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Deutsch-russisches Verhältnis
"Eine Drei mit Potenzial nach oben"

Die deutsch-russischen Beziehungen "waren schon mal besser", betonte der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktions, Philipp Mißfelder, im Deutschlandfunk. Der Kreml habe zum Teil bizarre Wertvorstellungen, trotzdem wolle man "gemeinsam politische Erfolge erreichen".

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Christoph Heinemann | 14.02.2014
    Christoph Heinemann: Zwei Tage nimmt sich Frank-Walter Steinmeier in Moskau Zeit. Intensive politische Konsultationen hat das Auswärtige Amt angekündigt, und das ist deutlich mehr als Fassade, also nur als Händeschütteln und diplomatisches Geplauder. Es klingt vielmehr nach Kernsanierung. Lauter dicke Brocken liegen folglich auf dem Tisch: Syrien, Iran, die deutsch-russischen Beziehungen und natürlich die Lage in der Ukraine. Angela Merkel wird in der kommenden Woche die beiden Oppositionsführer Klitschko und Jazenjuk in Berlin empfangen. Die Begleitmusik zum Besuch des Bundesaußenministers klingt nicht besonders harmonisch.
    Am Telefon ist Philipp Mißfelder (CDU), der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
    Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Mißfelder, wenn Sie die deutsch-russischen Beziehungen, die gegenwärtigen, von eins bis sechs benoten sollten, für welche Zensur würden Sie sich entscheiden?
    Mißfelder: Ja, die waren sicherlich schon mal besser. Ich würde sagen, eine Drei mit Potenzial nach oben, weil unser Ziel ist ja, die Beziehungen wieder deutlich zu verbessern und damit auch die belastbare strategische Partnerschaft zu betonen.
    "Ziel ist es, die Beziehungen deutlich zu verbessern"
    Heinemann: Deutlich oberhalb der Zone der blauen Briefe?
    Mißfelder: Ja, natürlich! Wir haben ja eine besondere Situation zwischen Deutschland und Russland, wenn man das mit anderen europäischen Ländern vergleicht, also insofern kein Grund zur Panik oder zu Angst, sondern ganz im Gegenteil: Russland sucht in Deutschland einen verlässlichen Partner. Aber wir sind eben auch – und Frank-Walter Steinmeier hat ja auch die kritischen Punkte im Vorfeld der Reise betont – in einer Situation, wo wir unsere Russland-Politik immer wieder kritisch überprüfen müssen: Ist zum Beispiel die Modernisierungspartnerschaft ein Erfolg gewesen, oder gibt es da noch Verbesserungsbedarf. Ich tendiere eher zum Zweiten.
    Heinemann: Inwiefern Verbesserungsbedarf?
    Mißfelder: Mit dieser Modernisierungspartnerschaft sind ja damals Erwartungen erweckt worden und man muss wirklich sagen, dieses Stadium der Modernisierung hat Russland in vielen Bereichen nicht erreicht, so wie wir uns das erhofft haben oder man sich gemeinsam auch als Ziel gesetzt hatte, und vor dem Hintergrund muss man auch offen über diese Dinge sprechen.
    Heinemann: Wer trägt dafür die Verantwortung oder die Schuld?
    Mißfelder: Schuldzuweisungen sind in der Außenpolitik immer eine schwierige Angelegenheit. Die Russen selber wissen, welche Probleme es in ihrem Land gibt, und es nützt auch deshalb nichts, darüber nicht zu sprechen und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Es gibt große Defizite im Land. Ich freue mich aber, dass es mit dem Gnadenerlass des Präsidenten beispielsweise gegenüber Aktivisten und auch gegenüber Herrn Chodorkowski zumindest ein Signal der Entspannung gab.
    "Es gibt große Defizite in Russland"
    Heinemann: In Sachen Schuldzuweisung ist Frank-Walter Steinmeier etwas mutiger als Sie. Er hat ja der Ukraine Sanktionen angedroht und – wir haben es eben gehört – das russische Vorgehen in der Ukraine als empörend bezeichnet. Ist das der richtige Ton?
    Mißfelder: Dem schließe ich mich an. Das Problem ist nur: Das ändert ja nun trotzdem nichts an der Situation, die wir haben. Deshalb hat ja auch die EU sich dann relativ zurückgehalten mit Sanktionen, weil wir uns nicht sicher waren, wohin sollen diese Sanktionen letztendlich führen. Aber eins ist klar, das, was Sie im Vorbeitrag ja auch genannt haben: Dieser Vorwurf von Lawrow an uns, wir würden die Länder in der östlichen Partnerschaft in die Situation bringen, entweder oder zu sagen zur Europäischen Union oder zu Russland, das ist nie unser Anspruch gewesen.
