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Der Widerspenstigen Zähmung

Früher hieß es: sei vorsichtig mit deinen Gefühlen, hab sie im Griff! Heute sind Gefühle eher in: man soll sie nicht verstecken, sondern offen zeigen und zu Ihnen stehen. Aber leichter gesagt, als getan. Denn Gefühle führen oft ein Eigenleben. Die Wut , die man unterdrücken will, kommt trotzdem hoch; die Freude, die man glücklich zeigen möchte, traut sich nicht recht hervor. Seit einigen Jahren versuchen Wissenschaftler näheres darüber herauszufinden, wie und in welchem Ausmaß die widerspenstigen Gefühle gezähmt werden können. Biologie und Kultur, so zeigt sich, wirken eng zusammen.

Von Martin Hubert |
    Kaum auszumachen, was dem Kleinen die Laune verdorben hat. Aber es geschah gründlich. Die kleinen Ärmchen rudern wie wild. Der Kopf wird rot und röter. Und der aufgerissene Mund röhrt unbändige Protestlaute in die Welt hinaus

    Die Mutter hat schon alles versucht: trösten, anlachen, summend mit dem Kleinen durchs Haus gehen, sämtliche Lieblingstiere waren schon im Einsatz. Aber alles vergebens: "Dabei bleiben und Geduld haben", denkt sie sich schließlich nüchtern und weise, " irgendwann renkt sich's schon wieder ein".

    Warum nur sind Gefühle oft so schwer zu beherrschen - und zwar nicht nur bei Säuglingen und Kleinkindern? Die Biologen sagen: weil sie zu unserer Naturausstattung gehören: Gefühle beruhen auf spontanen körperlichen Reaktionen und die lassen sich bekanntlich nur bedingt beherrschen. Viele Neurowissenschaftler unterscheiden daher grundsätzlich zwischen Emotion und Gefühl. Antonio Damasio etwa, von der Universität von Iowa, definiert Emotionen als unbewusst ablaufende Veränderungen des inneren Körperzustands, die in Reaktion auf bestimmte Reize in Gang kommen. Gefühle sind dann das daraus entstehende bewusste Erleben.

    Jemand hat uns verlassen, wir kennen die Gründe, können sie aufzählen, möchten sie verstehen. Aber parallel dazu läuft in uns ein inneres Geschehen ab: Hormone und Nervenbotenstoffe werden ausgeschüttet, der Herzschlag verlangsamt sich, der Atem wird schwerer, einige innere Organe arbeiten nicht mehr optimal. Signale dieser physiologischen Veränderungen werden auch an Hirnzentren geschickt, welche die inneren Zustände des Körpers kartieren und zusammenfassen. Dann treten zusätzliche Hirngebiete in Aktion, die diesen emotionalen Zustand in eine Vorstellung umsetzen. Wir merken, wie unser Denken und Vorstellen dunkel und schwermütig wird: wir spüren das Gefühl, traurig zu sein.

    Dass Gefühle eine körperliche Grundlage haben ist heute kaum mehr umstritten. Aber Emotionen werden ja nicht nur gefühlt, um Kenntnis über die eigene innere Befindlichkeit zu erlangen. Gefühle werden auch ausgedrückt, um dem anderen Menschen etwas mitzuteilen, mit ihm zu kommunizieren.

    Das mürrische Verziehen der Mundwinkel, wenn man sich über jemanden geärgert hat. Der aggressive Tonfall, der der Wut Ausdruck verleiht. Die warme Blick, um seine Zuneigung zu zeigen.

    Solche Formen des emotionalen Ausdrucks und Kommunizierens müssen gelernt werden. Gefühle sind also auch ein Kulturprodukt. Wie vollzieht sich dieses Lernen und wie regulieren wir dabei die Natur der Gefühle? Wie stark können wir Emotionen überhaupt bewusst kontrollieren und wann geht dabei etwas schief? Seit einigen Jahren haben Wissenschaftler begonnen, sich verstärkt mit diesen Fragen der biokulturellen Gefühlsregulation zu beschäftigen

    Am "ZIF", dem Zentrum für Interdisziplinäre Forschung an der Universität Bielefeld, haben sich Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen zusammengetan, um die bisherigen Forschungsresultate zur Gefühlsregulation zusammenzutragen und neue Impulse zu geben. Manfred Holodynski, Psychologieprofessor in Bielefeld, gehört zu ihnen. Ihn interessiert, welche Gefühle Säuglinge von Geburt an haben und was dann mit diesen geschieht.

