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Deutsch-russische Wissenschaftskooperation
Steigendes Interesse an Forschung in Russland

Trotz schlechter politischer Stimmung zwischen Deutschland und Russland läuft es im Bereich der Wissenschaftskooperation zwischen den beiden Ländern sehr gut, sagte Thomas Prahl vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) im DLF. Das Interesse an einem Austausch sei in letzter Zeit sogar gestiegen.

Thomas Prahl im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Benedikt Schulz: Nach einigen bangen Monaten ist die Zukunft des Deutschen Historischen Instituts in Moskau damit erst einmal gesichert und damit die Zukunft einer der wichtigsten Schaltstellen des deutsch-russischen Wissenschaftsaustauschs. Die deutsch-russischen Beziehungen sind seit einiger Zeit dagegen ja merklich abgekühlt, aber wirkt sich das auch auf die Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung aus. Am Telefon begrüße ich Thomas Prahl, Referatsleiter für Osteuropa, Zentralasien und Kaukasus beim Deutschen Akademischen Austauschdienst, kurz DAAD. Hallo!
    Thomas Prahl: Guten Tag!
    Schulz: Wie wichtig ist das für die deutsch-russische Wissenschaftskooperation aus Ihrer Sicht, dass das Deutsche Historische Institut jetzt erst mal eine gesicherte Zukunft hat?
    Prahl: Also ich persönlich bin sehr froh, dass das geklappt hat. Für uns ist das DHI in Moskau eine der wichtigsten Partnerorganisationen, die wir haben, weil sie eben sich mit der Geschichte unserer beiden Länder vorrangig beschäftigt. Gerade Geschichte unserer beiden Länder ist ja mit so viel Paradoxen besetzt, wenn wir die nicht erklären können, werden wir unsere besonderen Verhältnisse zwischen unseren Ländern und Europa wahrscheinlich nie verstehen.
    Schulz: Aber - wie im Beitrag gerade noch gehört - dass sich deutsche Historiker inzwischen weigern, nach Russland zu gehen, dass es also von deutscher Seite Ressentiments gibt gegenüber der russischen Wissenschaftslandschaft, können Sie das aus Ihrer Arbeit heraus bestätigen auch für andere Fächer?
    Prahl: Ich kann es nicht bestätigen. Wir haben in den letzten vier, fünf Jahren einen leichten Rückgang an Interesse festgestellt, wenn es um Russland geht - sowohl bei den Studierendenzahlen, die rückläufig waren, als auch bei Doktoranden, jungen Wissenschaftlern bis hin zu Professoren und Emeriti. Aber gerade in der Zeit, wo jetzt die Ukraine uns alle vor eine schwere Entscheidung gestellt hat, muss ich sagen, sind wieder viele Kollegen aus fast allen Wissenschaftsbereichen vermehrt interessiert an Kurzaufenthalten in russischen Hochschulen und Universitäten, an der Kooperation mit den Resten der Akademie der Wissenschaften, an gemeinsamen Studiengängen, die jetzt im Bereich der Masterkurse entwickelt werden zwischen deutschen und russischen Hochschulen. Da ist die Zahl steigend, und teilweise signifikant steigend.
    Neues Abkommen zwischen russischen und deutschen Hochschulen
    Schulz: Aber das heißt, dadurch, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern abgekühlt sind oder sagen wir mal zumindest schwierig sind, ist das Interesse gewachsen, die Beziehungen besser wieder zu verstehen?
    Prahl: Ja, sowohl in den reinen nackten Zahlen der Austauschstipendien können wir sagen, dass wir im Augenblick steigende Zahlen haben, steigendes Interesse haben, aber auch an dem Willen vor allen Dingen der russischen und auch der ukrainischen Kollegen, den Verbund mit Europa, der in großen Teilen ja über Deutschland läuft, nicht zu verlieren. Wir können sicherlich mit Genugtuung feststellen, dass die Beziehungen im Bereich Wissenschaft, Ausbildung, Forschung fast das letzte Gebiet sind, wo es noch normal läuft.