    Ganz im Gegenteil! Die Bundeskanzlerin hat bei ihrer Regierungserklärung zum Vilnius-Gipfel deutlich gemacht, dass dieses „entweder oder“ nicht unser Konzept ist. Ganz im Gegenteil habe ich den Eindruck, dass eher das Nullsummenspiel, die Nullsummenspiel-Betrachtung aus der russischen Seite bisher kommt.
    Heinemann: Schauen wir mal auf die russische Betrachtungsseite. Die ukrainische Regierung hat der EU einen Korb gegeben. Sie hat sich für Russland entschieden, Russland die Hand gereicht. Wieso spielen Brüssel und Berlin jetzt die beleidigten Leberwürste?
    Mißfelder: Das tun wir nicht, sondern wir widmen mit großer Aufmerksamkeit uns der Opposition in der Ukraine zu und versuchen, die Gesprächskanäle, die es gibt, zur Regierung von Janukowytsch auch zu nutzen. Man ist ja ständig im Gespräch und man will versuchen, das Schlimmste in der Ukraine zu verhindern. Das schlimmste wäre entweder ein Auseinanderbrechen des Landes, oder gar weitere Eskalationsstufen, wenn es um Gewalt im Land selbst geht.
    "Man will versuchen, das Schlimmste in der Ukraine zu verhindern"
    Heinemann: Herr Mißfelder, Herr Klitschko und Herr Jazenjuk mögen nette Menschen sein und deren Anliegen möglicherweise auch berechtigt sein. Sie sind aber nicht demokratisch legitimiert.
    Mißfelder: Ja. Trotzdem ist das ein Signal, dass die Bundeskanzlerin beide trifft, und das ist auch richtig so. Wir haben ja auch Herrn Klitschko in München empfangen und mit ihm gesprochen. Auch das ist richtig gewesen. Nun muss man sich aber trotzdem nichts vormachen und durch die Veröffentlichung des Telefonats von Obamas Europaberaterin Victoria Nuland ist es ja auch deutlich geworden …
    Heinemann: Das war die Geschichte mit dem F-Wort?
    Mißfelder: Genau das berühmte Telefonat. Es gab noch einen zweiten Teil, wo sie über die Stärke von Klitschko gesprochen hat. Wir wissen natürlich auch, dass die Opposition in der Ukraine nicht geschlossen ist, und wir wissen auch um die Schwächen der einzelnen Personen.
    Heinemann: Liefern sich EU und Russland einen Bieterwettbewerb?
    Mißfelder: Wenn das so wäre, wäre das absolut falsch. Die Ukraine hat Probleme, die Ukraine wird sicherlich auch dauerhaft Hilfe brauchen von außen, vor allem ökonomische Hilfe, denn beispielsweise ist die Gefahr, dass die Währung der Ukraine kollabiert, oder es zu einem Default kommt, nicht unrealistisch, sondern sie steht, ich will jetzt nicht sagen, unmittelbar bevor, aber sie steht im Raum.
    Das kann man nur abwenden, wenn es dauerhaft auch wirtschaftliche Konzessionen der Zusammenarbeit gibt. Das kann aber nur funktionieren, wenn Russland sich einerseits nicht abschottet gegenüber der Ukraine und wir auch andererseits in der Europäischen Union bereit sind, mit finanziellen Hilfen bereit sind, dieses Land dauerhaft zu unterstützen.
    "Russland sieht die Welt anders"
    Heinemann: Man muss auch Mentalitäten zur Kenntnis nehmen. Wladimir Putin hat den Zusammenbruch der Sowjetunion einmal als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Wie muss man mit einer russischen Regierung, etwa auch in der Frage der Ukraine, umgehen, die das so sieht, egal ob einem das passt oder nicht?
    Mißfelder: Das ist ja genau einer der Punkte, warum wir zum Teil ja auch derart diplomatisch in der Wortwahl sind, weil Russland eben die Welt anders sieht als viele Westler oder viele westliche Vertreter, und wir sind in einer Situation, wo man zum Teil auch auf ganz bizarre Wertvorstellungen in Moskau trifft. Trotzdem wollen wir ja gemeinsam politische Erfolge erreichen.
