. Zum einen, um die Anzeigenverluste auszugleichen, die sie in ihren gedruckten Blättern hinnehmen müssen. Zum anderen, um mit ihren Marken weiterhin junge Leser an sich zu binden, die zunehmend keine Tageszeitungen mehr abonnieren. In den letzten 20 Jahren sank die verkaufte Gesamtauflage von täglich 27,3 Millionen Exemplaren auf knapp 18 Millionen. Und doch sieht der Dortmunder Zeitungswissenschaftler Horst Röper noch keinen Grund für zu viel Pessimismus, was die Lage bei den Verlagen betrifft.
"Es geht ihnen schlecht, weil sie seit 2001 eben erhebliche Werbeumsätze verloren haben und zudem eben auch noch Auflage verlieren und mit der Auflage natürlich wieder Vertriebseinnahmen verloren haben. Andererseits sind die Renditen im Zeitungsgewerbe aber immer noch, wenn man das mit anderen Branchen vergleicht, recht ordentlich. Sie sind natürlich nicht mehr bei 20 Prozent und mehr, wie in den 90er-Jahren, aber die Verlage sind nicht existenzgefährdet."
Sowohl das Scheitern der Financial Times Deutschland, die in den zwölf Jahren ihres Bestehens nie schwarze Zahlen geschrieben hat, als auch die Insolvenz der Frankfurter Rundschau ließen keine Rückschlüsse auf die ganze Branche zu. Die FTD sei es nicht gelungen, genug Werbekunden an sich zu binden. Und die Frankfurter Rundschau, so Horst Röper, sei das Opfer falscher Managementstrategien geworden:
"Die 90er-Jahre waren für die Verlage die besten Jahre überhaupt. Andere Verlage sind in dieser Zeit gewachsen und haben Rücklagen gebildet. Das alles ist bei der FR nicht geschehen. Und als dann der Werbemarkt 2001 einbrach, stand man plötzlich vor leeren Kassen und erwirtschaftete rote Zahlen. Also, hier sind in der früheren Vergangenheit enorme Fehler gemacht worden, die aufzuarbeiten dann auch den neuen Besitzern schwergefallen ist."
Durch die Zusammenlegung weiter Teile der FR-Redaktion mit den Redaktionen von Berliner Zeitung und Kölner Stadtanzeiger sei dann auch noch die inhaltliche Linie des Blattes so aufgeweicht worden, dass immer mehr Leser und damit auch Anzeigenkunden wegblieben. Der Abbau und die Zusammenlegung von Lokalredaktionen hätten ihr Übriges dazu getan, die Abonnenten ihrem Blatt zu entfremden. Eine Entwicklung, die auch bei den Lokal- und Regionalzeitungen zu beobachten ist, die in Deutschland Dreiviertel des Marktes ausmachen.
Vor allem in strukturschwachen Gebieten tun sich Verlage immer schwerer damit, Leser und Anzeigenkunden zu finden. Um ihre Renditen zu halten, verkleinern sie ihre Redaktionen, die dadurch immer weniger Zeit für Recherche haben. Um ihnen zu helfen, will nun die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen eine Stiftung gründen. Diese "Stiftung Vielfalt und Partizipation" soll sicherstellen, dass im Presseland NRW ein Mindestmaß an journalistischer Qualität und Vielfalt von Meinungen gewährleistet bleibt, sagt Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann:
"Wir glauben, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Zustand einer Demokratie und dem Zustand der in dieser Demokratie agierenden Medien. Um es kurz zu sagen: Geht es den Medien schlecht, geht es der Demokratie nicht gut. Und Medien sind ja immer beides. Sie sind natürlich Wirtschaftsgut. Da geht es um Geschäftsmodelle. Aber sie sind eben auch Kulturgut, weil sie Meinungen prägen, Lebensstile prägen. Und wenn man sieht, dass, stimuliert durch die Digitalisierung, zum Beispiel das Geschäftsmodell einer Tageszeitung schwieriger wird, dann kann man sagen: Ok, das ist Strukturwandel, das hat's immer gegeben. Bei den Zeitungsverlagen zum Beispiel kann es uns nicht egal sein, weil sie eine wichtige Rolle spielen bei der lokalen und regionalen Information und weil sie Träger von Journalismus sind."
