Dirk-Oliver Heckmann: Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin – er hatte faktisch bereits das Urteil gesprochen, bevor es geschrieben worden war: Das zuständige Gericht habe die Schuld von Michail Chodorkowski eindeutig festgestellt, und Diebe gehörten nun einmal ins Gefängnis, meinte Putin im Rahmen einer Fernsehsendung. Und tatsächlich sprach ein Gericht in Moskau den Ex-Ölmagnaten und Kreml-Kritiker schuldig, Beobachter halten das Verfahren für politisch motiviert, darunter Marie Luise Beck, die Sprecherin für Osteuropapolitik von Bündnis 90/Die Grünen. Mein Kollege Christian Bremkamp hat sie zunächst gefragt, ob sie von dem Schuldspruch überrascht gewesen ist.
Marie Luise Beck: Ich war nicht wirklich überrascht, aber manchmal gibt es ja doch Verhältnisse, wo man sich etwas anderes wünscht, noch eine kleine Chance, wobei nach der öffentlichen Pressekonferenz von Ministerpräsident Putin, in der er ja schon vor dem Gericht den Schuldspruch bekannt gegeben hat, hatte eigentlich schon das erwarten lassen, was dann auch heute eingetreten ist.
Christian Bremkamp: Als was bezeichnen Sie dieses Urteil?
Beck: Wir wissen alle inzwischen – und ich glaube, es gibt kaum jemanden mehr, der bezweifelt, dass es sich hier um einen politischen Prozess handelt, das sind ja auch Stimmen aus Russland, die das sagen. Der Menschenrechtsbeauftragte Lukin spricht von politischen Hintergründen, und es sind ja in diesem Prozess durchaus auch Zeugen aufgetreten – unter anderem ein amtierender Minister aus dem Kabinett Putin –, die gesagt haben, ihnen sei nichts Ungewöhnliches an der Politik des Yukos-Konzerns aufgefallen, für den er damals als Minister zuständig war.
Bremkamp: Was, glauben Sie, verspricht sich denn Putin von solch einer Haltung?
Beck: Es gibt verschiedene Hypothesen, die eine ist, dass Putin schlicht auch psychologisch durchaus rachesüchtig ist und nicht vergisst, wenn jemand es gewagt hat, sich ihm in den Weg zu stellen, und das hat Chodorkowski ja getan. Es gab 2003 eine Einladung in den Kreml für alle Oligarchen, wo Putin die Vorgabe gemacht hat, wenn ihr euch politisch raushaltet, dann werden wir euch nicht antasten, und wenn ihr es nicht tut, werden wir euch verfolgen. Und Chodorkowski hat sich an diese Vorgabe nicht gehalten, er hat die unterschiedlichen Parteien finanziert, er hat Bürgerinitiativen finanziert, er hat eine Stiftung "Offenes Russland" ins Leben gerufen. Das alles ist eine Bedrohung für die gelenkte Demokratie, die Putin und den hinter ihm stehenden Geheimdienst so wichtig sind, um dieses Land zu beherrschen.
Bremkamp: Frau Beck, wir erreichen Sie gerade per Handy im verschneiten Moskau, das vielleicht nur zur Erklärung für die etwas schlechte Tonqualität. Meine Frage: Welche Rolle spielt denn Präsident Medwedew? Von ihm ist ja eher weniger zu hören.
Beck: Er hat, nachdem Putin ja ganz offensichtlich mit der öffentlichen Vorverurteilung jegliche rechtsstaatliche Prinzipien widerlegt hat, noch mal versucht, ein Pflästerchen auf diesen Fauxpas zu kleben und noch einmal gesagt, es müsse aber dennoch die Unabhängigkeit der Gerichte geben. Ich glaube, dass in diesem Gerichtssaal auch der Mythos Medwedew deutlich in sich zusammengefallen ist. Das, woran der Westen so gerne glaubt, dass Medwedew für Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, Modernisierung des Landes stehen könnte, weil er so westlich wirkt, das, zeigt sich jetzt doch, ist wohl eher eine Fassade, die Putin durchaus zupass kommt, denn der Westen mag diese Fassade gerne, und Putin kann ohne Weiteres und ungestört nach innen sein zunehmend autoritäres Regime, das durchsetzt ist von Korruption und damit letztlich die Bevölkerung an der Gurgel hält, weiter gewähren lassen.
Bremkamp: Eine russische Journalistenkollegin sagte mir in einem Gespräch vor ein paar Wochen: "Es ist fürchterlich, was im Land passiert – die Mehrheit will es aber so." Glauben Sie, Frau Beck, dass Änderungen in Russland überhaupt eine Chance haben?
Beck: Es ist sicherlich eine Frage der Zeit, und wenn Sie mit russischen Dissidenten sprechen, die mutig schon in den Breschnew-Zeiten und noch davor gegen ein vollkommen verschlossenes Regime sich gewandt haben, was gar keine Chance zu geben schien, dann, meine ich, brauchen wir schlichtweg Geduld. Es wächst eine junge Generation heran in Russland, sie hat Kontakt zum Ausland, es gibt das Internet. Ich glaube schon, dass auch noch einmal bessere Zeiten für Russland kommen werden, aber derzeit gibt es fast eher eine Rückwärtsentwicklung, die natürlich vor allen Dingen den Menschen in diesem Land schadet, denn dieses Land braucht dringlichst eine Modernisierung, es lebt von der Substanz, allein vom Verkauf von Gas und Öl. Das kann nicht gutgehen auf Dauer. Und deswegen muss es früher oder später doch zu einer Öffnung dieses Landes kommen.
