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Deutsch-amerikanische Beziehungen
Politologe: "Pipeline-Diskussion ist schon eine bittere Pille"

Beim Besuch in Washington von Angela Merkel dürfte auch Nord Stream 2 ein Thema sein. Die USA seien besorgt, dass Deutschland als wichtigster Partner in der EU in eine zu starke Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gerät, sagte der Politologe Michael Werz vom Center for American Progress im Dlf.

Michael Werz im Gespräch mit Jasper Barenberg |
Rohren für den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland werden im Hafen Mukran auf der Insel Rügen gelagert.
Rohren für den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 (dpa / Stefan Sauer)
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird von US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus in Washington empfangen. Es ist ihr letzter Besuch als Bundeskanzlerin im Weißen Haus in Washington. Das Treffen soll den Neuanfang in den deutsch-amerikanischen Beziehungen markieren. Nach dem Tiefpunkt in der Ära Trump sind die Vereinigten Staaten unter Joe Biden wieder freundlicher im Ton und auch kompromissbereiter in der Sache.
Bei dem Treffen soll es unter anderem um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 gehen, mit der russisches Gas unter Umgehung der Ukraine nach Deutschland gebracht werden soll. Das Projekt ist der größte Streitpunkt zwischen den USA und Deutschland. Beide Seiten bemühen sich seit Wochen um einen Kompromiss. Aber: Beide Regierungen hätten sich in eine Sackgasse hineinmanövriert, aus der es kurzfristig keinen Ausweg geben werde, sagte der Politologe Michael Werz vom Center for American Progress im Dlf.

Pipeline-Thema in den USA "in die Mühlen der Innenpolitik" geraten

US-Präsident Joe Biden hält Nord Stream 2 für einen schlechten Deal für Europa, das hatte er Ende Mai betont. Trotzdem verzichtete seine Regierung auf Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft - auch aus Rücksicht auf die Beziehungen zu Deutschland. Das Thema sei aber längst in die Mühlen der Innenpolitik geraten, betonte Werz.
"Zwei konservative Senatoren, Marco Rubio aus Florida und Ted Cruz aus Texas, haben jetzt ein Gesetzesvorhaben durchgeboxt, dass die Biden-Regierung de facto in Haftung nimmt und Sanktionen, sobald die Pipeline in Betrieb geht, automatisch verhängen wird", sagte Werz.
Die klare gesetzliche Grundlage führe zu einem Sanktionsautomatismus. "Und das ist auch genau das Ziel der republikanischen Senatoren, hier die Biden-Administration in Geiselhaft zu nehmen – zur Not auch auf Kosten und unter Belastung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses", sagte Werz.

Das Interview im Wortlaut:
Jasper Barenberg: Für viele Beobachter steht der Streit um Stream 2 ja ganz oben auf der Liste strittiger Themen bei dem Treffen. Wie sehr steht der Konflikt denn im Weg, wenn wir über einen partnerschaftlichen Neustart der Beziehungen sprechen?
Michael Werz: Na ja, diese elendige Pipeline-Diskussion ist schon eine bittere Pille in den deutsch-amerikanischen Beziehungen, weil sich beide Regierungen in eine Sackgasse hineinmanövriert haben, aus der es kurzfristig keinen Ausweg geben wird. Die Amerikaner werfen den Deutschen vor, das Thema nicht ernst genug genommen zu haben, das ja schon von Barack Obama immer wieder thematisiert wurde. Auf der anderen Seite ist dieses Thema hier in den Vereinigten Staaten in die Mühlen der Innenpolitik geraten, zwei konservative Senatoren, Marco Rubio aus Florida und Ted Cruz aus Texas, haben jetzt ein Gesetzesvorhaben durchgeboxt, dass die Biden-Regierung de facto in Haftung nimmt und Sanktionen, sobald die Pipeline in Betrieb geht, automatisch verhängen wird. Insofern eine sehr schwierige Situation, da ist auch kein Durchbruch zu erwarten bei dem Besuch der Kanzlerin in Washington.

