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"Derzeit sind uns rund 144 Preiserhöhungen bekannt"

Zum Jahreswechsel werden die Strompreise steigen. Die Versorger begründen dies damit, dass durch die Förderung der erneuerbaren Energien auch auf sie zusätzliche Kosten zukämen. Jürgen Scheurer, Sprecher des Energieportals Verivox, erklärt, wie einer Preiserhöhung zu entkommen ist.

Jürgen Scheurer im Gespräch mit Theo Geers | 16.11.2010
    Theo Geers: Wer die Strompreise erhöht, muss dies seinen Kunden sechs Wochen vorher mitteilen, und deshalb finden in diesen Tagen über 16 Millionen Stromverbraucher, also spätestens in diesen Tagen, eine Post, einen Brief in ihrem Briefkasten. Der Strompreis wird erhöht und die Begründung fällt den Stromversorgern dieses Mal recht leicht. "Wir können nichts dafür, wir geben nur die Kosten weiter, die uns durch die Förderung der erneuerbaren Energien entstehen." So hören es die Stromkunden immer wieder. Tatsächlich wird die Abgabe, mit der die Ökostromförderung hierzulande auf alle Stromverbraucher umgelegt wird, am 1. Januar steigen, von jetzt gut 2 auf dann etwas mehr als 3,5 Cent, und das für jede verbrauchte Kilowattstunde Strom. Das ist ein Anstieg um 70 Prozent, ein Anstieg der Umlage um 70 Prozent, und daraus werden dann die Milliarden, mit denen der Ausbau der erneuerbaren Energien gefördert wird. Wenn aber die Ökostromumlage um 70 Prozent steigt, um wie viel steigen dann die Strompreise für uns Verbraucher? In Deutschland weiß das niemand besser als das Internetportal Verivox, das sämtliche Strompreisänderungen verfolgt. Kurz vor der Sendung habe ich Jürgen Scheurer, den Sprecher von Verivox, gefragt: Wie viele Versorger erhöhen denn jetzt mit Stand heute zum 1. Januar ihre Strompreise?

    Jürgen Scheurer: Also derzeit sind uns rund 144 Preiserhöhungen bekannt. Darunter sind die großen Versorger RWE und EnBW, aber auch viele Stadtwerke, von Güstrow, Leipzig über Lippe bis Augsburg, erhöhen ihre Preise zum Teil um mehr als zehn Prozent.

    Geers: Wie viele Stromkunden hierzulande trifft es denn?

    Scheurer: Nach den bekannten Preiserhöhungen sind davon rund 16 Millionen betroffen, aber es werden auch in den nächsten Tagen noch einige dazu kommen.

    Geers: Das ist das nächste Stichwort. Sie sagten vorhin, 144 Anbieter haben schon bekannt gegeben, um wie viel sie ihre Strompreise erhöhen. Ist das jetzt schon die vollständige Liste, oder werden das noch mehr?

    Scheurer: Also wir wissen von rund 40 weiteren Versorgern bereits, dass sie zumindest die Erhöhung der EEG-Umlage weitergeben werden. Die genauen Preiserhöhungen sind von diesen Versorgern allerdings noch nicht bekannt. Aber es werden in den nächsten Tagen sicherlich noch eine Vielzahl von Anbietern nachziehen und weitere Preiserhöhungen bekannt geben.

    Geers: Um wie viel wird denn jetzt der Strompreis angehoben? Und um das gleich besser einschätzen zu können: begründet wird das ja in diesen Tagen häufig mit der Ökostromumlage, die auch zum 1. Januar erhöht wird. Die lässt die Strompreise steigen. Um wie viel dürften denn dann eigentlich die Endverbraucherpreise steigen, wenn es nur um die Ökostromumlage ginge?

    Scheurer: Also wir haben berechnet, dass diese Erhöhung der EEG-Umlage zu einer Preissteigerung um 7,5 Prozent führen würde, wenn die Versorger diese vollständig weitergeben. Nach den uns bisher bekannten Preiserhöhungen liegen diese im Schnitt bei rund 7,4 Prozent, also in etwa in dieser Größenordnung, und die Erhöhungen reichen von 1,9 Prozent bis hin zu 14,4 Prozent.

    Geers: Wer sind die Ausreißer?

    Scheurer: Augsburg beispielsweise ist im Moment das Stadtwerk, was am meisten erhöht, mit 14,4 Prozent im Grundversorgungstarif.

