Christoph Heinemann: Immanuel Macron hat heute einiges zu tun: Donald Trump kommt zu Besuch nach Paris. Achten Sie dabei auf den Handschlag, denn beim NATO-Gipfel hatte Macron Trumps Hand in die Zange genommen und lange nicht losgelassen. Trump fand das nicht witzig. Befürchtungen, er werde sich dafür rächen, indem er sich wie zuletzt im Video auf seinen französischen Amtskollegen werfen und ihm die Buchstaben "CNN" auf die Stirn malen könnte, dürften allerdings kaum begründet sein. So viel zu Trump. – Zuvor ist die Bundesregierung zu Gast an der Seine: deutsch-französischer Ministerrat.
Dass eine gemeinsame Verteidigungspolitik auf der Tagesordnung steht, das hat eben auch mit Donald Trump zu tun. Der möchte bekanntlich, dass die Europäer künftig selbst für ihre Sicherheit sorgen. Eine engere Zusammenarbeit ist angedacht; dabei ist ein Detail interessant: Macron strebt die Zusammenarbeit in schlagkräftigen Gruppen an, nicht mit der gesamten Europäischen Union, wie er ja auch mit dem Blick auf die EU vor allem die Eurogruppe stärken möchte. Finanzminister, eigener Haushalt, das sind Stichworte. Die Überschrift über diesen vielen Einzelheiten lautet: "Wie organisieren wir nach kriegerischen Jahrhunderten die friedliche Zusammenarbeit?" Und spätestens an diesem Punkt geht die, manchmal schwer verständliche Europäische Union jede und jeden etwas an. - Elmar Brok ist am Telefon, CDU-Politiker, Mitglied des Europäischen Parlaments. Guten Morgen.
Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Brok, Joschka Fischer hat gesagt, Immanuel Macron ist ein Glücksfall für die Europäische Union. Muss die Bundesregierung diesen Glücksfall unterstützen?
Brok: Die Bundesregierung muss diesen Glücksfall unterstützen. Wir alle müssen dies tun. Aber wir müssen gemeinsame Politik machen. Es scheint so, dass Frankreich wieder Kraft gefunden hat, zu neuen Ufern aufzubrechen. Wichtig ist auch die ganze Frage der Entwicklung der wirtschaftlichen Reformen, die zehn Jahre nicht vorankamen und die jetzt in wenigen Wochen offensichtlich vorankommen. Und ich glaube, dass dies die Möglichkeit ist, dass hier gemeinsame Führung wieder entsteht. Deutschland musste in den letzten Jahren fast allein führen. Das ist nie gut, das ist nie bequem, das macht nie populär. Und wenn Frankreich jetzt wieder zur Führungskraft mit wird, ist das eine Erleichterung für Deutschland, und wir sollten diese Partnerschaft wieder entwickeln, die für Deutschland und für Europa immer so wichtig war.
Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion
Heinemann: Macron fordert. Er hat jetzt in einem Interview gesagt, Deutschland müsse für eine Wiederbelebung der öffentlichen und privaten Investitionen in Europa sorgen. Muss Deutschland das und wenn ja wie?
Brok: Ja, darüber wird es noch eine Reihe von Diskussionen geben. Aber ich glaube, wenn Präsident Macron erfolgreich wird mit seiner Gesetzgebung für die Reform des Arbeitsmarktes, der wirtschaftlichen Entwicklung, der inneren Stärkung Frankreichs, dann werden wir sicherlich, wenn das im Oktober erledigt sein sollte, es nötig haben, dann die Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion anzunehmen, und das bedeutet auch, dass wir hier überlegen, wie wir den Euroraum voranbringen, aber nicht nur den Euroraum, sondern die gesamte Europäische Union.
Heinemann: Noch mal zurück zu dem Unterstützen. Sollen wir ihn unterstützen aus ökonomischer Vernunft oder aus Angst vor Populisten?