    " Es ist nicht so, dass sie das ganze Repertoire an Gefühlen schon zeigen, sondern dass wir eigentlich so fünf zentrale Gefühle haben: sie haben so etwas wie Distress, das ist Weinen, sie haben Freude, Lächeln, sie haben Ekel, sie haben auch so etwas wie Angst schon, und sie haben so etwas wie Neugierde. Aber das sind eigentlich nur , sagen wir mal, rudimentäre Ausdrucksformen. Eltern müssen das dann - und das ist das besondere an den Gefühlen von Kindern, dass sie eigentlich an uns gerichtet sind, an die Bezugspersonen - dass die dann interpretieren sollen: was will das jetzt von mir, was ist das? Und sie müssen dann an Stelle des Kindes handeln, sich um seine Bedürfnisse kümmern. Das heißt: Gefühle sind am Anfang etwas, was andere berühren soll. "

    Säuglinge können nicht sprechen, also müssen sie ihre Bezugspersonen emotional berühren. Durch Schreien, Brabbeln, Lächeln ,Augenrollen, Strampeln, Fuchteln. Über die passende oder unpassende Reaktion der Bezugspersonen lernen sie, wie sie ihre inneren Zustände am besten emotional mitteilen können. Gemäß dem Schema: Ich fühle mich schlecht, habe Hunger, werde ärgerlich - wenn ich so und so schreie und herumgestikuliere, kommt die Mutter und gibt mir Milch. Ich fühle mich besser, freue mich und lächle. Auch Mutter lächelt.

    Am Anfang des Werdens der Gefühle steht also die Absicht, sich sozial mitzuteilen, im Vordergrund. Dementsprechend existiert von Geburt an ein spezielles Gefühlssystem , das empfindlich auf fehlendes soziales Verständnis reagiert. Das so genannte "Panik-System". So taufte es der renommierte Neurobiologie Jaak Panksepp von der amerikanischen Bowling Street Universität, der es ausgiebig studiert hat:

    " Es war vielleicht keine sehr gute Idee von uns , dieses Gefühlssystem als Panik-System zu bezeichnen, denn es ist im Grunde ein Trennungs-Schmerz-oder Trennungs-Angst-System. Wenn eine Mutter und ein Kleinkind voneinander getrennt werden, dann empfinden beide Schmerz und psychischer Schmerz wird durch Weinen angezeigt, das bezeichnen wir als Trennungs-Schmerz. Es gibt dafür tatsächlich ein besonderes Gefühlsystem im Gehirn von allen Säugetieren. Normalerweise ist es stärker aktiv, wenn wir jung sind; wenn es aber plötzlich im Erwachsenenalter überaktiv wird, dann führt das zu Panikattacken, deshalb der Name. Dieses evolutionär uralte Trennungs-Schmerz-System hat wohl die Funktion, uns anzutreiben, soziale Bindungen einzugehen, eben um Angst, Ärger und Panik zu vermeiden. Es ist ein äußerst wichtiges Gefühlssystem, und man sollte sich nicht so sehr an dem Wort "Panik " stören. "

    Interessant ist, dass dieses Trennungs-Schmerz-System offenbar eng mit dem Hirnsystem zusammenhängt, das auch bei körperlichem Schmerz aktiv wird. Jaak Panksepp hat dieses Zusammenspiel zunächst bei Tieren untersucht und bestätigen können. Jüngste Studien zeigen, dass es genauso beim Menschen existiert. Mit bildgebenden Verfahren ließ sich nachweisen: wenn Personen sozial ausgeschlossen und missachtet werden, kommen im menschlichen Gehirn genau die gleichen Mechanismen in Gang wie bei jungen Tieren, die von ihren Eltern getrennt wurden. Es scheint also ein uralter evolutionärer Tatbestand zu sein, dass soziale Zurückweisung nicht nur psychischen Schmerz erzeugt, sondern im Organismus wie körperlicher Schmerz wirken kann. Ein überzeugender Beleg dafür, dass Gefühle und automatisierte körperliche Reaktionen eng zusammenhängen.