Doch der Journalismus soll unter anderem die Politik kontrollieren. Kann und soll dann die Politik dem Journalismus helfen? CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen werfen der Landesregierung vor, eine "Staatspresse" schaffen zu wollen, die Unabhängigkeit der Zeitungen zu untergraben. Noch ist unklar, wie die Stiftung genau aussehen soll. Möglicherweise soll sie Recherchestipendien ausloben und Qualifizierungsseminare finanzieren. Wie Staatssekretär Marc Jan Eumann sagt, warte man noch auf die Vorschläge von Journalistenverbänden und Verlegern.
"Gelegentlich lohnt es sich, bei aller Rhetorik und bei aller Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition, auf den Kern zurückzukommen. Und der Kern heißt: Gibt es eine gesellschaftliche Verantwortung für die Frage, wie wir in Zukunft Öffentlichkeit finanzieren? Wir haben diese Verantwortung im Bereich öffentlich-rechtlicher Rundfunk – staatsfern – und wir haben die Verantwortung Rahmenbedingungen zu schaffen, dass kommerzielle Medienhäuser erfolgreich wirtschaften können. Und wir haben die ergänzende Anforderung, darüber nachzudenken, gibt es so etwas wie Vielfaltsreserven. Da kann eine Stiftung hilfreich sein."
Die großen Verlage, allen voran der Axel Springer Verlag, arbeiten unterdessen daran, wie sie mit ihren Internetangeboten Geld verdienen können – abseits der Werbeeinnahmen, die im Netz nicht ausreichend fließen. Springer hat schon beschlossen, dass die Onlineausgaben von Welt und der Bild-Zeitung ab dem kommenden Jahr nur noch gegen Entgelt zugänglich sein sollen. Auf den Münchner Medientagen Ende Oktober machten auch die Vertreter von FAZ und Süddeutscher Zeitung öffentlich, dass sie an sogenannten Bezahlmodellen arbeiten. Der Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags Richard Rebmann:
"Inhalte verschenken kann kein Ziel sein. Und deshalb sind wir, sowohl bei der Süddeutschen als auch bei den Regionalzeitungen, dabei, zu überlegen, wie schaffen wir es, sinnvolle Bezahlschranken einzuführen. Bezahlschranken heißt dann natürlich, dass die Gratis-News-Site, die muss weniger werden. Die wird aber eine Nachrichten-Site werden ohne große Hintergrundberichterstattung. Das ist sozusagen unsere Plattform. Und von dieser Plattform werden wir versuchen, die Nutzer auf die verschiedenen Endgeräte zu führen - mit entsprechenden Bezahlfunktionen."
Die große Hoffnung der Verlage: Während die Internetnutzer am PC sich daran gewöhnt haben, journalistisch hochwertige Produkte kostenlos konsumieren zu können, zahlen die Besitzer von Smartphones und Tablet-Computern in der Regel für Inhalte. In diesem Zusammenhang ist die öffentlich-rechtliche Tagesschau-App, die aus Rundfunkgebühren bezahlt wird, aber kostenlos heruntergeladen werden kann, den Verlagen ein Dorn im Auge. Wie Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG im Sender Phoenix sagte, bleibe es eine spannende Frage, wie Journalismus in der digitalen Welt finanziert werden könne. Zur derzeitigen Situation räumte er ein:
"Dass diesen Fehler wir Verleger, wir Verlage, selbst gemacht haben. Dafür ist niemand zu beschuldigen, denn die Verlage haben freiwillig entschieden, seit 1,5 Jahrzehnten Inhalte zu verschenken. Das können wir nicht den Lesern vorwerfen, denn wenn sie vor der Alternative stehen, ein Angebot zu nutzen, das kostenlos ist oder ein vergleichbares Angebot, das kostenpflichtig ist, dann ist doch klar, welches sie bevorzugen. Also, es ist unser Fehler. Und es liegt an uns, das jetzt zu korrigieren."
Unklar ist, wie die deutschen Internetnutzer auf Bezahlschranken reagieren werden. In den USA, dem größten Medienmarkt der Welt, beschäftigen sich Zeitungsmacher schon seit Jahren mit der Frage: Darf man, kann man, soll man für digitale Inhalte Geld kassieren? Man soll, findet Amy Glennon, Herausgeberin der Regionalzeitung "Atlanta Journal-Constitution", kurz: AJC.
"Vor fünf oder zehn Jahren hat jeder gesagt: Man kann für Inhalte im Internet kein Geld verlangen. Die Wahrheit ist, dass der Wert unseres Produktes nicht in dem Papier liegt, auf dem es gedruckt wird, sondern in dem Inhalt. Und der Inhalt ist nun mal nicht umsonst zu haben, er hat seinen Preis."
