"Ich schuf meine Welt als göttliches Geheimnis, fand den Gott im Wein und schloss ihn ins Herz. Ich malte mich selbst als Bacchus und übernahm sein Schicksal. Eine wilde, orgiastische Zerstückelung. Ich erhebe das zerbrechliche Glas und trinke auf dich, mein Publikum. Der Charakter des Menschen ist sein Schicksal. ... Man's character, it's his fate."
Der Maler Michelangelo Caravaggio in Derek Jarmans erstem großem Spielfilm auf 35 Millimeter. Sieben Jahre brauchte er für die Finanzierung, um dann doch nicht an Originalschauplätzen, sondern nur in einem Londoner Lagerhaus drehen zu können. Jarman zielte mit seinen Porträt- und Künstlerfilmen auf eine neue Geschichtsschreibung, die Homosexualität konsequent in den Mittelpunkt stellte. Auf seine Studien über den ägyptischen Pharao Echnaton folgten Filme über Benjamin Britten, Christopher Marlowe und sein Drama "Edward II" oder Ludwig Wittgenstein. Das unbekannte Leben Caravaggios konnte Jarman nur aus alten Strafregistern und mithilfe der Gemälde rekonstruieren. Sein Film wirft einen luziden Blick auf die Macht- und Sexualpolitik Roms zu Renaissancezeiten. Ein homosexueller Maler war da keine Seltenheit.
Mit Haut und Haaren ein Kind des 20. Jahrhunderts
Doch Derek Jarman war mit Haut und Haar ein Kind des 20. Jahrhunderts. Geboren am 31. Januar 1942 in Northwood, Middlesex als Sohn eines Jagdfliegers und einer Designerin, wuchs er in den Garnisonen der Royal Air Force auf, studierte Malerei an der Londoner Slade School of Fine Art und lernte während seiner ersten Amerikareise den bekennenden Homosexuellen David Hockney kennen, ein Vorbild. Der junge, aber erfolglose Maler setzte sich schließlich als Bühnenbildner bei Ballett und Oper durch. Nach der Ausstattung für den Ken Russell-Film "The Devils" von 1970, begann er mit Super-8 zu experimentieren, entdeckte seine Vorliebe für Home-Movies: Das "Kino der kleinen Gesten". Antrieb seiner Arbeit war und blieb der Kampf gegen Kriminalisierung und Ausgrenzung.
"Wenn man, so wie ich, Filme über gleichgeschlechtliche Liebe drehen will, ist alles sehr schwierig. Wo sind die deutschen Filmemacher, die so etwas gemacht haben – ich spreche vom Spielfilm – wo die Franzosen, die Amerikaner? Die Antwort: Es war in anderen Kulturen fast unmöglich. Bei uns in England war es hart an der Grenze. Eine Möglichkeit, kontinuierlich zu arbeiten, war der Weg in die Vergangenheit. Ein klassischer Text wie "Edward II" von Marlowe wurde von der BBC gefördert. Man dreht leichter einen Film über Shakespeares Sonette als einen, der 1984 in London spielt."
Schwuler Softporno über das Martyrium des Heiligen
Schon in seinem Debütfilm "Sebastiane", ein schwuler Softporno über das Martyrium des Heiligen, wollte Jarman den absehbaren Skandal dadurch mildern, dass ausschließlich Lateinisch gesprochen wird. Im autobiografisch geprägten "The last of England" wütete Jarman indes gegen die zerstörerische und homophobe Thatcherpolitik jener Jahre: Für ihn ein England ohne Zukunft.
"Alle meine Filme enden optimistisch. Und seien sie noch so pessimistisch, war es doch unglaublich optimistisch, sie überhaupt zu drehen. Es ist falsch zu sagen, dass Filme eine Geschichte erzählen sollen. Sie sind die Geschichte. Deshalb kann der pessimistischste Film das optimistischste Bekenntnis ablegen. Goyas schwarze Bilder zum Beispiel – die sind nicht negativ. Sie versetzen ihre ganze Umgebung ins Licht! Ich bin als Filmemacher ein Schwarzmaler - aber die besten Menschen sind Schwarzmaler."
"Ich trete hinaus in die blaue Angst"
Seit 1986 wusste Derek Jarman, dass er an Aids erkrankt war. Zuletzt erblindet, stellte er fünf Monate vor seinem Tod in New York seinen letzten Film "Blue" vor, eine Hommage an Yves Klein, eine monochrome blaue Leinwand, mit vier Stimmen, Geräuschen und Musik. "Ich trete hinaus in die blaue Angst", heißt es ganz am Anfang. Derek Jarman starb am 19. Februar 1994, 52-jährig, in einem Londoner Hospital. Sein letzter Wohnort, das schwarze "Prospect Cottage" mit dem legendären Garten in Sichtweite eines Atomkraftwerks ist heute eine Art Wallfahrtsort.