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Des Tumors Kern

Früher glaubten Krebsforscher: Alle Krebszellen sind gleich und auch gleich gefährlich. Heute wissen sie: Es gibt Unterschiede zwischen den Zellen. Einige sind besonders wichtig für den Tumor und besonders bedrohlich für den Patienten. Auf dieser Erkenntnis baut ein neues wissenschaftliches Konzept auf, das Krebsstammzellenkonzept.

Von Michael Lange und Martin Winkelheide | 16.09.2007
    "Wenn man mich gefragt hätte vor einigen Jahren, vor drei oder vier Jahren: Wie verschiedenartig sind die Zellen in einem menschlichen Tumor? Dann hätte ich gesagt: Die Krebszellen sind alle gleich."

    "Jetzt verstehen wir – in den letzten zwei oder drei Jahren – dass sich tatsächlich Stammzellen in einem Tumor befinden. Und dass die Stammzellen verantwortlich sind für das Wachstum des Tumors."

    "Wieder so eine Mode."
    "Stammzellen."
    "Wenn man nicht weiter weiß, dann sind es Stammzellen."

    "Ausstieg in Fahrtrichtung links."

    Wenn Zellen sich unkontrolliert teilen – entsteht Krebs. Ein Tumor kann in einem Organ wachsen, dem Darm oder der Lunge zum Beispiel. Oder die Zellen wandern durch den Körper – wie bei einer Leukämie. Je mehr Zellen es sind, umso stärker werden gesunde Zellen von den bösartig wuchernden Zellen verdrängt.

    "”Bei mir wurde eine akute lymphatische Leukämie diagnostiziert.""

    Hanna S. war 19 Jahre alt, als sie die Diagnose Blutkrebs erhielt.

    "”Es gibt drei Risiko-Gruppen und je nach Leukämie wird man eingeteilt. Ich war dann in der Hochrisiko-Gruppe...""

    Hanna S. bekam eine Chemotherapie.

    Die Chemotherapie treibt alle Zellen, die sich schnell teilen, in den Selbstmord. Krebszellen also. Das Ziel der Therapie ist es, möglichst alle Krebszellen zu töten. Die Medikamente greifen aber auch gesunde Zellen an, die sich teilen: wie Haarwurzel- oder Schleimhautzellen. Hanna S.:

    "”Das ist also wirklich schlimm. Die zehren auch kräftemäßig sehr. Man hat den Mund kaputt. Man kann nicht richtig essen. Also ich wusste nachts nicht, wie ich mich hinlegen soll, um zu schlafen. Das war wirklich schrecklich. Nachher habe ich es nicht mal mehr zum Toilettenstuhl geschafft, um meine Geschäfte zu machen.""

    Heute geht es Hanna S. wieder besser. Sie hat ein Studium aufgenommen und sie betreibt wieder ihr Hobby: Motorradfahren. Hanna S.:

    "”Ich habe die Möglichkeit, dass ich die Krankheit überleben kann und die nehme ich wahr.""

    Alle sechs Wochen muss sie in die Klinik. Dort wird ihr zur Untersuchung Blut abgenommen. Hanna S.:

    "”Bei einer Leukämie ist das ja so, die kann immer wieder kommen. Man hat es ja nicht so, dass wenn zehn Jahre nichts kommt, dann ist es gut, dann ist man geheilt, sondern das bleibt ein Leben lang bestehen.""

    "Im Grunde sind wir doch gar nicht so schlecht."
    "Als ich angefangen habe, da war Krebs noch ein Todesurteil."
    "Wir sind auf dem richtigen Weg."
    "Wir machen Fortschritte. Manchmal können wir Krebs sogar heilen. Vor 50 Jahren hätte das doch keiner für möglich gehalten. Brauchen wir da neue Theorien?"
    "Diese Mäusedoktoren haben doch noch nie einen richtigen Patienten gesehen.
    Stammzellen?!"

    "Ausstieg in Fahrtrichtung rechts."