Die Tageszeitung aus Atlanta hat ein digitales Mischsystem entwickelt: Die Basiswebsite hat keine Bezahlschranke, aber der Onlinezugang zu allen Artikeln sowie die Apps für das iPad sind kostenpflichtig. Preis: knapp 120 Dollar im Jahr. Für das "Wall Street Journal", die auflagenstärkste Zeitung der USA, stellt sich die Frage erst gar nicht. Das Wirtschaftsblatt lässt sich den Zugang zu seiner Website vergüten, seit es 1996 online ging.
"Alle Zeitungen haben damals über Bezahlschranken diskutiert. Das "Wall Street Journal" war ein Vorreiter. Andere Blätter fürchteten zunächst, ihre Leser zu verlieren."
Sagt James Mallory, Journalismus-Dozent an der Kennesaw-Universität in Georgia. Mittlerweile haben etwa 300 von insgesamt 1.400 amerikanischen Tageszeitungen mehr oder weniger strenge Bezahlschranken für ihre Onlineangebote. Der renommierte "Boston Globe" betreibt zwei Websites, eine freie und eine mit Zugangssperre. Bei der "New York Times" sind zehn Artikel im Monat umsonst, dann wird kassiert.
Bezahlschranken im Internet: Vielleicht ist die kulturelle Barriere in den USA weniger hoch, weil der Leidensdruck größer ist. Denn: "Zeitungssterben" - das ist ein Phänomen, das man bislang vor allem aus Amerika kannte. In den USA brachen seit 2001 etwa 50 Prozent der Anzeigen weg – und das in einem Markt, der viel stärker als der deutsche vom Anzeigengeschäft abhängig ist. Die Folge: 14 traditionsreiche Lokalblätter wie die "Rocky Mountain News" und die "Cincinnati Post" gibt es nicht mehr. Andere Zeitungen erscheinen nur noch an drei Wochentagen in gedruckter Form. Zum Beispiel die "Times-Picayune" in New Orleans.
Eines der ältesten Blätter des Landes, vermeldete der Fernsehsender PBS, sei das jüngste Opfer der Krise geworden. Damit ist New Orleans die größte Stadt in den USA ohne täglich erscheinende Zeitung.
Die "Atlanta Journal-Constitution" hat dagegen die Krise - vorläufig zumindest - erfolgreich gemeistert: Das Blatt erscheint an allen sieben Tagen der Woche und schreibt seit 2010 schwarze Zahlen. Der Preis für die geschäftliche Genesung: Die Hälfte der Redaktionsmitglieder wurde entlassen. Inhaltlich konzentriert sich die Zeitung heute auf wenige relevante Themenfelder. Chefredakteur Kevin Riley:
"Wir haben eine Reihe von Umfragen durchgeführt und dabei herausgefunden, welche Themen für unsere Leser wichtig sind: nämlich Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Vor allem aber wollen unsere Leser investigativen Journalismus, sie wollen, dass wir ein Wächteramt gegenüber der Regierung wahrnehmen."
Mit der Rückkehr zu traditionellen journalistischen Formen liegt die "Atlanta Journal-Constitution" durchaus im Trend. So hat sich auch das New Yorker Journalistenbüro Pro Publica dem investigativen Journalismus verschrieben, freilich mit einem ganz anderen, jedoch viel beachteten Geschäftsmodell: Pro Publica wird von Stiftungen finanziert; wohlhabende Mäzene spenden jedes Jahr rund zehn Millionen Dollar. James Mallory ist skeptisch:
"Das ist eine Gratwanderung. Was passiert, wenn diese Mäzene irgendwann ihre eigene Agenda vorantreiben wollen?"
Rationalisierung, Bezahlschranken, Philanthropie: Zeitungsmacher in den USA jonglieren mit vielen Ideen. Aber einen Masterplan zur Lösung der Krise haben auch sie noch nicht gefunden. In einem allerdings sind sich Journalisten und Medienexperten in den USA, genauso wie in Deutschland, einig: Das iPad, Tablet-Computer überhaupt, haben den Markt radikal verändert. Auch Kevin Riley, der Chefredakteur der "Atlanta Journal-Constitution", ist begeistert:
"Mit dem Tablet wird ein Traum für uns Zeitungsmacher wahr. Bei all unseren Überlegungen, wie wir Zeitungen erfolgreich in das digitale Zeitalter überführen können, wären wir nie auf eine bessere Idee gekommen. Danke, Steve Jobs!"
