Archiv


Der Wolf ist los

In den bayerischen und Tiroler Bergen ist der Bär los, in den südfranzösischen Bergen der Wolf. 80 Wölfe sind seit den 90er Jahren in den menschenleeren Regionen Südfrankreichs wieder heimisch geworden, seither klagen die Schäfer. Alljährlich werden 3000 Schafe zum Opfer der Tiere. Simonetta Dibbern berichtet.

    Ein steiler Berghang in den französischen Seealpen. Es ist ein schwül-warmer Sommernachmittag. Gerade hat es ein Gewitter gegeben, Erde und Luft sind noch schwer von Feuchtigkeit. Marcel Ponsi muss den Schutzzaun für seine Schafe reparieren, ein paar Männer in dunkelgrünen Regenjacken und groben Bergstiefeln helfen ihm dabei.

    "Gestern gab es hier einen Angriff durch einen Wolf. Zwei Tiere hat er getötet. Aber das Problem sind nicht die einzelnen Angriffe. Nein, das Problem ist, dass die Schafe in Panik geraten, wenn ein Wolf in der Nähe ist. Letztes Jahr haben sich hier 280 Schafe in eine Schlucht gestürzt, vor lauter Panik."

    Marcel nimmt die Schirmmütze ab und wischt sich über die Stirn. Er ist um die 50, ein paar Schneidezähne fehlen ihm. Schäfer ist er, seit er denken kann. Aber seit es wieder Wölfe in der Region gibt, ist alles anders. Früher hat er seine 2000 Schafe im Sommer auf die Bergweiden getrieben und ab und zu nach ihnen gesehen. Jetzt müssen sie Tag und Nacht bewacht werden: Ein einfacher Zaun reicht nicht mehr aus. Mindestens zwei Meter hoch muss die Umzäunung sein, fest in der Erde versenkt und möglichst elektrifiziert. Außerdem hat er sich vier große weiße Pyrenäenhunde angeschafft, Patous. Sie stehen mitten in der Herde, sehen selber fast aus wie Schafe. Zum Arbeiten, sagt Marcel, taugen die Patous nicht. Es sind keine Schäferhunde, darum hat er ihnen auch keine Namen gegeben wie dem flinken schwarzweißen Bordercollie, der gerade ein paar Schafe aus dem Gebüsch zurücktreibt.

    Aber, sagt Marcel, es heißt, dass die Patous ihre Herde gegen jeden Angreifer verteidigen - vor allem gegen den Wolf. Daher wird die Anschaffung der Schutzhunde staatlich unterstützt, auch das Futter für die großen Hunde bezahlt seit einiger Zeit der französische Staat. Aber viel einfacher sei es doch, den Wolf abzuschaffen. Und billiger wäre es außerdem. Marcel Ponsi ist wütend: auf die Wölfe, auf die Naturschützer, auf die französischen Politiker.

    Einer der wenigen, der den Schäfern aus der Seele spricht, ist Christian Estrosi, Vize-Premierminister der Region Provences Alpes - Cote d’Azur. Bei seiner Rede zur Eröffnung der diesjährigen Transhumance, dem traditionellen Volksfest zu Ehren der Schäfer und der Schafe, wusste der populistische Politiker die meisten Zuhörer in dem Gebirgsstädtchen Saint Etienne auf seiner Seite.

    "Ich war der erste, der gegen den Wolf gekämpft hat, gegen die künstliche Rückkehr des Wolfs in die französischen Alpen. Künstlich sage ich, weil ich davon überzeugt bin, dass ein paar all zu gut meinende Naturschützer die Tiere hier ausgesetzt haben, 1992. Aber der Wolf ist eine Bedrohung. Vor allem für unsere Schäfer. Er selbst dagegen ist in keinster Weise von der Ausrottung bedroht. Daher begrüße ich es, dass dieses Jahr sechs Wölfe erschossen werden dürfen, zwei mehr als im letzten. Und ich werde mich dafür einsetzen, dass nächstes Jahr acht Wölfe auf der Abschussliste stehen, oder sogar zehn. Ich werde mich dafür stark mache, in Paris, darauf können Sie sich verlassen!"

    Das sind die Worte, die die Schäfer hören wollen - anstelle von gutgemeinten Ratschlägen seitens der Umweltschützer: die Herden zu verkleinern, mehr Schäfer einzustellen, sich über die Entschädigungszahlungen zu freuen. Denn die Schäfer leiden nicht nur unter den Wolfsattacken, die Rückkehr der Wölfe ist auch ein Angriff auf ihre Berufsehre. Verstehen sie sich doch als die ersten Naturschützer, die bei Wind und Wetter Tag und Nacht bei den Tieren sind, die die Gebirgsweiden pflegen und dafür seit Jahrzehnten weder Anerkennung noch viel Geld bekommen. Das Jahreseinkommen eines Schäfers liegt bei 40 Prozent des französischen Durchschnitts.

    Im Cafe am Marktplatz des Nachbarstädtchens Saint Martin Vesubie sitzt Daniel Laugier, 40 Jahre alt, ein großer kräftiger Mann. Besitzer von 2200 Schafen. Er hat schon viele Wölfe erschossen, sagt er, um seinen Broterwerb zu verteidigen.

    "Für ein Schaf bekomme ich ungefähr 100 Euro, für ein vom Wolf gerissenes um die 140, wenn feststeht, dass es tatsächlich ein Wolf war. Aber ich will kein Geld bekommen für ein totes Tier, ich will schöne Tiere verkaufen! Und natürlich habe ich jede Menge indirekter Verluste, die Schafe sind gestresst und bekommen keine Lämmer mehr. 40 leere habe ich in diesem Sommer, Fehlgeburten auch - das bezahlt mir keiner! Und fressen tun sie trotzdem."

    Eine Schäfervereinigung, die auf nationaler Ebene gegen den Wolf kämpft, gibt es nicht. "Wir haben zu viel mit unseren Herden zu tun", sagt Daniel Laugier. Man müsse das Problem bei der Wurzel packen.

    "Hier gibt es keine Lösung. Hier bei uns ist es anders als in Italien oder in Spanien. Dort gab es immer Wölfe. In Italien machen sie Schafskäse. Die Herden sind klein, höchstens 150 Tiere. Aber wir haben die Tiere für die Fleischproduktion. In unseren Bergen kann man keine Käserei machen, das Gelände ist viel zu schroff. Es gibt keine Hütten dafür. Man müsste also zweimal pro Tag nach oben laufen, das macht eineinhalb Stunden eine Tour. Dankeschön, ich beklage mich nicht. Aber von 150 Tieren könnte hier niemand leben. Ich bin dafür, dass sie den Wolf abschaffen. Dann würden zwar ein paar Ökos einen Herzschlag kriegen, aber das wäre mir, ehrlich gesagt, auch egal."