Wo aber aus solchen Gründen Tadel schwer an den Mann oder die Frau zu bringen ist, muß der Autor eines lobenden Buches verzweifeln. Der Leser will ja doch immer nur selber tanzen, das heißt, er sucht auf den Seiten des Heine-Buches Heine selbst, seine Gedichte, seine Einfälle, den Zauber seiner Prosa. Und was er findet, sind bestenfalls Zeugnisse für den Fleiß eines Biographen, für die Belesenheit eines Philologen. Die machen das Beste daraus, wenn sie ihre eigenen Wege gehen. Fritz J. Raddatz etwa kündigt schon mit dem Titel seines Buches "Taubenherz und Geierschnabel" an, wie eigenwillig sein Slalom durch Heines Leben und Werke ausgeflaggt ist. Klaus Briegleb, der gelehrte Herausgeber der brillant kommentierten Gesamtausgabe Heines im Hanser Verlag, hat jetzt bei dtv unter dem Titel "Bei den Wassern Babels" Studien vorgelegt, die dem gewidmet sind, womit sich Heine zu schaffen machte: was bedeutet es, "ein jüdischer Schriftsteller in der Moderne" zu sein. Elke Schmitter schlug den entgegengesetzten Weg, ging in ihrem bei Hanser erschienenen Buch "Und grüß’ mich nicht unter den Linden" direkt auf die Gedichte los, stellte recht viele davon vor und gab dazu gescheite Kommentare hübsch erzählt. Zumindest Leser werden im Fall Heines gern sagen:
Ich lache ob den abgeschmackten Laffen, Die mich anglotzen mit den Bocksgesichtern; Ich lache ob den Füchsen, die so nüchtern Und hämisch mich beschnüffeln und begaffen
Ich lache ob den hochgelahrten Affen, Die sich aufblähn zu stolzen Geistesrichtern; Ich lache ob den feigen Bösewichtern, Die mich bedrohn mit giftgetränkten Waffen.
Denn wenn des Glückes hübsche Siebensachen Uns von des Schicksals Händen sind zerbrochen, Und so zu unsern Füßen hingeschmissen;
Und wenn das Herz im Leibe ist zerissen, Zerrissen und zerschnitten und zerstochen - Dann bleibt uns doch das schöne gelle Lachen.
Ein Sonett von Heinrich Heine. Uns beweist es, daß es keine leere Prahlerei ist, wenn man sagt, Heine habe auch Sonette schreiben können. Gewiß, wir wären so leicht nicht auf die Idee gekommen, daran zu zweifeln, auch wenn sich unter den bekannteren Gedichten des Autors ein Sonett nicht findet. Aber nachdenklich geworden sind wir über eine Passage der Heine-Biographie von Jan-Christoph Hauschild und Michael Werner, die soeben im Kölner Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen ist. Vom Studium des Dichters in Bonn ist da die Rede und von dem bedeutenden Biologen und Shakespeare-Übersetzer August Wilhelm Schlegel, dem Heine seine Verse zur Begutachtung vorgelegt hatte. Schlegel gab sie ihm "abschließend", wie die Biographen mitteilen, "mit zahlreichen Anmerkungen und Verbesserungsvorschlägen" zurück. Weiter heißt es in dieser Biographie: Schlegel war es, der "Heine auch zum Verfertigen von Sonetten anregt - eine formale Herausforderung, die er mit Geschick zu meistern verstand."
Wer hätte das gedacht. Sonette sind nicht einfach. Auch für einen zwanzigjährigen Studenten stellen sie eine Herausfordermg dar. Von Heine wissen wir ja nun, daß er dichten konnte. "Ich weiß nicht, was soll das bedeuten..." Man kennt das Lied. Aber Sonette? Immerhin mit Geschick gemeistert, die Herausforderung. Und wir haben den Beweis. "Ich lache ob den hochgelahrten Laffen" - die tatsächlich es für bemerkenswert halten, daß Heine im Alter von zwanzig Jahren Sonette zu schreiben vermochte. Jan-Christoph Hauschild und Michael Werner geizen in ihrem fast siebenhundert Seiten umfassenden Buch nicht mit Erwägungen dieser Art, in denen auf possierliche Fragen, die man sich denken muß, naheliegende Antworten gegeben werden, die allenfalls überraschen, weil an die unausgesprochenen Fragen eben so leicht nicht zu denken gewesen war.
