„Unsere gemeinsame Erklärung soll helfen, den Teufelskreis gegenseitiger Aufrechnung und Schuldzuweisungen zu durchbrechen. Wir dürfen nicht Gefangene der Vergangenheit bleiben, sonst hätte die Vergangenheit letztlich gesiegt", erklärte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl am 21. Januar 1997 nach der Unterzeichnung der deutsch-tschechischen Erklärung im Prager Liechtenstein-Palais. Darin verpflichteten sich die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik zu guten nachbarschaftlichen Beziehungen - dies vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Feindschaft.
Der Historiker Michael Schwartz vom Institut für Zeitgeschichte in Berlin: „Die stärkste Belastung hängt sicherlich mit der NS-Zeit zusammen, in der Hitler die damalige tschechoslowakische Republik zerschlagen hat, den tschechischen Teil zu einer Art Reichsprotektorat herabgestuft oder erniedrigt hat und hat besetzen lassen.“
SS-Vergeltungsschlag gegen Lidice
Nach dem Münchner Abkommen von 1938 und der anschließenden Annexion des Sudetenlandes durch das Nazi-Regime radikalisierte sich die deutsche Besatzungspolitik während des Zweiten Weltkriegs. Verantwortlich dafür war vor allem Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, der als sogenannter Reichsprotektor drakonische Maßnahmen gegen die einheimische Bevölkerung ergriff und als „Henker von Prag“ bezeichnet wurde. Im Mai 1942 verübten Widerstandskämpfer einen Mordanschlag auf Heydrich. Als Vergeltung machte die SS das Dorf Lidice unweit von Prag dem Erdboden gleich, über 300 Männer wurden ermordet. Aus London meldete sich Edvard Beneš, Präsident der tschechoslowakischen Exilregierung, zu Wort:
„Die Nazis können vielleicht jedes Gebäude zerstören, und sie können sogar den Namen Lidice aus ihren Unterlagen löschen. Aber in unseren eigenen Aufzeichnungen und im Gedächtnis der Menschheit wird der Name Lidice von großer Bedeutung bleiben, Lidice wird weiterleben.“
„Die Nazis können vielleicht jedes Gebäude zerstören, und sie können sogar den Namen Lidice aus ihren Unterlagen löschen. Aber in unseren eigenen Aufzeichnungen und im Gedächtnis der Menschheit wird der Name Lidice von großer Bedeutung bleiben, Lidice wird weiterleben.“
Deutsche als Staatsfeinde
Lidice war ein einschneidendes Ereignis und verschärfte die Gegensätze zwischen der tschechoslowakischen Bevölkerung und den drei Millionen Sudetendeutschen, die pauschal als Anhänger Hitlers verdächtigt wurden. Als Edvard Beneš im Mai 1945 nach Prag zurückkehrte, erklärte er:
„Es wird notwendig sein, kompromisslos die Deutschen in den tschechischen Ländern völlig zu liquidieren. Unsere Losung muss es sein, unser Land kulturell, wirtschaftlich und politisch endgültig zu entgermanisieren.“ Die Worte des Staatspräsidenten setzte die Regierung in insgesamt 143 Verordnungen um, bekannt geworden als „Beneš-Dekrete“. Der Osteuropahistoriker Detlef Brandes:
„Das wichtigste Dekret ist gewiss das mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft, die dann die Zwangsaussiedlung ermöglichte. Die anderen Dekrete laufen auf die Enteignung hinaus. Also erst wurde der Boden enteignet, dann der gesamte industrielle und Hausbesitz. Und dann gibt es noch Dekrete zur Schließung der deutschen Universitäten und so weiter.“
Die Verordnungen legitimierten Regierung und Behörden, Menschen allein auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Bevölkerungsgruppe ungeachtet ihrer politischen Einstellung pauschal zu Staatsfeinden zu erklären, sie ihrer Rechte zu berauben, auszubürgern und zu vertreiben. Darunter fielen auch Kommunisten und Sozialdemokraten, Nazigegner und staatstreue Sudetendeutsche. Die ersten Ausweisungen begannen unmittelbar nach Kriegsende als sogenannte wilde Vertreibungen. Sie waren geprägt von Rache, Willkür und Gewalt.