Bei aller Euphorie über den Tablet-Computer – und obwohl das digitale Geschäft durchaus anzieht: Die Einnahmen der amerikanischen Tageszeitungen speisen sich noch immer und zum großen Teil aus den guten alten Druckausgaben. Doch Amerika wäre nicht Amerika, wenn seine Zeitungsmacher nicht mit Tatkraft und Optimismus und einem Schuss Idealismus in die Zukunft blickten. AJC-Herausgeberin Amy Glennon setzt ihre Hoffnung auf die nächste Journalistengeneration.
"Jeden Tag wird eine neue Form des Journalismus geboren. Und es wird faszinierend sein zu beobachten, welchen Weg Journalisten in der Zukunft gehen. Die jungen Journalisten sind hungrig. Und sie werden uns zeigen, wie Zeitungsmachen in der neuen digitalen Welt funktioniert."
Was immer die Zukunft zu bieten hat, die Gegenwart ist hart für den Zeitungsmarkt. Die Financial Times Deutschland wird morgen ein letztes Mal in Briefkästen und an Kiosken liegen. So, wie rund 300 ihrer Kolleginnen und Kollegen, weiß auch die Redakteurin Maike Rademaker nicht, wie es weitergeht: ob sie in eine andere Redaktion im Haus wechseln kann oder ihren Arbeitsplatz verliert. Die betriebsbedingten Kündigungen werden Ende Januar ausgesprochen. Wie es ihr gehe? Wie vielen anderen, erzählt sie:
"Beschissen. Aber wir lassen uns ja nicht unterkriegen. Diese Redaktion da drinnen und diese Leute haben innerhalb von zwölf Jahren 90 Preise eingeheimst. Ich hoffe mal, dass das draußen auch so gesehen wird und dass die Leute – und das ist glaube ich, die kleine Hoffnung, die wir alle haben – dass wir da draußen trotzdem einen Job finden. Da draußen."
"Der Gruner+Jahr-Vorstand hat soeben die Mitarbeiter darüber informiert, dass die Financial Times Deutschland FTD eingestellt wird."
Während der Sprecher der Öffentlichkeit diese Entscheidung verkündet, muss sich der Vorstand um Julia Jäkel den Redakteuren und Mitarbeitern der Wirtschaftsmedien stellen. Auch sie wurden erst am Vormittag informiert.
"Das ist auch einer der ganz, ganz großen Frustpunkte auch für die Belegschaft. Wir haben jetzt wochenlang eigentlich gehört, was mit uns passieren wird. Es ist extrem unwürdig, deprimierend – und das ist neben der Einstellung an sich das größte Problem für die Leute im Moment."
Erklärt Maike Rademaker, Betriebsrätin und FTD-Redakteurin aus der Berliner Redaktion. Ihr sind die Wut und die Enttäuschung anzusehen, so wie vielen Mitarbeitern, die mit gesenktem Kopf das Gebäude verlassen. Einige können ihre Tränen kaum verbergen:
"Wenn ich jetzt an die 320 Kollegen denke, die sich da unheimlich reingehängt haben, dann ist das eine aberwitzige Angelegenheit. Weil wir hier so großartigen Journalismus gemacht haben. Und so viel Großartiges geleistet haben. Und wissen sie: Wir waren auch ein Team. Das war auch mehr als nur eine Redaktion, wo man so zusammenarbeitet, sondern wir waren hier wirklich wie eine Familie. Und deshalb tut das jetzt natürlich besonders weh, was hier passiert."
Für viele ist die Einstellung der Financial Times Deutschland ein Schock – aber keine Überraschung. Seit ihrer Gründung im Jahr 2000 schrieb die FTD Verluste. Insgesamt sollen die Wirtschaftstitel in den vergangenen zwölf Jahren ein Minus von 250 Millionen Euro eingebracht haben. Allein 15 Millionen Euro in diesem Jahr. Gruner+Jahr-Sprecher Claus Peter Schrack:
"Vor diesem Hintergrund sehen wir keinen Weg, die Financial Times Deutschland weiter zu betreiben. Gruner+Jahr hat sich bis zuletzt sehr intensiv, aber am Ende ohne Erfolg, bemüht, einen Käufer für die FTD zu finden. Auch eine Fortführung als Onlinetitel wurde erwogen. Doch nach ausgiebiger Prüfung haben wir dafür keine realistische Chance auf Erfolg gesehen."
Während die FTD vom Markt verschwindet, morgen erscheint sie zum letzten Mal, sollen das Monatsmagazin Impulse sowie BörseOnline verkauft werden. Es gebe durchaus ernsthafte Interessenten, versichert der Verlag. Derzeit werden unterschiedliche Konzepte potenzieller Käufer geprüft. Dabei sei wichtig, dass der Erhalt der Marke für mindestens 18 Monate gesichert ist und die Mitarbeiter in ein neues Konstrukt wechseln können. Bis Mitte Januar soll entschieden sein, wer den Zuschlag bekommt.
