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Deutsch-türkische Annäherung
"Es ist eine rein strategische Frage"

Laut Kristian Brakel von der Heinrich-Böll-Stiftung stehen die Chancen, dass die in der Türkei inhaftierten Deutschen freikommen, besser als zuvor. Dafür will sich Außenminister Heiko Maas bei seinem Besuch heute einsetzen. Allerdings werde die Türkei vermutlich Gegenleistungen einfordern, so Brakel im Dlf.

Kristian Brakel im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Der Leiter des Istanbuler Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Kristian Brakel.
    Die deutsch-türkische Annäherung passiere nur aus wirtschaftlichen Gründen, meint Kristian Brakel (picture-alliance / dpa / Mika Redeligx)
    Mario Dobovisek: Man redet wieder miteinander – partnerschaftlich, wie man in Berlin und Ankara betont. Das angespannte deutsch-türkische Verhältnis erholt sich wieder – auch, weil andere Konflikte im Vordergrund stehen. Gleich mehrere Gespräche soll es in den kommenden Wochen geben. Den Auftakt macht Bundesaußenminister Heiko Maas heute mit seinem Türkei-Besuch. In drei Wochen dann wird Präsident Erdogan in Berlin erwartet.
    Am Telefon begrüße ich Kristian Brakel. Er leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Das ist die parteinahe Stiftung der Grünen. Guten Morgen, Herr Brakel!
    Kristian Brakel: Guten Morgen.
    Dobovisek: Verbessert sich das deutsch-türkische Verhältnis jetzt wieder?
    Brakel: Ja! Es gibt auf jeden Fall deutliche Anstrengungen von türkischer Seite, auch von deutscher Seite – da gab es ja diesen Willen schon die ganze Zeit -, wieder zumindest zu einer gedeihlichen Arbeitsatmosphäre zu kommen. Das verbessert sich, aber im Land verbessert sich halt nichts.
    Dobovisek: Worauf führen Sie die Wiederannäherung maßgeblich zurück?
    Brakel: Ganz klar wirtschaftliche Fragen und natürlich auch die strategische Isolierung, seitdem man sich mit den Amerikanern so völlig überworfen hat. Die Türken haben schon gemerkt, dass sie es sich nicht gleichzeitig mit den USA und den Europäern verscherzen können, und gerade in wirtschaftlichen Fragen ist Deutschland immer noch der wichtigste Partner.
    "Es gibt da keine große Liebe"
    Dobovisek: Das heißt, die Türkei wendet sich Europa, wendet sich wieder Deutschland zu, weil es an Alternativen fehlt?
    Brakel: Ja, genau. Es gibt da keine große Liebe. Es gibt keine große Überzeugung dahinter, auch wenn mancher Politiker hier das vielleicht ein bisschen anders darstellt, sondern es ist eine rein strategische Frage.
    Dobovisek: Sie haben die wirtschaftliche Schieflage angesprochen, den Verfall der Lira. Wie wirkt sich das aus in der Türkei?
    Brakel: Die großen Auswirkungen, die stehen wahrscheinlich erst noch bevor. Aber wir haben schon Anfang des Jahres gesehen, dass mehrere große türkische Unternehmen ihre Schuldenlasten umstrukturieren mussten, zum Teil neue Kredite aufnehmen mussten bei den Banken, und das sind nur die Großunternehmen. Wir können nur vermuten, was gerade bei vielen mittelständischen Unternehmen oder kleineren Unternehmen in der Provinz passiert. Aber die großen Auswirkungen, die stehen uns wahrscheinlich noch bevor, denn es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder man erhöht die Leitzinsen und macht wirklich das, was internationale Finanzinstitutionen vorgeben. Das bedeutet, das Wachstum bricht ein. Das bedeutet, die Arbeitslosigkeit steigt an. Oder aber man macht das nicht, dann klettert die Inflation weiter. Das Wachstum bleibt vielleicht einigermaßen stabil, aber das, was real bei den Leuten ankommt, das Geld im Portemonnaie, das wird immer weniger.