Sorge um starke EU-Abhängigkeit von russischen Energielieferungen

Barenberg: Da hat es ja in den letzten Wochen Verhandlungen gegeben, offenbar mit dem Versuch, das Thema doch voranzubringen, vom Tisch zu bekommen. Sie sagen, das wird schwierig. Für Biden schwächt Nord Stream 2 die Ukraine ja strategisch gegenüber Russland, der Kongress, Sie haben das angedeutet, ist parteiübergreifend und vehement dagegen. Was will denn der US-Präsident, was will die US-Administration erreichen, um den Konflikt aus dem Weg zu räumen?
Werz: Da sind der Biden-Administration zunächst einmal die Hände gebunden, solange sich die Gesetzeslage nicht ändert. Die einzige Möglichkeit für den Präsidenten ist eine sogenannte National Security Waiver, also eine Ausnahmegenehmigung basierend auf übergreifende nationale Sicherheitserwägungen zu aktivieren und die Sanktionen auszusetzen, sollte die Pipeline in Betrieb genommen werden. Die muss allerdings regelmäßig erneuert werden und würde schnell zu einer politischen Belastung werden, weil natürlich die Republikaner Joe Biden dann vorwerfen würden, er sei zu weich gegenüber Russland. Die Sorge in den Vereinigten Staaten ist, dass Deutschland als wichtigster Partner in der Europäischen Union in eine zu starke Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gerät. Man kann sich darüber streiten, ob die direkten Interventionen auch in innerdeutsche Geschäfte, die die US-Regierung jetzt praktiziert, ein angemessenes Mittel sind. Aber die Situation ist so verfahren, wie sie sich im Moment darstellt.
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Seit Jahren tobt ein politischer Streit um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die Russland offshore mit Deutschland verbindet. Um was geht es der EU und den USA politisch? Und wie wichtig ist Nord Stream 2 für Deutschland?

Barenberg: Die Pipeline ist ja außerdem auch fast fertig. Die US-Regierung ist der Bundesrepublik ja in gewisser Weise entgegengekommen, hat auf neue Sanktionen verzichtet oder darauf verzichtet, sie umzusetzen. Wird das eine Belastung der Beziehungen sein?
Werz: Ja, davon ist auszugehen. Also, diejenigen, die sich mit Deutschland gut auskennen, hoffen in gewisser Weise auf die Wahlen im September und sagen, wenn dort eine umweltorientierte Partei mitregiert, dann ist die Sache vielleicht vom Tisch. Ob sich das als Illusion erweist oder nicht, zumal ja die Pipeline bis dahin wahrscheinlich schon in Betrieb genommen wird, ist eine andere Frage. Das Problem ist, dass es hier eine ganz klare gesetzliche Grundlage gibt, die zu einem Sanktionsautomatismus führt. Und das ist auch genau das Ziel der republikanischen Senatoren, hier die Biden-Administration in Geiselhaft zu nehmen – zur Not auch auf Kosten und unter Belastung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses.

