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Deutsch-israelische Literaturtage
Schreiben in Zeiten von Populismus

Die 14. Ausgabe der Deutsch-Israelischen Literaturtage in Berlin stand unter dem Motto „Lauter, immer lauter!“ und widmete sich populistischen Tendenzen in Deutschland und in Israel. Vor allem die Kampagne zur anstehenden Knesset-Wahl beschäftigte die Literaten.

Von Cornelius Wüllenkemper | 09.09.2019
Die Fahnen von Israel und Deutschland
Die Fahnen von Israel und Deutschland (picture-alliance / dpa / Jens Kalaene)
Ellen Ueberschär, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll Stiftung, rief zu Beginn der Veranstaltung das "post-populistische Zeitalter" aus. Somit war das Feindbild zwar identifiziert, die Realität aber nur partiell erfasst. In der Bundesrepublik haben rechtspopulistische Slogans unlängst erneut zu Wahlerfolgen geführt und in Israel liegt das rechtsnationale Koalitionsbündnis von Premier Benjamin Netanjahu in den Wahlumfragen oben auf.
Schreiben in einem populistischen Regime
Der Autor Sami Berdugo, Sohn marokkanischer Einwanderer nach Israel, warnte vor einer gefährlichen Vermischung der privaten und der politischen Sphäre. Netanjahu konstruiere durch seinen betont umgangssprachlichen Jargon einen fiktiven Bund zwischen ihm und dem israelischen Volk.
"Es ist die Aufgabe der Schriftsteller, diese sprachliche Verzerrung und Unstimmigkeit aufzudecken, wobei ich nicht weiß, ob das überhaupt noch möglich ist. Seit Langem leben wir unter einem populistischen, repressiven Regime, in dem Entscheidungsträger sich dem Mittel der sprachlichen Manipulation bedienen. In der Literatur versuchen wir, uns von diesem Massenjargon zu distanzieren und uns einer Sprache zu bedienen, die akzeptabel ist."
Welche Erfolge vereinfachende, polarisierende Sprache den selbsternannten Alleinvertretern des Volkes beschert, ist auch in Deutschland zu beobachten, wie Friedrich Ani in seinem Flüchtlings-Krimi "All die unbewohnten Zimmer" zeigte. Die britische Autorin Priya Basil bemühte Boris Johnsons Brexit-Strategie. In ihrem unlängst in Deutschland erschienenen Buch "Gastfreundschaft" plädiert die in Berlin lebende Basil für ein offenes Europa und gegen die "Vergiftung der Sprache."
"Man ist wirklich verwirrt, wie die Sprache benutzt wird. In der Literatur hat man einen Ort, wo man wieder etwas zur Ruhe kommen kann. Wo man probieren kann, den Worten einen anderen Klang zu geben. Der Glaube an die Sprache kommt wieder zurück."
Der Glaube an die Sprache
Einen anderen Weg schlägt der israelische Autor und Journalist Dov Alfon ein. Alfon, ehemaliger Geheimdienstoffizier des Mossad, beschreibt in seinem aktuellen Thriller über die berüchtigte Elite-Einheit 8200 in einfachen und klaren Worten, wie Korruption, Strafvereitelung und bedingungsloses Machtstreben das politische System Israels prägen.
"Mich hat als Journalist frustriert, dass man Tag für Tag erklären kann, dass unser Rechtswesen in einer tiefen Krise steckt, und dass die Wahrheit keine Rolle mehr spielt. Aber diese Artikel scheinen die Leute einfach zu überblättern. In meinem Thriller schreie ich das heraus, was ich als Zeitungsredakteur nicht sagen konnte. Als Offizier im Geheimdienst aber auch als Journalist war ich den Entscheidungsträgern sehr nahe. Die Fiktion hat mir geholfen, meine Erfahrungen öffentlich zu machen. Die Leute scheinen Benjamin Netanjahu besser zu verstehen, seit sie meinen Roman gelesen haben."
Eine politische Veranstaltung
Die zerklüftete Gesellschaft Israels stand im Zentrum der Veranstaltung. Der arabisch-stämmige Jude Mati Shemhoef etwa berichtete davon, wie er aus Haifa nach Berlin umgesiedelt sei, um politischer und gesellschaftlicher Diskriminierung zu entfliehen. In seinem gerade erschienen deutsch-hebräischen Gedichtband "Bagdad Haifa Berlin" schreibt Shemhoef über die zwischen Ländern und Kulturen mäandernde Geschichte seiner persisch-arabischen Familie. Shemhoef, der sich auch als politischer Aktivist versteht, trug dazu bei, dass die diesjährigen deutsch-israelischen Literaturtage zum Thema Populismus zeitweise zu einer politischen Veranstaltung im Vorfeld der anstehenden Knesset-Wahlen gerieten.