Brok: Ich glaube, es ist immer eine Mischung davon. Natürlich müssen Populisten abgewehrt werden, aber Populisten werden nicht dadurch abgewehrt, dass man sagt, das muss ich jetzt machen wegen der Populisten, sondern die Kraft zu haben, dass politisch zu machen, was notwendig ist, und dazu bedeutet es auch, dass wir weiterhin die Wirtschafts- und Währungsunion stärken. Ob das jetzt in gleicher Weise geschieht, mit großen neuen Töpfen oder in welcher Form auch immer, das wird eine Diskussion sein, aber ich glaube, dass auch Deutschland in dieser Frage wie andere Länder sich bewegen müssen, um auf die Art und Weise die Europäische Union voranzubringen.
"Offen sein für alle Länder"
Heinemann: Was glauben Sie denn, in welche Richtung möchte Macron die EU entwickeln?
Brok: In dem Beitrag vorhin wurde es auch deutlich und Sie sagten es auch in Ihrer Anmoderation, dass Macron das in kleinen Gruppen machen möchte. Dies ist einmal richtig. Wir haben hier die Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich. Der Euro selbst ist ja eine verstärkte Zusammenarbeit. Es müssen nicht alle Länder gleichzeitig mitmachen. Aber es muss offen sein für alle Länder, damit sie aufschließen können. Hier sind wir ja schon erfolgreich gewesen. Von den 27 Mitgliedsländern der Europäischen Union, von denen wir jetzt auszugehen haben, sind 19 bereits im Euro, die 87 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union darstellen. Deswegen wäre es falsch, hier jetzt eine neue Administration für die Eurozone, neue Positionen zu schaffen. Das würde neue Zäune innerhalb der Europäischen Union ziehen. Hier muss man, glaube ich, in diesen institutionellen Fragen vorsichtig sein.
Und wenn Sie zur Verteidigungspolitik kommen: Ich glaube, das muss auch so sein, dass es offen ist für kleine Länder, die da mitmachen wollen. Es kann nicht sein, dass die Instrumente der verschiedenen Geschwindigkeiten, die der Vertrag von Lissabon ermöglicht – bei der Außenpolitik nennt man das permanente strukturierte Zusammenarbeit -, dass dieses nur für ein paar Länder gilt, die besonders stark sind, sondern dies muss offen sein für alle Länder, auch alle Länder in Mittel- und Osteuropa, wenn sie an so einer verstärkten Zusammenarbeit sich beteiligen wollen.
"Zu gleichen Bedingungen ohne Erschwernisse beitreten"
Heinemann: Herr Brok, wenn jetzt die Gruppenphase beginnt, wenn jetzt Gruppenarbeit quasi angesagt ist, heißt das, dass die große EU entkernt wird?
Brok: Nein! Der Vertrag von Lissabon sieht das vor. Diese permanente strukturierte Zusammenarbeit ist Teil des Vertrages, dass, sagen wir mal, zehn Länder mitmachen, dass dann dieses eine Koalition der Willigen ist, die vorangehen. Aber es muss so sein, dass es offen ist, dass jederzeit jeder andere zu den gleichen Bedingungen ohne Erschwernisse beitreten kann. Es müssen nicht immer alle 27 sein, und darum geht es ja jetzt, dass es geöffnet worden ist. Die Briten haben das gestoppt. Seit 2010 gibt es das Instrument. Jetzt gibt es Beschlüsse im Rat, hier voranzugehen. Diese Beschlüsse, die jetzt gefasst worden sind, was vom Europäischen Parlament gestützt wird – wir fordern das seit Langem -, müssen so sein, dass die Länder, die das machen wollen, es machen können und nicht durch andere gebremst werden. Das ist ausdrücklich der Wunsch des Vertrages.
"Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten"
Heinemann: Und neben den Willigen gibt es dann auch die Unwilligen, und die leben im Osten?