    Schulz: Geht das Ganze tatsächlich vollkommen ohne politischen Druck vonstatten?
    Prahl: Das möchte ich schon sagen. Wir haben natürlich erste Anzeichen, dass die russische Verwaltung um Kreml und Bildungsministerium in Moskau versucht, ein bisschen auf die Universitäten einzuwirken, das geht aber dann meistens so um Fragen, wie lange sollen die russischen Wissenschaftler ins Ausland gehen, weil dort eigentlich immer noch die Angst besteht, dass viele dann nicht mehr zurückkommen, wenn sie zu lange raus sind. Andererseits muss ich sagen, wir sind gerade im Augenblick in den letzten Monaten damit befasst, ein neues, sehr umfangreiches Vertragswerk auf die Beine zu stellen, um den Austausch deutscher, russischer Wissenschaftler in beide Seiten zu organisieren und damit auch die Studenten mit einzuschließen. Sie werden sicherlich davon gehört haben, es hat in den letzten Jahren die Schaffung einer Assoziation der führenden Hochschulen in Moskau und den russischen Hochschulstädten stattgefunden, in dieser Assoziation sind tatsächlich die besten 40 bis 50 Universitäten zusammengefasst. Und mit dieser Assoziation haben wir jetzt dieses Abkommen, und wir warten eigentlich auf einen sinnvollen politischen Moment, um den auch öffentlichkeitswirksam dann zu unterzeichnen.
    Defizite bei der Autonomie der Hochschulen
    Schulz: Fassen wir es etwas konkreter: Worum geht es genau in dem Abkommen, welche Richtung wollen Sie einschlagen?
    Prahl: Wir wollen erst mal Möglichkeiten schaffen, deutsche Wissenschaftler an russische führende Universitäten zu bringen. Wir wollen des Weiteren aus diesen führenden Universitäten Wissenschaftler für kurzzeitige Aufenthalte, also in der Größenordnung ein bis drei Monate, bis hin zu langfristigem Austausch von Personal von bis zu fünf Jahren an deutsche Universitäten organisieren. Wir wollen mit den russischen Hochschulen gemeinsam die begonnenen Masterkurse weiter aufstocken. Ich erinnere noch mal daran, dass wir im letzten Jahr, als alle sagten, die Welt geht unter, es geschafft haben, die erste deutsch-russische Universität in Kasan zu gründen, die gerade dieser Tage ihr einjähriges Bestehen feiert. Es ist also fast sensationell, in dieser Zeit ein solches Abkommen zu schließen.
    Schulz: Aber nichtsdestotrotz haben wir doch mit Russland einen wissenschaftlichen Partner, mit dem es nach Meinung vieler doch zumindest demokratische Defizite gibt. Gibt es gar keine Probleme in der Zusammenarbeit mit einem solchen Partner?
    Prahl: Defizite gibt es natürlich, wenn wir von der Autonomie der Hochschulen sprechen, gibt es Defizite. Wir wissen, dass die beiden führenden Universitäten - die Lomonossow-Universität und die Petersburger Universität - nicht die Möglichkeit haben, ihren Rektor selbst zu wählen, sondern der wird vom Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, eingesetzt. Das sind natürlich alles Defizite, aber wenn wir die in den Vordergrund schieben, dann werden wir wahrscheinlich auch auf diesem Bereich ein Desaster erleben. Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, was trotz dieser Defizite machbar ist für die Weiterbildung, die Ausbildung junger Wissenschaftler insbesondere. Letztendlich sind es diese jungen Leute, auf die wir unsere Hoffnung setzen in den nächsten Jahren in der Nach-Putin-Ära.
    Schulz: Einschätzungen von Thomas Prahl, Referatsleiter für Osteuropa, Zentralasien und Kaukasus beim Deutschen Akademischen Austauschdienst. Ich danke Ihnen ganz herzlich!
    Prahl: Vielen Dank, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.