Noch am Tag des Bombenanschlags in Ankara, am vergangenen Samstag, gingen in vielen deutschen Städten tausende Menschen auf die Straße, um die Tat zu verurteilen. Auf einer Kundgebung in München sprach auch Turgut Öker zu den Demonstranten. Öker war bei der letzten Parlamentswahl im vergangenen Juni zum Abgeordneten der prokurdischen linken Demokratiepartei der Völker, HDP, gewählt worden.
Der 55-Jährige ist in Deutschland bekannter als in der Türkei. Denn er lebte 36 Jahre lang hier. Die HDP setzte den Wahlkampf nach dem Anschlag in Ankara zwar aus. Aber in München griff Öker dennoch die regierende islamisch-konservative AKP und ihren Gründer, den amtierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, scharf an. "Der Faschist Erdogan und seine AKP sind für den feigen Anschlag verantwortlich", sagte Öker.
Turgut Öker trägt die Haare sehr kurz. Sein Schnurrbart ist buschig und reicht bis zur Unterlippe: ein Erkennungszeichen von türkischen und kurdischen Linken. Öker lebt seit seiner Wahl im Juni zwar in der Türkei. Aber richtig angekommen sei er dort noch nicht, sagt er.
"Ich fühle mich immer noch nicht als Abgeordneter. Wahrscheinlich wird es noch ein bisschen dauern, bis man sich etabliert in der Türkei."
Einsatz für Aleviten
Dazu hatte Öker aber noch keine Gelegenheit. Das Parlament kam nur dreimal zusammen, bevor die Neuwahl angesetzt wurde. Die ersten Reaktionen auf ihn, den Abgeordneten aus Deutschland, waren sehr unfreundlich, sagt Öker.
"'Der Agent von Deutschland' - viele Führungskräfte von AKP sehen mich so an."
Die islamisch-konservative AKP regiert die Türkei seit 13 Jahren allein. Sie erkennt die Aleviten als Religionsgemeinschaft nicht an. Turgut Öker hat in Deutschland die Alevitische Gemeinde mit aufgebaut und war Jahre lang ihr deutscher und europäischer Vorsitzender. In Europa gibt es 270 Vereine unter dem Dach der Alevitischen Gemeinde. Dass die Aleviten in Deutschland als Glaubensgemeinschaft anerkannt sind, sei der AKP unter Erdogan ein Dorn im Auge, sagt Öker. Deutschland bringe die Aleviten gegen den türkischen Staat auf, diesen Vorwurf sagt Öker, höre er von seinen konservativen Kollegen immer wieder. Trotzdem setzt er sich weiter für die Aleviten ein - in Deutschland und der Türkei:
"Wir haben in der Türkei rechtlich gesehen bis heute nichts erreicht. Deswegen wollte ich mit meinen Erfahrungen, was ich in Europa mit meinen Freunden geschafft habe, in der Türkei praktizieren. Deswegen wollte ich als Abgeordneter weiter tätig werden."
Doppelter Staatsbürger
Mit der HDP, davon ist Öker überzeugt, habe er die richtige Partei gefunden. Sie setze sich nicht nur für die Kurden ein, sondern gebe allen Minderheiten eine Stimme. Von den 80 Abgeordneten seien 13 Aleviten. Außerdem habe in der Türkei nur die HDP eine Frauenquote von 50 Prozent.
Öker war als Kind einer sogenannten Gastarbeiterfamilie nach Deutschland gekommen, seit über 20 Jahren besitzt er die doppelte Staatsbürgerschaft - genauso wie seine Frau und die beiden Töchter. Die Übersiedlung in die Türkei sei der Familie nicht leicht gefallen. Die Töchter sind 10 und 13 Jahre alt. Sie wären lieber in Deutschland geblieben. Aber in diesem Alter habe der Vater die Kinder lieber bei sich haben wollen, sagt er. In Ankara besuchen sie eine deutsche Schule. Vater Öker ist aber regelmäßig in Deutschland, erzählt er. Denn als Ehrenvorsitzende der Alevitischen Gemeinde könne er die Einladungen seiner Freunde nicht ausschlagen.
"Ich habe ja fast 30 Jahre für diese Gemeinschaft gearbeitet in Europa. Ich werde wahrscheinlich jedes Wochenende hier sein in Europa. Es gibt so viele Gemeinden, die viele Aktivitäten organisieren. Die werden mich wahrscheinlich nicht in Ruhe lassen. Die werden mich immer einladen."