Vertreibung der Sudetendeutschen
Im Sommer 1945 mussten sich zum Beispiel in Brünn über 25.000 Sudetendeutsche an Sammelstellen einfinden, darunter auch Kinder, Frauen und alte Männer. Sie mussten zur 60 Kilometer entfernten österreichischen Grenze laufen. Walter Saller war unter ihnen. „Die Behandlung war allgemein sehr schlecht und brutal. Jeder hatte eine Peitsche und einen Karabiner. Sie haben geschlagen, sie haben mit Gewehrkolben die Leute aufgefordert, weiterzugehen, wenn sie nicht mehr konnten.“
Mindestens 2.000 Menschen, manche sprechen von 5.000, starben an den Folgen von Erschöpfung, Hunger und Durst oder wurden umgebracht. Von den Tätern musste sich später niemand verantworten. Sie gingen aufgrund eines Amnestie-Gesetzes straffrei aus. Gundula Bavendamm, Direktorin des Berliner Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung, spricht von einer schweren Hypothek, die auf den deutsch-tschechischen Beziehungen lastete.
„Die NS-Gewaltpolitik ab 1938 unter Führung Hitlers, die darauf abzielte, die Tschechoslowakei letztendlich zu zerstören. Das war sein Fernziel. Im März 1939 erfolgte dann ja die Besetzung von Böhmen und Mähren. Das dritte Kapitel aus dieser Spirale, in der sich diese beiden Länder befunden haben, war natürlich die Vertreibung der Sudentendeutschen. Insofern könnte man sagen, dass die Beziehung dieser beiden Länder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Schatten eines Nationalitätenkonflikts gestanden hat, der immer mehr eskalierte.“
Annäherung zwischen DDR und Tschechoslowakei
Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 kam es zwischen der DDR und der Tschechoslowakei rasch zu einer Annäherung. 1950 verabschiedeten beide Länder die sogenannte Prager Erklärung, in der sie auf Gebietsansprüche verzichteten und das Münchner Abkommen für ungültig erklärten. 1961 befürwortete die Tschechoslowakei - kurz CSSR - den Bau der Berliner Mauer, im August 1968 wiederum unterstützte die DDR-Führung den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei, um den Prager Frühling gewaltsam zu beenden.
In der Bundesrepublik wurde mit der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt Anfang der 1970er-Jahre ein neues Kapitel aufgeschlagen. „Dazu würde ich den Prager Vertrag von 1973 im Rahmen der Ostpolitik unter Willy Brandt zählen, und als zweites auch 1992 den deutsch-tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrag.“
Der Prager Vertrag von 1973 betonte die Unverletzlichkeit der gemeinsamen Grenze, schloss gegenseitige Gebietsansprüche aus und erklärte – wie zuvor schon die DDR - das Münchner Abkommen von 1938 für nichtig.
Havel: "Haben vielen unschuldigen Menschen Unrecht getan"
Ein Jahr später folgte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Prag. Nach den Umwälzungen 1989/90 mit der tschechoslowakischen Samtenen Revolution und der Vereinigung beider deutscher Staaten normalisierte sich das Verhältnis weiter. Der langjährige Dissident und nunmehrige tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel erklärte 1990 zur Vertreibung der Sudetendeutschen:
„Das war keine Strafe, sondern Rache. Mehr noch, wir haben die Deutschen nicht wegen erwiesener individueller Schuld vertrieben, sondern als Angehörige eines bestimmten Volkes. Wir haben damit vielen unschuldigen Menschen Unrecht getan, hauptsächlich Frauen und Kindern.“ Unmissverständliche Worte, während spätere Erklärungen der Regierung diplomatischer ausfielen.
