Archiv

Deutsch-iranische Forschung
Kooperationen mit Hindernissen

Deutsch-iranische Forschungsprojekte sind keine Seltenheit. Solange sich die Kooperationen um Naturwissenschaften drehen, sind sie unproblematisch. Schwierig wird es bei Kultur- und Sozialwissenschaften, etwa wenn es um Säkularisierung oder Minderheitenschutz geht.

Von Barbara Weber |
    Ali Moradkhani (l), Vorsitzender des Musikmuseums Iran, und Raimund Vogels (r), Direktor des Center for World Musik, halten am Montag (09.05.2011) in Hildesheim eine iranische Bechertrommel, "Tombak" genannt, in den Händen.
    Sie arbeiten bereits zusammen: Musikwissenschaftler der Uni Hildesheim und das Musikmuseum Iran (picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    "Wisdom is associated with toleration ..." Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Kolloquium am Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte. Prof. Seyed Hassan Eslami von der iranischen Universität Qom, spricht über das Thema Weisheit. Das Kolloquium in Frankfurt ist Teil eines Forschungsprojektes des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, kurz DAAD. Seit 2006 fördert der DAAD Hochschulpartnerschaften mit der islamischen Welt in allen Fachgebieten, vom Schauspiel über Stadtplanung bis zu Bauingenieurwesen und Medizin. Im Zentrum steht der Kulturdialog mit der islamisch geprägten Welt.
    Seit dem vergangenen Jahr hat der DAAD eine Außenstelle in Teheran eingerichtet als Ansprechpartner vor Ort für Projekte wie zum Beispiel das zwischen den Universitäten Frankfurt/Main und Potsdam mit der University of Religions and Denominations Qom und der Alzahra University Tehran. Federführend in Deutschland ist Catherina Wenzel, Professorin für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte an der Universität Frankfurt.
    Auf dem Programm stehen Forschungsreisen und Workshops in Deutschland und im Iran. In Potsdam zum Beispiel ging es um das Thema Säkularisierung: "Man muss natürlich auch unterscheiden zwischen dem wissenschaftlichen Begriff der Säkularisierung und dem politischen Begriff", sagt Ulrike Kollodzeiski, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl.
    "Als Forschungsbegriff gibt es eine große Debatte, wo viele verschiedene Konzepte von Säkularisierung diskutiert werden, und all die Diskussionen werden im Iran auch wahrgenommen und verfolgt, und es gibt viele Übersetzungen von wichtigen, auch vor allen Dingen deutschsprachigen Denkern wie Max Weber. Und all diese Diskussionen werden auch sehr rege zur Kenntnis genommen und auch diskutiert."
    Ali Abd ar-Raziq: geistiger Vater des islamischen Säkularismus
    "Wir haben auch beobachtet, dass es Seminare über Atheismus gibt", ergänzt Dr. Karsten Schmidt, Postdoc am Lehrstuhl. "Gerade aus einer muslimischen Sicht werden solche Dinge ganz besonders wahrgenommen, auch thematisiert im universitären Kontext, auch um dagegen argumentieren zu können. Also gerade weil der schiitische Islam in dieser Form Staatsreligion ist, setzt eine gewisse Säkularisierung ein, weil durch diese von der Regierung vorgegebene Religion auch eine Entfremdung in der Bevölkerung zu dieser Religiosität stattgefunden hat und ein großes Interesse besteht. Also wir haben uns sehr gewundert. Zum Beispiel in Buchläden sieht man, dass es viele Bücher gibt über das, was wir so unter Esoterik zusammenfassen: Lebenshilfe, Osho, Bhagwan, indische Gurus, Zen-Buddhismus. Solche Themen werden da sehr breit rezipiert. Ich selber habe Seminare über Buddhismus gemacht, und das wurde sehr interessiert aufgenommen."
    Diese Beobachtung deutscher Wissenschaftler kann Dr. Seyed Hassan Eslami bestätigen. Da die Universität Qom sich mit allen Facetten der Religiosität und ihrer Entstehung auseinandersetzt, sind ihm diese Diskussionen nicht fremd. "Ich habe viele Diskussionen über die Säkularisierung der Gesellschaft erlebt. Es gibt persische Essays und Bücher, die ins persische übersetzt wurden. Zum Beispiel eines der wichtigsten Bücher über Säkularisierung des Staates, 'Der Islam und die Grundlagen des Regierens' , ein arabisches Buch von Ali Abd ar-Raziq. Er war ein ägyptischer Islamgelehrter und plädierte für die Trennung von Staat und Religion."
