Wenn es um einen möglichen Anwendungsbereich ihres "Lügenerkennungs-Algorithmus" geht, tun sich die Computerwissenschaftler der Universität Kopenhagen noch sehr schwer: "Ich bin Computerwissenschaftler. Meine Kreativität für solche Szenarien ist nicht so gut."
Nach einigem Überlegen kommt Aske Mottelson auf die Versicherungsbranche zu sprechen: "Da gibt es eine App von einer Versicherung. Wenn etwas gestohlen wurde, kann der Geschädigte das in der App angeben. In diesem konkreten Fall könnte man dann feststellen, ob dieser Mensch den Preis zu hoch oder die Anzahl der gestohlenen Sachen falsch angegeben hat."
Für die verschiedenen Studien haben Mottelson und seine Kollegen den Algorithmus mit Computerspielen verknüpft. Die waren im Android-Store frei erhältlich. Bei einem sollten die Probanden zum Beispiel über die Farbe, die sie auf ihrem Handybildschirm sehen konnten, lügen oder die Wahrheit sagen. In einer weiteren Untersuchung ging es um die Angabe eines Geldbetrages, den sie mit einer anderen Person teilen sollten. Flunkerer wurden stets belohnt.
Wer länger braucht und fester aufdrückt, lügt?
Aske Mottelson: "Dieses Modell wurde speziell mit Daten gefüttert, die wir von Smartphones gesammelt haben. Es geht darum, wie schnell Leute antworten, wie fest sie auf das Handy drücken und wie sie ihre Hände positionieren und so weiter."
Von modernen Smartphones lässt sich das Handling dank vieler sensibler Sensoren präzise ablesen. Wer seine Finger mehr bewegt, mit weniger Druck tippt und das Handy weiter von sich weg hält, greift auf Lügen zurück, sagen die Forscher. Der wichtigste Indikator ist aber immer noch der zeitliche Abstand zwischen dem ersten und dem nächsten tippen. Braucht ein Mensch hier besonders lange, lügt dieser - zumindest laut Mottelson und seinen Kollegen. Aske Mottelson:
"Die Theorie ist: Lügen ist kognitiv schwieriger, als die Wahrheit zu sagen. Also, wenn man eine Geschichte über sich selbst erzählt, dann ist es sehr viel einfacher eine wahre Geschichte zu erzählen als eine falsche."
Eine Theorie aus der Lügenforschung.
Eine zuverlässige Einschätzung ist schwierig
Was für den einzelnen jedoch "länger brauchen" bedeutet, das ist wissenschaftlich noch nicht geklärt.
"Das ist halt ein Gruppenvergleich und davon wieder zum Individuum zu gehen und dann in so einer App bei einer Person zu schließen, ob die in dem Moment, wo die etwas eintippt, die Wahrheit sagt oder nicht - das stelle ich mir sehr, sehr schwierig vor. Also, Leute unterscheiden sich ja sehr darin, wie schnell sie generell sind", erklärt die Diplom-Psychologin Kristina Suchotzki. Sie hat sich auf die Erforschung von Lügen spezialisiert.
Kein leichtes Fachgebiet. Im Labor wird eine Lüge meist vorgegeben, in der richtigen Welt entscheidet sich ein Mensch bewusst fürs Lügen und kann diese dann meist auch gut steuern.
"Und damit ist es natürlich so, dass Leute das sehr gut beeinflussen können. Also, ich kann versuchen, absichtlich schnell oder absichtlich langsam zu sein bei bestimmten Dingen, die ich eingebe. Und deswegen denke ich, dass es sehr, sehr schwierig ist, das wirklich anzuwenden. Als Forschungstool fände ich das sehr, sehr spannend."
Aussagekraft kleiner Inkongruenzen bei Lügnern
Auch in der Sprachanalyse erreichen die Wissenschaftler bislang keine hundertprozentige Genauigkeit, wenn es ums Lügen geht, sagt Björn Schuller. Sein Spezialgebiet: Informationen aus Gesprochenem herauslesen. Der Augsburger Elektrotechniker und Informatiker denkt deshalb, dass es für zuverlässige Lügendetektoren mehr als nur die Smartphonedaten braucht:
"Ein tolles Merkmal ist übrigens die Asynchronität der Modalitäten. Mit anderen Worten: Ich kann die Stimme verstellen, ich kann das Gesicht vielleicht verstellen, aber man merkt dann, das es oft asynchron passiert, weil ich mich auf eine Modalität gerade immer wieder nur konzentriere."
Zumal Lügenforscher auch immer wieder nach körperlichen Anzeichen suchen, wie eine langsame Herzfrequenz, die Aktivität einer bestimmten Hirnregion, vermehrte Schweißbildung oder auch erröten. Auffällige Merkmale im Gruppenvergleich, für den einzelnen wieder schwer definierbar. Aske Mottelson und seine Kollegen wollen trotzdem weiterhin auf Smartphoneanalyse bei der Lügenerkennung setzen und diese noch verbessern.