    Die Existenz dieses Trennungs-Schmerz-Systems untermauert neurobiologisch eine These, von der die Entwicklungspsychologen schon lange ausgehen: die Art und Weise, mit der Bezugspersonen auf die Bedürfnisse von Säuglingen und Kleinkindern reagieren, reguliert gravierend deren Gefühlsleben. Sie bestimmt, ob es eine eher positive oder eher negative Richtung nimmt, und wie die Kinder ihre Gefühle ausdrücken können. Wobei neuere Forschungsergebnisse jedoch daraufhin hinweisen, dass die Kleinen dabei nicht völlig hilflos sind..

    Ein Team um Gottfried Spangler, Psychologieprofessor an der Universität Erlangen, hat diese Zusammenhänge untersucht. Per Videotechnik beobachteten und analysierten die Wissenschaftler, wie Kinder während des ersten Lebensjahres beim Spielen auf das Verhalten der Eltern reagieren. Die Forscher interessierten sich vor allem dafür, wie die Kinder ihre Emotionen lautlich und in ihren Körperbewegungen, also motorisch artikulieren. Das Ergebnis: Im Alter von etwasdrei Monaten reagieren sie zunehmend mit negativen Emotionen, mit Ärger und Traurigkeit, wenn ihre Eltern wenig feinfühlig mit ihnen umgehen. Aber im Lauf der Zeit ändert sich das zumindest teilweise. Gottfried Spangler:

    " Wenn wir die gleichen Kinder dann 6 Monate später beobachten, mit 9 Monaten z.B. , können wir feststellen, dass sie schon in der Lage sind , jetzt ihre Emotionen selbst zu regulieren. Sie zeigen relativ wenig negative Emotionen und ihre emotionale Verfassung ist auch nicht mehr so abhängig vom Verhalten ihrer Eltern. Sie haben im Prinzip gelernt, schon solche Situationen zu bewältigen, sie verfügen schon über gewisse Fähigkeiten, die zu regulieren. Allerdings, das wäre jetzt im Ausdruck von negativen Emotionen auf der vokalen Ebene . Allerdings können wir im Bereich der motorischen Unruhe feststellen, dass es manche Kinder gibt, die am Anfang noch Anpassungsschwierigkeiten haben, und das sind wieder Kinder, bei denen wir festgestellt haben , dass diese Eltern sehr geringe Feinfühligkeit im Hinblick auf ihre Bedürfnisse gezeigt haben. "

    Offenbar gibt es also bei Kleinkindern vor allem hinsichtlich des lautlichen Ausdrucks eine gewisse Fähigkeit, die Emotionen selbst zu regulieren. Der Leitrahmen für diese Selbstregulation der Gefühle bleibt aber weiterhin das Verhalten der Eltern: wenn sie dauerhaft negative Emotionen provozieren, dann stößt auch die Selbstregulation an Grenzen.

    Wobei die Regulationsmechanismen, die die Kinder von den Eltern lernen, natürlich selbst wieder vorgeprägt sind und kulturellen Mustern gehorchen. Eine Gruppe um die Konstanzer Entwicklungspsychologin Gisela Trommsdorf hat diesen Vorgang in einer kulturvergleichenden Studie untersucht: wie gehen japanische und deutsche Mütter mit kindlichem Ärger um? Manfred Holodyinski von der Universität Bielefeld fasst das Ergebnis zusammen:

    " Also zum Beispiel ist es bei uns so, dass wir am Anfang dieses Weinen haben, dass wir dann geneigt sind , sehr früh unseren Kindern einen eigenen Willen zu unterstellen. Das heißt, wenn es nicht so will, wie es soll, dass wir dann sagen : " ah , der ist ärgerlich hier und der will das", dass wir also sehr stark auf diesen Ärgeraspekt abzielen. Und das führt natürlich dazu , dass man diesen Ärgeraspekt auch heraus hebt, dass sie auch merken, aha, mit dem Ärgerausdruck, da kann man was erreichen, während bei anderen Kulturen, in Japan, ist es so, dass man da mit diesen sehr starken Anteilen an Ärger so umgeht, dass man sagt: "ach, na ja, das ist noch so klein , das kann nichts dafür": dass man damit eher großmütterlich umgeht und es auch nicht groß in seinen Ausdrucksformen spiegelt und das dann dazu führt, dass diese Kinder nach wie vor eher mit Distress, mit Weinen reagieren. "

    Deutsche Gefühlserziehung begünstigt also eher eine Ärgerkultur: deutsche Kinder lernen früh, ihren Willen und ihren Ärger auszudrücken. Der japanische Umgang mit kindlichem Ärger dagegen orientiert sich eher an einer Kultur der mitfühlenden Gelassenheit. Mit positiven Folgen, wie Gisela Trommsdorf, feststellt:

    " Es zeigt sich, dass Aggressivität in Japan wenig ausgeprägt ist, jedenfalls im Kindes -und Jugendalter. Die Kultur ist nicht ganz homogen, natürlich, und nicht alle japanischen Mütter sind gleich und sicherlich gibt es regionale Unterschiede, aber es gibt sozusagen ein generelles Verständnis , wie man mit Emotionen umgeht . "

    So entstehen im Wechselspiel zwischen Kindern und Eltern bestimmte Gefühlskulturen, in denen der Ausdruck verschiedener Emotionen unterschiedlich stark gefördert wird. Je älter die Kinder werden, desto besser beherrschen sie dann den Ausdruck dieser Gefühle. Und sie entwickeln ihr Repertoire natürlich weiter. Um das achte Lebensjahr herum geschieht dann ein einschneidender Wandel: Die Gefühlsregulation wandert grundsätzlich nach innen.

    Ein Team um Manfred Holodynski in Bielefeld stellte einen Süßigkeitsautomaten auf. Aber der hatte seine Tücken - aus wissenschaftlichen Gründen. Kinder verschiedenen Alters durften Münzen hineinwerfen und es kamen kleine bunte Schachteln heraus. In einigen dieser Schachteln waren Leckereien , in anderen aber war gar nichts drin. Die Wissenschaftler interessierte: wie gehen Kinder von drei bis acht Jahren mit ihrer Freude und ihrem Ärger um.

    Natürlich gaben die kleineren Kinder ihren Emotionen lautstark Ausdruck. Bis zum dritten oder fünften Lebensjahr suchten sie sich Ansprechpartner dafür. Kinder zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr dagegen schimpften oder jubelten auch schon mal alleine vor sich hin. Aber noch ließen sie ihre Gefühlen freien Raum.

    " Dass der Ausdruck dann allmählich verschwindet, das haben wir erst so von sechs bis acht bis zehn gefunden. Das kommt wohl erst danach, dass man so ein Zutrauen braucht, seine Emotionen regulieren zu können. Und dann scheint das so ein Gewohnheitseffekt zu sein, dass die Kinder wohl - so interpretieren wir das - ihr Gefühl deutlich spüren und es dann nicht mehr so in den Ausdruck bringen. "

    Um das achte Lebensjahr herum sind die Kinder also sozusagen in der Selbstregulation ihrer Gefühle selbständig geworden. Sie haben nun genug eigene Erfahrung mit den Gefühlen gesammelt, sodass sie sie nicht mehr unkontrolliert herauslassen müssen, sondern innerlich mit ihnen umgehen können. Sie beginnen zum Beispiel, Selbstgespräche zu führen: was bedeutet das für mich, wie soll ich das bewerten, wie kann ich darauf reagieren, was soll ich tun? Das Kind hat nun - angeleitet durch Erziehung und andere kulturelle Einflüssen - eine eigene innere Gefühlswelt, ein persönliches emotionales Universum ausgebildet, mit dem es sich auseinandersetzen kann.

