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Twitter als Plattform für DeSantis-Kandidatur
Der „Vogel“ macht die Schlagzeilen jetzt selbst

Ron DeSantis verkündet, US-Präsident werden zu wollen, Tucker Carlson soll eine Sendung erhalten – Twitter wächst vom Kurznachrichtendienst zum Medienhaus mit eigenen Inhalten. Interessant ist das auch für Europas Medienhüter.

Text: Michael Borgers | Tobias Endler im Gespräch mit Isabelle Klein | 24.05.2023
Floridas Gouverneur Ron DeSantis bei einer Veranstaltung
Floridas Gouverneur Ron DeSantis will US-Präsident werden - und gilt damit als größer Konkurrent für Donald Trump (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Ron Johnson)
Der Vogel sei befreit, twitterte Elon Musk Ende Oktober 2022 nach Übernahme des Unternehmens. Was er damit meint, hat Musk seitdem mit zahlreichen Änderungen deutlich gemacht: Musk will mit Twitter inhaltlich mitmischen. Die Zeiten im Käfig als bloße Plattform scheinen vorüber, der befreite Vogel soll nun auch eigene Inhalte produzieren. Inhalte, die im besten Fall dann wieder selbst Schlagzeilen produzieren?
Der bislang größte öffentliche Aufschlag gelang Musk mit der Ankündigung von Tucker Carlson, Twitter solle künftig die neue Heimat für seine Sendung sein. Der Moderator war kurz zuvor von Fox News gefeuert worden, seine Pläne verkündete er in einem dreiminütigen Videoclip – natürlich auf Twitter. Musk betonte daraufhin in einem Tweet seinerseits, Carlson werde „denselben Regeln“ wie jeder andere Twitter-User unterliegen. Er hoffe, „dass auch viele andere, insbesondere aus der Linken, ebenfalls Inhalte auf dieser Plattform produzieren“.

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Dass Musk aber Twitter nicht unbedingt als Plattform für „die Linken“ sieht, daraus hat er ebenfalls niemals einen Hehl gemacht. Der High-Tech-Milliardär sieht sich als Verfechter eines freien Meinungsaustauschs, in dem rechtskonservative Positionen – so wie auch seine eigenen – insgesamt zu kurz kommen würden in der Medienlandschaft der USA.
Was Musk damit meinen könnte, bewies er jüngst erneut, als er auf Twitter schrieb, der jüdische Finanzier und Holocaust-Überlebende George Soros hasse die Menschheit und wolle „die Struktur der Zivilisation zersetzen“. Eine Aussage, die Israels Außenministerium als eine mit "antisemitischem Beigeschmack" kritisierte – und Musk daraufhin mit seiner persönlichen Redefreiheit verteidigte. Soros ist regelmäßig Ziel von antisemitischen Angriffen und Verschwörungserzählungen.

Der „Coup“ DeSantis für Musk

Nun ist Twitter also der Ort, an dem Ron DeSantis, der Vater des „Don’t say gay“-Gesetzes, seine Kandidatur für die republikanische Präsidentschaftskandidatur 2024 verkündet. Ausgerechnet Fox News bestätigte die Meldung, dass Floridas Gouverneur sich im sogenannten Space äußern werde, also dem Dienst von Twitter, wo Audio-Live-Gespräche möglich sind. Moderator des Interviews: Elon Musk persönlich.
Der Auftritt werde DeSantis „das Gehör der riesigen Fangemeinde von Herrn Musk sichern“, so analysiert die britische BBC. Und weiter heißt es dort: „Musk seinerseits wird dies als einen Coup betrachten - er möchte, dass große Momente live auf Twitter übertragen werden. Er ist besonders an Twitter Spaces interessiert, wo Millionen von Menschen ein Interview auf der Plattform verfolgen können.“
Neu bei Twitter unter Musk ist außerdem: Längere Videoinhalte sind inzwischen möglich. Bis zu 60 Minuten können nun dort hochgeladen werden, wo es einmal vor allem um 140 Zeichen gegangen ist. Das Angebot gilt allerdings nur für diejenigen, die sich für den kostenpflichtigen blauen Haken von Twitter Blue entschieden haben.