    Ali Abd ar-Raziq gilt als geistiger Vater des islamischen Säkularismus. Das Buch löste schon 1925 bei seinem Erscheinen große Diskussionen aus. Als Ägypter war Ali Abd ar-Raziq Sunnit, aber Dr. Eslami betont, dass auch einige schiitische Gelehrte und Autoren ähnliche Thesen vertreten - mit einer nicht unerheblichen Einschränkung: "Jeder kann diese Debatte ohne zu zögern akademisch führen, ohne Propaganda gibt es keine Schwierigkeiten oder Restriktionen.
    Seit dem Regierungswechsel wird alles transparenter
    Seit dem Regierungswechsel 2013 und seitdem Hassan Rouhani Präsident ist, kann nicht nur an den Universitäten offener diskutiert werden. "Wir beobachten weniger Einmischung in das Privatleben der Menschen. Es ist evident. Und die Politik der Regierung wird transparenter, und das ist sehr wichtig. In unserem Land war in der Vergangenheit alles heimlich und versteckt. Jetzt wird alles transparenter: die Politik, die Diskussionen, die Statistiken und all diese Dinge." Die politische Entwicklung macht die Zusammenarbeit leichter. Fazit der ersten zwei Jahre:
    "Als wir angefangen haben, war auch auf iranischer Seite noch die Vorstellung, dass wir so etwas Ähnliches wie christlich-muslimischen Dialog führen werden, aber wir sind Religionswissenschaftler. Wir führen nicht christlich-islamischen Dialog, sondern wir machen Religionsforschung, und wir wollen über Methoden sprechen. Das ist unglaublich wichtig, und ich glaube, das ist jetzt auch im dritten Jahr angekommen, dass wir das wollen. Und wir machen wirklich dazu, zu diesen Methodenfragen, gemeinsame Panels, also einmal zu Gender-Studies oder zu Anthropologie und Soziologie. Dann haben wir noch aus Potsdam Beiträge zu Recht und Geschichte und zu Religionsvergleich. Und das ist jetzt etwas breiter als in den vorangegangenen zwei Jahren, aber wir wollten ja auch schon zu unserem Ziel kommen".
    Auf größere Schwierigkeiten stieß ein anderes Forschungsprojekt, das im Rahmen des "Hochschuldialogs mit der islamischen Welt" durchgeführt wurde und aktuell abschließt. Neben der staatlichen Universität Teheran sind Hochschulen aus Madaba und Amman in Jordanien, Alexandria in Ägypten und Istanbul beteiligt. Projektverantwortlicher: Prof. Frank Eckardt, Bauhaus-Universität Weimar. Die Brisanz erschließt sich aus dem Thema: "Wir haben uns im Rahmen unseres Projektes mit Fachkollegen und Studierenden in den letzten vier Jahren intensiv zum Thema Stadtentwicklung und Stadtplanung, soziale Stadt, Architektur ausgetauscht und dabei in erster Linie die Frage verfolgt, wie Minderheiten bei der Planung und Gestaltung der Stadt berücksichtigt werden können."
    Die iranische Makrobiologie-Studentin Sarah arbeitet am 05.08.2011 in Golm im Gewächshaus des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie an der Auswertung eines Zuchtversuchs.
    Deutsch-iranische Forschunsprojekte sind keine Seltenheit. (picture alliance / dpa / Bernd Settnik)
    Schwierigkeiten bei der Definition von "Minderheiten"
    Schon die Definition des Begriffs "Minderheiten" stieß auf kulturell bedingte Schwierigkeiten, "weil das etwas unterschiedliches bedeutet, und wir haben uns dann eigentlich darauf verständigt zu sagen, Minderheiten sind eigentlich alle die, die bei der Mehrheitsdebatte darum, wie man eine Stadt planen soll, nicht berücksichtigt werden." Das kann eine religiöse Minderheit sein. Das kann aber auch eine soziale Minderheit sein, die womöglich numerisch sogar in der Mehrheit ist, aber bei der Stadtplanung nicht berücksichtigt wird.