    Geers: Sind solche exorbitanten Preiserhöhungen eigentlich immer aussagekräftig, oder kann es auch sein, dass so ein Stadtwerk manchmal etwas schlecht im Vergleich, im aktuellen Vergleich dasteht, weil es vielleicht, sagen wir mal, zwei Jahre lang die Preise stabil halten konnte, dafür jetzt aber einen etwas größeren Schluck aus der Preiserhöhungsflasche nehmen muss?

    Scheurer: Genau. Es ist so, dass man immer das bisherige Preisniveau auch beachten muss, in welcher Größenordnung liegen denn die Tarife überhaupt, und es zeigt sich eben bei den bisher bekannten Preiserhöhungen, rund 80 Anbieter erhöhen weniger als diese 7,5 Prozent und 64 erhöhen mehr. Also man sieht auch da schon eine Unterschiedlichkeit. Beispielsweise die Stadtwerke Sindelfingen in Baden-Württemberg erhöhen nur um knapp zwei Prozent, Greven in Nordrhein-Westfalen um drei und Dresden um fünf. Dem gegenüber haben wir aber auch drastische Preiserhöhungen, wie die Rhein-Energie mit 11 Prozent, Stadtwerke Leipzig mit 12,5, oder eben Augsburg mit über 14.

    Geers: Das heißt, es gibt Anbieter, die auf die Ökostromumlage noch etwas draufpacken?

    Scheurer: Ja, die gibt es, denn wie gesagt, im Schnitt wären es diese 7,5 Prozent, und es zeigt sich auch eine unterschiedliche Strategie in der Bekanntgabe der Preise. Beispielsweise hat RWE jetzt nur um 3,7 Prozent erhöht.

    Geers: Steht also optisch gut da!

    Scheurer: ... , steht gut da, hat aber bereits im August schon mal eine Preiserhöhung hinter sich mit rund sieben Prozent. Dem gegenüber hat jetzt die NBW um 9,8 Prozent erhöht, hatte aber eine Preisstabilität seit Juli 2009. Und diese Entwicklungen muss man natürlich beachten, wenn man die Preise vergleicht.

    Geers: Was bedeuten denn diese Preiserhöhungen für einen Haushalt? Nehmen wir mal den durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt und nehmen wir zum Vergleich vielleicht auch noch einen Single-Haushalt.

    Scheurer: Bei einer vierköpfigen Familie mit einem Verbrauch von rund 4000 Kilowattstunden erhöhen sich die Stromkosten im Grundversorgungstarif um durchschnittlich von 968 auf 1037 Euro. Das sind rund 70 Euro mehr im Jahr. Und für einen Single-Haushalt bedeutet die vollständige Weitergabe der Erhöhung der EEG-Umlage immerhin noch Mehrkosten von 43 Euro.

    Geers: Wenn es 70 Euro für einen Mehrfamilien-Haushalt und gut 40 Euro für einen Single-Haushalt sind, Herr Scheurer, dieses Geld, diese Preiserhöhung muss man ja nicht klaglos hinnehmen. Das Geld kann man sich durch einen Wechsel zu einem anderen Versorger locker wieder hereinholen?

    Scheurer: Ja. Die Verbraucher können von der ungleichen Preisgestaltung der einzelnen Versorger stark profitieren, wenn sie sich um ihre Tarife kümmern, und können mit einem Wechsel schon vom Grundversorgungstarif zu einem günstigen verfügbaren Angebot deutlich sparen. Im Durchschnitt bei einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden lassen sich so bei monatlicher Zahlungsweise 220 Euro sparen. Und selbst bei der Wahl von Ökostromtarifen ist es möglich, die Erhöhung jetzt noch zu kompensieren und deutlich mehr zu sparen.

    Geers: Um wie viel?

    Scheurer: Der günstigste verfügbare Ökostromtarif mit Gütesiegel, monatlicher Abschlagszahlung, kostet im Moment 750 Euro. Er ist also um 218 Euro günstiger als das, was der Musterhaushalt im Grundversorgungstarif bezahlen muss. Und das ist schon ein Betrag, der jeder Familie gut tut. Für den Single-Haushalt gilt das in ähnlicher Weise. Er bezahlt derzeit rund 470 Euro für einen Ökostromtarif und würde immer noch 136 Euro sparen.

    Geers: Die Strompreise steigen zum 1. Januar vor allem wegen der Ökostromförderung und der Ökostromumlage, die zum 1. Januar erhöht wird. Aber jeder Verbraucher kann dieser Strompreiserhöhung entgehen, indem er zu einem preiswerteren Anbieter wechselt. Das war Jürgen Scheurer, Sprecher des Internetportals Verivox. Vielen Dank!