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Deutsch-französische Beziehungen
"Neue Dringlichkeit zum gemeinsamen Handeln"

Auf dem EU-Gipfel haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron Einigkeit demonstriert. Das wecke zunächst positive Erwartungen, sagte Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg im Dlf. Die Einigkeit für Europa dürfe aber nicht auf Kosten einer ganzen Gruppe von Staaten gehen.

Henrik Uterwedde im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Deutschlands Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron verlassen nach einer gemeinsamen Pressekonferenz das Podium.
    Deutschlands Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron verlassen nach einer gemeinsamen Pressekonferenz das Podium. (AFP / Emmanuel Dunand)
    Stefan Heinlein: "Europa in der Krise", "die EU vor der Spaltung" – so und ähnlich die Schlagzeilen der vergangenen Monate. Tatsächlich schien die Europäische Union nicht nur durch den Brexit ernsthaft in ihren Fundamenten erschüttert.
    Ganz anders jedoch die Stimmung gestern in Brüssel: ein Gipfel der Harmonie und der Eintracht. Demonstrativ signalisierten die Staats- und Regierungschefs Geschlossenheit und den Willen, in vielen Bereichen gemeinsam die Dinge voranzubringen. Sichtbarstes Zeichen dieser Entwicklung war die gemeinsame Pressekonferenz von Angela Merkel und Emmanuel Macron am Ende des Gipfels, über die ich jetzt reden möchte mit Professor Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigshafen. Ich grüße Sie, Herr Professor!
    Henrik Uterwedde: Ludwigsburg, Herr Heinlein! Ich grüße Sie auch!
    Heinlein: In Ludwigsburg, auch eine schöne Stadt! Was erleben wir da gerade, Herr Professor? Merkel und Macron – ist das das neue Traumpaar für Europa?
    Uterwedde: Na ja, gemach, gemach. Da ist viel natürlich auch Inszenierung drin. In einem Moment, wo sozusagen wir fast alle drauf gewartet haben, dass es auch mal good news gibt, dass es, ich sage mal: Anlass für Euphorie gibt, und insofern ist das auch richtig, das, was die beiden gemacht haben. Ob sie mal ein Traumpaar werden, das werden wir dann sehen, denn jede Inszenierung mit ihrer ganzen Symbolkraft, die ist notwendig, aber sie bleibt hohl, wenn sie nicht mit Inhalt gefüllt wird, und darum wird es jetzt in den nächsten Wochen, Monaten gehen, diese sozusagen neu gefundene Einigkeit und auch den gemeinsamen Willen, zu handeln in Europa, gerade auch zwischen Deutschland und Frankreich, den jetzt mit Leben zu füllen und mit Inhalten zu füllen.
    "Früher war es fast immer nur der Euro"
    Heinlein: Haben Sie Zweifel, dass es gelingen wird, auch Inhalte zu finden, gemeinsame Inhalte, die dann Deutschland und Frankreich voranbringen?
    Uterwedde: Nein, eigentlich nicht. Insofern bin ich auch optimistisch. Warum? Weil zum einen haben wir ein neues Momentum in zweierlei Hinsicht. Wir haben einen neuen Präsidenten in Frankreich, der ja seine Wahl mit einem offensiven proeuropäischen Wahlkampf gewonnen hat. Davon könnten sich übrigens viele Spitzenpolitiker in vielen Ländern Europas eine Scheibe abschneiden. Zum zweiten hat Macron ganz klar gesagt, seinen Willen, Frankreich zu modernisieren, zu reformieren als Voraussetzung, mit neuer Glaubwürdigkeit nach Berlin und auch nach Brüssel zu kommen und hier mit seinen Vorschlägen zu punkten, und das zweite Momentum ist, dass die Lage in Europa nach all den schlechten Nachrichten – Brexit, Trump und Kompanie –, dass diese Lage jetzt tatsächlich auch vielen die Augen geöffnet hat, dass wir eine neue Dringlichkeit haben zum gemeinsamen Handeln. Da haben sich auch neue Themen in den Vordergrund geschoben. Früher war es ja fast immer nur der Euro, jetzt geht es um gemeinsame Verteidigung, mit ersten Beschlüssen auf dem Gipfel, um gemeinsame Grenzsicherung, die Flüchtlingspolitik und auch um eine neue wirtschaftspolitische Agenda für Investition und Wachstum, und das ist schon, ich sage mal: das gibt Anlass zur Hoffnung, dass es genügend gemeinsame Themen geben wird.
    "Gemeinsame Verteidigung ein ganz, ganz besonders dickes und hartes Brett"
    Heinlein: Herr Uterwedde, Sie haben die Verteidigungspolitik angesprochen. Da will man ja enger zusammenarbeiten, das war ein Beschluss dieses Gipfels, aber Frankreich scheint da durchaus andere Vorstellungen und Wünsche zu haben als die Bundesregierung.
    Uterwedde: Ja gut, wir wissen, dass gemeinsame Verteidigung, dass das wirklich ein ganz, ganz besonders dickes und hartes Brett sein wird. Hier wird man nur schrittweise sich annähern können. Man hat jetzt beschlossen, einen ersten Schritt zu einem europäischen Verteidigungsfonds, es gibt die politische Willenserklärung in Frankreich, in Deutschland bis 2025 den Verteidigungsaufwand auch langsam zu steigern, um einfach auch mehr Glaubwürdigkeit einer eigenständigen europäischen Verteidigungskomponente zu haben.