    Viele Krebsbehandlungen sind erfolgreich. Zunächst einmal. Aber manchmal kommt es - auch Jahre später – zu einem Rückfall. Die Erklärung: Trotz Operation, Chemo- oder Strahlentherapie sind Krebszellen im Körper zurückgeblieben. Irgendwann haben sie begonnen, sich zu teilen und neue Tumore zu bilden. Heute glauben einige Wissenschaftler, diese Zellen zu kennen. Sie sprechen von Stammzellen – Krebsstammzellen.

    "Nehmen wir an, wir haben einen Tumor, der hat vielleicht eine Million Zellen, dann sind in diesen Zellen vielleicht nur 100 oder 1000 Zellen Tumorstammzellen. Der gesamte Rest sind keine Krebsstammzellen. Die machen aber die Masse des Tumors aus."

    Andreas Trumpp vom Schweizerischen Institut für experimentelle Krebsforschung (ISREC) in Epalinges. Trumpp:

    "Und unsere klassische Chemotherapie, die wir zur Zeit verwenden, die tötet und ist sehr effizient gegen die Nicht-Stammzellen. Das heißt: Initial schrumpft der Tumor, und man hat im Moment das Gefühl: Wow! Die Therapie hilft. Aber dadurch, dass die Krebsstammzellen nicht bekämpft werden, sind diese wenigen Zellen in der Lage, nach einer gewissen Zeit, den Tumor wieder neu entstehen zu lassen. Alle anderen Zellen können das nicht."

    Früher glaubten Krebsforscher: Alle Krebszellen sind gleich und auch gleich gefährlich. Heute wissen sie: Es gibt Unterschiede zwischen den Zellen. Einige, die Krebsstammzellen, sind besonders wichtig für den Tumor und besonders gefährlich für den Patienten. Auf dieser Erkenntnis baut ein neues wissenschaftliches Konzept auf. Das Krebsstammzellenkonzept. Es besagt: Wer den Tumor besiegen will, muss die Krebsstammzellen vernichten.

    "Im Grunde ist das doch wie mit den Bakterien. """Du schüttest Antibiotika drauf. "
    ""Viele Bakterien sterben, aber eines schafft es, zu überleben. """Es ist irgendwie geschützt. "
    ""Tack, vermehrt es sich wie blöd. """Warum soll das beim Krebs anders sein? "
    ""Eine Zelle ist besser als die anderen – und überlebt die Chemo. """Das erklärt doch alles. Da brauche ich doch keine Stammzellen. "

    ""Ausstieg in Fahrtrichtung rechts."
    "Ich bin im Jahre 1942 in Pittsburgh, Pennsylvania, geboren."

    Das Whitehead Institute in Boston. Eines der weltweit führenden Zentren für biologische Grundlagenforschung. Das Büro des Krebsforschers Robert Weinberg.
    Seine Eltern waren Deutsche. Gerade noch rechtzeitig gelang den Juden die Flucht aus Nazi-Deutschland nach Amerika. Weinberg:

    "Vorher war mein Vater Zahnarzt in Dortmund und mein Großvater Weinhändler in Dortmund. Mein Vater hat Zahnheilkunde weiterhin ausgeübt in Pittsburgh, und mein Großvater wurde Nähmaschinen-Reparatur-Experte in Pittsburgh. Also: Das Leben hat sich verändert in Pittsburgh. Anfang 38 kamen sie raus."

    Auf dem kleinen Tisch mitten im Büro ein Taschenbuch aus Deutschland. Der Autor: Walter Kempowski. Weinberg:

    "Zu Hause hat man hauptsächlich Deutsch gesprochen. Und als ich in die Schule kam in Pittsburgh, sprach ich Englisch mit einem starken deutschen Akzent. Aber dann hat es nur ein paar Monate gedauert, bis meine Sprache sich umgewandelt hat."

    Bekannt wurde Robert Weinberg Ende der 70er Jahre, als er entdeckte, dass einzelne Erbanlagen eine normale Zelle in eine Krebszelle umwandeln können. So genannte Onkogene. Seitdem gehört Weinberg zur Elite der Krebsforscher.
    Seine Entdeckung basierte auf einem gentechnischen Experiment. Weinberg:

    "Wir haben DNS aus Tumorzellen präpariert und DNS eingeführt in normale Zellen, und danach wurden die normalen Zellen bösartig und plötzlich konnten sie Tumoren selber bilden."