    Wie Minderheiten vom politischen Prozess her definiert werden, zeigte zum Beispiel ein Workshop in Madaba mit der Deutschen Universität in Jordanien. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Situation der Flüchtlinge in Jordanien, deren Vertreter sich auch an dem Workshop beteiligten. "Flüchtlinge sind ja weder eine religiöse noch politische Minderheit, aber sie werden dennoch nicht beachtet in der Stadtplanung".
    Die beteiligten Wissenschaftler und Studenten zeigten sich beeindruckt von der Situation vor Ort: "Zaatari vor allen Dingen, das größte Flüchtlingslager dort, ist eigentlich eine Stadt, aber sie wird deklariert als Flüchtlingslager". Zaatari liegt sechs Kilometer von der syrischen Grenze, zehn Kilometer von der nächsten jordanischen Stadt entfernt. Es gibt eine Hauptstraße mit Marktständen und Läden. Die UNO-Flüchtlingshilfe geht von derzeit über 82.100 registrierten Bewohnern aus. Prof. Eckardt vermutet, dass dort mehrere hunderttausend leben. Zaatari gilt als eines der weltweit größten Flüchtlingslager und entwickelt sich zu einer festen Siedlung.
    Durchweg positive Reaktionen
    "Das zu verstehen und an diesem Verständnis zu arbeiten, ist sehr schwierig, denn die Probleme, die dort vorhanden sind, lassen sich nicht mit der Flüchtlingsperspektive planen und gestalten, sondern nur, wenn man anfängt anzuerkennen, das ist eine Minderheit, die lebt hier in diesem Land und die hat hier eine eigene Stadt aufgebaut". Diese Problematik und die sich anschließenden Diskussionen und Vorträge waren nicht nur für die Beteiligten der Bauhaus-Universität neu. Auch Wissenschaftler und Studenten der beteiligten islamischen Länder zeigten sich beeindruckt. Die Reaktion war durchweg positiv. Allerdings ist der wissenschaftliche Austausch in islamischen Ländern nicht immer ganz einfach.
    Von Beginn an sahen sich die Wissenschaftler damit konfrontiert, dass öffentliche Workshops wie zum Beispiel im ägyptischen Alexandria, kritische Nachfragen von Seiten der Behörden nach sich zogen. "Bis hin, ja, auch dass zum Beispiel der ägyptische Geheimdienst eine Filmvorführung von uns verboten hat und zwei meiner ägyptischen Kollegen auch lange Zeit inhaftiert wurden". Als problematisch erwies sich die Teilnahme iranischer Wissenschaftler und Studenten.
    "Das haben wir auch so vorher nicht gewusst, wir haben die Iraner nach Ägypten und nach Jordanien eingeladen. Ägypten ist vollkommen unmöglich, das geht gar nicht. Da kriegen sie kein Visum, das ist vollkommen ausgeschlossen. Jordanien sah lange Zeit so aus, als ginge es, wir haben wirklich extrem viel Aufwand betrieben auch mit Hilfe des DAAD und der Botschaft bis zum Schluss, aber auch nicht genehmigt worden. Gut ging es in der Türkei, da war es überhaupt kein Problem, die Iraner einzuladen und auch die Debatten zwischen den türkischen und iranischen Kollegen waren sehr, sehr interessant".
    "Die unterschiedlichen ethnischen Gruppen lebten friedlich"
    Auch mit der Universität Teheran gestaltete sich die Zusammenarbeit nicht einfach: "Beispielsweise wollte eine unserer Doktorandinnen zum Thema "Juden in Teheran" arbeiten und hat auch mehrere Aufenthalte schon in Teheran gehabt und irgendwann aber doch resigniert und sagte, ich komme eigentlich nicht durch bei den Zuständigen, bei den Verantwortlichen und dann das Thema gewechselt." Unproblematisch zu erforschen sind die Armenier, neben Syrern und Orthodoxen die größte christliche Minderheit im Iran.
