Das EU-Parlament kann nur die gesamte Kommission des neuen Präsidenten Jean-Claude Juncker ablehnen, nicht einzelne Kandidaten. Doch die Glaubwürdigkeit und Integrität einiger Kandidaten zweifeln Parlamentarier in der ersten Anhörungsrunde an - die gesamte Kommission droht in Straßburg abgelehnt zu werden. Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hatte in der Vergangenheit Aspiranten zurückgezogen, wenn diese auf zu großen Widerstand in den Ausschüssen stießen. Wir stellen einige "Wackelkandidaten" der Kommission Juncker vor:
Der Brite Jonathan Hill
Besonders kritisch wird der Kandidat für den Posten der Finanzmarktpolitik beäugt. Für das Amt hat Juncker den Briten Jonathan Hill vorgeschlagen. Er konnte in seiner ersten Anhörung nicht überzeugen und muss sich einer zweiten Fragerunde stellen. Hill gilt bei vielen Europaabgeordneten als "Banken-Lobbyist", weil er früher eine Beraterfirma hatte, die auch für Finanzdienstleister tätig war.
Der Parteifreund des EU-kritischen Premierministers David Cameron wies Vorwürfe eines Interessenkonflikts wegen Kontakten zu britischen Finanzdienstleistern zurück. "Ich habe keine Aktien, ich bin kein Mitglied in irgendwelchen Vorständen", betonte Hill. "Und deswegen denke ich nicht, dass es bei mir Interessenkonflikte gibt." Er wolle sich nicht zu einer "Karikatur für inländische Interessen" machen lassen, antwortete Hill auf Einwände über den Widerstand Londons etwa in punkto Banker-Boni oder Finanztransaktionssteuer.
Der Brite habe sich in der Anhörung "nicht wirklich eingelassen", etwa zu Fragen der Bankenunion oder zur Finanztransaktionssteuer, sagte der SPD-Finanzexperte Udo Bullmann. Hill habe auf Detailfragen nicht geantwortet, monierte auch der FPD-Abgeordnete Michael Theurer. "Dass er noch nicht einmal eine Meinung zu Eurobonds hat, disqualifiziert ihn im Prinzip." Hill sei "europäisch unengagiert, intransparent und ohne Distanz zur Finanzindustrie", bemängelte der deutsche Grüne Sven Giegold. "Lord Hill erfüllt nicht annähernd die Grundanforderungen für die Position des EU-Kommissars für Finanzstabilität."
Der Franzose Pierre Moscovici
Frankreich will in seinem Haushalt frühestens 2017 wieder die EU-Stabilitätskriterien einhalten, das betrifft vor allem die Neuverschuldung. Ausgerechnet einen Franzosen hat Juncker als Wirtschafts- und Währungskommissar nominiert. Pierre Moscovici hat eine strenge Überwachung der europäischen Haushaltsregeln zugesichert, auch in Frankreich - "ohne mit der Wimper zu zucken". Seine Aufgabe werde nicht sein, irgendwelche Ausnahmen zu genehmigen. "Sie können darauf zählen, dass ich ein gerechter und unparteiischer Schiedsrichter sein werde", sagte Moscovici den Abgeordneten.
Nach Angaben des Grünen-Europaabgeordneten Sven Giegold hat Juncker "eine spezielle Regel exklusiv" für Moscovici geschaffen. Demnach muss Moscovici Entscheidungen zur Koordination und Überwachung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten gemeinsam mit dem Vizepräsidenten für Euro und Sozialen Dialog, Valdis Dombrovskis, erarbeiten und einreichen.
Der Spanier Miguel Arias Cañete
Umstritten ist auch der designierte EU-Kommissar für Klimaschutz und Energie. Miguel Arias Cañete musste sich bohrenden Fragen zu seiner Beteiligung an zwei spanischen Ölfirmen und zu den Tätigkeiten enger Familienmitgliedern in diesen Firmen stellen. Mehrere Abgeordnete warfen ihm außerdem vor, in der Vergangenheit mit abfälligen Bemerkungen zu Frauen aufgefallen zu sein. Die Vorsitzende des Frauenausschusses im Europaparlament beschwerte sich über "sexistische Bemerkungen".
Cañete wies entschieden den Vorwurf zurück, er sei wegen enger Kontakte zur Ölindustrie nicht unabhängig. Er habe zwei Prozent Anteile an zwei "kleinen Unternehmen" gehabt, die Treibstoffe lagerten. Diese Anteile habe er an dem Tag abgegeben, als er für den Brüsseler Posten vorgeschlagen worden sei. Die Frage von Abgeordneten, ob seine Frau, sein Sohn und andere enge Verwandte an der Geschäftsführung der fraglichen Unternehmen beteiligt seien, verneinte er. Zur Beteiligung eines Schwagers wollte er sich trotz wiederholter Nachfragen nicht äußern.
Der Ungar Tibor Navracsics
Um die Ressorts Kultur, Bildung, Jugend und Bürgerschaft soll sich der Ungar Tibor Navracsics kümmern - das stößt bei vielen EU-Abgeordneten auf Kritik. Der Parteifreund von Ministerpräsident Viktor Orban wies Kritik an der Medien- und Gesellschaftspolitik seines Landes strikt zurück. "Ich unterstütze fest die Idee von Meinungs- und Medienfreiheit", sagte Navracsics. Orbans Regierung hat massive Eingriffe in Justiz, Wahlrecht und Pressefreiheit zu verantworten.
Der Grieche Dimitris Avramopoulos
Flüchtlingsrechtler kritisierten die Nominierung eines Griechen für die Bereiche Migration und Inneres. Sein Land weise eine sehr bedenkliche Bilanz beim menschenrechtskonformen Umgang mit Flüchtlingen auf. Kritiker wie etwa der Verband Pro Asyl befürchten, dass Avramopoulos mit der Regierung daheim in Athen als Kommissar nicht streng genug umgehen würde. Derlei Bedenken wies Avramopoulos entschieden von sich: Die europäische Migrationspolitik müsse sich überall an den Grundrechten und der Menschenwürde ausrichten, betonte er.
(sdö/jan/cc)