    Es gibt auch konkrete bilaterale Projekte, etwa in Évreux in der Normandie wird es eine gemeinsame Basis für Flugzeugtransporte geben. Also hier wird man mit kleinen Schritten anfangen und wird dann sehen, was machbar ist. Ich erwarte hier keine schnellen Fortschritte.
    "Den Gordischen Knoten durchhauen"
    Heinlein: Ist das sehr personenabhängig, diese neue deutsch-französische Harmonie, also zwischen Merkel und Macron oder ist es eigentlich egal, wer am Ende im September die Bundestagswahl gewinnt? Könnte das genauso funktionieren? Was erwarten Sie?
    Uterwedde: Also ich denke mal, dass das wichtige Momentum tatsächlich war, dass in Frankreich ein Präsident da ist, der nicht nur redet, der sich nicht in seinen alten ideologischen, konservativen oder sozialistischen sozusagen Fallstricken verstrickt, sondern der einfach den Gordischen Knoten durchhauen hat und für etwas Neues steht. Das hatte Frankreich dringend notwendig.
    In Deutschland sehe ich eigentlich unabhängig von dem Ausgang der Wahl im September die Möglichkeit tatsächlich, zu einem starken deutsch-französischen Tandem sozusagen zu wachsen. Da ist eigentlich sowohl bei der Union als auch bei der SPD genügend Willen und auch Bereitschaft da, mit Macron gemeinsam größere Räder in Europa zu drehen.
    "Es wird letztendlich nur mit Überzeugungskraft gehen"
    Heinlein: Es gab ja nicht nur Harmonie in Brüssel, sondern die Flüchtlingsfrage, da gibt es nach wie vor keine Einigkeit in Brüssel. Die Meinungsverschiedenheiten sind groß, vor allem mit den ost- und mitteleuropäischen Ländern, also Polen, Ungarn, Tschechien und andere, und Emmanuel Macron hat ja, ähnlich wie die Kanzlerin, die ablehnende Haltung dieser Visegrád-Länder scharf kritisiert.
    Besteht da, Herr Uterwedde, vor diesem Hintergrund die Gefahr, dass diese deutsch-französische Geschlossenheit in dieser Frage, in dieser Flüchtlingsfrage den Graben zwischen Ost und West, zwischen Ost- und Westeuropa tiefer werden lässt?
    Uterwedde: Das ist sicherlich eine Gefahr. Also deutsch-französische Einigkeit in und für Europa auf Kosten einer ganzen Gruppe von Staaten, das geht nicht, und hier ist aber interessant, wie Macron vorgegangen ist. Er hat einerseits Klartext geredet: Europa ist kein Supermarkt. Das ging ja im Grunde genommen an die Selbstbedienungsmentalität in manchen Staaten in Mittel- und Osteuropa. Er hat aber ja auch mit den Visegrad-Staaten das Gespräch gesucht, und hier hat man tatsächlich sehr offen, aber eben auch versucht, tatsächlich sich aneinander anzunähern und eben die Standpunkte auszutauschen.
    Es wird letztendlich nur mit Überzeugungskraft gehen, und Deutschland, Frankreich können nicht in sich selbst in ihrem Bilateralen erschöpfen, um Europa voranzubringen. Also hier ist die Notwendigkeit, tatsächlich auch die anderen einzubinden, sehr stark, und auch das ist, wie die Verteidigung, auch ein hartes Stück Brot. Da wird man noch sehr viel Überzeugungskraft brauchen und auch sehr viel Diskussion brauchen, aber der Anfang ist gemacht, und am Beginn steht immer Klartext und dann der Wille, gemeinsam zu verhandeln. Das hat Macron jetzt gerade auch mit den mittel-, osteuropäischen Staaten gemacht und hat tatsächlich nach dem Klartext eben auch erste Dialogformen gefunden, die auch in Zukunft fortgesetzt werden. Das wird sicherlich auch auf europäischer Ebene weitergeführt werden.
    "Charme des Neuanfangs ist mit Fragezeichen versehen"
    Heinlein: Zuckerbrot und Peitsche – kann man den Stil von Macron auf diese Formel herunterbrechen?
    Uterwedde: Ja, wenn Sie so wollen. Ich meine, wir erliegen alle, glaube ich, in Europa sozusagen dem Charme dieses neuen jungen Präsidenten, der so viel ... , also der fast auf Wasser zu gehen scheint, dem so viel gelungen ist. Auf ihn wartet jetzt auch die Mühe der Ebene. Er muss innenpolitisch tatsächlich jetzt umsetzen, was er versprochen hat, und er wird natürlich auch – und das weiß er auch – in Europa tatsächlich Verbündete brauchen, er wird auch seine Vorstellungen eben besprechen müssen, er wird eben auch Kompromisse schließen müssen, und er wird eben auch einfach – aber das kann er ja – seine, sage ich mal, Überzeugungskraft finden müssen, um tatsächlich zu werben für die europäischen Lösungen, die ihm vorschweben, und das ist auch gut so. Ich denke, dieser Charme des Neuanfangs, der ist mit Fragezeichen versehen, aber er hat seinen Charme, und ich bin relativ zuversichtlich, dass wir in dieser neuen Konstellation spätestens im Herbst nach der Bundestagswahl tatsächlich neue Impulse in Europa setzen werden können.
    Heinlein: Positive Erwartungen von Professor Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Jetzt habe ich es richtig gesagt. Ich danke für das Gespräch, Herr Professor und auf Wiederhören!
    Uterwedde: Gerne, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.