Heckmann: Die Verurteilung Michail Chodorkowskis in Moskau war rein politisch motiviert, meint Marie Luise Beck von Bündnis 90/Die Grünen, das Interview hat geführt mein Kollege Christian Bremkamp.
Marie Luise Beck: Ich war nicht wirklich überrascht, aber manchmal gibt es ja doch Verhältnisse, wo man sich etwas anderes wünscht, noch eine kleine Chance, wobei nach der öffentlichen Pressekonferenz von Ministerpräsident Putin, in der er ja schon vor dem Gericht den Schuldspruch bekannt gegeben hat, hatte eigentlich schon das erwarten lassen, was dann auch heute eingetreten ist.
Christian Bremkamp: Als was bezeichnen Sie dieses Urteil?
Beck: Wir wissen alle inzwischen – und ich glaube, es gibt kaum jemanden mehr, der bezweifelt, dass es sich hier um einen politischen Prozess handelt, das sind ja auch Stimmen aus Russland, die das sagen. Der Menschenrechtsbeauftragte Lukin spricht von politischen Hintergründen, und es sind ja in diesem Prozess durchaus auch Zeugen aufgetreten – unter anderem ein amtierender Minister aus dem Kabinett Putin –, die gesagt haben, ihnen sei nichts Ungewöhnliches an der Politik des Yukos-Konzerns aufgefallen, für den er damals als Minister zuständig war.
Bremkamp: Was, glauben Sie, verspricht sich denn Putin von solch einer Haltung?
Beck: Es gibt verschiedene Hypothesen, die eine ist, dass Putin schlicht auch psychologisch durchaus rachesüchtig ist und nicht vergisst, wenn jemand es gewagt hat, sich ihm in den Weg zu stellen, und das hat Chodorkowski ja getan. Es gab 2003 eine Einladung in den Kreml für alle Oligarchen, wo Putin die Vorgabe gemacht hat, wenn ihr euch politisch raushaltet, dann werden wir euch nicht antasten, und wenn ihr es nicht tut, werden wir euch verfolgen. Und Chodorkowski hat sich an diese Vorgabe nicht gehalten, er hat die unterschiedlichen Parteien finanziert, er hat Bürgerinitiativen finanziert, er hat eine Stiftung "Offenes Russland" ins Leben gerufen. Das alles ist eine Bedrohung für die gelenkte Demokratie, die Putin und den hinter ihm stehenden Geheimdienst so wichtig sind, um dieses Land zu beherrschen.
Bremkamp: Frau Beck, wir erreichen Sie gerade per Handy im verschneiten Moskau, das vielleicht nur zur Erklärung für die etwas schlechte Tonqualität. Meine Frage: Welche Rolle spielt denn Präsident Medwedew? Von ihm ist ja eher weniger zu hören.
Beck: Er hat, nachdem Putin ja ganz offensichtlich mit der öffentlichen Vorverurteilung jegliche rechtsstaatliche Prinzipien widerlegt hat, noch mal versucht, ein Pflästerchen auf diesen Fauxpas zu kleben und noch einmal gesagt, es müsse aber dennoch die Unabhängigkeit der Gerichte geben. Ich glaube, dass in diesem Gerichtssaal auch der Mythos Medwedew deutlich in sich zusammengefallen ist. Das, woran der Westen so gerne glaubt, dass Medwedew für Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, Modernisierung des Landes stehen könnte, weil er so westlich wirkt, das, zeigt sich jetzt doch, ist wohl eher eine Fassade, die Putin durchaus zupass kommt, denn der Westen mag diese Fassade gerne, und Putin kann ohne Weiteres und ungestört nach innen sein zunehmend autoritäres Regime, das durchsetzt ist von Korruption und damit letztlich die Bevölkerung an der Gurgel hält, weiter gewähren lassen.
Bremkamp: Eine russische Journalistenkollegin sagte mir in einem Gespräch vor ein paar Wochen: "Es ist fürchterlich, was im Land passiert – die Mehrheit will es aber so." Glauben Sie, Frau Beck, dass Änderungen in Russland überhaupt eine Chance haben?
Beck: Es ist sicherlich eine Frage der Zeit, und wenn Sie mit russischen Dissidenten sprechen, die mutig schon in den Breschnew-Zeiten und noch davor gegen ein vollkommen verschlossenes Regime sich gewandt haben, was gar keine Chance zu geben schien, dann, meine ich, brauchen wir schlichtweg Geduld. Es wächst eine junge Generation heran in Russland, sie hat Kontakt zum Ausland, es gibt das Internet. Ich glaube schon, dass auch noch einmal bessere Zeiten für Russland kommen werden, aber derzeit gibt es fast eher eine Rückwärtsentwicklung, die natürlich vor allen Dingen den Menschen in diesem Land schadet, denn dieses Land braucht dringlichst eine Modernisierung, es lebt von der Substanz, allein vom Verkauf von Gas und Öl. Das kann nicht gutgehen auf Dauer. Und deswegen muss es früher oder später doch zu einer Öffnung dieses Landes kommen.
Heckmann: Die Verurteilung Michail Chodorkowskis in Moskau war rein politisch motiviert, meint Marie Luise Beck von Bündnis 90/Die Grünen, das Interview hat geführt mein Kollege Christian Bremkamp.