Polenz sagte, das deutsche Parlament solle die Resolutionen möglichst noch vor der Bundestagswahl verabschieden. Der CDU-Politiker und frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag machte aber deutlich, dass es keine persönlichen Geldentschädigungen für die Nachfahren damaliger Opfer geben soll. Direkte Opfer seien bereits entschädigt worden. Ferner werde über eine gemeinsame Stiftung beraten, welche die Erinnerungskultur pflegen und einen Jugendaustausch organisieren könnte. - Anfang des 20. Jahrhunderts hatten deutsche Truppen im damaligen Deutsch-Südwestafrika Zehntausende Herero und Nama ermordet.
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Kann Recep Tayyip Erdogan auch einmal recht haben? - Kann er, meint jedenfalls die Opposition. Zum Beispiel die Kritik des türkischen Präsidenten daran, dass sich die Deutschen um ihre eigenen Dinge kümmern sollten beim Thema Völkermord. Namibia nämlich, Deutsch-Südwest vor über 100 Jahren. Die kaiserlichen Truppen unter General Lothar von Trotha metzeln die einheimischen Stämme der Herero und Nama nieder. Zehntausende werden getötet, darunter viele Frauen und Kinder. Von Trotha hatte die Vernichtung der Herero angeordnet. War das Völkermord? War das ein Genozid? Der Bundestag hat das in der vergangenen Woche jedenfalls im Fall Türkei-Armenien festgestellt. Aber was ist mit Namibia? Warum gibt es da keine klare Stellungnahme, keine klare Verurteilung? - Die Bundesregierung verhandelt derzeit mit Namibia über eine offizielle Entschuldigung, wie es heißt. Verhandlungsführer ist der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, bei uns jetzt am Telefon. Guten Morgen.
Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Polenz, fassen Sie sich auch manchmal so ein bisschen an den Kopf?
"Namibia ist der größte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe in Afrika"
Polenz: Zunächst einmal zu diesem Anwurf aus der Türkei. Wenn die Türkei mit Armenien so weit wäre in den Verhandlungen, wie wir jetzt mit Namibia, dann wäre sehr viel gewonnen. Man hätte Sonderbeauftragte auf beiden Seiten, die sich mit der Vergangenheitsbewältigung beschäftigen. Man würde nach einer gemeinsamen Sprache für das suchen, was damals geschehen ist, nach den Modalitäten einer Entschuldigung und wie sie angenommen wird, und würde darüber reden, wie man in beiden Ländern, Türkei und Armenien, eine gemeinsame Erinnerungskultur pflegt. Das ist nämlich alles genau so, wie es jetzt zwischen Deutschland und Namibia passiert. Mit den Vorwürfen aus der Türkei muss man sich nicht so sehr auseinandersetzen, aber mit der eigenen Vergangenheit natürlich schon.
Müller: Sie schütteln nicht mit dem Kopf und denken, wieso ist das immer noch nicht gelöst? Sie sagen, wir sind ja schon relativ weit, bringen den Vergleich mit der Türkei - bringt jetzt auch nicht viel, denn 100 Jahre sind jetzt schon vergangen.
Polenz: Na ja, gut. Namibia ist 1990 unabhängig geworden und seit der Zeit gibt es besonders intensive Beziehungen mit Deutschland. Namibia ist der pro Kopf gemessen größte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe in Afrika und es hat durch die frühere Ministerin Wieczorek-Zeul auch eine Entschuldigung gegeben, eine Sonderinitiative. Das alles hat aber nicht dazu geführt, dass dieses dunkle Kapitel, Niederschlagung des Herero-Aufstandes - Sie haben vorhin noch mal an die Fakten erinnert -, dass das in geeigneter Form angesprochen und aufgearbeitet wurde. Darum geht es jetzt.
Müller: Warum, Herr Polenz? Haben Sie eine Erklärung gefunden?
Polenz: Warum es so lange gedauert hat?
Müller: Ja.
