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Design mit Migrationshintergrund
"Mode ist politisch"

"Wir wollten zeigen, dass Mode immer ein Spiegel der Gesellschaft ist", sagte Antje Drinkuth von der Akademie Mode und Design im Dlf. Gemeinsam mit Olga Blumhardt hat sie das Buch "Traces - Fashion & Migration" herausgebracht. Darin präsentieren die Autorinnen auch, was kreative Menschen auf der ganzen Welt verbindet.

Olga Blumhardt und Antje Drinkuth im Corsogespräch mit Sören Brinkmann |
    Vladimir Karaleev präsentiert seine neueste Kollektion auf der Berliner Fashion-Week 2017. Eine junge Frau trägt eine Abendrobe mit glitzerndem Tigerfellbesatz (Bild: imago stock&people / Simon Kuhlmey)
    Mode mit ethnischen Einflüssen: Der bulgarische Modeschöpfer Vladimir Karaleev zeigte seine Entwürfe bei der Berliner Fashion-Week 2017 (imago stock&people)
    Sören Brinkmann: Auf welche Spurensuche sind Sie gegangen?
    Antje Drinkuth: Ja, der Titel ist eigentlich während des Prozesses entstanden. Das Thema des Buches ist ja Migration, also Mode und Migration, und irgendwann kam dann "Traces" auf – und das hat uns gut gefallen. Weil es eben um Spuren geht, die Migration in der Mode hinterlässt. Und da haben wir sehr viele Facetten versucht abzudecken: Das geht über Modefotografie, über Designer, die Migrationshintergrund haben, über: wie beeinflusst Migration Mode in Bezug auch auf religiöse Themen? Das waren alles Facetten, die wir versucht haben abzudecken in dem Buch.
    "Mode wird in Deutschland nicht als Kulturphänomen verstanden"
    Brinkmann: Ja. Sie schreiben im Vorwort ja zum Beispiel auch, dass es Ihnen wichtig war, die Potenziale zu zeigen, die darin liegen, vielfältige kulturelle Einflüsse aufzugreifen. Werden diese Potenziale ausgeschöpft, wenn man auf Deutschland guckt in der Mode, Frau Drinkuth?
    Drinkuth: Ich möchte noch mal ergänzen, dass es uns eigentlich um verschiedene Sachen ging. Einmal ging es … natürlich lag das Thema Migration - auch im Zusammenhang mit Flucht, 2015 - sehr in der Luft, aber das war natürlich nicht das Primäre. Uns ging es eigentlich darum, etwas Inhaltliches zu schaffen. Was eben in Deutschland ja nicht immer so ist, dass Mode als Kulturphänomen verstanden wird. Das war das Eine.
    Das Andere war, dass wir ein positives Signal setzen wollten, dass Migration etwas Positives darstellen kann, besonders in der Mode. Weil es da eben sehr viel um die Vermischung von Kultur auch geht und um Vielfalt. Und das Andere war, dass wir eigentlich so einen Hybrid schaffen wollten, aus wissenschaftlichen Texten, journalistischen Formaten – aber auch sehr, sehr zeitgeistaffinen, anspruchsvollen Bildwelten. Und gerade in dieser wahnsinnig schnellen Zeit wollten wir auch ein Printwerk schaffen, das eine hohe Qualität hat. Weil es doch viele Menschen gibt, die auch gerne lesen oder sich Bilder noch anschauen – und nicht nur schnell dahinwischen. Das war eigentlich unser Anspruch.
    Musik und Essen sind der Mode voraus
    Brinkmann: Davon ist das Buch ja auch geprägt, dass es wirklich sehr viele – auch großformatige – Abbildungen gibt, die wirklich eine ganz bunte Welt zeigen. Und ich würde gerne noch mal darauf eingehen, dass Sie im Vorwort eben schreiben, dass es das große Potenzial gibt, das in diesen kulturellen Einflüssen liegt, die nach Deutschland kommen – oder mit Migranten auch kommen. Würden Sie sagen, dass dieses Potenzial in Deutschland gehoben wird?