"Daß von den 66 Gedichten des 'Lyrischen Intermezzo’", berichten die Biographen bei Gelegenheit von Heines zweitem Buch, "immerhin schon 46 bereits vorab in Zeitschriften veröffentlicht worden waren, kümmerte Heine wenig; er machte sich die Bekanntheit sogar zunutze", indem er gegenüber seinem Verleger auf das Interesse verwies, das sie gefunden hatten. Hauschild und Werner scheinen zu glauben, Gedichte seien anfang des 19. Jahrhunderts eine Art Witze gewesen, die man nur einmal erzählen durfte. Doch was für Gedichte nicht gilt, gilt auch für Witze nicht - sofern es Heine ist, der ihre Pointen formuliert. Und wenn Heine sich zur Prosa von Hauschild und Werner hätte äußern können, würden wir heute noch lachen. Zur Badekur des Dichters an der Elbmündung, im Sommer 1923 notieren sie:
"Vom Meerwasserbaden und langen Spaziergängen versprach er sich eine heilende Wirkung auf sein schwaches Immunsystem."
Außerdem, sagen die Biographen, genoß er "den Anblick des Meeres, das er als ‘wahlverwandtes Element' empfand, den Wechsel von Ebbe und Flut, die stürmische Brandung." Es ist doch gut, wenn man gesagt bekommt, was das Meer ist. Bei Heine liest sich das ein wenig anders. Nie war man dankbarer dafür, auf des Dichters eigene Stimme zu stoßen, als in diesem Buch "O wie lieb ich das Meer, ich bin mit diesen wilden Element so ganz herzinnig vertraut worden, und es ist mir wohl wenn es tobt", heißt es in einem Brief an Immermann. Hauschild und Werner mögen die Sprache nicht. In der langen Reihe der Worte zu Heine, die sie an den Anfang ihrer Biographie des Dichters gestellt haben, zitieren sie auch den Wiener Satiriker Karl Kraus mit dem berühmten Dictum aus dem Essay "Heine und die Folgen":
"Heinrich Heine, der der deutschen Sprache so sehr das Mieder gelockert hat, daß heute alle Kommis an ihren Brüsten fingern können."
Hauschild und Werner wissen gar nicht, daß die deutsche Sprache Brüste hat. Dies ist nicht nur eine Folge mangelnder Sinnlichkeit der Autoren - Heines Frau Mathilde wird von ihnen gern als "Unterschichtenkind" vorgestellt, oder genauer: als "ein echtes Kind des Agrarproletariats aus der weiteren Umgebung von Paris". Dann allerdings wird es sehr genau: "Geboren wurde sie am 15. März 1815 im Weiler Le Vinot de la Trétoire bei Melun im Département Seine et Marne, 50 km östlich von Paris." In dem Mathilde gewidmeten Kapitel lautet die Überschrift über dem ersten Abschnitt "Eros und Sexus". Doch das sind falsche Versprechungen. Der erste Satz dieses Abschnitts geht so:
"Heines private Integration in den französischen Alltag äußerte sich nicht zuletzt in seinen diversen Beziehungen zu Frauen, Damen der Gesellschaft ebenso wie Figuren der Halbwelt."
Karl Kraus im Sinn fragt man sich, wozu Heine, je irgendwelche Mieder gelockert hat - wozu er seine begeisternde Prosa schrieb, und wie der ihm fast ebenbürtige Wiener Stilist auf den Gedanken hatte verfallen können, das könne ihm nun jeder nachmachen. Hauschild und Werner können es nicht oder wollen es nicht. Dabei sind sie nicht prüde. Sie folgen ihrem Dichter überall hin und stellen fest:
"Frustierende Liebeserfahrungen und Kränkungen durch Ab- und Zurückweisungen hatten Heine schon als jungen Mann sexuelle Entspannung im Rotlicht-Milieu der Großstädte suchen lassen."
Da versteht man doch, daß der Journalist und Dichter in der sündigen Metropole nach etwas Festem Ausschau hielt. Aber Hauschild und Werner verschweigen mitnichten den Preis, den er dafür zahlen mußte. Sie schreiben:
"Die Hinwendung zu dem Unterschichtenkind Mathilde, die Heine bestimmte Kreise der Pariser Gesellschaft verschloß, bedeutete gleichzeitig die Abkehr von der Hochkultur und von der Eroberungsstrategie der ersten Jahre. Im angestrebten Ausmaß war die literarische und soziale Integration nicht gelungen." Genug davon, das Buch des Biographenpaares ist so schlecht geschrieben, daß man sich fragt, wie es ein Korrektorat, geschweige denn ein Lektorat eines Verlages passieren konnte. Da ist von Obsoletheit die Rede oder davon, daß Heine mit Beweisen "seiner Mäßigkeit" die "Zensur quasi entwaffnet zu haben" glaubte. Man kann sich daran erinnern, daß der Verlag Kiepenheuer und Witsch in den 50er Jahren noch an einer Simenon-Übersetzung von Paul Celan herummäkelte. Dann ermißt man, was inzwischen geschehen ist in Deutschland - was sich zum gewaltig Schlechteren verändert hat. Aber vielleicht nicht überall in Deutschland, sondern in Nordrhein-Westfalen. Die Heine-Biographie von Hauschild und Werner ist von der "Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW" gefördert worden. Warum? Warum erfährt ein so unbeholfen geschriebenes Buch die Unterstützung durch eine Kulturstiftung eines so großen Bundeslandes? Die Frage kann beantwortet werden. Die Autoren sind an Literatur kaum interessiert. Zwar werden in einigen Kapiteln auch Gedichtzeilen abgedruckt, zwar werden auch gelegentlich bekannte Titel interpretiert. Aber so richtig wohl fühlen sich die Autoren, wenn sie zu Ausführungen wie den folgenden ansetzen dürfen:
"Heines übrige Wohnungen in Paris entsprachen im allgemeinen dem Typus dessen, was man heute als Vierzimmerwohnung bezeichnet, gut gelegen, aber nicht nach der Straße, sondern auf den Hof schauend und deshalb etwas billiger aber auch ruhiger als die vorderen Appartements. Die Miete betrug, wie wir aus den erhaltenen Unterlagen über die entsprechenden Häuser schließen können, jeweils ca. achthundert bis eintausend Francs im Jahr. Damit blieb Heine, setzt man ein Gesamtbudget von 12 000 Francs voraus, innerhalb der Zehnprozentgrenze des Aufwands für Wohnung, die ein zeitgenössisches bürgerliches Anstandsbuch für den wohlgeordneten Haushalt vorschrieb."