Polenz: Ich glaube, man muss sich einfach die Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anschauen und was Deutschland da alles angerichtet hat und welche Verbrechen durch Deutschland begangen worden sind, vor allen Dingen dann auch im Zweiten Weltkrieg.
Müller: Wussten die Deutschen nicht so richtig, wo sie anfangen sollen und aufhören sollen?
"Zunächst musste man sich damit auseinandersetzen, was zwischen 1933 und 1945 passiert war"
Polenz: Nein! Nach 1945 musste man sich zunächst einmal damit auseinandersetzen, was zwischen 1933 und 1945 passiert war, und das ist uns, glaube ich, mit der Aussöhnung mit Israel, mit Frankreich, mit Polen, mit den anderen Ländern, Tschechoslowakei damals noch, also Tschechien, ganz gut gelungen, wenn man bedenkt, dass Israel sagt, Deutschland ist heute nach den USA unser zweitbester Freund. Das hat, glaube ich, gut geklappt. Und was die Kolonialgeschichte angeht, vielleicht war es tatsächlich so, wie ich das damals in meinem Geschichtsunterricht erlebt habe. Ich bin in den 60er-Jahren in die Schule gegangen. Damals war die Entkolonialisierung teilweise ja auch mit blutigen Befreiungskämpfen. Und was haben wir gelernt? Wir haben gehört: Aha, das ist jetzt die Entkolonialisierung. Deutschland hatte auch mal Kolonien, die hat es aber glücklicherweise schon im Ersten Weltkrieg verloren und deshalb haben wir mit dem Thema nicht viel zu tun.
Müller: Das wurde ein bisschen ausgeblendet?
Polenz: Ja das war, glaube ich, so die vorherrschende Meinung, und auch heute ist in den deutschen Schulbüchern - das ist auch ein Punkt, wo man mal drüber reden muss, ob das nicht geändert werden muss - über diese Epoche generell relativ wenig zu lesen.
Müller: Völkermord der Deutschen? Wie auch immer definiert in Namibia, damals in Deutsch-Südwestafrika. Wir hören mal den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert dazu:
O-Ton Norbert Lammert: "Dass es dazu nicht eine ähnlich unmissverständliche Erklärung auf deutscher Seite gibt, finde ich bedauerlich und im Kontext der jüngeren Auseinandersetzungen auch ein bisschen peinlich."
Müller: Ein bisschen peinlich. Finden Sie auch?
"Die klare Absicht ist, die Verhandlungen bis Ende des Jahres abzuschließen"
Polenz: Ja, finde ich auch, und natürlich kann man sich fragen, hätte man das nicht schon zehn Jahre früher machen müssen, machen sollen. Das kann man rückblickend fragen. Ich freue mich, dass es jetzt in Angriff genommen worden ist, dass die Bundesregierung, Außenminister Steinmeier das jetzt zum Thema gemacht hat. Ich bin im November zum Sonderbeauftragten für diese Frage ernannt worden und seit der Zeit wird daran gearbeitet. Es ist im Moment ein bisschen das Problem, dass die namibische Seite sich in dieser Frage so sortieren musste, das sind Regierungsverhandlungen, dass auch die betroffenen Communities einbezogen sind. Die haben zum Teil die Forderung, selbst mit am Verhandlungstisch zu sitzen. Das wiederum will die namibische Regierung nicht, und deshalb ist das im Moment noch, ich sage mal, ein Prozess, wo wir gerne hoffen, dass er sich jetzt etwas beschleunigt. Denn die klare Absicht ist, die Verhandlungen bis Ende des Jahres abzuschließen, damit noch dieser Bundestag in dieser Legislaturperiode die entsprechenden Resolutionen annehmen kann und auch diese Bundesregierung dann die erforderlichen Schritte macht.
Müller: Reden wir, Herr Polenz, auch noch mal über das Signalwort. Danach würde ich Sie auch gerne fragen. Genozid, Völkermord, das was wir in der Armenien-Debatte in den vergangenen Wochen ja hatten. Werden Sie empfehlen, diese ganze Entwicklung dort, die Ereignisse dort in Südwestafrika, im heutigen Namibia als Völkermord zu bezeichnen?