    Wir haben den Iran-Konflikt, wo wir uns sicher sind, dass wir ohne Russland keinen Erfolg erreichen werden. Das Gleiche gilt für Syrien, das Gleiche gilt für die Ukraine. Also es nützt nichts, sich in die Schmollecke zurückzuziehen und zu sagen, jetzt wollen wir gar nicht mit Russland reden, sondern es ist genau das Richtige, was Steinmeier macht, nämlich mit Russland offensiv die Themen anzusprechen und das beste versuchen zu verhandeln.
    Heinemann: Noch mal zu diplomatischen Umgangsformen. Wir haben vor einer Woche anlässlich der Eröffnung der Olympischen Spiele an dieser Stelle mit dem Gesandten der russischen Botschaft gesprochen, mit Oleg Krasnizkij, und ihn auch auf die Schattenseiten dieser Spiele angesprochen: die Umweltvergehen, Zwangsumsiedlung und so weiter und so fort. Hörerinnen und Hörer haben uns dann geschrieben, man könne einem offiziellen Vertreter Russlands so was nicht unter die Nase reiben. Wie sehen Sie das? Darf man das, soll man das oder muss man das?
    Mißfelder: Man kann in der Freundschaft zwischen Russland und Deutschland – und das ist ja wirklich eine Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern, wenn man das vergleicht mit dem, was der Zustand war im Kalten Krieg oder noch viel länger zurück der Zustand war im Zweiten Weltkrieg -, man kann alles ansprechen. Die Frage ist natürlich immer wie. Aber wir sollten nicht zimperlich sein, wenn Russland uns kritisiert, und das Gleiche gilt auch für die russische Seite. Ich weiß, dass die Emotionen in Moskau immer schnell hochkochen, aber es gibt keinen Grund, nicht über alles sprechen zu können.
    "Nicht zimperlich mit gegenseitiger Kritik umgehen"
    Heinemann: Ist Gerhard Schröders, des Altkanzlers Nähe zu Präsident Putin hilfreich, vielleicht auch um den Preis, dass Schröder Putin vieles durchgehen lässt?
    Mißfelder: Das kann ich nicht beurteilen, weil Gerhard Schröder ist ja nicht mehr Gegenstand der deutschen Politik in dem Sinne, dass er ein aktives Amt ausübt, sondern er wird natürlich aufgrund seiner guten Beziehungen, die er zu Russland hat, sicherlich auch zu Putin, aber auch zu vielen anderen russischen Politikern - - Das ist ja auch ein, sage ich mal, Erbe seiner Amtszeit als Bundeskanzler, dass man ein besonders gutes Verhältnis versucht, zu Russland zu pflegen. Das ist der eine Ausdruck, aber da sehe ich zum Beispiel keinen großen Unterschied zu der Amtszeit von Helmut Kohl, der ja auch zu anderen russischen Politikern seiner Zeit eine gute Beziehung gepflegt hat.
    Da hat jeder sicherlich seinen eigenen Stil. Aber ich empfinde das weder als störend, noch empfinde ich das jetzt als etwas, was uns jetzt heute konkret hilft, das Thema der Ukraine zu lösen, weil in der Tat müssen wir konkrete Angebote von der Europäischen Union machen. Da müssen wir uns auf europäischer Seite erst mal einig werden, was wir überhaupt dauerhaft wollen und wie viel Geld wir dafür zur Verfügung stellen.
    Heinemann: Aber ist Schröders Ansatz nicht vielleicht zielführender als diese Prinzipienreitereien vor allem der Menschenrechte?
    Mißfelder: Ich möchte ein anderes Beispiel wählen. Hans-Dietrich Genscher, der Vertreter der Realpolitik par excellence in Deutschland, hat es geschafft, in einer wirklich sensationellen Mission Michail Chodorkowski aus dem Gefängnis herauszuholen und eine Verhandlungslösung, die beide Seiten zufriedengestellt hat, sowohl den Präsidenten in Russland als auch die Familie Chodorkowski, zu präsentieren. Das war ein Meisterstück der Realpolitik.
    Trotzdem: Das wäre nicht denkbar gewesen, wenn es nicht viele Aktivisten gegeben hätte, die über Jahre hin zum Teil auch mit sehr russlandkritischen Äußerungen das Thema Chodorkowski am Köcheln gehalten haben. Ich bin begeistert von dem, was Genscher geleistet hat, aber gleichzeitig ohne das, was viele Russland-Kritiker getan haben in der Zwischenzeit, hätten wir dem Fall Chodorkowski nicht mehr die Aufmerksamkeit gewidmet, die notwendig gewesen ist.
    Heinemann: Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Mißfelder: Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.