Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Chris Dercon begegnet dem intellektuellen Shitstorm der Berliner Theaterfundamentalisten mit Humor. Er trägt eine Streichholzschachtel des ehemaligen Bühnenbildners Bernd Neumann bei sich. "Still alive" steht darauf. Noch immer am Leben. Selbstironie zeigt Selbstbewusstsein.
Dercon hat immerhin eine Documenta kuratiert, er hat das Münchner Haus der Kunst und die Londoner Tate Modern neu aufgestellt. Er ist ein versierter Kunstmanager. Solche Erfolge geben Sicherheit und er hat das Einmaleins des modernen Managements verinnerlicht, bei dem ein zentrales Gebot lautet. "Immer alles positiv sehen und vor allem die Gegner ins Boot holen." Chris Dercon auf die Frage, ob er bereue, dem Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner Ja gesagt zu haben:
"Ich bereue es nicht. Ich habe ein unglaublich starkes Vorbereitungsteam, in Zusammenarbeit mit der Verwaltung der Volksbühne und dem Personalrat. Das ist kein Mirakel, das ist eine Luxusposition. Dank der vielen Mitarbeiter der Volksbühne und des Personalrates bin ich noch immer gerne hier und bereue nichts."
Umarme deine Feinde
Wenn du sie nicht schlagen kannst, umarme deine Feinde. Dercon muss mit der höchst skeptischen Volksbühnenmannschaft arbeiten, also lobt er sie. Weniger lobt er die Berliner Presse, die würde teilweise lügen und da wünscht er sich mehr Faktenchecking. Ansonsten lerne er durch seine Kritiker schöne neue deutsche Wörter kennen:
"Neoliberaler Präsentationswahnsinn: Ich wusste nicht was das bedeutet", sagt Dercon. "Event-Schuppen: Da wusste ich auch nicht, was das bedeutet. Ich habe viele neue Termini gelernt, zum Beispiel ausräuchern."
Gemeint sind hier die drohenden Entlassungen. Die gehören zu jedem Intendantenwechsel dazu. In der Volksbühne werden es 25 sein. Die zentrale Kritik seiner Gegner lautet, er sei kein Theatermann. Dercons Reaktion einer ostentativen Gelassenheit könnten und werden sie als Arroganz auslegen.
Denn die lange und bunte Tradition der Berliner Theaterlandschaft kennt er nicht. Dercon neigt wie viele Kulturmanager zum Namedropping. Und da fallen ausnahmslos Namen bildender Künstler aus seinem ehemaligen Metier. Jedoch keinen Theatermacher hat er erwähnt. Und Berlin habe ohnehin außerordentlich viel Sprechtheater. So eine Podiumsdiskussion sei ja nichts Anderes.
"Überall wo man hinkommt – zu den Stiftungen, den Parteien, ins Rote Rathaus, ins HAU oder in das Haus der Kulturen der Welt, zur Schaubühne, ins Maxim-Gorki-Theater oder in die Volksbühne: Überall gibt es eine Menge Sprechtheater. Interessant ist, dass es dabei immer über Theorie geht. Das hat auch Polesch gesagt, er liebt die Theorie, weil sie nicht nur eine Form der Repräsentationskritik ist, sondern weil sie sich ständig abwechselt und via die Theorie Dinge sagen kann, die man nicht mehr mit Molière oder Shakespeare oder Lessing sagen kann."
Nenne alles ein Theater
Klingt hier der Siegeszug der assoziativen Beliebigkeit durch? Nenne alles Theater.
"Die ganze Welt ist Bühne. Und alle Frau'n und Männer bloße Spieler". So Shakespeare, den er hier der Theorie opfern will. Zusammen mit seinem prominenten Team um Alexander Kluge und den Filmer Romuald Karmakar. Dercon- Fans wollen ihn erst mal beginnen lassen, bevor dieses berlintypische Bashing beginnt. Sie haben Recht.
Gemessen werden sollte Dercon an seinen Inszenierungen, an dem, was er verantwortet. Nur hatte er ein Jahr Zeit für seine Pläne. Er hat noch ein weiteres. Und da klingen seine grade aktuellen, intellektuell verbrämten Kulturmanagerphrasen ziemlich dünne:
"Wir wollen eine Form von Öffentlichkeit kreieren, wo wir die meist unterschiedlichen Beispiele der darstellenden Künste nicht nur präsentieren, sondern auch produzieren können."
Im September 2017 eröffnet er mit seinen Projekten seine erste Spielzeit an der Volksbühne. Matthias Schulz, der neue Staatsopernintendant, hat sehr klar formuliert: Ich will nicht irgendwie Museum und Kino mit Opern vermengen. Ich will Oper machen, und zwar die ganze Oper als Oper.
Das gilt für Dercon sicher nicht. Sein Theater wird ein sehr anderes sein, als jene Bühnenkunst, die wir in Berlin bislang erlebt und oft auch genossen haben.