    Olga Blumhardt: In der Mode auf jeden Fall nicht, weil es eben überhaupt nicht thematisiert wird. Also wenn Sie jetzt zum Beispiel auf die Musikszene schauen oder vielleicht auch, wenn es um Kulinarisches geht: Dann ist Migration ja schon auf jeden Fall etwas, was total in Fleisch und Blut übergegangen ist. Jeder geht zum Italiener, zum Chinesen, zum Spanier. Oder jeder hört auch Weltmusik oder kann damit was anfangen. Aber in der Mode ist das noch lange nicht ausgeschöpft.
    Brinkmann: Woran liegt das, dass das in der Mode gar nicht so thematisiert wird? Im Film wurde ja auch schon – da gibt es ganze Bücher, die sich damit beschäftigen, wie eben Regisseure mit Migrationshintergrund Filme machen. Warum wurde das in der Mode bisher so ausgeblendet?
    Blumhardt: Ich glaube, das liegt daran, was Frau Drinkuth schon gesagt hat, dass eben Mode in Deutschland nicht als Kulturphänomen gesehen wird. Auch von der entsprechenden Presse, die sich halt nicht auf dieser Ebene damit auseinandersetzen. Und das wollten wir eben zeigen, dass das geht.
    Mode ist ein Spiegel der Gesellschaft
    Brinkmann: Wenn Sie jetzt nach Ihren Erfahrungen, die Sie gemacht haben, auf dieses ganze Buch gucken, also auf das Buch "Traces", aber eben auch auf die Erfahrungen und diese vielen Beispiele, die Sie da drin zusammengefasst haben. Würden Sie sagen, kann man aus der Mode ein Bild der Gesellschaft ablesen, Frau Drinkuth?
    Drinkuth: Auf jeden Fall! Also Mode ist immer ein Spiegel gesellschaftlicher Strömungen. Und genau das wollten wir zeigen. Und spannend war daran, dass wir selber eben auch noch sehr viele Dinge entdeckt haben und erfahren haben, die wir vorher gar nicht so geplant hatten. Wir hatten natürlich einen Themenplan und hatten Fotografinnen und Fotografen oder Autorinnen und Autoren, mit denen wir arbeiten wollten. Aber uns sind dabei auch noch viele Inhalte begegnet – und das war eben diese interessante Spurensuche.
    "Nike hat in Deutschland eine andere Bedeutung als in Kabul"
    Brinkmann: Welche Dinge sind das zum Beispiel? Was hat Sie überrascht?
    Drinkuth: Zum Beispiel die Welt der Marken-Fakes, wie die migrieren. Oder was eben auch toll war, ist, mit Leuten in Kontakt zu kommen - das ging so weit, dass wir zum Beispiel, um Bildrechte zu klären, haben wir saudi-arabische Prinzessinnen auf Instagram gestalkt. Also solche Sachen sind da passiert. Und das war natürlich eine sehr spannende Reise.
    Brinkmann: Wenn Sie die Marken ansprechen – an einer Stelle heißt es in Ihrem Buch eben, dass es sehr kritische Auseinandersetzungen mit diesen großen, globalen Marken gibt. Selbst, wenn das Nike-Zeichen dann irgendwie umgedreht ist oder zum Beispiel Adidas als Begriff irgendwie anders verarbeitet wird. Solche Beispiele zeigen ja: Es gibt einen enormen Umgang damit – und eine Faszination, wahrscheinlich.
    Blumhardt: Auf jeden Fall! Also dann müssen wir halt differenzieren, um welche Gesellschaftsschichten es gehen soll. Also Nike oder Adidas haben natürlich eine ganz andere Bedeutung in Deutschland, als in Kabul zum Beispiel. Und trotzdem existiert beides in beiden Welten.