Auch ein Management-Buy-Out – also die Übernahme durch verlagsinterne Mitarbeiter - ist nach wie vor eine Möglichkeit. Capital, einst das Zugpferd der Wirtschaftstitel, bleibt im Verlag, wird jedoch künftig mit einem größeren wirtschaftspolitischen Fokus von einer kleineren Redaktion von Berlin aus bespielt. Doch warum überlebt jetzt nur ein kleiner Teil der Wirtschaftsmedien des Hamburger Verlages? Viele sehen den Kapitalfehler in der Zusammenlegung der einzelnen Redaktionen zu einer großen Mantelredaktion – die Qualität habe darunter gelitten, dass die Redakteure vier Publikationen mit jeweils unterschiedlichen Ansprüchen bedienen mussten. Das will FTD-Mitarbeiterin Maike Rademaker so nicht ganz gelten lassen:
"Das Problem war eher, dass Personal da auch reduziert wurde. Und zu glauben, dass man mit einem zusammengewürfelten Stamm, der aber letztlich kleiner ist, als wenn man alle wirklich zusammengelegt hätte, dass man da mehrere Titel bespielen kann. Bei einer Tageszeitung, die ja in der Regel die volle Kraft erfordert, da ist es teilweise sehr, sehr knapp gewesen. Das hat die Leute schon erschöpft."
Das Ende der Financial Times Deutschland wirft ein Schlaglicht auf eine Branche, die mit großen Umbrüchen zu kämpfen hat. Gab es 1992 noch 426 Tageszeitungen, so werden es nach dem Tod der FTD und der Insolvenz der Frankfurter Rundschau in diesem Jahr noch 331 sein. Doch nicht nur die zunehmende Konzentration auf dem Zeitungsmarkt macht Beobachtern Sorge.
Die Ausdünnung von Redaktionen bei gleichzeitiger Arbeitsverdichtung droht, so warnen Journalistengewerkschaften und Medienwissenschaftler davor, die Wächterfunktion der Presse zu gefährden. Um Tarifbindungen zu umgehen, werden immer mehr journalistische Arbeitsplätze ausgelagert. Oder es werden freie Mitarbeiter beschäftigt, für die keine Sozialabgaben bezahlt werden müssen. Gleichzeitig hat die Arbeit in den Redaktionen zugenommen. Journalisten, die früher nur für ihr Blatt schrieben, erstellen nun zusätzlich auch Onlinetexte oder nehmen auf Termine Videokameras mit, um die Internetauftritte ihrer Zeitungen mit kleinen Filmen zu bedienen.
Denn Deutschlands Verleger müssen verstärkt ins Internet investieren. Zum einen, um die Anzeigenverluste auszugleichen, die sie in ihren gedruckten Blättern hinnehmen müssen. Zum anderen, um mit ihren Marken weiterhin junge Leser an sich zu binden, die zunehmend keine Tageszeitungen mehr abonnieren. In den letzten 20 Jahren sank die verkaufte Gesamtauflage von täglich 27,3 Millionen Exemplaren auf knapp 18 Millionen. Und doch sieht der Dortmunder Zeitungswissenschaftler Horst Röper noch keinen Grund für zu viel Pessimismus, was die Lage bei den Verlagen betrifft.
"Es geht ihnen schlecht, weil sie seit 2001 eben erhebliche Werbeumsätze verloren haben und zudem eben auch noch Auflage verlieren und mit der Auflage natürlich wieder Vertriebseinnahmen verloren haben. Andererseits sind die Renditen im Zeitungsgewerbe aber immer noch, wenn man das mit anderen Branchen vergleicht, recht ordentlich. Sie sind natürlich nicht mehr bei 20 Prozent und mehr, wie in den 90er-Jahren, aber die Verlage sind nicht existenzgefährdet."
Sowohl das Scheitern der Financial Times Deutschland, die in den zwölf Jahren ihres Bestehens nie schwarze Zahlen geschrieben hat, als auch die Insolvenz der Frankfurter Rundschau ließen keine Rückschlüsse auf die ganze Branche zu. Die FTD sei es nicht gelungen, genug Werbekunden an sich zu binden. Und die Frankfurter Rundschau, so Horst Röper, sei das Opfer falscher Managementstrategien geworden:
"Die 90er-Jahre waren für die Verlage die besten Jahre überhaupt. Andere Verlage sind in dieser Zeit gewachsen und haben Rücklagen gebildet. Das alles ist bei der FR nicht geschehen. Und als dann der Werbemarkt 2001 einbrach, stand man plötzlich vor leeren Kassen und erwirtschaftete rote Zahlen. Also, hier sind in der früheren Vergangenheit enorme Fehler gemacht worden, die aufzuarbeiten dann auch den neuen Besitzern schwergefallen ist."