1992 schlossen beide Länder einen Nachbarschaftsvertrag, in dem sie sich verpflichteten, altes Unrecht nicht mit neuem zu vergelten. Sie bestätigten die Unverletzlichkeit der Grenze und verzichteten auf Gebietsansprüche. Drei Jahre später begannen die Verhandlungen zwischen Deutschland und der – nach der Auflösung der CSSR - Tschechischen Republik über eine gemeinsame Erklärung. Die Gespräche zogen sich über zwei Jahre hin.
„Es waren teilweise auch harte Verhandlungen. Es gab sehr emotionale und auch kontroverse Debatten in den Parlamenten. Die Parlamente beider Länder mussten ja zustimmen, haben sie am Ende auch mehrheitlich getan. Das waren drei Punkte, über die man sich auch '97 eigentlich noch nicht richtig einigen konnte. Es gibt divergierende Haltungen insbesondere zu den Beneš-Dekreten, das ist der eine Punkt. Zweitens war es das Amnestiegesetz von 1946, durch das praktisch die Vertreibung der Sudetendeutschen durch die Tschechen straffrei gestellt worden ist. Und als drittes war es die Vermögensfrage.“
Historiker: Neues Miteinander durch gemeinsame Erklärung
In der Erklärung vom 21. Januar 1997 „über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung“ – so der offizielle Titel - heißt es unter anderem: „Die deutsche Seite bedauert das Leid und das Unrecht, das dem tschechischen Volk durch die nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan worden ist. Die tschechische Seite bedauert, dass durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde.“
Bei der Vertragsunterzeichnung sprachen der tschechische Ministerpräsident Vaclav Klaus und Bundeskanzler Helmut Kohl die Differenzen an: „Der Text verbirgt nicht, dass die Ansichten zu einigen Fragen in beiden Ländern unterschiedlich bleiben. Doch er beinhaltet die Verpflichtung beider Seiten, dass sie ihre gegenseitigen Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit stammenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.“
„Noch nie zuvor ist ein gemeinsamer deutsch-tschechischer Text so klar und mutig auf strittige, beiderseits mit schlimmen menschlichen Erfahrungen und tiefen Emotionen verbundenen Abschnitt unserer Geschichte eingegangen.“
Die Erklärung habe ein neues Miteinander ermöglicht, so Michael Schwartz vom Institut für Zeitgeschichte, „indem man einerseits versucht hat, auch über diese NS-Vergangenheit und Vertreibungsvergangenheit behutsam zu sprechen und daraus auch gemeinsame erinnerungspolitische Ansätze werden zu lassen, etwa durch gemeinsame Historiker-Kommissionen und ähnliches. Und zum andern ging es darum, ein neues außenpolitisches Miteinander zu finden Richtung EU-Beitritt Tschechiens und NATO-Beitritt, was ja auch sehr rasch in den Nuller-Jahren gelungen ist.“
Deutsch-tschechischer Zukunftsfonds ermöglicht Begegnungen
Strittig blieb die Vertreibung der Sudetendeutschen. Die tschechische Seite konnte sich nicht zu einer eindeutigen Verurteilung durchringen, obwohl die Bundesregierung explizit die NS-Gewaltpolitik als Ursache für die Vertreibung der Sudetendeutschen benannt hatte. Auch wurden mögliche Wiedergutmachungs- beziehungsweise Entschädigungsansprüche für enteignetes Eigentum ausgeklammert. Gleichwohl sei es möglich gewesen, nach vorne zu schauen, meint Gundula Bavendamm vom Berliner Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung.