    Auf dieses Stufe der Entwicklung taucht dann aber eine neue, ganz grundsätzliche Frage auf: Wieweit kann ich meine Gefühle tatsächlich bewusst regulieren? Lässt sich mit rationalen Methoden tatsächlich mehr als nur der oberflächliche Ausdruck der Gefühle kontrollieren? Oder behalten die Gefühle nicht doch irgendwie das letzte Wort?

    " Wir müssen davon ausgehen, dass Gefühle nur der subjektive Ausdruck der Aktivität des zentralen Bewertungssystems in unserem Gehirn sind, das wir Limbisches System nennen. Und die wahrnehmungsmäßige und kognitive Gestaltung der Umwelt oder Erfahrung der Umwelt, die geht nicht ohne ständige Bewertung durch das Limbische System. Das heißt Kognition, kognitive Leistungen einschließlich Denken, Bewusstsein sind nicht ohne Limbisches System, damit ohne Gefühle möglich. Und daraus verbietet sich überhaupt eine strikte Trennung zwischen Gefühlen und Kognition. "

    Gerhard Roth, Neurobiologe von der Universität Bremen, ist ein streitbarer Geist. Er hat in letzter Zeit für öffentliche Aufregung gesorgt, weil er den menschlichen Willen als Illusion bezeichnete. Seit mehreren Jahren vertritt er in diesem Zusammenhang aber auch noch eine radikale Theorie über die Einheit von Fühlen und Denken. Seiner Meinung nach sitzen wir nämlich bereits einer Illusion auf, wenn wir meinen, wir seien der rationale Kontrolleur unseres Gefühlslebens. Eher sei das Gegenteil der Fall : Alles, was in den rationalen und kognitiven Teilen des Gehirns bearbeitet wird, müsse auch in den Gefühlszentren des Limbischen Systems bewertet und abgesegnet werden. Wobei vom Limbischen System aus mehr Nervenverbindungen zu den rationalen Zentren des Stirnhirn gehen als umgekehrt. Daher seien die limbischen Gefühlszentren einflussreicher als die kognitiven Areale: die Gefühle regulieren demnach den Verstand, selbst wenn wir meinen, rational zu handeln.

    Tatsächlich bestreitet heute kaum ein Neurobiologe mehr, das Denken und Fühlen eng miteinander zusammenhängen. Auch Henrik Walter, Professor für biologische Psychiatrie an der Universität Frankfurt am Main, ist dieser Auffassung. Er spricht bisweilen sogar vom Menschen als einem "animal emotionale" statt von einem "animal rationale", von einem emotionalen statt einem rationalen Tier. Trotzdem hält er Gerhard Roths Sicht von der eindeutigen Führungsposition des Limbischen Systems für zu einseitig:

    " Also wo nun mehr oder weniger Fasern sind, das ist kein gutes Argument dafür, was, führt. Aber im Prinzip kann man schon sagen, dass es sozusagen Stufen der Informationsverarbeitung gibt und dass die emotionalen Systeme rasch und automatisch funktionieren, bevor die anderen überhaupt eine Chance haben, zu reagieren. Insofern sind sie tatsächlich, was die Wahrnehmungen und Einschätzung angeht, erst mal primär, aber werden dann durch die etwas komplexeren Systeme beeinflusst. "

    Henrik Walter hat das Wechselspiel zwischen Emotion und Kognition selbst experimentell untersucht. Sein Team kündigte Versuchspersonen an, dass sie gleich ein Bild mit einem unangenehmen emotionalen Inhalt sehen werden. Dann wartete es noch eine Weile, bevor es das Bild tatsächlich präsentierte. Dabei beobachteten die Forscher mit dem bildgebenden Verfahren der Kernspintomographie bestimmte Hirnareale: die Amygdala, die zum Limbischen System gehört und vor allem für Furcht, aber auch für eine Reihe anderer Gefühle zuständig ist. Und zwei Gebiete des präfrontalen Cortex, des vorderen Stirnhirns: den so genannten ventrolateralen Bereich, der unten im Stirnhirn liegt und Hirnprozesse hemmen kann. Und den weiter oben gelegen dorsolateralen Bereich. Er liegt der Fähigkeit zu Grunde, Informationen, die im Arbeitsspeicher des Gehirns abgelegt sind, bewusst zu reflektieren und zu steuern. Die Resultate des Experiments:

    " Allein schon die Ankündigung eines negativen Bildes ruft schon Aktivität in der Amygdala hervor, aber nicht nur in der Amygdala, sondern auch im präfrontalen Cortex. Wenn das Bild dann gezeigt wird, dann reagieren die zwei verschiedenen Anteile des präfrontalen Cortex auch auf dieses Bild. Und zwar auf verschiedene Weise. Nämlich so, dass zuerst der ventrolaterale Teil, also der unten gelegene Teil anspringt und dann seine Aktivität wieder abnimmt. Während der weiter oben gelegene dorsolaterale Teil, den man mit höheren kognitiven Prozessen in Verbindung bringt, etwas später anspringt, aber dann auch länger aktiv bleibt. "

    Wenn man auf einen negativen Reiz wartet, beginnen sich also nicht nur entsprechende Gefühlsregionen des Gehirns , sondern auch rationale Regionen darauf vorzubereiten. Ist der Reiz da, dann setzen zunächst hemmende Einflüsse aus dem Stirnhirn ein. Und wenn deren Wirkung verpufft ist, versucht das Stirnhirn, die noch vorhandenen emotionalen Impulse nachträglich zu bearbeiten, indem es sie bewusst macht. Regulation der Gefühle heißt demnach: das Gefühlssystem des Gehirns ist angeworfen und parallel dazu arbeiten sich verschiedene kognitive Strategien nacheinander daran ab. Wenn das Gefühl nicht gehemmt werden kann, versucht das Zentralnervensystem, ihm zumindest eine rationalere Gestalt zu verleihen. Und das passiert offenbar nicht nur, wenn man wie im Experiment von Henrik Walter schon darauf vorbereitet ist, dass emotionale Reize auf einen eindringen. Für Martin Peper, Professor für klinische Neuropsychologie an der Universität Freiburg, haben das Studien der letzten Jahre klar gezeigt:

    " Es gibt bildgebende Verfahren , in denen man festgestellt hat, dass ein reziprokes, ein umgekehrtes Verhältnis zwischen dem Stoffwechsel im Bereich der Amygdala, also diesem Emotionszentrum einerseits und den frontalen Strukturen andererseits existiert, d.h. es könnte sein, dass wenn die Aktivität im Stirnhirn zunimmt, durch welche Prozesse auch immer, durch Arbeitsgedächtnisprozesse, durch Konzeptualisierungs-vorgänge, dass anschließend die Aktivierung im Bereich der "Emotionszentren zurückgeht. "

    Ahmad Hariri (sprich Achmad Hariri) von der Universität Pittsburgh etwa zeigte Versuchspersonen Fotografien von traurigen , ärgerlichen oder ängstlichen Gesichtern. Zuerst ließ er die Gesichter einfach nur auf die Probanden wirken, dann sollten sie die wahrgenommene Emotion aktiv benennen: was ist das für eine Emotion, wie wirkt sie warum auf mich? Und allein dadurch, dass sie die Emotion bezeichneten und einordneten, konnten sie die Aktivität ihrer Amygdala zurückdrehen.

    Ähnliches fand Kevin Ochsner von der Stanford Universität. Als er Versuchspersonen im Kernspintomographen aufforderte, unangenehme emotionale Bilder bewusst zu analysieren und rational zu bewerten, wurden verschiedene Teile des präfrontalen Cortex stärker aktiv. Gleichzeitig schraubten die Amygdala und ein anderes , für Emotionen zuständige Areal im unteren Teil des Stirnhirns ihre Tätigkeit zurück.

    Erst kürzlich kündigte eine Forschergruppe am University College London freiwilligen Probanden an, dass sie wahrscheinlich demnächst einen schmerzhaften elektrische Schlag erhalten werden. Dabei zeigte sich: wenn sich die Versuchspersonen durch gezielte Phantasiearbeit ablenkten, schwächte sich die Tätigkeit von Hirnregionen ab, die die emotionale Relevanz von Reizen einschätzen. Parallel dazu gingen nachweislich solche Körperreaktionen zurück, die mit Angst und Schmerzerwartung verbunden sind.