    Seit 25 Jahren sucht Robert Weinberg mit seiner Arbeitsgruppe am Whitehead Institute eine Antwort auf die Frage: Was muss geschehen, damit aus einer normalen Körperzelle eine Krebszelle wird? Das erforschte Weinberg an Zellen und an Tieren. Weinberg:

    "Es hat bis zum Jahr 1999 gedauert, bis wir endlich festgestellt haben, dass fünf verschiedene genetische Änderungen unbedingt nötig sind, um eine normale Zelle in eine Tumorzelle umzuwandeln. Wir haben festgestellt, dass diese fünf Gene wichtig sind für die Transformation von normalen Zellen in Tumorzellen von verschiedenen Geweben, von verschiedenen Körperteilen. Wir wissen heute noch nicht im menschlichen Körper, wie viele Gene nötig sind, vermutlich sind es fünf oder sechs oder sieben. Das wissen wir immer noch nicht."

    Hunderte Arbeitsgruppen suchen heute nach Erbanlagen, die typisch sind für bestimmte Krebsarten.

    Es gibt inzwischen mehrere "Krebsgenomprojekte" auf der Welt. Mit modernen Geräten analysieren die Wissenschaftler das gesamte Erbgut einzelner Krebszellen: jeweils alle drei Milliarden Erb-Bausteine. Dann vergleichen sie die genetische Information aus den Krebszellen mit dem Erbgut gesunder Zellen. Sie wollen wissen: Gibt es für Krebszellen typische Veränderungen? Das Ziel ist, Ansatzpunkte zu finden für neue Wirkstoffe gegen verschiedene Tumorarten.

    Ob das zum Erfolg führen wird, ist mittlerweile umstritten. Viele Eigenschaften eines Tumors lassen sich mit den Genen allein nicht erklären. Seit 1997 gibt es eine neue Forschungsrichtung. Sie konzentriert sich – nicht auf die Gene – sondern auf Zellen und deren besonderen Eigenschaften.
    Es begann an der Universität von Toronto.

    Der kanadische Krebsforscher John Dick untersuchte Patienten mit einem besonders aggressiven Blutkrebs, der akuten myeloischen Leukämie. Er isolierte aus ihrem Blut Krebszellen und spritzte diese in Mäuse. Die meisten Krebszellen machten die Mäuse nicht krank. Die Zellen starben nach einiger Zeit ab. Aber John Dick fand einige besondere Krebszellen. Nur diese waren in der Lage, bei den Mäusen Krebs auszulösen. Es gelang ihm, diese Zellen zu isolieren – und die Beschaffenheit ihrer Oberflächen zu beschreiben. Die 1997 erstmals entdeckten Zellen bezeichnete er als "Krebsstammzellen".

    Es dauerte einige Jahre, bis das Wissen um diese besonderen Zellen in der Krebsforschung Anerkennung fand. Die Forscher suchten Krebsstammzellen in anderen Tumoren - und fanden sie: in Brustkrebs, Prostatakrebs, in Gehirntumoren. Nach und nach wurde klar, dass sich bisher ungelöste Fragen mit dem Modell der Krebsstammzellen besser erklären lassen. Etwa die Frage: Warum sind einige Krebszellen gefährlicher als andere? Warum überleben einige wenige Zellen die Strahlen- oder Chemotherapie? Der Bostoner Krebsforscher Robert Weinberg hat früh erkannt, dass die Tumor-Biologie auf ein neues Fundament gestellt werden kann. Die Vorstellung: Ein Tumor ist hierarchisch aufgebaut. An der Spitze stehen die Stammzellen. Sie bilden ständig neue Zellen, und das macht den Tumor unsterblich. Weinberg:

    "Wenn man von Unsterblichkeit spricht, scheinbar spricht man von der Unsterblichkeit von der Stammzelle, weil die sonstigen Zellen im Tumor wirklich sterblich sind."