Durch die Zusammenlegung weiter Teile der FR-Redaktion mit den Redaktionen von Berliner Zeitung und Kölner Stadtanzeiger sei dann auch noch die inhaltliche Linie des Blattes so aufgeweicht worden, dass immer mehr Leser und damit auch Anzeigenkunden wegblieben. Der Abbau und die Zusammenlegung von Lokalredaktionen hätten ihr Übriges dazu getan, die Abonnenten ihrem Blatt zu entfremden. Eine Entwicklung, die auch bei den Lokal- und Regionalzeitungen zu beobachten ist, die in Deutschland Dreiviertel des Marktes ausmachen.
Vor allem in strukturschwachen Gebieten tun sich Verlage immer schwerer damit, Leser und Anzeigenkunden zu finden. Um ihre Renditen zu halten, verkleinern sie ihre Redaktionen, die dadurch immer weniger Zeit für Recherche haben. Um ihnen zu helfen, will nun die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen eine Stiftung gründen. Diese "Stiftung Vielfalt und Partizipation" soll sicherstellen, dass im Presseland NRW ein Mindestmaß an journalistischer Qualität und Vielfalt von Meinungen gewährleistet bleibt, sagt Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann:
"Wir glauben, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Zustand einer Demokratie und dem Zustand der in dieser Demokratie agierenden Medien. Um es kurz zu sagen: Geht es den Medien schlecht, geht es der Demokratie nicht gut. Und Medien sind ja immer beides. Sie sind natürlich Wirtschaftsgut. Da geht es um Geschäftsmodelle. Aber sie sind eben auch Kulturgut, weil sie Meinungen prägen, Lebensstile prägen. Und wenn man sieht, dass, stimuliert durch die Digitalisierung, zum Beispiel das Geschäftsmodell einer Tageszeitung schwieriger wird, dann kann man sagen: Ok, das ist Strukturwandel, das hat's immer gegeben. Bei den Zeitungsverlagen zum Beispiel kann es uns nicht egal sein, weil sie eine wichtige Rolle spielen bei der lokalen und regionalen Information und weil sie Träger von Journalismus sind."
Doch der Journalismus soll unter anderem die Politik kontrollieren. Kann und soll dann die Politik dem Journalismus helfen? CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen werfen der Landesregierung vor, eine "Staatspresse" schaffen zu wollen, die Unabhängigkeit der Zeitungen zu untergraben. Noch ist unklar, wie die Stiftung genau aussehen soll. Möglicherweise soll sie Recherchestipendien ausloben und Qualifizierungsseminare finanzieren. Wie Staatssekretär Marc Jan Eumann sagt, warte man noch auf die Vorschläge von Journalistenverbänden und Verlegern.
"Gelegentlich lohnt es sich, bei aller Rhetorik und bei aller Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition, auf den Kern zurückzukommen. Und der Kern heißt: Gibt es eine gesellschaftliche Verantwortung für die Frage, wie wir in Zukunft Öffentlichkeit finanzieren? Wir haben diese Verantwortung im Bereich öffentlich-rechtlicher Rundfunk – staatsfern – und wir haben die Verantwortung Rahmenbedingungen zu schaffen, dass kommerzielle Medienhäuser erfolgreich wirtschaften können. Und wir haben die ergänzende Anforderung, darüber nachzudenken, gibt es so etwas wie Vielfaltsreserven. Da kann eine Stiftung hilfreich sein."
Die großen Verlage, allen voran der Axel Springer Verlag, arbeiten unterdessen daran, wie sie mit ihren Internetangeboten Geld verdienen können – abseits der Werbeeinnahmen, die im Netz nicht ausreichend fließen. Springer hat schon beschlossen, dass die Onlineausgaben von Welt und der Bild-Zeitung ab dem kommenden Jahr nur noch gegen Entgelt zugänglich sein sollen. Auf den Münchner Medientagen Ende Oktober machten auch die Vertreter von FAZ und Süddeutscher Zeitung öffentlich, dass sie an sogenannten Bezahlmodellen arbeiten. Der Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags Richard Rebmann:
"Inhalte verschenken kann kein Ziel sein. Und deshalb sind wir, sowohl bei der Süddeutschen als auch bei den Regionalzeitungen, dabei, zu überlegen, wie schaffen wir es, sinnvolle Bezahlschranken einzuführen. Bezahlschranken heißt dann natürlich, dass die Gratis-News-Site, die muss weniger werden. Die wird aber eine Nachrichten-Site werden ohne große Hintergrundberichterstattung. Das ist sozusagen unsere Plattform. Und von dieser Plattform werden wir versuchen, die Nutzer auf die verschiedenen Endgeräte zu führen - mit entsprechenden Bezahlfunktionen."