Schwierige Beziehung unter Trump

Barenberg: Bei dem Treffen soll es ja auch darum gehen, nach vorne zu blicken, das hat man im Vorfeld aus dem Weißen Haus gehört, gemeinsame globale Herausforderungen anzugehen. Heißt das für Joe Biden vor allem, Deutschland als Bündnispartner für eine härtere Haltung gegenüber China zu gewinnen?
Werz: Ich glaube, das ist im Moment nicht der erste Punkt. Es ist aus dem Weißen Haus zu hören, das ist ganz interessant, dass Joe Biden wirklich auch persönlich das Bedürfnis hat, der Kanzlerin Tribut zu zollen. Das ist ja jetzt schon der vierte Präsident, mit dem Angela Merkel sich hier in den USA auseinandersetzen muss. Und es sagte heute jemand, der im Weißen Haus arbeitet, ihnen sei schon klar, dass Angela Merkel durch die Hölle und zurück gejagt worden sei in den vergangenen vier Jahren unter der Trump-Administration. Also, es gibt doch so etwas wie politische Schuldgefühle und aber auch ein strategisches Investment, eine strategische Investition in die deutsch-amerikanischen Beziehungen, weil die Auseinandersetzungen und die Arbeit mit der französischen Regierung natürlich sehr viel komplizierter ist für die Vereinigen Staaten. Und es gibt da eine ganze Reihe von engen Biden-Vertrauten, die darauf drängen, das deutsch-amerikanische Verhältnis zum Eckpfeiler der transatlantischen Beziehungen in einer Neuausrichtung der USA – auch vor dem Hintergrund der Flucht der Briten aus der Europäischen Union – zu machen.
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Barenberg: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, ist Joe Biden, ist seine Administration doch bereit, Deutschland etwas entgegenzukommen und bei den strittigen Themen, die es gibt, bei Verteidigungsausgaben etwa, gar nicht so sehr die Daumenschrauben anzulegen.
Werz: Ja, natürlich. Ich meine, das sieht man ja auch, ich kann mich nicht daran erinnern, wann zum letzten Mal diese Diskussion über zwei Prozent Budget für Nato-Beiträge hier überhaupt erwähnt worden ist. Es gibt auch eine neue Bescheidenheit im Weißen Haus, weil Joe Biden auch völlig klar ist, dass der Reputationsverlust der Vereinigen Staaten ungeheuer gewesen ist in den vergangenen vier Jahren und man auch in den transatlantischen Beziehungen nicht mehr einfach glauben kann, dass man dort ansetzt, wo man mit Barack Obama aufgehört hat, sondern die USA Partnerschaften wirklich neu begründen müssen – und das bedeutet auch, Kompromisse einzugehen, die vielleicht Vorgängerregierungen so nicht eingegangen wären. Es ist auch interessant, zu hören, dass die Pressesprecherin des Weißen Hauses sagte, dass die zentralen Themen, die Biden mit Merkel besprechen wolle, die Pandemie, Klimawandel und ökonomisches Wachstum vor dem Hintergrund demokratischer Wertegefüge sind. Das ist eine ganz positive Agenda, man ist sehr darauf bedacht, hier auch die Voraussetzungen zu schaffen, dass dieser Besuch der Kanzlerin, der ja ein Arbeits- und kein Abschiedsbesuch ist, dass der als Erfolg dann auch bewertet werden kann.

China: "Druck für die US-Regierung, sich dort zu positionieren, ist sehr hoch"

Barenberg: Nun war ja im Vorfeld etwa in dem Magazin "Foreign Policy" der Vorwurf zu lesen, was China angeht, da würde Deutschland doch sehr halbherzig agieren, wenn es um Menschenrechte geht, der Leitgedanke sei vielmehr: Profite stehen über Prinzipien. Wir wissen von Joe Biden, dass eine klare Abgrenzung zu China ein wichtiges Grundprinzip seiner Präsidentschaft sein soll, dass er da Partner in der Welt sucht, die mitziehen. Da ist man von der Regierung von Angela Merkel nicht enttäuscht?
Werz: Nein, weil natürlich auch … Es gibt zwar einige Stimmen, die das fordern, aber es hängt natürlich auch damit zusammen, dass wenn man in Deutschland über China spricht, man – verkürzt gesagt – an die 8er-Reihe von BMW denkt. Und wenn wir in den USA über China sprechen, dann denken wir an Taiwan und die militärischen Beistandsverpflichtungen. Das heißt, man spricht im Prinzip über zwei vollkommen unterschiedliche Länder. Das muss sich aussortieren, dafür ist auch schon ein Koordinations- und Diskussionsprozess, unter anderem über die stellvertretende Außenministerin, Wendy Sherman, die das China-Portfolio im Auswärtigen Amt in Washington an sich gezogen hat, aufs Gleis gesetzt worden – auch mit der Europäischen Union.
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Wenn sich in China der Wohlstand durch eine gute Wirtschaftslage mehrt, werde das Land auf lange Sicht auch demokratischer - dieses Credo prägte lange die deutsche China-Politik. Die Realität aber zeigt: Chinas Wirtschaft ist stärker denn je, die Politik aber wird immer autoritärer.

