Chatenoy, ein uraltes Dörfchen, achtzig Kilometer südöstlich von Paris. Clara Thierry steht im Schafstall des elterlichen Bauernhofs. Gerade hat die 15-Jährige ein halbes Jahr nahe Düsseldorf verbracht, bei Rebecca Dinkelborg und deren Eltern, beide im Bankensektor tätig. Nun ist Claras Austauschpartnerin sechs Monate Gast in Chatenoy.
"Also Rebecca, hier ist mein Alltag. Als ich klein, war, ich war immer hier mit den Schafen."
"Ich find es sehr schön hier. Und ich freue mich auch, dass sie hier so auf dem Land sind. Und die Schafe ... Im September werden wohl auch wieder neue geboren werden und das zu sehen, ist, glaube ich, auch echt schön."
"Es gibt keine U-Bahn, nicht viel Auto, nicht viel Internet."
"Zwei Busse am Tag."
"Ja, das ist mein Leben."
Eintauchen in den fremden Alltag
Ein Alltag, in den Rebecca Dinkelborg nun voll eintauchen wird.
"Ich wollte schon immer nach Frankreich. Ich liebe Frankreich schon, seit ich klein bin. Ich find es einfach schön, die Natur und die großen Landschaften. Und das Essen."
Der Voltaire-Austausch macht einen längeren Frankreichaufenthalt erschwinglich: Unterkunft und Verpflegung werden von der jeweiligen Gastfamilie gestellt, das DFJW, das Deutsch-Französische Jugendwerk, zahlt die Reisekosten plus 250 Euro Taschengeld. Davon profitiert hat vor Jahren auch schon Claras älterer Bruder.
Sinkende Bewerbungszahlen
Doch während in Spitzenjahren über 600 junge Deutsche und Franzosen am Programm teilnahmen, sind es jetzt nur noch 150. Agnès Pruvost, DFJW-Beauftragte für schulischen und außerschulischen Austausch, sagt, das liege auch an der G8-Reform in Deutschland, der verkürzten Schulzeit bis zum Abitur.
"Diese 10. Klasse, die praktisch für das Voltaire-Programm geeignet war, gab es nicht mehr. Es gab ein Jahr weniger. Und es gab auch in Frankreich eine Reform des Bildungssystems."
Das ließ die Bewerberzahlen bei Voltaire sinken – vor allem auf deutscher Seite. Aber auch in Frankreich sei das Interesse nun geringer, sagt Gastmutter Karine Thierry.
"Hierzulande stehen die Kinder zunehmend unter Erfolgsdruck. Die Eltern schicken sie immer früher zur privaten Nachhilfe. Sie denken wohl, dass die staatliche Schule ihrem Auftrag nicht mehr gerecht wird. Und sie fürchten, dass ihr Kind nach sechs Monaten im Ausland in der Klasse nicht mehr mitkommt. Ich sehe das anders: Der Austausch hat Clara aufblühen, Selbstvertrauen entwickeln lassen. Das genau ist doch der Schlüssel für ein erfolgreiches Leben."
"Bin anpassungsfähiger geworden"
Das kann Chloé Basile-Grall nur bestätigen: Vor neun Jahren war sie dank Voltaire ein halbes Jahr in Leipzig – fern von ihrer Familie im Pariser Großraum.
"Und daher musste ich mich in einer neuen Familie integrieren und auch neue Freunde finden, neue Hobbys finden. Und dadurch bin ich anpassungsfähiger geworden, würde ich sagen."
Für fast alle Voltaire-Absolventen wurde das Austauschprogramm zum Sprungbett für eine Karriere im deutsch-französischen Bereich oder gar international. Clara Thierrys Bruder absolviert derzeit ein deutsch-französisches Ingenieur-Studium. Zwar weiß Claras Austauschpartnerin noch nicht, was sie mal werden will – dafür aber, was ihr das Voltaire-Programm schon gebracht hat: den Kontakt zu Clara, sagt Rebecca Dinkelborg.
"Also es ist halt wie noch eine Schwester zu haben. Und dazu zusätzlich noch eine Freundin. Also so beides, ja."