Die große Hoffnung der Verlage: Während die Internetnutzer am PC sich daran gewöhnt haben, journalistisch hochwertige Produkte kostenlos konsumieren zu können, zahlen die Besitzer von Smartphones und Tablet-Computern in der Regel für Inhalte. In diesem Zusammenhang ist die öffentlich-rechtliche Tagesschau-App, die aus Rundfunkgebühren bezahlt wird, aber kostenlos heruntergeladen werden kann, den Verlagen ein Dorn im Auge. Wie Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG im Sender Phoenix sagte, bleibe es eine spannende Frage, wie Journalismus in der digitalen Welt finanziert werden könne. Zur derzeitigen Situation räumte er ein:
"Dass diesen Fehler wir Verleger, wir Verlage, selbst gemacht haben. Dafür ist niemand zu beschuldigen, denn die Verlage haben freiwillig entschieden, seit 1,5 Jahrzehnten Inhalte zu verschenken. Das können wir nicht den Lesern vorwerfen, denn wenn sie vor der Alternative stehen, ein Angebot zu nutzen, das kostenlos ist oder ein vergleichbares Angebot, das kostenpflichtig ist, dann ist doch klar, welches sie bevorzugen. Also, es ist unser Fehler. Und es liegt an uns, das jetzt zu korrigieren."
Unklar ist, wie die deutschen Internetnutzer auf Bezahlschranken reagieren werden. In den USA, dem größten Medienmarkt der Welt, beschäftigen sich Zeitungsmacher schon seit Jahren mit der Frage: Darf man, kann man, soll man für digitale Inhalte Geld kassieren? Man soll, findet Amy Glennon, Herausgeberin der Regionalzeitung "Atlanta Journal-Constitution", kurz: AJC.
"Vor fünf oder zehn Jahren hat jeder gesagt: Man kann für Inhalte im Internet kein Geld verlangen. Die Wahrheit ist, dass der Wert unseres Produktes nicht in dem Papier liegt, auf dem es gedruckt wird, sondern in dem Inhalt. Und der Inhalt ist nun mal nicht umsonst zu haben, er hat seinen Preis."
Die Tageszeitung aus Atlanta hat ein digitales Mischsystem entwickelt: Die Basiswebsite hat keine Bezahlschranke, aber der Onlinezugang zu allen Artikeln sowie die Apps für das iPad sind kostenpflichtig. Preis: knapp 120 Dollar im Jahr. Für das "Wall Street Journal", die auflagenstärkste Zeitung der USA, stellt sich die Frage erst gar nicht. Das Wirtschaftsblatt lässt sich den Zugang zu seiner Website vergüten, seit es 1996 online ging.
"Alle Zeitungen haben damals über Bezahlschranken diskutiert. Das "Wall Street Journal" war ein Vorreiter. Andere Blätter fürchteten zunächst, ihre Leser zu verlieren."
Sagt James Mallory, Journalismus-Dozent an der Kennesaw-Universität in Georgia. Mittlerweile haben etwa 300 von insgesamt 1.400 amerikanischen Tageszeitungen mehr oder weniger strenge Bezahlschranken für ihre Onlineangebote. Der renommierte "Boston Globe" betreibt zwei Websites, eine freie und eine mit Zugangssperre. Bei der "New York Times" sind zehn Artikel im Monat umsonst, dann wird kassiert.
Bezahlschranken im Internet: Vielleicht ist die kulturelle Barriere in den USA weniger hoch, weil der Leidensdruck größer ist. Denn: "Zeitungssterben" - das ist ein Phänomen, das man bislang vor allem aus Amerika kannte. In den USA brachen seit 2001 etwa 50 Prozent der Anzeigen weg – und das in einem Markt, der viel stärker als der deutsche vom Anzeigengeschäft abhängig ist. Die Folge: 14 traditionsreiche Lokalblätter wie die "Rocky Mountain News" und die "Cincinnati Post" gibt es nicht mehr. Andere Zeitungen erscheinen nur noch an drei Wochentagen in gedruckter Form. Zum Beispiel die "Times-Picayune" in New Orleans.