Was ganz wichtig für die Europäer zu verstehen ist, dass das nicht eine politische Entscheidung ist, die der Präsident hier einsam im Oval Office trifft, sondern es sind nicht nur die traditionellen asiatischen Alliierten und Partner der Vereinigten Staaten, also Japan, Südkorea und Taiwan, die hier Schlange stehen und Stabilitäts- und Sicherheitsgarantien einfordern, sondern inzwischen auch Länder wie Australien, Vietnam und die Philippinen – aufgrund der militaristischen und aggressiven chinesischen Außenpolitik. Das heißt, der Druck für die US-Regierung, sich dort zu positionieren, ist sehr hoch, aber es gibt auch in der Administration, im State Department, unter den China-Leuten im Wirtschafts- und Finanzministerium und auch im National Security Council, im nationalen Sicherheitsrat, sehr unterschiedliche und differenzierte Positionen. Also, das wird alles nicht so heißt gegessen, wie es gekocht wird. Und den Amerikanern ist vollkommen klar, eine konsistente China-Politik kann es nur geben in enger Kooperation mit den Europäern.

Klimastrategie in Europa ist weiter als in den Vereinigten Staaten

Barenberg: Sie haben das Stichwort Klimapolitik und Klimaschutz angesprochen, da gibt es ja gerade Neuigkeiten aus Brüssel, die EU macht sich daran, einen großen Schritt voranzugehen, die Emissionsziele zu verschärfen, aus der Kohlewirtschaft am Ende ganz auszusteigen. Ist das eine Art von Führungsrolle, die Deutschland, die Europa da einnimmt, bei der Joe Biden bereit wäre, mitzuziehen?
Werz: Ja, absolut. Zumindest die Rhetorik der Biden-Administration geht ja genau in diese Richtung, die politischen Handlungen lassen noch etwas auf sich warten, das hängt auch damit zusammen, dass im Moment der legislative Bereich durch die großen Stimulus- und Investitionsgesetze noch etwas lahmgelegt ist. Was interessant ist, zu beobachten, dass zunehmend amerikanische Bundesstaaten vorpreschen und Klimaregeln aufstellen, die dann für das Land auch in gewisser Weise gelten werden, wenn es sich beispielsweise um Abgas- und Verbrauchsbestimmungen für Autos oder für Klimaanlagen und erneuerbare Energien handelt. Und des Weiteren ist es auch so, dass sich insbesondere die Finanz- und Investitionswirtschaft darauf neu ausrichtet, energiefreundliche Klimastrategien einzupreisen in ihre wirtschaftlichen Aktivitäten. Deshalb gibt es eine ganze Menge Bewegung, aber hier ist Europa in der Tat einen oder vielleicht sogar zwei Schritte weiter als in den Vereinigten Staaten. Das ist für Joe Biden aber letztlich politisch hilfreich, weil er sagen kann, wir müssen eng mit den Europäern uns koordinieren – Stichwort Iran, China, östliches Mittelmeer und so weiter – und darum auch den Europäern entgegengekommen, wenn es beispielsweise um Klimafragen geht. Das kann ihm durchaus hilfreich sein, um konservative Demokraten innerhalb der eigenen Partei, gerade die, die aus den Kohlestaaten kommen, vielleicht auf die richtige Seite zu ziehen und dort ein höheres Maß an Unterstützung zu gewinnen.
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Bis zum Jahr 2030 will die EU ihren CO2-Ausstoß um 55 Prozent senken. Dieses Klimaschutzziel hat sie schon vor einigen Monaten ausgerufen – jetzt hat die EU-Kommission konkrete Gesetzesvorhaben dazu vorgelegt.

