Seit 25 Jahren liefert die ARD-Fernsehserie "Lindenstraße" außer der Handlung auch verlässliche Anleitungen zum politisch korrekten Denken. Deshalb pochte die fiktive Lindenstraßenheldin Mutter Beimer in den letzten Folgen darauf, dass vor ihrem Mietshaus, dem Zentrum des Lindenstraßenkosmos, Stolpersteine für frühere Hausbewohner verlegt werden: die fiktive Familie Rosenberg. Stolpersteine sind in der Realität glänzende Pflastersteine mit den Namen deportierter und ermordeter Juden, die auf Initiative eines Künstlers inzwischen über 20000 Mal in deutschen Städten verlegt wurden. Eine Erfolgsgeschichte. Alle waren berührt von der Aktion, die den Opfern der Naziverfolgung ihre Namen zurückgab.
Alle? Nicht Hazel Rosenstrauch, Nachfahrin von Opfern der Naziverfolgung. In ihrem Stadtviertel erinnern 80 Erinnerungstafeln an die Ausgrenzungen und Gemeinheiten, die den Juden des 3. Reichs tagtäglich per Gesetz angetan wurden. Hazel Rosenstrauch sieht noch etwas anderes: dass nämlich keiner hinsieht. Sie aber schon. Und, schreibt sie:
"im Unterschied zu den Passanten, die sich an die Tafeln gewöhnt haben, werde ich jeden Tag daran erinnert, dass nur die Gnade der späten Geburt mich davor bewahrt hat, deportiert zu werden."
Das ist schon ein Schlag. Er trifft mitten in die gute Absicht.
Auch eine "unjüdische Jüdin" wie Hazel Rosenstrauch kommt im Sperrfeuer der öffentlichen Erinnerung an ihrem Jüdischsein auf die Dauer nicht vorbei. Also begibt sie sich auf das semantische Minenfeld der Beziehung zwischen "Juden" und "Deutschen", mit diesem unsinnigen Begriffsunterschied geht das Elend ja schon los; aber zwischen die beiden hat die Autorin im Titel noch eine Kategorie gesetzt: "Juden Narren Deutsche". Der Narr, der alles ausspricht, auch das Unaussprechliche, wird gebraucht in einem Verhältnis, in dem Ungesagtes, Verdacht, Unterstellung, Angst und Hemmung die ersehnte Unbefangenheit torpediert. Wie auch nicht? Für Zwanglosigkeit ist, gemessen an der Ungeheuerlichkeit der Ursachen, die Zeit noch nicht gekommen. Alle leiden daran, allerdings, wie Hazel Rosenstrauch zeigt, nicht auf dieselbe Weise. Nicht nur Gedenktafeln zwingen sie in eine Identität, nach der sie nicht gefragt hat. Das tun auch Leute, die ihr ungefragt und stolz von jüdischen Vorfahren erzählen. Das tut sogar das Holocaust-Mahnmal, von Hazel Rosenstrauch respektlos "modernes Völkerschlachtdenkmal" genannt, gebaut von "Gedenkvorzugsschülern".
Doch Hazel Rosenstrauch, die sich dagegen wehrt, im allgegenwärtigen Gedenken jetzt und immerdar vor allem Jüdin sein zu müssen, ist sich des Dilemmas ihrer Kritik wohl bewusst. Ist es nicht das fleißige Wachhalten von Erinnerung, das in Deutschland bisher den Aufstieg rechtsradikaler Parteien verhindert hat? In steter, sehr persönlicher Diskussion mit sich und anderen versucht sie zu ergründen, ob und wo Notwendigkeit umkippt in Leerlauf. Oder: Wie das Jüdischsein Beziehungen prägt. Geht spielerisch der Frage nach, ob in den Charakterverschiedenheiten, an der eine Jugendliebe mit einem braven Schwaben zerbrach, nicht auch ein Segment des Jüdischseins enthielt, oder des gedachten, oder des unterstellten Jüdischseins – genau das sind doch die Halluzinationen des Rassismus, aber damit mal zu spielen, kann krampflösend wirken. Hazel Rosenstrauch kann auch ärgern: wenn sie z.B. die Bezeichnung "Kosmopolit" als Anspielung aufs Jüdischsein interpretiert.
Aber lose und spontan ist eben diese Gedankensammlung, die vor allem eins will: raus aus dem Korsett verordneter oder sonst wie festgefügter Begriffe. Wie "Erinnerungskultur" oder "Holocaust-Industrie". Hazel Rosenstrauch lässt nichts unbefragt, wendet es hin, wendet es her. Sie wagt zu sagen, was kein Politiker sich traut: "Ich weiß es nicht." Und Hoffnung, wie gesagt, kann vorerst nur von den Narren kommen, jenen listigen und freisprechenden Außenseitern. Ihrer Historie von Till Eugenspiegel bis Schlemihl widmet Hazel Rosenstrauch einen etwas rätselhaften Exkurs – aber das Rätsel lösen die Schlusssätze, in denen die Autorin sich den Lehrplan einer modernen Narrenschule vorstellt.