Eines der ältesten Blätter des Landes, vermeldete der Fernsehsender PBS, sei das jüngste Opfer der Krise geworden. Damit ist New Orleans die größte Stadt in den USA ohne täglich erscheinende Zeitung.
Die "Atlanta Journal-Constitution" hat dagegen die Krise - vorläufig zumindest - erfolgreich gemeistert: Das Blatt erscheint an allen sieben Tagen der Woche und schreibt seit 2010 schwarze Zahlen. Der Preis für die geschäftliche Genesung: Die Hälfte der Redaktionsmitglieder wurde entlassen. Inhaltlich konzentriert sich die Zeitung heute auf wenige relevante Themenfelder. Chefredakteur Kevin Riley:
"Wir haben eine Reihe von Umfragen durchgeführt und dabei herausgefunden, welche Themen für unsere Leser wichtig sind: nämlich Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Vor allem aber wollen unsere Leser investigativen Journalismus, sie wollen, dass wir ein Wächteramt gegenüber der Regierung wahrnehmen."
Mit der Rückkehr zu traditionellen journalistischen Formen liegt die "Atlanta Journal-Constitution" durchaus im Trend. So hat sich auch das New Yorker Journalistenbüro Pro Publica dem investigativen Journalismus verschrieben, freilich mit einem ganz anderen, jedoch viel beachteten Geschäftsmodell: Pro Publica wird von Stiftungen finanziert; wohlhabende Mäzene spenden jedes Jahr rund zehn Millionen Dollar. James Mallory ist skeptisch:
"Das ist eine Gratwanderung. Was passiert, wenn diese Mäzene irgendwann ihre eigene Agenda vorantreiben wollen?"
Rationalisierung, Bezahlschranken, Philanthropie: Zeitungsmacher in den USA jonglieren mit vielen Ideen. Aber einen Masterplan zur Lösung der Krise haben auch sie noch nicht gefunden. In einem allerdings sind sich Journalisten und Medienexperten in den USA, genauso wie in Deutschland, einig: Das iPad, Tablet-Computer überhaupt, haben den Markt radikal verändert. Auch Kevin Riley, der Chefredakteur der "Atlanta Journal-Constitution", ist begeistert:
"Mit dem Tablet wird ein Traum für uns Zeitungsmacher wahr. Bei all unseren Überlegungen, wie wir Zeitungen erfolgreich in das digitale Zeitalter überführen können, wären wir nie auf eine bessere Idee gekommen. Danke, Steve Jobs!"
Bei aller Euphorie über den Tablet-Computer – und obwohl das digitale Geschäft durchaus anzieht: Die Einnahmen der amerikanischen Tageszeitungen speisen sich noch immer und zum großen Teil aus den guten alten Druckausgaben. Doch Amerika wäre nicht Amerika, wenn seine Zeitungsmacher nicht mit Tatkraft und Optimismus und einem Schuss Idealismus in die Zukunft blickten. AJC-Herausgeberin Amy Glennon setzt ihre Hoffnung auf die nächste Journalistengeneration.
"Jeden Tag wird eine neue Form des Journalismus geboren. Und es wird faszinierend sein zu beobachten, welchen Weg Journalisten in der Zukunft gehen. Die jungen Journalisten sind hungrig. Und sie werden uns zeigen, wie Zeitungsmachen in der neuen digitalen Welt funktioniert."
Was immer die Zukunft zu bieten hat, die Gegenwart ist hart für den Zeitungsmarkt. Die Financial Times Deutschland wird morgen ein letztes Mal in Briefkästen und an Kiosken liegen. So, wie rund 300 ihrer Kolleginnen und Kollegen, weiß auch die Redakteurin Maike Rademaker nicht, wie es weitergeht: ob sie in eine andere Redaktion im Haus wechseln kann oder ihren Arbeitsplatz verliert. Die betriebsbedingten Kündigungen werden Ende Januar ausgesprochen. Wie es ihr gehe? Wie vielen anderen, erzählt sie:
"Beschissen. Aber wir lassen uns ja nicht unterkriegen. Diese Redaktion da drinnen und diese Leute haben innerhalb von zwölf Jahren 90 Preise eingeheimst. Ich hoffe mal, dass das draußen auch so gesehen wird und dass die Leute – und das ist glaube ich, die kleine Hoffnung, die wir alle haben – dass wir da draußen trotzdem einen Job finden. Da draußen."