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''Deutlich überdramatisiert!''

Raumfahrt. - Der Unfall der Sojus-Rakete hat Zweifel an den Aussichten der bemannten Raumfahrt allgemein und der ISS im Besonderen geweckt. Martin Zell, Manager im Esa-Direktorat für bemannte Raumfahrt, bewertet den Zwischenfall im Gespräch mit Ralf Krauter.

Martin Zell im Gespräch mit Ralf Krauter | 25.08.2011
    Krauter: Was ging den Experten der Esa durch den Kopf, als sie von dem Absturz des Progress-Frachters gestern hörten, Herr Zell?

    Zell: Natürlich ist da immer im ersten Moment eine gewisse Ernüchterung natürlich auch da, weil jeder Launch - so sehr das auch Routine sein mag - ist natürlich immer mit einem gewissen Risiko [versehen, die Red.], einer sehr, sehr hohen Wahrscheinlichkeit, aber keiner hundertprozentigen. Progress ist ein sehr, sehr zuverlässiges Vehikel, auch mit den Sojus-Launchern, wo es noch verschiedene Arten gibt, und bisher 43 mal absolut erfolgreich und auch pünktlich geflogen. Und dieses Mal ist es tatsächlich durch einen Fehler der Rakete offensichtlich missglückt.

    Krauter: Ein bekanntes Online-Nachrichtenmagazin in deutscher Sprache schreibt: dieser Unfall wurde die Raumfahrt an sich, die bemannte Raumfahrt, auch in die Krise stürzen. Sehen Sie das auch so, oder ist das zu viel gesagt?

    Zell: Ich glaube, das ist sicher deutlich überdramatisiert. Natürlich ist jeder Fehler, jeder missglückte Startversuch oder Transport im Weltraum, ob jetzt zur ISS oder zu anderen Destinationen, ein gewisser Rückschlag. Ich denke, Sojus an sich und auch viele andere Transportvehikel sind sehr, sehr zuverlässig, haben eine sehr zuverlässige Rate. Man muss jetzt wirklich untersuchen den Fehler -ob das ein systematischer ist, was ich mir nicht vorstellen kann, oder ein einmaliger - und die entsprechenden Schlüsse für die nächstens Starts für die gleichen Vehikel natürlich ziehen, um solche Dinge für die Zukunft auszuschließen.

    Krauter: Trauen Sie den Russen den zu, diese Fehleranalyse selbst zu machen? Ihr Kollege, der Chef des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt, Johann-Dietrich Wörner, hat gefordert, man müsse eine internationale Untersuchung dieses Vorfalls starten. Schießt er damit über das Ziel hinaus?

    Zell: Ich möchte dies nicht kommentieren. Ich glaube natürlich, es ist im eigenen Interesse der Russen, diesen Vorfall detailliert zu untersuchen, um wirklich grundsätzlich die Ursache herauszufinden. Dies wurde auf russischer Seite auch bei anderen kleineren Dingen gründlich gemacht und diese auch jeweils absolut ausgeräumt. Es ist so, dass Nasa natürlich bei dieser Untersuchung direkt involviert ist, aus vielerlei Gründen, weil natürlich auch Nasa-Crews, aber natürlich auch europäische und japanische und kanadische Crews auf der Sojus als Crew-Transportvehikel fliegen und auf Progress natürlich nicht nur russische Fracht war, sondern auch - zwar nur kleinere Dinge diesmal von Europa - aber auch aus den USA. Und Progress natürlich auch für den Treibstoff der ISS und den so genannten Reboost sorgt.

    Krauter: Dafür also, dass die Station nicht allmählich der Erde immer näher kommt!

    Zell: Das ist richtig, auf Esa-Seite ist auch der Inspector General involviert bei der Sache, der auch an unseren Esa-Generaldirektor entsprechend berichtet. Also ich denke, diese Sache findet genügend Beachtung und wird sicher sehr, sehr gründlich gemacht werden. Und ich hoffe natürlich auch relativ schnell, um die nächsten Starts nicht allzu sehr zu beeinflussen.

    Krauter: Sie haben vorhin die Lage verglichen mit dem Wetter bei Ihnen in Holland. Himmel verhangen, aber kein Starkregen in Sicht!

    Zell: Würde ich absolut so sehen. Sojus ist, und das wissen wir alle, statistisch gesehen das mit Abstand zuverlässigste Vehikel, auch sicherlich mit den meisten Starts. Seit Jahrzehnten sind einige Tausend Starts von den verschiedenen Sojus-Varianten, und ich glaube, das brauchen wir jetzt wegen dieses Vorfalls nicht sofort absolut in Frage zu stellen, sondern es wird untersucht und sicherlich der Fehler eliminiert für die Zukunft.