    "Da schwingt ein unglaublicher Kolonialismus mit"
    Brinkmann: Zeigt sich denn daran, dass es irgendwie schon eine Dominanz der sogenannten westlichen Welt auch in der Modebranche gibt, die irgendwie verarbeitet aber auch in anderen Ländern stattfindet?
    Blumhardt: Das ist halt auch zum Beispiel ein Thema. Natürlich nehmen wir das so wahr! Erst mal. Oberflächlich gesehen. Weil wir uns zu wenig damit auseinandersetzen, wie das eben dort vor Ort, zum Beispiel in Afrika, auch gesehen wird. Und das ist in dem Text über die Fake-Marken so ein bisschen herauszulesen. Wie die Gesellschaft dort damit umgeht. Wie die das sehen. Was für die Fake bedeutet. Und das wissen wir hier halt gar nicht. Wir wissen nur: Die drucken Dior auf ihre Kopftücher. Und warum sie das tun, das wissen wir eben nicht. Und das war auch für uns ein Überraschungsmoment, das eben von Katharina Pfannkuch zu lesen, die da sehr im Thema ist.
    Drinkuth: Auch diese ganze Kopftuchdebatte, da ist schon ein unglaublicher Kolonialismus, der da mitschwingt. Es gab zum Beispiel so Hijabista, wie eben diese jungen Frauen heißen, die Muslima, die eben sehr – ich sage mal – sich nach westlichen, internationalen Modetrends orientieren und trotzdem eben ihr Kopftuch tragen, teilweise als Turban. Ja, die haben teilweise gesagt: Ich habe da gar keine Lust mehr, eine Aussage überhaupt zu machen. Weil da so über ihren Kopf – oder ihr Kopftuch – hinweg bestimmt wird. Und sie werden gar nicht mehr gefragt. Und dann sind sie es irgendwann auch Leid, weil sie halt auch immer mit bestimmten Sachen in Verbindung gebracht werden. Und das ist eben gar nicht ihre Stimme. Das fanden wir auch sehr spannend.
    Kommunikationsmittel Mode
    Brinkmann: Das heißt, in gewisser Weise knüpfen Sie auch an, mit Ihren Beobachtungen, an politische Diskussionen, die es ja gibt. Zum Beispiel zeigen Sie auch eine Hochzeitsburka, die neu verarbeitet wurde sozusagen.
    Blumhardt: Ja, Mode ist politisch.
    Drinkuth: Absolut.
    Blumhardt: Es ist ein Kommunikationsmittel.
    Drinkuth: Ja, genau, Mode ist politisch. Es sind sehr viele Codes da drin vorhanden und – selbst, wenn die Designerinnen oder Designer gar nicht beabsichtigen, dass es politisch ist – werden da politische Aussagen getroffen. Und das war uns auch ganz wichtig zu zeigen. Weil das vielen Menschen gar nicht bewusst ist und die Mode, eben besonders in Deutschland, so unglaublich als oberflächlich abgetan wird. Und wir beschäftigen uns natürlich an unserer Hochschule auch sehr wissenschaftlich mit diesem Phänomen.
    Brinkmann: Mode mit Migrationshintergrund, wenn man das so nenne möchte. Olga Blumhardt und Antje Drinkuth von der Akademie Mode und Design haben sich mit den Einflüssen von Menschen mit Migrationshintergrund in der deutschen Modebranche beschäftigt, unter anderem dazu ein umfassendes Buch herausgebracht: "Traces" heißt das. Es ist letzte Woche vorgestellt worden im Rahmen der Berliner Fashion-Week. Vielen Dank Ihnen beiden für das Gespräch!
    Drinkuth: Vielen Dank!
    Blumhardt: Wir danken Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Olga Blumhardt, Antje Drinkuth: "Traces. Fashion & Migration"
    DISTANZ Verlag. 2017, 208 Seiten.