„Der Charakter der deutsch-tschechischen Erklärung ist zukunftsgewandt. Man hat zum Beispiel verabredet, dass die deutsch-tschechische Historiker-Kommission weiter existiert, die gab es schon. Und neu hinzukam durch die deutsch-tschechische Erklärung tatsächlich dieser Zukunftsfonds, der ja bis heute existiert und den man als Erfolgsgeschichte beschreiben kann.“
Seit 1998 hat der Zukunftsfonds über 63 Millionen Euro für über 11.000 Projekte zur Verfügung gestellt, um Begegnungen zwischen Menschen beider Länder sowie Einblicke in die gemeinsamen Kultur- und Lebenswelten zu ermöglichen. Tomas Jelinek, Direktor des Fonds: „Mit Unterstützung des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds kamen dann Bürger immer mehr ins Gespräch und konnten auch selber dann schwierige Themen anpacken, und das hat das gegenseitige Vertrauen gestärkt.“
Gedenken an Brünner Todesmarsch und Massaker von Aussig
Ein Beispiel ist das Festival Meeting Brno; eine Initiative, die aus einem Friedensmarsch hervorging. Dieser sollte an den sogenannten Brünner Todesmarsch von Sommer 1945 erinnern, bei dem Tausende ums Leben kamen.
„Darauf hat vor vielleicht 15 Jahren erstmalig ein Mann aus dieser Region, ein Bürger von Brno, Bezug genommen und hat gesagt, das müssen die Leute hier wissen, dass das 1945 passiert ist, dazu will ich einen Beitrag leisten, und er hat den sogenannten Friedensmarsch von Brünn, von Brno ins Leben gerufen, das heißt, die gehen diese Strecke zurück, von der tschechisch-österreichischen Grenze nach Brno. Daraus ist über die Jahre ein Kulturfestival entstanden.“
Schmerzhafte Erinnerungen sind mit dem Massaker von Aussig verbunden. Dort wurden die deutschen Einwohner für eine Explosion in einem Munitionsdepot am 31. Juli 1945 verantwortlich gemacht. Ein bewaffneter Mob tötete rund 200 Menschen, sie wurden erschossen, erschlagen, von der Elbe-Brücke in den Fluss geworfen.
70 Jahre später gedachten Tschechen und Deutsche während eines Gottesdienstes an der Brücke in Usti nad Labem, dem früheren Aussig, der Opfer. Dabei erklärte der Bürgermeister Jiří Němeček: „Dieses Ereignis ist Bestandteil unserer Geschichte, dieses Thema darf nicht verheimlicht und versteckt werden, sondern wir müssen es aufarbeiten. Nur so können wir verhindern, dass sich die Geschichte in ähnlicher Weise wiederholt.“
Ausstellungen zeigen gemeinsame Geschichte
Historische Aufarbeitung findet in Usti nad Labem auch andernorts statt. Im städtischen Museum wurde kürzlich die Ausstellung „Unsere Deutschen“ eröffnet. Sie zeigt auf zwei Etagen die gemeinsame Geschichte von Tschechen und Deutschen vom Mittelalter bis zum Zweiten Weltkrieg, auch die Schrecken der Nazi-Herrschaft und die grausamen Vertreibungen. Michael Schwartz nennt die Ausstellung ein wichtiges Zeichen.
„Es war auch eine schwere Geburt, hat lange gedauert, genau wie das Zentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin ja auch über zehn Jahre gebraucht hat, um eine Ausstellung dann wirklich hinzustellen. Das war in Usti nicht anders. Aber es ist eben ein hoffnungsvolles Signal, dass man wegkommt von den alten Feindbildern, die sich nur auf NS-Zeit und nur auf Vertreibungsverbrechen konzentrieren, hin zu einer Perspektive, die sehr viel offener und weiter zurückreicht und auch die Vielfalt des deutsch-tschechischen Zusammenlebens in den Blick nimmt.“
Auf deutscher Seite existiert seit gut einem halben Jahr das Berliner Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Vorausgegangen waren jahrelange Querelen insbesondere mit den Vertriebenen-Verbänden um Inhalt und Schwerpunkte. Das Zentrum beleuchtet Flucht und Vertreibung im 20. und 21. Jahrhundert aus globaler wie aus deutscher Perspektive, darunter auch die Zwangsmigration der Sudetendeutschen.
