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Deutsch-französischer Ministerrat
"Ein guter Gipfel in schwieriger Zeit"

Der deutsch-französischen Ministerrat auf Schloss Meseberg sei ein guter Gipfel gewesen, sagte Politologe Hendrik Uterwedde im Dlf. Europäische Fortschritte würden oft erst in der Krise möglich. Insofern könne der Asylstreit der Union durchaus ein Antreiber für eine schnellere Lösung der Flüchtlingsfrage in der EU sein.

Hendrik Uterwedde im Gespräch mit Silvia Engels  |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht neben Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, bei der Ankunft zum Deutsch-Französischen Ministerrat vor Schloss Meseberg.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht neben Emmanuel Macron beim Minsterrat-Treffen vor Schloss Meseberg (dpa /Michael Kappeler)
    Silvia Engels: Beim gestrigen deutsch-französischen Ministerrat auf Schloss Meseberg bei Berlin hatten der französische Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel offenkundig ein gemeinsames Ziel: Geschlossenheit und Stärke demonstrieren und in fast allen Fragen europäische Bekenntnisse abgeben. Doch wieviel Substanz steckt hinter all dem? Das wollen wir besprechen mit Professor Hendrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg, ein Forschungsinstitut der bilateralen Beziehungen mit großer Tradition. Guten Morgen, Professor Uterwedde.
    Hendrik Uterwedde: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Beginnen wir mit den Finanzen. Hat der französische Präsident Macron mit dem ja groß beschlossenen Eurozonen-Budget nun das Geld und den Umbau der Strukturen bekommen, so wie er das wollte?
    Uterwedde: Na so sicherlich nicht. Er hat ja mal angefangen mit Budget-Vorstellungen, die bis in die 300, 400 Milliarden Euro gingen. Das ist deutlich abgespeckt. Aber er hat einfach das Prinzip bekommen, dass es ein solches Budget geben soll, wobei viele Details noch offen bleiben, aber trotzdem die Eurozone sich einfach ein Budget geben kann, um - und jetzt fängt es an - was zu tun, Investitionen zu fördern, Hilfe bei Reformprozessen zu geben, oder auch, wie es Macron vorschwebt, Ländern zu helfen, die eventuell in eine akute konjunkturelle Krise geraten könnten. Das alles wird alles noch präzisiert werden müssen. Trotzdem: Das Prinzip, dass es ein solches Budget geben wird, ist ein wichtiger Punkt für Emmanuel Macron.
    "Da ist noch sehr viel Luft und auch noch sehr viel Präzisionsbedarf"
    Engels: Halten Sie diese Idee für mehrheitsfähig, denn dann müssten ja die anderen auch mitstimmen? Gespeist werden soll das ja aus einer vielleicht neuen Steuer, außerdem aus nationalen Ressourcen und gegebenenfalls auch aus EU-Ressourcen.
    Uterwedde: Ja gut, das wird man sehen. Es war ja bislang nicht nur, sage ich mal, ein deutsch-französischer Streit. Sie kennen die deutsche Position, die da sehr, sehr skeptisch war, neues Geld und vor allen Dingen auch nur für die Eurozone bereitzustellen. Es gibt ja auch nord- und westeuropäische Länder, die dieser Idee sehr, sehr skeptisch entgegenstehen. Insofern werden da noch harte Verhandlungen kommen, woher das Geld kommen soll.
    Soll es eine neue Transaktionssteuer geben, deren Geld in diesen Haushalt fließt? Wer wird den Zugriff haben auf dieses Geld? Wie wird das Ganze regiert werden? Und dann: Welche Zweckbindung? Das ist alles noch vollkommen unklar und ich glaube, um alle ins Boot zu bekommen, auch alle Euroländer, wird man hier einfach auch noch mal die Diskussion mit den übrigen Europäern abwarten müssen. Da ist noch sehr viel Luft und auch noch sehr viel Präzisionsbedarf.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Emmanuel Macron und Minister beider Regierungen posieren für ein Familiefoto im Schloss Meseberg in Brandenburg am 19. Juni 2018.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Emmanuel Macron und Minister beider Regierungen posieren für ein Familiefoto im Schloss Meseberg in Brandenburg (imago / Emmanuele Contini)
    Engels: Wir hören allerdings jetzt schon, dass Teile der CSU-Spitze verärgert sind. Sie wollen das Eurozonen-Budget, so wie es in den Eckdaten von dem Papier in Meseberg angelegt ist, in den Koalitionsausschuss ziehen. Steckt dahinter wieder die Sorge, dass Deutschland am Ende doch mehr einzahlen wird, ohne die Kontrolle zu behalten?
