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Deutsch-orthodoxes Kloster
Das weltliche Leben als geistige Kastration

Die Orthodoxie hat in Deutschland keine eigenständige Tradition, orthodoxe Christen sind bislang aus dem Ausland hierhin kommen. Eine Ausnahme gibt es: das deutsch-orthodoxe Dreifaltigkeitskloster Buchhagen. Abt Johannes brachte die Idee aus Griechenland mit.

Von Jan Tengeler |
Abt Johannes (4.v.r.) macht sich mit einer Pilgergruppe in Hameln auf den Weg zum deutsch-orthodoxen Kloster in Buchhagen (Niedersachsen).
Abt Johannes (4.v.r.) macht sich mit einer Pilgergruppe in Hameln auf den Weg zum deutsch-orthodoxen Kloster in Buchhagen (Niedersachsen). (picture alliance / dpa / Wolfgang Weihs)
Nachmittagsgottesdienst in der Krypta des Dreifaltigkeitsklosters in Buchhagen. Fünf Männer in schwarzen Gewändern singen verschiedene Lobgesänge, meistens mit deutschen Texten, manchmal auf Griechisch, fast zwei Stunden lang. Zwischendurch wird der Raum, der von ein paar Kerzen nur spärlich beleuchtet ist, mit Weihrauch ausgefüllt. Ein Mönch kommt etwas später – einer unsichtbaren Choreografie folgend bleibt er vor den verschiedenen Ikonen stehen, küsst sie, kniet nieder, geht zügig zum nächsten Heiligenbild und wiederholt das Ritual.
Die Krypta ist, salopp gesagt, der Keller einer Kirche. In Buchhagen fehlt allerdings noch das Gebäude, das man vielleicht für das wichtigste in einem Kloster halten könnte. Das Baumaterial, das sich auf der Krypta befindet, zeigt an, dass es jeder Zeit losgehen könnte. Altvater Abt Johannes hat 1990 angefangen, das Kloster aufzubauen. Mit eigenen Händen und nach eigenen Plänen. Geld hat er in der Anfangsphase des Klosterbaus noch als Konzert-Pianist verdient.
Das weltliche Leben als geistige Kastration
Abt Johannes kommt aus einem protestantischen Elternhaus. Als junger Mann studierte er zu Beginn der 70er-Jahre evangelische Kirchenmusik bei dem Komponisten und Kirchenmusiker Ernst Pepping in Berlin. Bis heute spricht er mit Hochachtung von seinem Lehrer, sein spiritueller Durst wurde in der evangelischen Kirche allerdings nicht gestillt. In seiner Freizeit besuchte er die russisch-orthodoxe Kirche und entdeckte das Herzens- beziehungsweise Jesusgebet für sich. Eine in der Orthodoxie weit verbreitete Meditationspraxis.
"Es ist sehr einfach, es geht darum, dass man immer wieder wiederholt: ‚Herr Jesu Christi, Du Sohn Gottes, erbarme Dich meiner.’ Das wiederholt man 1000 mal, 2.000 bis 3000 mal, immer wieder. Es geht um das, was im Menschen stattfindet. die unbedingte Hinwendung zu Gott, eine Durchlichtung, dass er sich dafür öffnet."
Das weltliche Leben konnte er als junger Mann zwar auch genießen, …
"Aber die Hohlheit und die Fälschung des Lebens habe ich nicht mehr ausgehalten - das kann es nicht sein, ich hätte es wie eine geistige Kastration empfunden - ich muss vom Geist her leben und dann hat sich das kristallisiert – für mich war es nur ganz möglich und alles andere eben loslassen."
Goethe und die Nibelungen helfen beim Übersetzen
Also brach Abt Johannes kurzerhand nach Griechenland auf, um auf dem Athos Mönch zu werden. Nach einer mehrjährigen Ausbildung schickte ihn sein griechischer Lehrer, Altvater Josef, mit dem Auftrag zurück nach Deutschland, hier ein deutsch-orthodoxes Kloster zu errichten.
"Jede orthodoxe Kirche und Kloster hat den Auftrag, die eine heilige und apostolische Kirche, im orthodoxen Verständnis freilich, mit der jeweiligen Volksseele, dem Volksgeist, in eine ideale Harmonie zu bringen und das miteinander zu verbinden. Das war der Gedanke von Altvater Josef: die Orthodoxie und der deutsche Geist: Das muss zusammen kommen. Er als Grieche sagte das."
Die Orthodoxie und der deutsche Geist: Letzterer zeigt sich vor allem in der Sprache. Eine wichtige Aufgabe des Klosters ist es daher, die Texte der orthodoxen Liturgie aus dem Griechischen ins Deutsche zu übertragen. Nicht unbedingt in eine zeitgemäße Sprache, wie einer der Mönche von Buchhagen, Vater Lazarus, erklärt.
"Um das übersetzen zu können, da muss man die gesamte deutsche Literatur im Hinterkopf haben, man muss von den Meersburger Zaubersprüchen, über den Heliant über Gutfried von Weisenburg, die althochdeutsche Literatur, das Nibelungenlied auf mittelhochdeutsch, Meister Eckhardt, diese mystischen Schriften, bis hin zur Hochblüte: Goethe , Es sollte nicht so eine alltäglich, flache Zeitungssprache sein, sondern es sollte all das Anklingen, was in den letzten 1200 Jahren Literatur entstanden ist."