    Das Stammzellenkonzept liefert neue Erklärungen dafür, wie das Leben in einem Tumor organisiert ist. Nach dem Krebsstammzell-Konzept funktioniert ein Tumor also ähnlich wie ein Organ. Die Zellen erfüllen verschiedene Aufgaben. Weinberg:

    "Wenn man ein Karzinoma betrachtet, dann sieht man, wie inhomogen der Tumor ist. Man sieht Krebszellen, darunter auch Stammzellen, und es gibt verschiedene normale Zellen, die eingebracht werden vom Blutstrom aus dem Nachbargewebe, die benutzt werden vom Tumor, um neue Blutgefäße auszubilden."

    Robert Weinberg hofft, dass dieses Verständnis hilft, die großen Herausforderungen der Krebsbehandlung zu meistern. Weinberg:

    "Bisher hat ein Onkologe, wenn er einen Tumor von zehn Zentimetern auf einen Zentimeter reduziert hat, dann hat er das als Erfolg betrachtet. Jetzt verstehen wir, dass die Größe eines Tumors nicht wichtig ist, sondern wie viele Stammzellen nach der Therapie noch vorhanden sind. Das ist wichtig. Wenn man die Stammzellen nicht tötet, dann kann der Tumor sofort wieder zurückwachsen. Weil wir nicht in der Lage sind, die Stammzellen zu zählen, ist es schwierig zu sagen, wie erfolgreich verschiedene Therapien sind oder werden könnten. Wir müssen in den nächsten Jahren genau wissen, wie man Stammzellen zählt in einem Tumor, um nachher zu wissen, wie erfolgreich eine besondere Therapie sein kann oder nicht sein kann."


    "Erst machen sie alle in Genetik."
    "Jahrelang. "
    "Hauen da ein irres Geld weg, Milliarden. "
    "Und jetzt ist das alles Schnee von gestern? "
    "Forscher hört die Signale. "
    "Auf zum nächsten Projekt…"
    "Ausstieg in Fahrtrichtung links. "

    Ein fensterloser kleiner Raum. Er gehört zum Forschungslabor der Kinderklinik Boston. Jörg Faber, ein Mediziner aus Mainz, erforscht hier Krebsstammzellen.

    "So, in diesem Raum sehen Sie ein wichtiges Kernstück unserer Forschungsarbeit, der so genannte Cell Sorter..."

    Ein Gerät, das Zellen erkennt und sortiert. Faber:

    "Es ist erst einmal ein großer grauer Kasten. Und wie Sie hier sehen können: Am Boden des Gerätes haben wir zwei Töpfchen, eines rechts und eines links. Und Sie können sich vorstellen, dass jetzt in dem linken Töpfchen die grün markierten Zellen, die uns interessieren aufgefangen werden, und in dem rechten Töpfchen quasi der Abfall, den wir verwerfen wollen."

    Die Forscher sammeln zunächst die Krebszellen – zum Beispiel Blutkrebszellen. Auf die Zellen werden Farbstoffe gegeben, die an Spezial-Moleküle gekoppelt sind. Diese heften sich an Oberflächen-Strukturen, die typisch sind für Krebsstammzellen. Das Ergebnis: die Krebsstammzellen leuchten grün - und die anderen Zellen nicht. Faber:

    "Wir packen alle Zellen in das Gerät. Quasi wie mit einem Trichter werden die Zellen oben hereingefüllt. Dann kann man dem Gerät sagen: Bitte filtere alle Zellen heraus und separiere sie von dem Rest. ... Zum Beispiel: Suche mir alle Zellen heraus mit Oberflächenmarkern, von denen wir wissen, dass sie auf Stammzellen vorkommen."

    Nur dank dieser Technik ist es möglich, Krebsstammzellen zu erkennen und zu zählen.

    "”Unter dem Mikroskop sehen Krebsstammzellen genauso aus wie alle anderen Tumorzellen.""

    Scott Armstrong. Der Mediziner leitet die Arbeitsgruppe an der Kinderklinik Boston, zu der Jörg Faber gehört. Armstrong:

    "Wir haben in unserem Labor einige Methoden entwickelt, mit denen wir Krebsstammzellen erkennen können. Aber das gelingt nur, wenn wir die Zellen entnehmen. Im Körper eines Patienten können wir die Stammzellen nicht zählen. Genau das müssten wir aber, um den Erfolg einer Therapie bewerten zu können."

