Christiane Kaess: Vor der Sendung habe ich über die Vorstellung zur Wirtschaftspolitik von Emmanuel Macron und Martin Schulz mit Guntram Wolff gesprochen. Er ist Direktor des Bruegel-Instituts, einer europäischen Denkfabrik zu Wirtschaftsfragen mit Sitz in Brüssel. Gestern Abend überall in Europa: Aufatmen über den Sieg Macrons, auch in Berlin. Aber wird es für Berlin nicht schwierig, denn Macron hat den Deutschen ja schon im Wahlkampf ihren Exportüberschuss vorgeworfen und er hat mehr Investitionen verlangt?
Guntram Wolff: Ja, es ist sicherlich für Deutschland erst mal eine Erleichterung, denn mit Marine Le Pen hieße es sicherlich Abschied von Europa nehmen, Abschied von der Europäischen Union und vom Euro nehmen, wie wir ihn kennen.
Aber es ist richtig, Emmanuel Macron hat bestimmte Forderungen und sagt vor allem, dass es nicht einfach so weitergehen kann wie bisher, sondern dass es mehr Wachstum braucht, dass die Eurozone selber auch noch ein bisschen weiter umgebaut werden muss und dass natürlich Deutschland auch seinen Teil spielen muss.
"Deutschland muss mehr investieren"
Kaess: Wie sollte Berlin damit umgehen?
Wolff: Das ist natürlich eine schwierige Frage. Ich denke, in Berlin hat jetzt natürlich schon der Wahlkampf begonnen. Aber im Prinzip, denke ich, ist die grundsätzliche Idee, dass man in Deutschland mehr investiert, schon die richtige. Deutschland muss mehr investieren, um einfach mehr Wachstum zu haben, besseren Kapitalstock zu haben. Der öffentliche Kapitalstock ist seit Jahren rückläufig und insofern: Das Grundthema, dass mehr investiert werden sollte in Deutschland, ist eigentlich in deutschem Interesse und ist natürlich auch im europäischen Interesse.
Kaess: Dieses Ziel, stärker zu investieren, das vertritt auch der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Er hat jetzt ein bisschen die Bildung und die Infrastruktur in den Vordergrund gerückt. Sind das die richtigen Schwerpunkte?
Wolff: Ja. Ich denke, Bildung und öffentliche Infrastruktur ist natürlich ein Teil. Aber was ich schon auch betonen würde, ist insbesondere der Privatsektor. Wir müssen auch dazu kommen, dass Unternehmen wieder mehr investieren, und bei Unternehmen fehlen teilweise auch die Anreize.
Es fehlen auch die Reformen, die in Deutschland neue Märkte, neue Wirtschaftsmöglichkeiten schaffen, und insofern, glaube ich, brauchen wir ein Programm, das einerseits sowohl diese Nachfragethemen ein bisschen betont, öffentliche Investitionen, wie auf der anderen Seite aber auch ein paar angebotsorientierte Reformen, die deutschen Unternehmen ermöglichen, auch mehr wieder in Deutschland zu investieren.
"Immer noch sehr abgeschottet"
Kaess: Was kann der Staat da konkret tun?
Wolff: Na ja. Wir haben einerseits natürlich steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, die wichtig sind. Aber wir haben auch Öffnung bestimmter Märkte, die immer noch sehr geschützt sind, zum Beispiel natürlich Apotheken, um nur ein Beispiel zu nennen. Aber gerade im Dienstleistungsbereich ist der deutsche Markt immer noch sehr abgeschottet und deswegen gibt es da auch relativ wenig Investitionen, relativ wenig Innovationen.
Kaess: Wenn Emmanuel Macron von Investitionen spricht, dann will er auch soziale Kriterien einbeziehen. Macht das Sinn?
Wolff: Na ja, das ist natürlich eine politische Frage, wie stark man soziale Kriterien bei Investitionen einbringen will. Ich denke, was schon eine große Stärke in Europa ist und war in den letzten Jahren ist, dass wir eine soziale Marktwirtschaft haben, dass wir nicht nur ein rein wirtschaftsliberales Modell haben, sondern dass wir auch Leuten helfen, die ihren Job verlieren, einen neuen Job zu kriegen.
Wir setzen uns bei der Ausbildung ein, bei der Ausbildung junger Menschen, bei der Ausbildung auch Berufstätiger, und all diese Themen sind, glaube ich, Themen, die mehr und mehr gerade im internationalen Vergleich als Stärke gesehen werden, die uns vielleicht auch gerade absetzen von einem Amerika, das kein Sozialmodell hat und dann wirklich letztendlich eine gescheiterte Wirtschaftspolitik hat.
"Bei bestimmten Themen stärker zusammenarbeiten"
Kaess: Emmanuel Macron schlägt jetzt vor, für die Eurozone einen gemeinsamen Haushalt, einen gemeinsamen Finanzminister und ein Parlament auch noch dazu. Was würde das bedeuten?
Wolff: Ich glaube, das weiß noch niemand so genau. Das sind bis jetzt erst mal nur Schlagwörter. Was genau dahintersteht, muss sich noch zeigen. Das muss noch ausbuchstabiert werden. Das sind auch erst mal Forderungen, die aus Paris kommen, die natürlich verhandelt werden müssen. Ich glaube, der grundsätzliche Ansatz, dass man bei bestimmten Themen stärker zusammenarbeitet, wie zum Beispiel bei europäischen Investitionsprojekten, die auch auf europäischer Ebene Sinn machen, dass man im Banken- und Finanzbereich noch stärker sich verzahnt und noch stärker akzeptiert, dass man nicht eine gemeinsame Währungsunion haben kann und gleichzeitig macht jeder was er will mit seinen Banken. Ich glaube, das ist schon der richtige Ansatz.
Wir müssen da stärker zentralisieren, um aber umgekehrt bei anderen Themen wiederum bereit sein zu können zu sagen: okay, wenn ein Land schlecht wirtschaftet, dann muss dieses Land auch die Konsequenzen des schlechten Wirtschaftens selber tragen und im Notfall auch in eine Staatsinsolvenz gehen.
Kaess: Deutschland ist ja auch dagegen, mehr Geld und Einfluss nach Brüssel zu geben. Zumindest bisher hat Finanzminister Schäuble die Bedingung gestellt, dass andere Länder weniger Schulden machen müssen. Ist die SPD da näher an Macron als die Union?
Stärker zusammenarbeiten und so Eigenverantwortung stärken
Wolff: Da wäre ich sehr vorsichtig. Ich glaube, das würden sich sehr viele Leute so vorstellen in großen Teilen Europas. Ich glaube, wenn die SPD dann selber erst mal im Kanzleramt sitzt, wird auch ganz schnell klar sein, dass Deutschland nicht der Zahlmeister Europas sein kann. Insofern: Dass alle Mitgliedsstaaten Europas ihre Hausaufgaben machen müssen und verantwortlich sind für ihre eigene Haushaltspolitik, das ist eigentlich ein Ziel, das viele in Deutschland haben und zurecht haben und das wir auch haben müssen, weil es kann nicht sein, dass eine Währungsunion so aussieht, dass einer für alle zahlt. Das wird nicht funktionieren.
Wir müssen definitiv die Eigenverantwortung der Mitgliedsländer stärken. Aber bei einigen bestimmten Themen müssen wir stärker zusammenarbeiten und wenn wir das machen, nur dann können wir die Eigenverantwortung der Länder stärken.
Kaess: … sagt Guntram Wolff. Er ist Direktor des Bruegel-Instituts, einer europäischen Denkfabrik. Danke für Ihre Zeit heute Abend.
Wolff: Vielen Dank!
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