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Deutsch-israelisches Autorensymposium
Massenkultur als verbindende Brücke

"Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen" lautet der Titel einer Anthologie, für die Norbert Kron und Amichai Shalev israelische und deutsche Kollegen gebeten haben, über das jeweils andere Land zu schreiben. Der Titel passt aber auch zum Lebensgefühl vieler Israelis, die Berlin nicht nur als Partystadt, sondern als neuen Lebensort entdeckt haben.

Von Gerd Brendel |
    Über 20.000 Israelis in Berlin leben genau das: den Spagat zwischen erinnern und tanzen. Ihr Umgang mit der Vergangenheit ist anders, als der ihrer Großeltern, die als Überlebende des Holocausts ganz andere Traumata verarbeiten mussten. Der Abgrund zwischen dem Volk der Täter und dem Volk der Opfer, er scheint nicht mehr so tief zu sein. Was hat sich verändert?
    Die Kluft ist überbrückbar wegen der Zeit, die bisher vergangen ist, sagt der Schriftsteller Asaf Gavron.
    "Die globale Massenkultur verstärkt diesen Prozess. Als ich ein Junge war, hatte ich keine Ahnung von deutschen Gleichaltrigen. Jetzt kann ein israelischer 15-Jähriger dank Facebook und Youtube einen deutschen Jungen beim Musikmachen zuschauen, der die gleichen Sachen trägt und vielleicht die gleiche Musik gut findet."
    Oder ein israelischer Wahlberliner kann seine Landsleute über Facebook zur Auswanderung nach Berlin auffordern - zu emigrieren, wie im letzten Jahr passiert.
    Die globale Massenkultur hilft, eine gemeinsame Sprache zu finden.
    Brücken bauen, Ängste nehmen
    Die gemeinsamen Vorlieben für die gleiche Musik, die gleichen Klubs und geteilte Freude über den billigen Schokoladenpudding in Berliner Supermärkten lässt den Abgrund nicht verschwinden, aber neue Brücken entstehen und die Gemeinsamkeiten lassen misstrauisch werden gegen die Manipulation des Gedenkens: Von deutschen Politikern in versteinerten Gedächtnisritualen und von ihren israelischen Kollegen:
    "Unser Premierminister benutzt den Holocaust, um uns Angst einzujagen. Als ob uns der nächste Holocaust schon erwartete. Er ist natürlich der Einzige, der das verhindern kann. Daran sieht man, dass Menschen nur die Lehren aus der Vergangenheit ziehen, die ihnen in den Kram passen."
    Da sind israelischen Wahlberliner mitunter weiter. Auch Asaf Gavron zählte eine Zeitlang zu ihnen und erlebte, was vielen seinen Landsleuten hier widerfährt:
    "Einmal habe ich unterwegs etwas bei einem Gemüsehändler gekauft. Er sprach arabisch so kamen wir ins Gespräch. Er kam aus Gaza. Da haben wir uns noch länger unterhalten. Immerhin kam er von zuhause."
    In der Fremde kommen einem mit einem Mal die näher, die daheim zu den Fremden gehören.
    Amichai Shalev will vor allem eins aus der Geschichte lernen:
    "Gegen Grausamkeiten jetzt und heute aktiv werden."
    Das haben schon viele vor ihm so formuliert. Nur hier an diesem Nachmittag im jüdischen Museum in Berlin-Kreuzberg wird aus dem Allgemeinplatz ein Anspruch den sich beide Israelis und Deutsche gegenseitig zumuten können, am Montagmorgen nach einer gemeinsam durchfeierten Berliner Partynacht.