"Der Mensch ist nach oben hin kastriert"
Und das ist nicht gerade wenig. Dementsprechend oft begeben sich die Mönche in ihre Zimmer, um zu studieren und zu lesen. Dabei scheuen sie weder den Rückgriff auf scheinbar längst Vergangenes, noch die Auseinandersetzung mit den großen Namen deutscher Geistesgeschichte. Sie haben ihren eigenen Begriff von Geist, der mit dem der Aufklärung nichts zu tun hat.
"Das ist eine Fundamentalkritik, die ich anbringen würde gegenüber der abendländischen Zivilisation ganz grundsätzlich, dass der Geist immer weniger eine Rolle spielt. Den gibt es ja eigentlich gar nicht mehr, der Mensch ist nach oben hin kastriert."
Nach oben hin kastriert bedeutet: zu Gott hin abgeschnitten, der Begriff ‚Geist’ setzt in der Orthodoxie eine lebendige Kommunikation mit einem erfahrbaren Gott von Du zu Du voraus. Mit Vernunft ist dieser Vorgang allerdings nicht zu begreifen. Auch nicht mit den intellektuellen Finessen moderner Theologie. Dabei hat auch die Orthodoxie eine Theologie, es gibt Dispute und intellektuelle Auseinandersetzungen. Die sind allerdings weder kanonisch geordnet, noch hierarchisch gegliedert. Stattdessen sind sie Teil der heiligen Überlieferung. Die bezeichnet Abt Johannes als ‚Riesending’, die Gesamtheit all dessen, was Orthodoxie ausmacht. Als Außenstehender ist das nicht zu begreifen:
"Es gibt sogar die ungeschriebene Überlieferung Erst, wenn man das Gott-Menschliche Mysterium wahrhaft lebt mit allem, was dazu gehört, erst dann verstehst du, was heilige Überlieferung heißt. Weder kann man es wie der Zauberer aus dem Hut holen, noch kann es neu erfunden werden. Es ist eine geistige Genealogie, die immer weiter geführt wird.
Die Dinge zwischen Mensch und Gott verändern sich eigentlich nicht. Im Westen versucht man immer den Anschluss an die Zeit zu gewinnen. Die Orthodoxie hat sich da nie drum geschert. Ehrlich gesagt: wir scheren uns da auch wenig drum. Ob die Politik nun gerade links oder rechts flitzt, ist uns ziemlich wurscht. Insofern ist so ein orthodoxes Kloster ein maximaler Gegenpol gegen die Welt und den Zeitgeist, weil das ewige Mysterium Gottes ist ein bisschen außerweltlich ist. Also nicht ein bisschen, sondern entschieden außerweltlich."
Arm und musikalisch
Das Außerweltliche hat in Buchhagen einen wehrhaft-herben Charme. Von der Hauptstraße führt ein kleiner Wanderweg zu dem malerisch am Hang gelegenen Kloster. Das Grundstück ist umzäunt, am Eingang hängt ein Schild auf dem in altdeutschen Lettern steht: ‚Vorsicht: Betreten auf eigene Gefahr’. Das Kloster selbst wird von einer Mauer geschützt, ein großer Brunnen steht vor dem in Altrosa gehaltenen Haupthaus. Ein Dutzend Mönche und mehrere Gäste finden hier Platz. Die Einrichtung ist sauber und schlicht, viele alte Möbel erwecken den Eindruck einer altertümlichen Ritterburg. Direkt neben dem Eingang ist der kleine Hofladen untergebracht, in dem man u.a. selbst gemachte Liköre kaufen kann.
Mit den Erträgen aus dem eigenen Garten wird ein Teil der Unkosten gedeckt, ein weiterer Teil kommt aus Spenden. Die Mönche leben so autark wie möglich. Arbeiten am Haus werden selbst erledigt, gerade hängen die Mönche ein Netz über den Wein, der an der Südseite des Hauses rankt, um ihn vor den Vögeln zu schützen. Größere Projekte, wie der Bau der Kirche, müssen warten, bis wieder etwas mehr Geld in der Kasse ist. Abt Johannes nimmt das gelassen.
"Das ist der Vorteil der Armut: wenn man kein Geld hat weiterzubauen, arbeitet man inhaltlich."
Müßiggang gibt es im Leben der Mönche nicht: Die Brüder und Väter gehen vor Mitternacht selten ins Bett, um nach wenigen Stunden Schlaf schon wieder die erste Messe zu feiern, von 5-7 Uhr. Der Tag ist klar strukturiert, im Zentrum stehen die Gottesdienste und die werden größtenteils gesungen. Auch das ist eine Besonderheit in Buchhagen, denn zur Begründung einer deutschen Orthodoxie gehört auch ein eigener Gesangsstil, der als Deutscher Choral bezeichnet wird. Mehrere CDs haben die Väter schon aufgenommen, ein Lehrbuch über die anspruchsvolle Gesangstechnik gibt es auch.