Barenberg: Die Pläne, die jetzt gestern in Brüssel vorgestellt wurden, die könnten ja ganz konkrete Folgen haben. Es gibt den Vorschlag, zum Schutz der europäischen Industrie, die dann höhere Auflagen erfüllen muss, eine Art Klimazoll einzuführen, einen Grenzausgleich, wie es heißt. Der könnte wiederum zur Folge haben, dass Produkte aus den USA etwa einen Aufschlag bekommen würden. Die Wirtschaft fürchtet da schon einen neuen Handelskrieg. Es gibt die Überlegung, ob man in den Beratungen, in den Abstimmungen mit den USA so weit vorankommt, dass man einen gemeinsamen Klimaclub gründet, um solche Handelsstreitigkeiten zu vermeiden. Glauben Sie, dass Joe Biden geneigt ist, in diese Richtung zu denken?
Werz: Ja, absolut. Er hat ja mit der Nominierung von John Kerry, der nicht nur ein alter Kumpel und sich in dem Thema gut auskennt, sondern auch eine Kabinettsposition innehat, zum ersten Mal einen Klimakoordinator so hoch in der Regierung installiert, dass dieses Thema – man würde auf Neudeutsch – als Querschnittsaufgabe in allen politischen Bereichen präsent ist. Und was man auch nicht vergessen darf, ist, dass die Wahl von Joe Biden ja in wesentlichem Maße von der Mobilisierung junger Wählerinnen und Wähler abgehangen hat. Und dort haben Klimathemen die absolute Priorität. Und unter jungen Wählern und der Parteilinken ist das Thema so wichtig, dass das ein ständiger Refrain ist auch im Weißen Haus, dass man sich hier in diesem Bereich stärker engagieren muss. Ich habe da weniger Befürchtungen als bei anderen Themen, dass die Europäer und die Amerikaner da relativ schnell ins Gespräch kommen und auch in der Lage sind, solche Fragen wie drohende Handelskonfrontationen auszuräumen im Vorfeld der Debatten.
Barenberg: Zum Schluss, Herr Werz, Sie haben gesagt, dass ein Großteil dieses Besuchs auch für die Würdigung einer Kanzlerin gedacht ist, die ihren Abschied bald nehmen wird. Ist schon ersichtlich, worauf die nächste Bundesregierung schauen muss, wenn es um Erwartungen der Vereinigten Staaten an die Bundesrepublik, an Deutschland geht?
Werz: Ich glaube, es sind vielleicht weniger Erwartungen als vielmehr Möglichkeiten, weil Joe Biden es ernst meint, wenn er meint, die Vereinigten Staaten müssen Partnerschaften neu begründen und darin auch zurückhaltender und weniger aggressiv vorgehen, als das noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall gewesen ist. Das bedeutet, dass sich auch politische Handlungsspielräume, insbesondere für eine neue deutsche Regierung, nach den Wahlen im September eröffnen. Was hier positiv wahrgenommen wird, ist, dass sich alle drei Spitzenkandidaten der großen Parteien sich doch sehr pro transatlantisch positionieren. Olaf Scholz war gerade hier zu Besuch, Armin Laschet und Annalena Baerbock haben sich auch relativ deutlich doch für eine starke transatlantische Partnerschaft ausgesprochen. Insofern ist dort doch ein hohes Maß an Kontinuität zu erwarten, das beruhigt hier viele Leute, weil natürlich nach dieser 16-jährigen Regentschaft Angela Merkels, heute sagte jemand halb im Scherz, wir haben vergessen, 1948 in das Grundgesetz eine Amtszeitbegrenzung hineinzuschreiben, dass nach dieser sehr langen Amtszeit es natürlich auch zu Neuerungen kommen wird in der deutschen Politik, aber gleichzeitig diese Partnerschaft dadurch in keiner Weise bedroht wird.
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