    Uterwedde: Gut, das ist natürlich die klassische Sorge, die in Deutschland da ist. Nur wir müssen uns, denke ich, auch mal im Klaren werden: Diese Eurozone, auch die Europäische Union insgesamt besteht einfach aus Ländern, aus verschiedenen Ländern. Es gibt auch unterschiedliche Ansätze, wie man hier auch den Euroraum steuern soll. Und dass es hier von bestimmten Ländern einfach Vorstellungen gibt, dass man sagt, man muss auch für bestimmte Zwecke Geld in die Hand nehmen, das wird man vielleicht auch in München irgendwann mal einsehen.
    Ich glaube, wo die deutsche Seite recht hat und auch insistiert hat ist, dass man nicht einfach sagt, wir brauchen mehr Geld, ein Eurozonen-Budget, sondern dass man sehr, sehr klar und präzise festlegt, wofür soll eigentlich das Geld da sein. Ich glaube, auch die Bürger werden verstehen, wenn man präzise Ziele nennt und auch sagt, wo ein europäischer Mehrwert entstehen kann, dann ist so etwas auch politisch durchsetzbar.
    "Das ist ja Europa wie es leibt und lebt"
    Engels: Schauen wir auf das nächste große Thema in Meseberg: die Krise zwischen CDU und CSU hat ja dazu geführt, dass das Thema Migration bei diesem Ministerrat oben auf der Tagesordnung stand. Präsident Macron hatte sich ja dann grundsätzlich bereit erklärt, Flüchtlinge auch in Form eines bilateralen Abkommens zurückzunehmen. War diese Zustimmung Macrons zu diesem bilateralen Flüchtlingsabkommen der Preis für die deutschen Zugeständnisse beim Eurozonen-Budget?
    Der Politologe Henrik Uterwedde
    Der Politologe Henrik Uterwedde (Heiner Wittmann )
    Uterwedde: Ich denke mal, dass es natürlich eine Art Deal ist, aber das ist ja Europa wie es leibt und lebt. Ich meine, das ist der Versuch, Interessen auszugleichen. Deutschland hat jetzt hier in der Flüchtlingsfrage ein sehr, sehr dringliches Interesse an gemeinsamen und auch möglichst schnellen europäischen Lösungen und Frankreich hat seine Vorstellungen. Dass man sich in den verschiedenen Punkten entgegenkommt, ich glaube, das ist eigentlich das A und O europäischer Politik.
    Nur wer meint, mit dem nationalen Kopf durch die nationale Wand alle Probleme dieser Welt lösen zu können, kann so etwas abweisen. Aber das es natürlich so eine Art Kompromiss war und dass Macron natürlich auch Zugeständnisse erwartete in der Eurozonen-Frage für seine Unterstützung, das ist vollkommen klar.
    Engels: Macron und Merkel waren sich ja einig darin, dass weiterhin die europäische Lösung in der Asylpolitik gesucht werden soll. Über einige Sachen gibt es dort Übereinstimmung: Bessere Sicherung der Außengrenzen, auch eine europäische Asylbehörde. Aber die Frage ist ja, wie weit kann man gehen, ohne dass Osteuropa sich dagegen verweigert. Sehen Sie Chancen, dass da beim EU-Gipfel etwas herauskommen kann?
    Uterwedde: Ich weiß nicht, ob man bei dem EU-Gipfel schon eine fertige Lösung schaffen kann. Das sicherlich nicht. Wichtig ist, glaube ich - das haben ja beide unterstrichen -, dass diese Frage auf europäischer Ebene gelöst werden muss, dass es keine nationalen isolierten Aktionen geben kann, weil die letztendlich zum Scheitern verurteilt sind.
