Archiv

Kommunikationsforscher zur Studienlage
Desinformation - ein überschätztes Problem?

Wie gefährlich ist Desinformation? Die öffentliche Debatte darüber gehe häufig am Stand der Wissenschaft vorbei, sagt Forscher Christian Hoffmann. Er hält das Problem für überschätzt. Desinformation sei weniger verbreitet und wirkungsvoll als oft angenommen.

Christian Hoffmann im Gespräch mit Pia Behme |
Ein Mann hält ein iPhone in seiner Hand, auf dem Application Apps zu sehen sind.
Nur ein "sehr, sehr kleiner Teil von dem, was man im Internet sieht", ist nach Auffassung von Kommunikationswissenschaftler Hoffmann Mis- oder Desinformation (IMAGO / Silas Stein / IMAGO / Silas Stein)
Falschnachrichten erkennen und von echten Fakten unterscheiden - darauf spezialisieren sich viele Angebote für Nutzerinnen und Nutzer - von Medien-Checks wie dem ARD-Faktenfinder über Länder-Initiativen wie dem Digitalcheck NRW bis hin zu Kampagnen der Bundesregierung und der EU-Kommission. Die Vielzahl der Angebote zeigt schon die Größe des Themas, das in den vergangenen Jahren eine enorme öffentliche Aufmerksamkeit bekommen hat. Insbesondere Desinformation ist in den Fokus geraten, oft wegen gezielt verbreiteter Falschnachrichten gerade in den Sozialen Medien - nicht zuletzt durch Desinformationskampagnen im russischen Angriffskrieg.
Doch wie gefährlich ist Desinformation im Netz - gerade für Demokratien? Diese Frage stellt sich verstärkt seit der US-Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2016, die von einer Debatte über aus Russland gesteuerte Desinformationskampagnen begleitet wurde.

Hoffmann: Öffentliche Debatte läuft am Stand der Forschung vorbei

Damals sei der Eindruck entstanden, dass Desinformation einen großen Einfluss habe und die Demokratie gefährde, so der Kommunikationswissenschaftler Christian Hoffmann: "Ich glaube aber, man wird nicht sehr viele Sozialwissenschaftler finden, die diese Einschätzung teilen", sagte er im Dlf. Denn welchen Einfluss Desinformation hier tatsächlich gehabt habe, sei selbst Jahre später kaum zu beantworten.
Hoffmann hat sich unter anderem für das Science Media Center (SMC) mit der Thematik beschäftigt, einem Netzwerk, das Informationen für Journalistinnen und Journalisten zu wissenschaftlichen Themen anbietet. Zusammen mit drei weiteren Kommunikations- und Medienwissenschaftlerinnen kommt er in einer Veröffentlichung des SCM zum Schluss, dass die öffentliche Debatte zur Desiniformationsthematik häufig am Stand der Forschung vorbeigehe.
Zum einen sei Desinformation häufig weniger verbreitet als oft angenommen, zum anderen sei auch die Überzeugungskraft häufig sehr eingeschränkt, sagte Hoffmann im Dlf. Verschiedene Studien kämen zu dem Ergebnis, dass nur ein sehr kleiner Teil - weniger als ein Prozent - von dem, was durchschnittliche Internetnutzerinnen im Internet sehen, tatsächlich als Desinformation oder Misinformation qualifiziert werden könne.
"Insofern ist die Annahme, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung durch Desinformation in den sozialen Medien radikalisiert oder in die Irre geführt wird, nicht gut fundiert durch die Datenlage", so Hoffmann.

Des- und Misinformation tritt "stark konzentriert" auf

Des- und Misinformation, also Information die falsch oder fehlerhaft ist ohne absichtlich irreführend zu sein, könne jedoch "stark konzentriert" auftreten, beispielsweise in Gruppen, die ein grundlegendes Misstrauen gegenüber den öffentlichen Institutionen und der Politik aufweisen würden. Diese würden gezielt nach Informationen suchen, die ihr Weltbild stützen - und fänden diese dann oft in qualitativ schlechten Quellen.
Insgesamt aber wird das Problem nach Einschätzung von Hoffmann auch überschätzt, auch weil sich die Definition der Bürgerinnen und Bürger oft von dem unterscheiden würde, was die Wissenschaft darunter verstehe. "Es scheint so zu sein, dass Menschen Inhalte im Internet, die sie unbequem finden, entwerten. Und dann ist halt dieses Mis- oder Desinformations-Label hilfreich, um zu sagen, das ist im Prinzip Quatsch, was ich da gesehen habe, weil es mir halt nicht gefällt."
Daher sind Befragungen zum Thema nach Einschätzung von Hoffmann hier auch selten aufschlussreich. Die aussagekräftigsten Studien würden das Nutzerverhalten tatsächlich beobachten - hier gebe es jedoch Schwierigkeiten durch den eingeschränkten Zugriff auf Nutzungsdaten von Social Media Plattformen.