"Morgens würden die politisch korrekten Tabus heruntergebetet. Danach freies Spiel mit Krummsäbeln und Davidsternen, mittags koscheres Essen mit Schinken garniert und nach dem Mittagessen Seiltanz zwischen Kirchturm und Minarett."
Alle? Nicht Hazel Rosenstrauch, Nachfahrin von Opfern der Naziverfolgung. In ihrem Stadtviertel erinnern 80 Erinnerungstafeln an die Ausgrenzungen und Gemeinheiten, die den Juden des 3. Reichs tagtäglich per Gesetz angetan wurden. Hazel Rosenstrauch sieht noch etwas anderes: dass nämlich keiner hinsieht. Sie aber schon. Und, schreibt sie:
"im Unterschied zu den Passanten, die sich an die Tafeln gewöhnt haben, werde ich jeden Tag daran erinnert, dass nur die Gnade der späten Geburt mich davor bewahrt hat, deportiert zu werden."
Das ist schon ein Schlag. Er trifft mitten in die gute Absicht.
Auch eine "unjüdische Jüdin" wie Hazel Rosenstrauch kommt im Sperrfeuer der öffentlichen Erinnerung an ihrem Jüdischsein auf die Dauer nicht vorbei. Also begibt sie sich auf das semantische Minenfeld der Beziehung zwischen "Juden" und "Deutschen", mit diesem unsinnigen Begriffsunterschied geht das Elend ja schon los; aber zwischen die beiden hat die Autorin im Titel noch eine Kategorie gesetzt: "Juden Narren Deutsche". Der Narr, der alles ausspricht, auch das Unaussprechliche, wird gebraucht in einem Verhältnis, in dem Ungesagtes, Verdacht, Unterstellung, Angst und Hemmung die ersehnte Unbefangenheit torpediert. Wie auch nicht? Für Zwanglosigkeit ist, gemessen an der Ungeheuerlichkeit der Ursachen, die Zeit noch nicht gekommen. Alle leiden daran, allerdings, wie Hazel Rosenstrauch zeigt, nicht auf dieselbe Weise. Nicht nur Gedenktafeln zwingen sie in eine Identität, nach der sie nicht gefragt hat. Das tun auch Leute, die ihr ungefragt und stolz von jüdischen Vorfahren erzählen. Das tut sogar das Holocaust-Mahnmal, von Hazel Rosenstrauch respektlos "modernes Völkerschlachtdenkmal" genannt, gebaut von "Gedenkvorzugsschülern".
Doch Hazel Rosenstrauch, die sich dagegen wehrt, im allgegenwärtigen Gedenken jetzt und immerdar vor allem Jüdin sein zu müssen, ist sich des Dilemmas ihrer Kritik wohl bewusst. Ist es nicht das fleißige Wachhalten von Erinnerung, das in Deutschland bisher den Aufstieg rechtsradikaler Parteien verhindert hat? In steter, sehr persönlicher Diskussion mit sich und anderen versucht sie zu ergründen, ob und wo Notwendigkeit umkippt in Leerlauf. Oder: Wie das Jüdischsein Beziehungen prägt. Geht spielerisch der Frage nach, ob in den Charakterverschiedenheiten, an der eine Jugendliebe mit einem braven Schwaben zerbrach, nicht auch ein Segment des Jüdischseins enthielt, oder des gedachten, oder des unterstellten Jüdischseins – genau das sind doch die Halluzinationen des Rassismus, aber damit mal zu spielen, kann krampflösend wirken. Hazel Rosenstrauch kann auch ärgern: wenn sie z.B. die Bezeichnung "Kosmopolit" als Anspielung aufs Jüdischsein interpretiert.
Aber lose und spontan ist eben diese Gedankensammlung, die vor allem eins will: raus aus dem Korsett verordneter oder sonst wie festgefügter Begriffe. Wie "Erinnerungskultur" oder "Holocaust-Industrie". Hazel Rosenstrauch lässt nichts unbefragt, wendet es hin, wendet es her. Sie wagt zu sagen, was kein Politiker sich traut: "Ich weiß es nicht." Und Hoffnung, wie gesagt, kann vorerst nur von den Narren kommen, jenen listigen und freisprechenden Außenseitern. Ihrer Historie von Till Eugenspiegel bis Schlemihl widmet Hazel Rosenstrauch einen etwas rätselhaften Exkurs – aber das Rätsel lösen die Schlusssätze, in denen die Autorin sich den Lehrplan einer modernen Narrenschule vorstellt.
"Morgens würden die politisch korrekten Tabus heruntergebetet. Danach freies Spiel mit Krummsäbeln und Davidsternen, mittags koscheres Essen mit Schinken garniert und nach dem Mittagessen Seiltanz zwischen Kirchturm und Minarett."