Amerikanist Ender: DeSantis übernimmt Trumps Medium

Die Verkündung der Kandidatur auf Twitter sei zwar „ungewöhnlich“, sagt der Amerikanist und Politologe Tobias Endler. Aber DeSantis müsse eben auch sein Profil gegenüber Ex-Präsident Donald Trump schärfen. Und hierzu gehöre offenbar, das Medium zu übernehmen, ohne das Trump 2016 niemals gewonnen hätte. Trump auf Twitter, das sei eine „Erfolgsgeschichte gewesen“, so Endler im Deutschlandfunk, ohne die Plattform wäre der Republikaner nicht ins Weiße Haus gelangt, ist er überzeugt.
Allerdings liege in dieser Strategie auch eine Gefahr: Das Trump-Lager könnte Endler zufolge DeSantis vorwerfen, sich für eine „ungefährliche Form“ entschieden zu haben. „Weil es keine spontanen Zwischenrufe oder -fragen von Journalistinnen und Journalisten geben kann, weil alles unter Kontrolle ist, weil er sich auch noch den Chef des Unternehmens mit auf die Bühne holt. Was soll da schiefgehen?“ So könnte Trump sagen: „Das ist der falsche Weg, ich debattiere mit den Menschen.“

Medienrechtler Cole: „Geht das in Richtung politische Werbung?“

Und was bedeutet es nun, wenn Musk Twitter zum Medienunternehmen neuer Couleur ausbaut? Für die Politik beginnt nun eine Phase der verschärften Beobachtung, sagte der „Tagesspiegel“ bereits nach der Übernahme vor gut acht Monaten voraus.
Doch um genau abschätzen zu können, wie sich die „klimatischen Veränderungen“ bei Twitter auswirken, sei es noch immer zu früh, sagt Mark D. Cole Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht in Saarbrücken/Brüssel.
Und den Veränderungen könnten am Ende auch nur "schnöde Business-Motive" zugrunde liegen, gibt Amerikanist Endler zu bedenken. Musk brauche Aufmerksamkeit, um die Menschen zurückzuholen, die Twitter nach einem holprigen Start verloren habe.

Und in Europa: Warten auf das Digital Services Act

Fest stehe, so Mark D. Cole gegenüber dem Deutschlandfunk, dass sich Twitter verändert habe. Und die Notwendigkeit für die Medienhüter in der Politik, genauer hinzuschauen, sei größer geworden. „Geht das in Richtung politische Werbung?“, sei beispielsweise eine Frage, die sich stellen könne.
Denn eine solche Werbung müsste potentiell nach zukünftiger EU-Regulierung als solche klar gekennzeichnet werden. Auch die baldige Anwendung des Digital Services Act auf Plattformen wie Twitter werde Auswirkungen haben.

"Verpflichtungen als eventueller Medienintermediär"

Doch selbst mit mehr politischen Inhalten und mehr Videos bleibe Twitter am Ende ein individueller Social-Media-Dienst, stellt der Medienrechtler fest. Und dazu einer mit Sitz in den USA, also noch „ganz weit weg“ von einer Medienangeboten vergleichbaren Gestalt und damit für Fragen einer etwaigen Zulassungspflichtigkeit.
Zugriffsmöglichkeiten für eine Regulierung aus Deutschland, etwa durch die Landesmedienanstalten, bestehen aber hinsichtlich der Verpflichtungen als eventueller Medienintermediär, und diese könnten zukünftig zunehmen.
Für ihn stelle sich aber vor allem auch die Frage, wie etwa öffentliche Einrichtungen selbst künftig mit Twitter umgehen würden – und hier spreche er nicht als Rechtsexperte, unterstreicht Cole.
Jeder Einzelne müsse sich bereits diese Frage stellen, und beispielsweise die Bundesregierung oder Behörden müssten sich gleich zweimal fragen: „Ist das das Umfeld, in dem ich mich aufhalten will?“