Wir haben es bei dieser Heine-Biographie mit einem Stück materialistischer Literaturwissenschaft, mit Sozialgeschichtsschreibung zu tun. Wer das mag - und den schauderhaften Stil nicht scheut, in den das nicht zufällig, sondern absichtsvoll geschrieben ist - wird reichlich bedient. Manches erscheint durchaus lohnend zu wissen. Da wird die "Finanzkrise von 1837 und ihre Überwindung" abgehandelt. Da erfahren wir vom "Schreiben als Beruf", vom "Dichter und Geschäftsmann", von "Lebensstil und Ausgabepraxis". Vielleicht gehört es ja zum Nachweis der Kompetenz, über diese Dinge, schreiben zu können, daß man es auf die Weise tut, die Liebhabern Heinescher Prosa die Haare zu Berge stehen läßt.
Jan-Christoph Hauschild ist 42 Jahre alt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heinrich Heine-Institut In Düsseldorf. Michael Werner ist Jahrgang 1946 und Professor für deutsch-französische Kulturgeschichte in Paris - außerdem ist er der Leiter des dortigen Deutschlandzentrums. An ihrer täglichen Arbeit als Stütze ihrer Kompetenz kann es also nicht liegen, wenn sie den Abschnitt "Zeitungspläne" mit dem deplorablen Satz beginnen: "In dieselbe Reihe der Versuche, Heilmittel gegen seine 'Geldschwindsucht' zu finden, gehören Heines Pläne, auf dem Pressesektor als Redakteur und Herausgeber aktiv zu werden."
Man fragt sich, mit welchem Selbstbewußtsein Intellektuelle, die so etwas schreiben und das so Geschriebene rühmen, sich über Sprache und Ausdrucksweise von Politikern wie Bundeskanzler Kohl alterieren. Das wenigstens materialreiche Buch von Hauschild und Werner bemüht sich um eine gründliche Darstellung der politischen Diskussionen, mit denen sich Heine zumal in Frankreich auseinandersetzen mußte. Hier gelingen ihnen einige Passagen, bei denen man sich durchaus festlesen kann. Fast scheint es, als gälte ihr Interesse hier Frühformen politischer Schlachten, die sie heute noch oder wieder zu schlagen gedächten. Heines Verhältnis zu dem Kommunismus wird da kühner interpretiert als jedes Gedicht, das sie wahrnehmen.
Dennoch läßt diese Heine-Biographie auf jeder Seite vor allem das Zwangskorsett vermeintlich wissenschaftlicher Sprache spüren - auch wenn das gelehrte Fundament der Autoren nicht allzu solide zu sein scheint. Die Zweifel beginnen schon bei der Schwäche ihres Lateins, und man fragt sich angesichts der Tendenz ihrer Arbeit und der bildungspolitischen Ambitionen ihrer Förderer, weshalb sie diese Schwäche offenbaren mußten.
Gleichwohl - für wissenschaftlich muß wohl heute schon das Zusammenbringen einschlägigen Materials gelten. So vermittelt die Lektüre dieses Heine-Buchs den Inhalt eines mittelgroßen Zettelkastens, der durch - um das Günstigste zu sagen - platte Prosa in Zusammenhang gebracht worden ist. Die Deutschen haben Heinrich Heine kaum jemals gut behandelt. Daß sich daran auch dann nichts ändert, wenn sie ihn gut behandeln wollen, beweist diese Biographie von Hauschild und Werner. Wie gut, daß der Tod vor 141 Jahren den Dichter davor bewahrt hat, dieses Buch lesen zu müssen oder von ihm zu hören.