"Es soll ja kein Schlussstrich gezogen werden"
Polenz: Ja, der Begriff wird sicherlich in der Erklärung auftauchen. Wie das genau formuliert sein wird, darüber wird jetzt gerade gesprochen.
Müller: Was heißt genau? Wird das relativiert?
Polenz: Nein! Ich sagte ja, wir wollen eine gemeinsame Sprache für die Ereignisse finden und so weit sind wir noch nicht, weil die Namibier dafür einen Textvorschlag machen wollen, und den habe ich noch nicht vorliegen. Aber das ist jetzt eine Frage von Tagen nach dem, was uns die namibische Seite gesagt hat. Dann können wir darüber sprechen. Das Zweite ist die Entschuldigung, wer soll die vornehmen, möglichst hochrangig natürlich, und wir würden dann auch gerne darüber sprechen, in welcher Form Namibia diese Entschuldigung annimmt. Das ist der eine Teil und dann wird es um die Zukunft gehen, denn es soll ja kein Schlussstrich gezogen werden. Und bei der Zukunft haben wir vorgeschlagen, ähnlich wie bei der deutsch-tschechischen Stiftung eine deutsch-namibische Stiftung einzurichten mit der Aufgabe, einmal in beiden Ländern eine gemeinsame Erinnerungskultur zu pflegen und sich darum zu kümmern und zweitens Austauschprogramme insbesondere für Jugendliche zu organisieren, und dann kann die Stiftung auch noch weitere Aufgaben übernehmen.
Müller: Dann ist das etwas so wie Wiedergutmachung? Es wird keine, das ist die Frage, Entschädigung geben?
Noch vorhandene Nachteile aus der Kolonialzeit ausgleichen
Polenz: Es wird sicherlich darüber geredet werden, welche Projekte geeignet sind, noch vorhandene Nachteile aus der Kolonialzeit auszugleichen und die Situation im Lande zu verbessern. Persönliche Geldentschädigungen hat Deutschland ja nach dem Zweiten Weltkrieg nur an diejenigen bezahlt, die selbst Opfer waren, also entweder selbst im Konzentrationslager gewesen sind, selbst Zwangsarbeiter gewesen sind, nicht an deren Kinder, nicht an deren Eltern oder Ehepartner. Es war auch kein vererblicher Anspruch.
Müller: Dafür ist es ein bisschen spät jetzt? Das ist ausgeschlossen?
Polenz: Nein! Wir haben es in Namibia mit der Ururenkel-Generation zu tun und deshalb kann diese Form persönlicher Entschädigung nicht mehr in Frage kommen. Aber es kommt in Frage das, was ich Ihnen gesagt habe, und darüber werden wir mit der namibischen Seite sprechen.
Müller: Jetzt haben Sie vorhin gesagt, Herr Polenz, möglichst hochrangig muss die Entschuldigung zumindest artikuliert werden, von hochrangiger Stelle. Sie stellen sich vor Bundespräsident oder Bundeskanzlerin? Ist das angemessen?
Polenz: Da will ich jetzt nicht vorgreifen. Vor allen Dingen kann ich ja jetzt auch nicht den Terminkalender etwa der Bundesregierung oder des Bundespräsidenten bestimmen. Aber wir werden als Verhandlungsergebnis dazu einen Vorschlag machen und ich bin nach dem, was in Deutschland diskutiert wird, sicher, dass es dann auch hochrangig umgesetzt wird.
Müller: Die Bundesregierung verhandelt derzeit mit Namibia über eine offizielle Entschuldigung der Massaker Anfang des 20. Jahrhunderts. Vielen Dank Ruprecht Polenz (CDU), Verhandlungsführer bei den Gesprächen in Windhoek. Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Polenz.
Polenz: Ja danke! Ihnen auch, Herr Müller. Tschüss!
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