Annalena Baerbock hat nie gesagt, dass sie Haustiere verbieten möchte. Armin Laschet hat den Bürger im Flutgebiet nicht im Regen stehen lassen. Und auch Ungeimpfte dürfen wählen gehen. Dennoch wurden solche Behauptungen im Netz von Tausenden geteilt.
"Unsere Untersuchung hat ergeben, dass auch nach verschiedensten Maßnahmen der Plattformen rund sieben Prozent aller wahlrelevanten Facebook-Posts und rund Prozent aller wahlrelevanten Tweets problematisch sind", sagt Johanne Kübler, Wissenschaftlerin am Sustainable Computing Lab an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie und ihr Team haben in der zweiten Maihälfte alle Inhalte auf Facebook und Twitter analysiert, die etwas mit der Bundestagswahl zu tun haben. Sieben und sechs Prozent – das klingt erstmal nicht viel, ist aber deutlich mehr, als die Forschenden erwartet haben. Fast 100 Prozent dieser problematischen Posts sind Desinformation.
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Bei der Analyse ist dem Forschungsteam zudem aufgefallen, dass das "Hauptziel der Angriffe die Kandidaten sind, die Kanzlerkandidaten, ganz besonders die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock." Laut Recherchezentrum Correctiv wird CDU-Kanzlerkandidat Laschet am häufigsten angegriffen, Baerbock allerdings häufiger unter der Gürtellinie.
Narrativ des Wahlbetrugs durch Briefwahl
Die am weitesten verbreitete Desinformation in diesem Zusammenhang ist die des drohenden Wahlbetrugs durch Briefwahl. Vor allem die AfD und Netzwerke vom rechten Rand haben dieses Narrativ großflächig übernommen. Das erinnert an die Versuche Donald Trumps, die Briefwahl in den USA abzuschaffen.
"Ein Ziel des Ganzen ist die Normalisierung und die Einbettung im Mainstream-Diskurs von undenkbaren Narrativen wie etwa dieses Wahlbetrugs-Narrativ", sagt Una Titz von der Amadeu Antonio Stiftung. Anfang des Jahres habe es diese Erzählung meistens nur im Kontext der US-Wahl gegeben. Dann gab es erste Vergleiche zu Deutschland. "Seitdem hat sich der Diskurs kontinuierlich radikalisiert."
Ziel ist der Vertrauensverlust in das demokratische System. In einigen Telegram-Gruppen wird etwa dazu aufgerufen, gar nicht wählen zu gehen, weil dem System nicht zu trauen sei. "Insbesondere wenn Nachrichten und Desinformation verteilt werden, die ganz speziell die demokratischen Prozesse angreifen, das ist wahrscheinlichste das Gefährlichste", so Johanne Kübler.
Zielgruppen sind junge und bildungsfernere Menschen
Hinter Desinformation im Wahlkampf stehen viele gesellschaftliche und politische Akteurinnen und Akteure. Besonders präsent sind rechtspopulistische und verschwörungsideologische Gruppen. Aber auch Einzelne: Correctiv berichtete etwa über einen Anti-Grünen-Aktivisten, der Angst hat, dass die Partei Feuerwerk verbieten wird.
Una Titz sieht vor allem zwei gefährdete Gruppen:
"Zum einen die ganz Jungen, das sehen wir massiv auf TikTok. Die AfD hat unglaubliche Reichweiten auf TikTok mit Influencer:innen, die nicht die klassischen Politiker sind, sondern AfD-nahe Influencer:innen. Das andere Milieu wäre etwas bildungsfernere Schichten, die bei weitem nicht über die technische Kompetenz verfügen, zu erkennen, ob die Botschaft tatsächlich auch prüfbar ist."
Politik muss stärker gegen Desinfomation vorgehen
In den Wochen vor der Bundestagswahl legten viele deutsche Politikerinnen und Politiker TikTok-Accounts an. Und auch das Unternehmen selbst wappnete sich: Wahlinhalte sollten gekennzeichnet und Regeln gegen Desinformation durchgesetzt werden. Dazu waren Faktenchecks in Zusammenarbeit mit der Deutschen Presse-Agentur geplant. Es reichte nicht, zeigt ein Bericht der Mozilla Foundation. Gefälschte Accounts sind weiterhin aktiv, das automatische Kennzeichnen ist fehlerhaft und die Faktencheck-Kampagne kam zu spät.
Johanne Kübler von der Wirtschaftsuniversität Wien sieht Soziale Netzwerke wie auch die Politik in der Pflicht, stärker gegen Desinformation vorzugehen. Insbesondere der Vorschlag für ein Gesetz über digitale Dienste auf EU-Ebene sei vielversprechend. Demnach sollen die Plattformen unter anderem Algorithmen transparent machen und eine wirksame Moderation einrichten. "Und was die Politik jetzt machen sollte, ist, diesen Entwurf auf gar keinen Fall zu verwässern."