    Und wenn man auf dem EU-Gipfel jetzt schon einmal ein paar Beschlüsse bekommen könnte, was zum Beispiel relativ unstrittig sein könnte wäre, dass man den europäischen Grenzschutz verstärkt und auch mit mehr Mitteln ausstattet, dass man dann Wege zu einer europäischen Asylbehörde geht, dass man eventuell auch im Vorgriff bilaterale Abkommen wie etwa Frankreich mit Italien geschlossen hat zur Zurückweisung von Flüchtlingen, die bereits registriert waren, dass auch das möglich sein muss zwischen Deutschland und etwa Südländern, wenn man einen solchen Grundsatzbeschluss bekommt und erste konkrete Schritte - und da sehe ich die Grenzsicherung eigentlich als am konsensfähigsten -, dann wäre man schon ein Stück weiter.
    Und der Rest ist dann wirklich auch eine mühsame Kompromissarbeit. Wie man die Osteuropäer im Augenblick von dieser Frage der Solidarität überzeugen kann, das weiß ich leider auch nicht. Da wird noch sehr, sehr viel Geduld und Spucke und mühsames Bohren der berühmten dicken Bretter nötig sein.
    Ein Blick auf das Flüchtlingslager im Pariser Norden, in der Nähe der "Porte de la Chapelle".
    Ein Blick auf das Flüchtlingslager im Pariser Norden, in der Nähe der "Porte de la Chapelle". (AFP/ Geoffroy van der Hasselt.)
    "Europäische Fortschritte werden oft auch erst in der Krise möglich"
    Engels: Ein bisschen untergegangen ist gestern, dass es auch zur Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union etwas Bewegung gibt. Hier sollen jetzt Mehrheitsbeschlüsse bei der Außenpolitik der Kurs sein, den Deutschland und Frankreich voranbringen wollen. Wie wichtig ist dieser Weg?
    Uterwedde: Ich glaube, er ist sehr wichtig. Außen- und Sicherheitspolitik ist ja im Grunde der Kern nationaler Souveränität. Man redet seit Jahrzehnten eigentlich davon, dass Europa eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik haben soll, und es stößt sich sehr, sehr oft an diesen nationalen Vorbehalten. Ich glaube, das ist ein wichtiger Einstieg, dass man hier zu Fortschritten kommt, wie ja überhaupt, wenn Sie sich mal die Agenda der EU ansehen, wir seit ein, zwei Jahren doch eine gewisse Verschiebung der Agenda haben.
    Früher hat man fast nur über den Euro geredet; heute ist es so, man Außen- und Verteidigungspolitik, Asylpolitik, Grenzschutz, diese Themen sich doch sehr, sehr stark in den Vordergrund geschoben haben, und ich denke, das was in der Welt in den letzten ein, zwei Jahren passiert ist, macht ja die Dringlichkeit eines gemeinsamen Handelns in Europa noch stärker deutlich. Ich denke, das ist ein guter Beschluss, dem natürlich weitere folgen müssen. Da müssen auch langsam nationale sicherheits- und außenpolitische Kulturen ein Stück weit zusammenwachsen, und das ist auch ein sehr mühsamer Prozess. Aber es ist wichtig, dass er begonnen worden ist.
    Engels: Machen wir einen Strich drunter. Welche Bilanz ziehen Sie aus diesen Beschlüssen? Ist der deutsch-französische Motor für die EU wieder angesprungen, oder war es letztlich das Treffen zweier geschwächter Regierungschefs, die sich gegenseitig stärken?
    Uterwedde: Sowohl als auch. Aber ich meine, Sie wissen, dass europäische Fortschritte oft auch in der Krise erst möglich werden. Möglicherweise hat paradoxerweise die CSU mit ihrem sehr harschen und provokativen Vorgehen die Kanzlerin oder auch Partner gezwungen, etwa in der Asylfrage und Einwanderungsfrage einfach übers Stöckchen zu springen und schnellere Fortschritte zu erzielen.
    Ich glaube, es war ein guter Gipfel in schwieriger Zeit. Beide und die Europäer sind noch nicht überm Berg, aber ich denke, nur so kann es in Europa funktionieren, wenn die zwei der wichtigsten Regierungen einfach versuchen, hier gemeinsame Linien vorzustellen, die möglicherweise von allen auch tragbar sind. Insofern denke ich, es war ein guter Gipfel. Ob es Angela Merkel helfen wird, das werden wir in einigen Wochen sehen.
    Engels: Professor Hendrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.