    Offenbar findet bei der Regulation der Gefühle im Gehirn ein regelrechter Kampf um Einflusszonen statt. Die emotionalen Areale halten das Terrain besetzt. Durch gezielte Aufmerksamkeit , sprachliche und gedankliche Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen versucht dann der Verstand, die emotionalen Areale herunter zu regulieren und so an Boden zu gewinnen. Der Ausgang dieses Kampfes, ist, wie man weiß, nicht immer ganz eindeutig, aber chancenlos ist das rationale Bewusstsein nicht.

    Wobei dann die wieder Frage auftaucht: was ist eigentlich eine rationale und vernünftige Regulation der Gefühle? Soll man sich eher auf individuelle Strategien verlassen? Oder sind fixe kulturelle Deutungsmuster besser, wie sie die Göttinger Ethnologin Birgit Röttger-Rössler etwas in Indonesien untersuchte.

    " Zum Beispiel in der Gesellschaft, in der ich den größten Teil meiner Forschungen gemacht habe, in Sulawesi bei den Makassar ist Wut eigentlich sehr positiv evaluiert. Das zeigt sich ganz deutlich im Vokabular. Es gibt allein in der Alltagssprache über 60 Begriffe unterschiedlicher Art der Wut, des Ärgers, des Zorns. Wenn man versuchen würde, die zu übersetzen, das wäre bei uns immer nur Wut, Wut, Wut, Wut. Also müsste man es wörtlich übersetzen und dann kämen dann so sonderbare Gebilde heraus wie "die gerechtfertigte Wut eines hoch verehrten alten Mannes im Zustand einer Beleidigung durch einen Jüngeren". Diese Ausdrücke, die zwischen verschiedenen sozialen Formen der Wut unterscheiden, enthalten oft noch Hinweise auf die Körperlichkeit, mit der diese Wut ausgedrückt wird. Also ein Beispiel wäre "amundjumundju": wenn ich das wörtlich nehme, würde das bedeuten:" das Vorschieben der Lippe, zorniges Vorschieben der Lippe". Aber das dürfen eben nur einige wenige ältere Männer machen. Und dieses Lippevorschieben ist ein Zeichen extremer Wut und auch ein Zeichen, dass gleich etwa passiert, dass gleich Verhaltensreaktionen kommen und ein Alarmzeichen für den Betroffenen, sich zurückzunehmen oder gegenzusteuern. "

    Das Volk der Makassar ist kollektivistisch organisiert, d.h. das Individuum gilt wenig, es hat sich nach vorgegeben kulturellen Verhaltensmustern zu richten. Das gibt dem emotionalen Zusammenleben eine klare Kontur, engt aber auch die Reaktionsmöglichkeiten des Einzelnen ein. Im Unterschied dazu ist der Einzelne in den individualisierten Gesellschaften des Westen freier in seinem emotionalen Verhalten. Er kann mit den erlernten Ausdrucksmustern der Gefühle flexibler umgehen.

    Eine alte Theorie besagt: dieser individuelle Umgang mit Gefühlen ist auch besser für Geist und Körper, sprich: er ist gesünder. Weil im Unterschied dazu die Emotionen der Individuen in kollektivistischen Kulturen stärker unterdrückt werden , leiden die Menschen dort auch stärker unter psycho-somatischen Beschwerden.