    1997 wurden die ersten Krebsstammzellen entdeckt. Von dem kanadischen Wissenschaftler John Dick in Toronto. Im Blut von Patienten mit Leukämie. Das war der Anfang. Armstrong:

    "”Inzwischen wurden Krebsstammzellen in Tumoren von verschiedenen Organen gefunden: bei Darmkrebs, in Gehirntumoren und so weiter. Ob in einem solchen soliden Tumor mehr oder weniger Krebsstammzellen sind als bei einer Leukämie, das wissen wir nicht. Was uns auch hier fehlt, ist die Möglichkeit, die Krebsstammzellen im Körper der Patienten irgendwie zu markieren.""

    Im Körper sterben ständig Zellen, und neue Zellen werden gebildet.

    Die Darmschleimhaut erneuert sich täglich, die Haut wöchentlich und die Muskeln etwa einmal im Monat. Die neuen Zellen entstehen aus Stammzellen – so genannten "adulten Stammzellen". Sie kommen in allen Organen vor – sogar im Gehirn. Durch Teilung können sich Stammzellen vermehren. Und aus ihnen können unterschiedliche Zelltypen heranreifen. Ein Beispiel: Aus den Blutstammzellen reifen die roten Blutzellen, die den Sauerstoff durch den Körper transportieren, aber auch weiße Bluttzellen und Blutplättchen. Aufgabe der adulten Stammzellen ist es, Körpergewebe zu erneuern und bei Bedarf zu reparieren.

    "Plötzlich ist der Tumor da."
    "Warum? "
    "Alles Psycho? Das war mal. Abgehakt. "
    "Vielleicht doch die Umwelt? Holzschutzmittel, Tschernobyl, PCB, Dioxin und der ganze Dreck? Da redet heute kaum mehr einer drüber."
    "Und die Gene? Erst eins, dann zwei, dann das Dutzend voll: Onko-, Tumorsuppressor-Gene? "
    "Wann wird man je verstehen, wann wird man je verstehen? "

    "Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. "

    Scott Armstrong von der Kinderklinik Boston will wissen: Wie entstehen Krebsstammzellen? Aus welchen Zellen gehen sie hervor? Armstrong:

    "Am besten können wir das am Beispiel der Leukämie erforschen. Aus dem Blut von Mäusen können wir Blutstammzellen isolieren, reinigen. Wir bringen Krebsgene in die Zellen hinein, und dann fragen wir uns: Lässt sich so eine Blutstammzelle in eine Krebsstammzelle verwandeln? Die Antwort ist eindeutig: Ja. "

    Die adulten Stammzellen teilen sich.

    Wenn sich adulte Stammzellen vermehren, können neue adulte Stammzellen entstehen. Aber auch Zellen, die schon etwas spezialisiert sind: so genannte "Vorläuferzellen" oder "Progenitorzellen". Für Blut-Progenitorzellen bedeutet das: Aus ihnen können zum Beispiel noch verschiedene weiße Blutzellen hervorgehen – etwa T-Zellen oder B-Zellen. Aber nicht mehr rote Blutzellen oder Blutplättchen.

    Scott Armstrong wollte erforschen, ob auch aus solchen Progenitorzellen durch die entsprechenden genetischen Veränderungen Krebsstammzellen werden können. Armstrong:

    "”Wir können diese Progenitorzellen isolieren und reinigen und wieder ganz bestimmte Onkogene in die Zellen hineinbringen. Dann wandeln sich auch diese Zellen um in Leukämie-Stammzellen. Damit haben wir jetzt bewiesen: Nicht nur adulte Stammzellen können zu Krebsstammzellen werden, sondern auch reifere Zellen können die Ursprungszellen sein für einen Tumor. ""

    Die Krebsstammzellen in einem Tumor können also unterschiedlichen Ursprungs sein. Für die Forscher stellt sich die Frage: Hat das eine praktische Bedeutung? Armstrong:

    "”Wir glauben: Eine Leukämie ist dann besonders gefährlich, wenn sie aus einer Blutstammzelle entstanden ist. Denn die Chemotherapie wirkt schlechter, als wenn der Krebs durch eine stärker spezialisierte Zelle entstanden ist. Höchstwahrscheinlich ist es so. Aber es ist noch nicht bewiesen. ""

    Es könnte sich herausstellen, dass es für die Behandlung wichtig ist, zu wissen, aus welcher Zelle ein Krebs entstanden ist. Je nach Herkunft müsste die Therapie angepasst werden. Aber so weit ist es noch nicht. Die Forschung hat gerade erst begonnen.

