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Der Wettstreit um die Energiezufuhr

Die Gasleitung "South Stream" soll von Russland bis nach Italien reichen. Mit der geplanten Pipeline bietet Italien eine Alternative zum Nabucco-Projekt, das von zahlreichen EU-Ländern gefördert wird und Gas aus Irak und Iran nach Europa liefern soll.

Von Karl Hoffmann |
    Der Wettlauf um die rentabelste Energiezufuhr für Europa geht in die Endrunde. Mitte Mai unterzeichneten Vertreter der italienischen und russischen Energiekonzerne Eni und Gazprom in Moskau das Abkommen über "South Stream". So sehr liegt ihm die Gaspipeline von den russischen Gasfeldern bis an die italienische Grenze am Herzen, dass Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi persönlich nach Moskau reiste und dabei auch gleichzeitig seine tiefe Freundschaft mit Wladimir Putin bekräftigte:

    "Ich habe immer sehr überzeugt für dieses Projekt gekämpft, denn Europa braucht Russland und umgekehrt. Ich arbeite zum Nutzen beider Seiten."

    … vor allem auch der italienischen. "South Stream" ist ein ehrgeiziges Projekt. Ab dem Jahr 2015 sollen Tausende von Kilometern Rohrleitungen bis zu 63 Milliarden Kubikmeter Gas bis an die italienische Grenze zu Slowenien liefern. Satte 20 Milliarden Euro wird der Bau verschlingen. Ein Teil seiner Investitionen will der italienische Konzern Eni mit dem Verkauf von 20 Milliarden Kubikmeter Gas an die Transitländer der Pipeline finanzieren. Doch zuletzt erhielt der Energiedeal zwischen Berlusconi und Putin einen Dämpfer. Das von zahlreichen EU Ländern geförderte Projekt Nabucco - eine 3300 Kilometer lange Pipeline von Zentralasien über die Türkei bis nach Österreich - soll bereits im Jahr 2014 realisiert werden und Gas von Russlands Konkurrenz, aus Irak und Iran, nach Europa liefern. Der russische Wirtschaftsfachmann und Journalist Yevgeni Utkin sieht das russisch-italienische Joint Venture durch Nabucco jedoch nicht gefährdet:

    "Selbst die russischen Partner weigern sich, von Konkurrenz zu sprechen. Und sie haben eigentlich recht. Nach allen bis zum letzten Jahr gültigen Wachstumsperspektiven galt die Regel: je mehr Gasleitungen, umso besser für die Wirtschaftsentwicklung in Europa. Nun ist durch die Weltwirtschaftskrise zum ersten Mal der Gasverbrauch gesunken. Nicht in den Haushalten wohlgemerkt; aber in der Industrie sind die Mengen zurückgegangen."

    Inzwischen hofft man jedoch schon wieder auf den Aufschwung und da wird der Energiestrom von Ost nach West schnell wieder ein sicheres Geschäft. Während "South Stream" nach dem jüngsten Regierungswechsel im Transitland Bulgarien mit weiteren Schwierigkeiten kämpft, erfreut sich Nabucco vor allem in der Türkei großer Beliebtheit. Wenn das Gas aus Asien Richtung Europa strömt, möglicherweise noch bevor "South Stream" ans Netz geht, dann wird plötzlich die Türkei zu einem Land mit Schlüsselstellung, erklärt Yevgeni Utkin:

    "Die Türkei wird eine Menge Geld verdienen am Gastransit. Wenn wir einen mittleren Preis von zwei Dollar pro 100 Kilometer für jeweils 2000 Kubikmeter rechnen, dann kommen wir auf gut und gerne eine Milliarde Dollar pro Jahr. Das ist der Preis, den die Europäer an die Türkei bezahlen müssen. Aber neben der ökonomischen Seite gibt es auch ein strategisches Interesse seitens der Türkei. Das Land will seit geraumer Zeit in die EU aufgenommen werden. Dort sind einige dafür, andere dagegen. Wenn nun die Türkei zu einem Hauptdurchgangsland für das Gas Richtung Europa wird, dann könnten die Türken mit Recht sagen: Wir sind Europäer, denn wir liefern das Gas nach Europa."

    In Russland lobt man weiterhin das eigene "South Stream"-Projekt, weil es Sicherheiten für die Gaslieferung biete wie kein anderes Land in Zentralasien. Moskau ist überzeugt, dass Nabuccos Rohre leer bleiben werden. Silvio Berlusconi dagegen sichert sich nach allen Seiten ab: Sollte das Nabucco Projekt wider Erwarten als Erstes stehen, dann liegt er genau richtig mit seinen Forderungen nach baldiger Aufnahme der Türkei in die EU. Bis 2015 soll im übrigen auch Erdgas aus Libyen über Italien in das europäische Netz eingespeist werden. Und dann ist da noch das ehrgeizige Erdölpipeline-Projekt von Eni, das Rohöl aus dem Kongo quer durch Afrika nach Italien bringen wird. Auch das dürfte im Jahr 2015 fertiggestellt sein.