    Unabhängig von der Forschergruppe am Bielefelder ZIF überprüfte ein Team um den Medizinpsychologen Harald C. Traue am Universitätsklinikum Ulm diese These in den letzten Jahren noch einmal neu. Über 500 Versuchspersonen aus 29 Ländern mit unterschiedlichsten Kulturen wurden gezielt über ihre emotionalen Leitstrategien befragt. Außerdem wertete man ihre Krankheitsdaten aus. Mit dem Ergebnis, dass sich die vor 20 bis 30 Jahren entwickelte alte Theorie nicht mehr so klar bestätigen ließ:

    " Das liegt daran, dass wir eine sehr moderne oder sehr jungen Stichprobe gehabt haben, und möglicherweise findet doch eine Art von kultureller Globalisierung statt. Und was wir finden, ist, dass Menschen, die jetzt ganz klar individualistisch sind oder ganz klar kollektivistisch sind, eher wenig Somatisierungstendenz haben, währen die untersuchten Personen, die sowohl individualistisch sind wie kollektivistisch, dass die eine starke Tendenz zur Somatisierung haben. Also man könnte sagen: wenn ein junger Mensch, der sozusagen aus einer kollektivistischen Kultur kommt, aber jetzt gesellschaftliche Werte übernimmt, die eher seine Individualismuskompetenz herausfordern - also sich selber immer aufs Neue definieren, nicht sagen zu können " Ja, mein Gefühl hängt damit zusammen, dass ich eine Norm des Kollektivs verletzt habe" -der diesen Individualismus zusätzlich zu den alten Normen mit übernimmt, dass dann diese Somatisierungstendenz sehr hoch ist. Wir haben das dann "neoteric estrangement" genannt , also sozusagen eine "neuerungssüchtige Entfremdung". "

    Unklarheit darüber, welche generelle Strategie man zur Gefühlsregulation verfolgen soll, ist also auf jeden Fall schlecht. Aber wenn man eine individuelle Strategie verfolgt- was führt ins Abseits? Im Grunde gilt die altbekannte Faustregel : bewusstes Benennen und Reflektieren ist besser als der Versuch, Gefühle wegzudrücken und zu hemmen. Vor allem eine Studie an Homosexuellen hat das belegt.

    " Man hat bei diesen Personen unterschieden in Hinblick auf ihr outing - also in welchem Ausmaß ihrer Kollegen , Freunde, Verwandten von ihrer sexuellen Neigung wussten. Und nun zeigte sich in dieser Untersuchung, dass je weniger sich diese Personen geoutet hatten, desto weniger expressiv sie waren in Bezug auf ihre Sexualpräferenz, desto größer war ihr Krankheitsrisiko, und zwar bei allen Infektionserkrankungen und bei Karzinomerkrankungen. Also man kann sagen, es gibt hier einen generellen Einfluss auf das Immunsystem. "

    Allerdings bedeutet das nicht, dass eine einfache Beziehung zwischen Gefühlsunterdrückung und Krankheit besteht. Erst wenn jemand sehr vulnerabel, also verletzlich und physisch anfällig ist und die Gefühlsunterdrückung lange anhält, besteht die Gefahr, psychosomatisch krank zu werden. Auch kommt es , so weiss man inzwischen, ganz auf das Gefühl an, das unterdrückt wird: Stress ist eben nicht gleich Stress.

    " Allerdings wenn man jetzt erwartet, also, dass sich Ärger von Angst von Ekel von Überraschung jetzt in einer leicht benennbaren Art und Weise unterscheidet: also bei dem einen geht die Herzrate rauf, beim anderen runter, bei dem passiert auf der Haut das -so einfach ist es einfach nicht gelagert, sondern es gibt ganz spezifische Muster, die sich nur in komplizierten mathematischen Modellen dann in ihrer Unterschiedlichkeit nachweisen lassen. Auf dieser sehr differenzierten und sorgfältigen Analyseebene ist das akzeptiert, nur: es ist auch nicht so einfach anwendbar. Also man kann jetzt nicht dem Hausarzt oder dem Facharzt jetzt so einen Indikator an die Hand geben und sagen: also jetzt pass mal auf, ob da nun der Herzschlag rauf oder runter geht, dann weißt du, ob jemand vulnerabel ist für psychosomatische Erkrankungen, so einfach ist es leider nicht. "

    Und das bedeutet: einerseits ist noch viel Forschungsarbeit über die Gefühlsregulation und ihre Folgen zu leisten. Anderseits sollte man sich aber auch nicht allzu sehr auf die objektive Wissenschaft verlassen, sondern sein ganz individuelles emotionales Wohlfühlprogramm entwickeln und verfolgen.