    "Alles was die präsentieren können, sind Laborversuche. "
    "Im Körper hat die Stammzellen doch noch keiner gesehen. "
    "Sollen sie doch erst mal zeigen, wie das gehen soll. "
    "Theorie – schön und gut. "
    "Zeigt mir Erfolge. "

    "Ausstieg in Fahrtrichtung links. "

    "Was die Idee im Moment ist, dass man im Prinzip die klassische Chemotherapie verbinden muss mit einer Therapie, die speziell Krebsstammzellen eliminiert."

    Andreas Trumpp vom Schweizerischen Institut für experimentelle Krebsforschung will wissen, wie sich Krebsstammzellen vor der Chemotherapie schützen. Für ihn gibt es vier Hauptfaktoren. Trumpp:

    "Erstens. Die Krebsstammzellen teilen sich extrem wenig und schlafen wahrscheinlich die meiste Zeit ihres Lebens. Das ist ganz genau gleich mit den normalen Stammzellen. "

    Einer ruhenden Zelle kann die Chemotherapie nichts anhaben. Trumpp:

    "Das zweite ist: Normale Stammzellen wie Krebsstammzellen exprimieren bestimmte Transportermoleküle, die kleine Moleküle wie zum Beispiel chemotherapeutische Moleküle aus der Zelle rauspumpen. Das heißt, auch das macht sie resistent gegen die klassische Chemotherapie. "

    Die Folge: die Medikamente bleiben nicht in der Krebsstammzelle. Trumpp:

    "Drittens gibt es Hinweise, dass Krebsstammzellen ein wesentlich besseres DNA-Reparatur-System besitzen und schneller ihre DNA reparieren können. Zum Beispiel durch Bestrahlung wird die DNA geschädigt, und es gibt Hinweise, dass Stammzellen wie auch Krebsstammzellen diese DNA-Brüche schneller und besser und effizient reparieren können, das heißt, dass sie dann nicht absterben. "

    Und: Krebsstammzellen können sich verstecken. Trumpp:

    "Viertens: Die Krebsstammzellen sitzen wie die normalen Stammzellen auch in einer bestimmten Mikroumgebung, die wird "Nische" oder "Stammzellnische" genannt. Und diese Stammzellnische schützt die Krebsstammzelle vor Auswirkungen von der Peripherie. "

    Egal wie viel Wirkstoff im Blut zirkuliert, in der Nische bleibt die Dosis gering. Das heißt, wenn die Forscher die Krebsstammzellen attackieren wollen, müssen sie es schaffen, die Zellen aus der Nische herauszulocken. Trumpp:

    "Man kann diese sich im Winterschlaf befindlichen Krebsstammzellen mit Hilfe von Faktoren alle effizient aufwecken, so dass sie alle wieder anfangen, sich zu teilen, und dann sollten sie gegen die klassische Chemotherapie, die sich gegen sich teilende Zellen richten, sollten diese angreifbar und vernichtet werden können. "

    Aber was, wenn dieser Weckruf auch von anderen Zellen gehört wird? Zum Beispiel von adulten Stammzellen.

    Adulte Stammzellen sorgen dafür, dass sich unser Körper ständig regeneriert. Wie Krebsstammzellen ruhen auch sie die meiste Zeit in Stammzellnischen, bis sie gebraucht werden. Dann beginnen sie, sich zu teilen. Ein Weckruf könnte auch die adulten Stammzellen in die Teilung treiben.