Sudetendeutsche Künstler: Mahler, Rilke, Ebner-Eschenbach
In München wurde im Herbst vergangenen Jahres das Sudetendeutsche Museum eröffnet. Die Dauerausstellung im modernen, verwinkelten Neubau spannt einen Bogen über 1.100 Jahre Geschichte, Kunst und Kultur der Deutschen in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien. Zu sehen sind Alltags- und Kunstgegenstände vom Damenstrumpf über Musikinstrumente und Modeschmuck bis zum Gartenzwerg. Porträtiert werden zahlreiche sudetendeutsche Künstlerinnen und Künstler. Die frühere Kulturstaatsministerin Monika Grütters erwähnte bei der Eröffnung einige namentlich:
„In der Musik Gustav Mahler, in der Literatur Rainer Maria Rilke oder Marie von Ebner-Eschenbach, in der Kunstgeschichte Alfred Kubin, und im Film Oskar Schindler ist dort verewigt worden, der 1.200 Juden vor dem nationalsozialistischen Terrorregime rettete. Alles Sudetendeutsche.“
Im musealen Bereich hat gewissermaßen eine Historisierung der deutsch-tschechischen Beziehungen eingesetzt. Ein ähnlicher Prozess ist auf politischer Ebene zu beobachten, was nicht zuletzt auf eine neue Generation von Politikern und Funktionären zurückzuführen ist. Die sudetendeutsche Landsmannschaft hat 2015 ihren Verzicht auf Restitutionen erklärt, ein Jahr später trat erstmals ein tschechischer Spitzenpolitiker beim Sudetendeutschen Tag auf. Allerdings hat die tschechische Regierung bis heute keines der 143 Beneš-Dekrete aufgehoben.
Differenzen bei Flüchtlingsfragen
Während alte Gräben überwunden werden, treten an anderer Stelle neue Differenzen auf, etwa im Umgang mit Flüchtlingen. Die EU ringt um ein gemeinsames Vorgehen und stößt bei den Visegradstaaten, einer Gruppe mittelosteuropäischer Staaten, zu der auch Tschechien gehört, auf Skepsis oder gar Ablehnung.
Michael Schwartz erklärt deren Vorgehen mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs. Die Siegermächte hätten damals die Zwangsumsiedlung störender Minderheiten - etwa in Polen und der Tschechoslowakei - als notwendiges Mittel angesehen, um homogene Staaten zu bilden und damit innerstaatliche Konflikte zu vermeiden. „Diese Tradition, ethnisch zu säubern, um dann unter sich zu sein, die wirkt natürlich auch noch in den Köpfen nach.“
Hinzu kam die jahrzehntelange Spaltung Europas; mit relativ geschlossenen Gesellschaften und buchstäblich einengenden Grenzerfahrungen im Ostblock, während die Westeuropäer großzügige Reisefreiheiten genossen. Sie erlebten Migrationsprozesse, die auch in der Bundesrepublik - freilich unter Mühen - zu einer Pluralisierung der Gesellschaft führten. „Es kamen Gastarbeiter, wie man die Leute anfangs nannte, zum Teil politische Flüchtlinge, aus vielen Ländern und dann auch aus anderen Kontinenten. Das ist eine Erfahrung, die den Osteuropäern und auch den Tschechen lange gefehlt hat.“
Aber möglicherweise wird die neue tschechische Regierung die restriktive Haltung in der Flüchtlingspolitik korrigieren. Politische Differenzen in einzelnen Fragen könnten das gutnachbarschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland und Tschechien jedoch nicht grundsätzlich in Frage stellen, ist Gundula Bavendamm überzeugt. „Ich glaube nicht, dass das so tief geht, dass das, was Deutsche und Tschechen mit einander errungen haben, insbesondere seit 1997 durch die deutsch-tschechische Erklärung, dass das davon zerstört werden könnte. Dazu sind, glaube ich, die deutsch-tschechischen Beziehungen heutzutage zu gut und zu stabil.“