Wie wir Merkels Pandemie-Management bewerten, was wir vom russischen Corona-Impfstoff halten, wie erfolgreich die chinesische Regierung Covid 19 eingedämmt hat - all diese Einschätzungen können leicht beeinflusst werden, wenn wir im Netz auf Falschinformationen stoßen und diese nicht als solche erkennen. Bei YouTube, Facebook und WhatsApp lauern unzählige Meldungen, die reale Ereignisse verzerrt darstellen oder gleich ganz ausgedacht sind, mit dem Ziel die politische Meinungsbildung zu beeinflussen.
Oft wird im Zusammenhang mit Desinformationskampagnen die russische Regierung genannt. Mit ihrem Online-Sender RT DE (ehemals Russia Today) ist sie in Deutschland zur festen Größe geworden bei denjenigen, die von den etablierten Rundfunksendern und Zeitungshäusern enttäuscht sind, und wird immer wieder als Propaganda-Instrument Moskaus kritisiert. Bis Ende des Jahres will RT DE mit einem eigenen Fernsehkanal auf Sendung gehen.
Aber auch China baut seinen medialen Einfluss weltweit gezielt aus. Ein so schlagkräftiges Programm wie RT fehle den Chinesen noch, sagte China-Korrespondent Steffen Wurzel im Dlf, ihr eigener Auslandssender China Global Television News (CGTN) sei für Nutzerinnen und Nutzer nicht so attraktiv. Weil das Land geografisch weiter von Deutschland entfernt sei, stehe es in Europa außerdem weniger im Fokus als Russland.
Trotzdem warnte der Auswärtige Dienst der Europäischen Union (EAD) jüngst vor umfangreicher Desinformation aus China, wie der "Spiegel" berichtete. Demnach meldete die Deutsche Botschaft in Brüssel, dass die chinesische Führung über "eine breite Toolbox zur Manipulation des globalen Informationssystems" verfüge und entsprechende Instrumente "immer aktiver und robuster" anwende. Demnach stellt das Ausmaß der chinesischen Propaganda die Aktivitäten Russlands längst in den Schatten.
Peking verbreitet Narrativ von glücklichen Uiguren
Ein zentrales Thema der weltweiten Kampagnen ist der Umgang mit der muslimischen Minderheit der Uiguren in der chinesischen Region Xinjiang. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schätzt, dass dort seit 2017 rund eine Millionen Menschen inhaftiert und in "Umerziehungslagern" politisch indoktriniert wurden. China weist diese Darstellung zurück und propagiert ein eigenes Narrativ: Die Lager seien für die berufliche Bildung gedacht.
Ein Report des Australian Strategic Policy Institute, einem australischen Think Tank, zeigt, wie strategisch die Kommunistische Partei ihre eigene Darstellung auf Twitter und Facebook verbreitet und dafür gezielt staatliche Kanäle nutzt, darunter auch die Twitter-Accounts von chinesischen Diplomaten. Vor allem im vergangenen Jahr haben die medialen Aktivitäten Chinas auf Facebook und Twitter demnach stark zugenommen. So werden zum Beispiel YouTube-Videos verbreitet, die Xinjiang als idyllische Landschaft in Szene setzen.
Die chinesische Regierung nutze außerdem Influencer, die aus oder über China berichten, sagte Peking-Korrespondent Steffen Wurzel. Das Spektrum reiche von vermeintlich unpolitischen Wohlfühl-Videos und kulinarischen Themen bis hin zu ausländischen Influencern, die sich bewusst vor den Karren der chinesischen Propaganda spannen ließen.
Influencer berichtet von Fahrradtour durch Xinjiang
Ein Beispiel sei ein Brite, der Xinjiang mit dem Rad bereist habe und bei CGTN erzählte, keine Menschenrechtsverletzungen beobachtet zu haben. Das Video wurde bei YouTube fast eine halbe Million Mal aufgerufen. Auch der frühere SPD-Politiker Rudolf Scharping, der in China mit Beratungstätigkeiten viel Geld verdiene, und Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender bei der Volkswagen AG, lobten China über den grünen Klee, ohne auf kritische Punkte einzugehen, berichtete Wurzel.
Die chinesische Regierung bestückt nicht nur soziale Netzwerke, sondern will mit dem Kanal CGTN auch eine eigene Stimme neben Auslandssendern wie BBC World, CNN, Deutsche Welle und Al Jazeera etablieren. Eine der anvisierten Zielgruppen ist die Bevölkerung auf dem afrikanischen Kontinent, aber auch in Europa sendet CGTN. Im Februar hatte die britische Medienaufsicht dem Fernsehkanal zwar wegen politischer Einflussnahme die Sendelizenz entzogen, im Anschluss wechselte er aber in die Hoheit der französischen Medienaufsicht und ist nun wieder zu empfangen.
Zusätzlich bieten staatliche Medienagenturen Material aus China an, das westliche Medien für ihre eigene Berichterstattung nutzen können. Der SWR griff darauf beispielsweise in seiner Dokumentation "Inside Wuhan" zurück, in der es um den Umgang mit der Corona-Pandemie in China ging und die im Juni nach Kritik kurzfristig aus dem Programm genommen wurde. Teile des Bildmaterials stammten vom China Intercontinental Communication Center (CICC), einer Institution, die ganz klar einen Propaganda-Auftrag habe, sagte die Sinologin Mareike Ohlberg damals im Dlf.
Keine Visa für deutsche Korrespondenten
Während China also diverse Kommunikationsmittel nutzt, um sein weltweites Image positiv zu beeinflussen, wird es für ausländische Medien immer schwieriger, sich selbst ein Bild von der Lage im Land zu machen, weil die Regierung unabhängige Berichterstattung aus China massiv erschwert. Lea Deuber, die für die "Süddeutsche Zeitung" in Peking tätig ist, berichtete im "Medium Magazin" von Überwachung, Beschattung und Behinderung ausländischer Journalistinnen und Journalisten. In manchen Regionen dürften sie gar nicht mehr recherchieren.
Die Zahl von Korrespondenten sei inzwischen historisch niedrig, warnte Deuber – auch, weil die kommunistische Führung kaum noch Visa an Medienvertreter vergebe. Deutsche Journalisten könnten seit mehr als einem Jahr nicht mehr nach China einreisen, berichtete ARD-Korrespondent Steffen Wurzel. Auch sein neuer Kollege für das ARD-Hörfunkstudio in Beijing warte seit mehr als einem Jahr auf die Einreise. China nenne als Begründung die Corona-Pandemie, Wirtschaftsreisende kämen aber problemlos ins Land, sagte Wurzel.
Taiwan als Ausweichquartier
Immer mehr Redaktionen, unter anderem von französischen und US-amerikanischen Medien, berichten deswegen aus Taiwan. "Man hat hier nur Vorteile. Das heißt, eine demokratische Regierung, die versucht, transparenten Journalismus zu fördern", sagte der algerisch-französische Fotograf Walid Berrazeg im Januar im Dlf. Es gebe keinerlei Hindernisse bei der Berichterstattung.
Trotzdem sind Korrespondentinnen und Korrespondenten vor Ort in China dadurch nicht zu ersetzen: Nur sie können herausfinden, was die Hochglanzfilme der chinesischen Propaganda verschweigen. Peking wird in den kommenden Jahren eine immer wichtigere Rolle als Partner in Politik und Handel spielen. Umso größer wird auch das Interesse an unabhängiger Berichterstattung aus dem Land – und umso wichtiger ein kritischer Blick auf den Einfluss, den der chinesische Medienapparat auf die politische Meinungsbildung in Europa hat.