    Prof. Nasser Fakouhi, Anthropologe und Soziologe an der Universität Teheran: "Seit 3000 Jahren leben auf dem heutigen Territorium des Iran viele Völker mit unterschiedlichen Sprachen. Heute unterscheiden wir zehn verschiedene Ethnien, mehr als 50 unterschiedliche Sprachen und hunderte lokale Dialekte. 50 Prozent der Iraner sprechen Persisch. Persisch ist auch die offizielle Sprache. Allerdings gibt es kein einheitliches Volk der Perser. Persisch sind nur der Name der Sprache und Persien der des Zentralstaates, der vor 2500 Jahren gegründet wurde in Zentraliran."
    Der Anthropologe betont: "Die unterschiedlichen ethnischen Gruppen lebten immer im Frieden miteinander. Es gab keine gewalttätigen Auseinandersetzungen. Christliche Armenier zählen mit 200.000 bis 300.000 Einwohnern zu der größten Minderheit in Iran. Die meisten leben in Teheran, Isfahan und Täbris. Viele junge Armenier sind nach Armenien und in westliche Länder, besonders die USA, nach der Revolution emigriert. Insofern nimmt die Anzahl der Armenier in Iran ab. Über die Jahrhunderte sind die Armenier zu einer einflussreichen Gruppe geworden, aktiv in der Wissenschaft, Industrie und Kultur und hochangesehen bei Volk und Regierung."
    Immer noch rund 600 Kirchen in Iran
    Armenier können in eigenen Schulen unterrichten und an Universitäten ihre Kultur erforschen.
    Traditionell lebt die Minderheit im Umfeld der identitätsbildenden Kirchen. Immerhin gibt es noch rund 600 Kirchen in Iran. Nasser Fakouhi sieht die Armenier nicht bedroht, aber ihre traditionellen Viertel in Teheran und Isfahan rund um die Kirchen fallen mehr und mehr der Bauspekulation und Stadtplanung zum Opfer. Um die Rechte Aller zu schützen, fordert er umfassende Reformen im Land:
    "Ich glaube, die ethnische Struktur des Iran sollte weiter studiert werden. Ich habe immer dafür plädiert, Iran als multikulturelles, multiethnisches Land zu sehen, indem wir eine spezielle Politik für die verschiedenen Völker brauchen. Viele Intellektuelle glauben, dass wir das Modell einer französischen Revolution, eines modernen europäischen Nationalstaates brauchen. Ich glaube, wir brauchen ein neues Modell, das die Rechte der Minderheiten berücksichtigt, ihre Kultur schützt, ihre Sprachen und ihre Tradition. Ich glaube, das ist sehr wichtig."
    Dass diese Überlegungen so offen ausgesprochen werden können, mag mit der größeren Liberalität des Landes seit dem Regierungswechsel 2013 zusammen hängen. Was die arabischen Länder betrifft: Der Beginn des Projektes fiel zeitlich mit dem so genannten "Arabischen Frühling" zusammen, vieles war möglich, was heute nicht mehr geht. In einem Punkt sind sich die Wissenschaftler aller beteiligten Hochschulen einig - und das gilt auch für das Frankfurt/Potsdamer-Projekt - bei allen Unterschieden überwog die Offenheit und Freundlichkeit, mit der sie von den ausländischen Kooperationspartnern aufgenommen wurden. Das Resümee, das Prof. Frank Eckardt am Ende seines Projektes zieht:
    "Das wäre hauptsächlich positiv! Ich muss sagen, als die Idee an mich herangetragen wurde mit dem Mittleren Osten zu kooperieren und ich zunächst einmal sagen musste, ich hatte eigentlich gar nichts mit Ägypten oder mit der Türkei oder Iran zu tun. Ich kannte es, so wie die meisten Menschen nur aus dem Fernsehen und dachte, das ist alles hochkomplex und anstrengend und schwierig und traurig, und das möchte ich eigentlich lieber nicht. Aber der Bezug zu den Kollegen vor Ort, zu den Leuten, mit denen man dann vier Jahre zusammenarbeitet, der verändert die Sichtweise, und man hat das Gefühl, man kann das jetzt nicht einfach liegenlassen. Und ich glaube, so ist es vielen gegangen. Und ich denke, dass die Bundesregierung und der DAAD weiter Anreize schaffen sollten, mit diesen Ländern zu arbeiten, auch wenn die Bedingungen schwieriger sind als ein Forschungsprojekt beispielsweise mit Frankreich oder den USA."