Mehr als 700 Abgeordnete aus 27 EU-Mitgliedsstaaten - das Europaparlament gehört zu den wichtigsten Machtzentren in der Europäischen Union. Hier wird über die künftige EU-Kommission ebenso entschieden wie über die Regeln für den gemeinsamen Binnenmarkt. Entsprechend wichtig sind die Mehrheitsverhältnisse im Parlament, über die bis zum 9. Juni in ganz Europa entschieden wird.
EU-Kommission sieht deutlichen Anstieg
Seit Monaten sind im Zusammenhang mit dem Wahlkampf zur Europawahl Desinformationen im Umlauf, also bewusst falsche oder irreführende Informationen. Diese werden insbesondere in den sozialen Medien verbreitet, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen oder zu täuschen und um das Vertrauen in die demokratischen Prozesse zu untergraben.
Die EU-Kommission verzeichnet einen deutlichen Anstieg an Desinformation. So würden bei sogenannten Doppelgänger-Kampagnen beispielsweise Webseiten etablierter Medien nachgebaut, in diesem Design werden dann manipulierte oder falsche Nachrichten verbreitet. Bei Deep Fakes werden Fotos oder Videos mithilfe von Künstlicher Intelligenz bearbeitet und manipuliert.
Mediennutzer sollten auf Quellen achten
Gezielte Versuche der Meinungsbeeinflussung in Wahlkämpfen und im politischen Raum gebe es schon seit Jahrzehnten, erklärt der Politikwissenschaftler Andreas Jungherr von der Universität Bamberg. Unklar sei aber, „wie weit tatsächlich Desinformation im digitalen Raum geht und welche Effekte es dort hat“.
Jungherr ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft. Er forscht insbesondere zu Digitaler Transformation und untersucht die Auswirkungen der Digitalisierung auf Politik und Gesellschaft.
„Oft docken Falschnachrichten an echte Ereignisse und Debatten an. Zum Beispiel wird eine Aussage, die jemand wirklich gemacht hat, aus dem Kontext gerissen oder verkürzt“, erklärt Kian Badrnejad vom Faktencheck-Team der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Grundsätzlich sollten Mediennutzer darauf achten, aus welchen Quellen die Informationen stammten, so Badrnejad.
Desinformationen aus Russland und China
Einen direkten Hacker-Angriff bei dem die übermittelten Wahlergebnisse gefälscht und verändert werden könnten, hält die EU-Agentur für Cybersicherheit (ENISA) hingegen für unwahrscheinlich. Solche verfälschten Ergebnisse könnten schließlich schnell korrigiert werden.
Urheber von Desinformationskampagnen kämen oft aus autoritären Staaten, vor allem aus Russland und China, heißt es aus der EU-Kommission. Kommissionsvize Vera Jourova warnte vor Kurzem im Europaparlament vor Versuchen der Führung in Moskau, auf die Wahl Einfluss zu nehmen: "Der Kreml wird mit Desinformation, Korruption und anderen schmutzigen Tricks versuchen, Europa zu spalten.“
Maßnahmen der EU gegen Desinformation
Die EU wehrt sich nicht nur mit Aufklärungskampagnen, sondern setzt auch auf Regulierung. Das Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) verpflichtet etwa große Online-Plattformen wie TikTok, Instagram oder X, illegale Inhalte zu löschen.
Politikwissenschaftler Jungherr warnt jedoch auch davor die Gefahren der Desinformation überzubetonen. Als Beispiel nennt er den politischen Diskurs in den USA. Dort seien die Informationsquellen, über die problematische Informationen verbreitet werden, sehr begrenzt in ihrer Reichweite.
"Kampagnen nicht überbetonen"
Seine wissenschaftlichen Untersuchungen hätten gezeigt, so Jungherr, dass Warnungen vor Desinformation unerwünschte negative Effekte haben könnten: „Wir sehen, dass die Warnung vor Desinformation den Effekt haben kann, den die fleißigen Warner vor Desinformationen immer den negativen Kommunikatoren zuschieben, nämlich unsere Demokratie zu schädigen, Demokratiezufriedenheit zu schädigen.“
Jungherr betonte, dass die demokratischen Strukturen nicht so fragil seien, wie es manchmal in der öffentlichen Debatte wirke.