    Das wäre gefährlich. Denn Zellen, die sich teilen, sind angreifbar für die Chemotherapie. Trumpp:

    "Die Befürchtung ist natürlich, dass man nicht nur die Krebsstammzellen sondern auch die normalen Stammzellen abtötet, und das hätte natürlich fatale Folgen. Und da muss man natürlich ein Fenster finden. Da man erhofft, dass die Krebsstammzellen wahrscheinlich sensitiver zu solchen Faktoren sind als die normalen Zellen. Da muss man eben die richtige Dosierung finden, wie eben in der Chemotherapie auch. "

    Forscher probieren auch andere Wege, die Krebsstammzellen auszutricksen. So versuchen sie, die Transportmoleküle lahm zu legen, mit denen die Zellen die Chemotherapie-Wirkstoffe wieder herauspumpen. Damit wären die Krebsstammzellen empfindlicher gegenüber der Chemotherapie. Außerdem gibt es den Ansatz, Krebsstammzellen zu zwingen, sich weiter zu entwickeln. Die Idee: Sie differenzieren sich, verlieren so ihren Stammzell-Status. Kurzum: Sie werden angreifbar. Die Konzepte sind klar und schlüssig. Aber wie so oft in der Krebsforschung ist ihre Umsetzung schwierig. Trumpp:

    "So wie es aussieht, muss man wahrscheinlich verschiedene Ansatzpunkte zusammennehmen, um wirklich die Krebsstammzellen von verschiedenen Seiten effizient angreifen zu können, ohne normale Stammzellen auch mit abzutöten. "

    Der erste Tumor ist für die meisten Patienten nicht lebensbedrohlich. Das Problem aber sind Tochtergeschwülste – so genannte Metastasen.

    Früher glaubte man, dass der Tumor Krebszellen "streut". Diese Zellen teilen sich und bilden an verschiedenen Stellen des Körpers kleine, neue Tumore. Sie lassen sich schwerer bekämpfen als der Ursprungstumor. Das neue Konzept der Krebsstammzellen liefert hier eine neue Erklärung für die Entstehung von Metastasen. Wie alle Stammzellen, so sind auch Krebsstammzellen in der Lage zu wandern. Sie suchen eine neue Nische, nisten sich ein. Und wenn sie aktiv werden, beginnen sie, einen neuen Tumor aufzubauen.

    Ob Metastasen tatsächlich so entstehen, ist noch nicht bewiesen. Robert Weinberg und sein Team am Whitehead Institute in Boston haben begonnen, das genauer zu untersuchen. Weinberg:

    "Wir wissen nicht, ob Stammzellen zu Metastasen führen, und wir wissen nicht, ob Stammzellen wirklich viel mehr Potenz haben, eine Metastase zu beginnen, als die anderen Zellen vom Tumor. Was wir heute wissen, ist nur eine Vermutung. Das heißt: Man denkt, dass die Stammzellen möglicherweise zu Metastasen führen können, aber das ist nur eine Hypothese zurzeit. "

    Wer Krebs heilen will, muss Metastasen erfolgreich bekämpfen – oder besser noch: verhindern, dass sie entstehen. Aber so weit sind die Forscher noch nicht. Sie klären erst die Grundlagen.

    "Die verstecken sich, die Zellen. "
    "Könnte ja sein: Der Krebs taucht ab. "
    "In eine "Nische" – von mir aus. "
    "Die Zellen schlafen und vermehren sich plötzlich wieder. "
    "Ob ich die jetzt "Stammzellen" nenne – oder sonst wie. "
    "Das wäre ja ein Erklärungsansatz, wenigstens. "
    "Mag ja stimmen. "
    "Aber, dann will ich auch Beweise sehen. "

    "Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. "

    Wenn sich das Stammzellen-Konzept als richtig erweist, kommt es darauf an, die Stammzellen zu besiegen. Ohne Stammzellen kann der Tumor weder wachsen – noch sich erneuern. Er stirbt ab. Diese Einfachheit macht die Überzeugungskraft der neuen Sichtweise aus. Trotz aller offenen Fragen. Robert Weinberg ist überzeugt: Hier wurde eine neue Tür geöffnet.

    "Vor drei oder vier Jahren dachten wir, dass wir das ganze Problem verstanden haben, jetzt wissen wir, dass es eine neue Dimension gibt. Das heißt, dass wir die Stammzellen auch irgendwie in die Rechnung einführen müssen. Und das hat wirklich alles umgeändert. """Ich müsste… ich könnte… Ja, ja.""
    "Vielleicht. Muss ich noch mal drüber nachdenken."

    "Ausstieg in Fahrtrichtung links."