Brok: Nein! Ich glaube, dass bei der Verteidigungspolitik viele Länder im Osten, weil sie Interesse daran haben, in ihrer geografischen Lage geschützt zu sein, dass sie mitmachen werden. Wir haben mit diesem Instrument der verstärkten Zusammenarbeit kürzlich einen europäischen Staatsanwalt eingeführt zur Bekämpfung von Korruption. Da haben sich jetzt die meisten Länder Mittel- und Osteuropas angeschlossen, aber nicht die Niederlande. Es darf nie eine Zwei-Klassen-Gesellschaft sein, die einen da und die anderen da und immer dieselben. Das würde eine Teilung der Europäischen Union werden. Deswegen nie ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, aber der verschiedenen Geschwindigkeiten.
Heinemann: Schauen wir uns noch mal die Pläne an oder die Stichworte zur Eurozone. Da spricht man vom Finanzminister, einem Parlament, einer Wirtschaftsregierung. Welche zusätzlichen Institutionen werden daraus entstehen und welche benötigt die Eurozone?
Brok: Ich glaube, wir brauchen keine neuen Institutionen. 19 sind bereits drin in der Europäischen Union und Deutschland sollte keine neuen Zäune bauen wie beispielsweise gegen Polen.
"Reformen und nicht einfach Transferleistungen"
Heinemann: Aber Entschuldigung! Es wird doch ständig gesprochen vom Finanzminister, vom Parlament, von einem eigenen Eurozonen-Haushalt und so weiter und so fort.
Brok: Ich glaube, dass wir kein eigenes Parlament brauchen. Der Euro ist die Währung der Europäischen Union. Das ist ein Gemeinschaftsprojekt. Dafür gibt es das Europäische Parlament. Ob man da Abschichtungen machen muss, muss man diskutieren. Wir können beispielsweise dafür Sorge tragen, das lässt der Vertrag zu, ähnlich wie bei der Hohen Beauftragten, dem Vizepräsident oder im Bereich der Außenpolitik, dass in Zukunft der Chef der Eurogruppe auch gleichzeitig Vizepräsident von Wirtschaft und Währung der Europäischen Kommission ist, um so die Dinge zusammenzuhalten. Das ist sicherlich eine Diskussion, die wir intensiv noch mit Frankreich führen müssen. Aber verstärkte haushalterische Möglichkeiten zu haben, damit Reformprozesse gestützt werden, immer bedingend, dass dieses Reformen sind und nicht einfach Transferleistungen, in dieser Ecke werden wir uns bewegen müssen. Das ist zweifelsohne so.
"Auf Dauer die Gemeinschaft auf Status haben"
Heinemann: Herr Brok, schauen wir mal in die Zukunft. Was wird langfristig von Francois Mitterrands und Helmut Kohls EU übrig bleiben?
Brok: Ich glaube, wenn wir diesen Weg so gehen, ist es das Europa von Francois Mitterrand und Helmut Kohl. Auch sie haben dieses Instrument benutzt. Schengen und Euro sind Beispiele dafür. Und Sie sehen ja, bei Schengen sind alle Länder inzwischen Mitglied, außer Irland, Rumänien und Bulgarien, Irland wegen der britischen Problematik, Rumänien und Bulgarien, weil sie noch nicht so weit sind, den notwendigen zu gewährleisten. Und beim Euro sagte ich ja bereits, 19 von 27. Ich glaube, dass diese Methode, die eigentlich von Jacques Delors stammt, Außenschutz stammt, aus der Kohl-Mitterrand-Zeit, eine Avantgarde-Lösung zu machen, einige gehen voran, das muss immer eine bestimmte Zahl von Ländern sein, das muss gemeinsam beschlossen sein, das muss immer offen sein für alle, damit sie hineingehen können, das darf nie ein closed Job sein, ich glaube, das sind die Methoden, die Dinge voranzubringen, um daraus dann auf Dauer die gesamte Gemeinschaft auf diesem Status zu haben.
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