    Dobovisek: Da kursieren ja die wildesten Spekulationen und Verschwörungstheorien in der Türkei. Da macht Erdogan die USA mit ihren Sanktionen gegen die Türkei verantwortlich für den Verfall der Lira. Was steckt dahinter?
    Brakel: Die USA haben natürlich klar noch mal mit dem, was sie da gemacht haben, auch die Wirtschaft als Waffe einzusetzen – das ist ja zu einem unguten Instrument geworden unter Präsident Trump, nicht nur gegenüber der Türkei -, sicherlich das Ganze noch mal ein bisschen befördert. Aber die Probleme in der Türkei sind natürlich zu großen Teilen hausgemacht beziehungsweise sind dem geschuldet, was wir allgemein weltweit sehen, in Schwellenländern, in den Emerging Markets, nämlich dass Kapital wieder abfließt. Und das, was Präsident Erdogan macht, ist das, was er seit vielen Jahren macht, nämlich er mobilisiert die eigene Bevölkerung gegen einen entweder gefühlten, oder real existierenden äußeren Feind, und er versucht, so Einigkeit zu stärken, so Unterstützung hinzubekommen. Gegen die Amerikaner ist das relativ einfach, denn das baut auf einen sehr tief sitzenden türkischen Nationalismus auf, den es nicht erst seit Erdogan gibt, nicht erst seit der AKP, sondern eigentlich schon seit Gründung der Republik.
    "Es gibt auch noch Leute, die sich frei äußern"
    Dobovisek: Wenn Sie jetzt so offen über die wirtschaftlichen Probleme der Türkei sprechen, müssen Sie da mit persönlichen Konsequenzen rechnen? Denn das hatte ja Erdogan einst angekündigt: Wer die Türkei schlecht rede, der wandere ins Gefängnis.
    Brakel: Ich hoffe natürlich nicht. Rufen Sie mich morgen noch mal an. Aber prinzipiell sind wir natürlich als Ausländer und auch gerade als Stiftung immer noch in einer etwas privilegierten Lage, dass wir freier reden können, als das jetzt eine türkische Institution könnte. Trotzdem glaube ich auch, dass manchmal in Deutschland ein bisschen ein Missverständnis besteht, wie das System in der Türkei funktioniert. Es ist nicht so, dass man gar nichts sagen kann, auch dass Türkinnen und Türken nichts sagen können. Es gibt ja schon auch noch offene Kritik. Es gibt Kritik in den Medien. Man bekommt nur sehr viel Druck dafür. Nicht jeder geht ins Gefängnis. Es ist eher so, dass das Damoklesschwert über einem hängt, dass etwas passieren könnte. Aber die Möglichkeit gibt es schon noch und es gibt auch noch Leute, die sich frei äußern.
    Dobovisek: Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu ist ja gerade wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Es sitzen aber noch sieben weitere Deutsche wegen Terrorvorwürfen in türkischen Gefängnissen - ohne Prozess. Das will Außenminister Maas bei seinem Besuch heute ansprechen. Wie stehen die Chancen in diesem politischen Umfeld, das Sie gerade aufgezeichnet haben, dass sie freikommen können?
    Brakel: Ich denke, die Chancen stehen jetzt besser als je zuvor. Aber trotzdem habe ich in Gesprächen mit türkischen Entscheidungsträgern oft den Eindruck, dass man diese Überzeugung hat, na ja, wir bieten etwas an, wir haben zum Beispiel Deniz Yücel freigelassen Anfang des Jahres, jetzt haben wir Mesale Tolu die Ausreise ermöglicht, davor ja auch schon anderen Angeklagten - meist die einfacheren Fälle wie etwa Peter Steudtner -, aber wenn wir das machen, dann muss die deutsche Seite doch jetzt endlich irgendwie auch was anbieten. Dieses Beharren darauf zu sagen, nein, wir wollen, dass alle deutsche Staatsbürger freigelassen werden, das stößt oft auf Unverständnis, und ich weiß nicht, ob man sehr viel weiterkommen wird. Ich glaube aber, die Chancen sind besser jetzt.
    Ich glaube, das größere Problem eigentlich noch ist das, was hinter dieser Inhaftierung der deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger steht, und das ist ja die Lage im Land, der völlige Verfall des Rechtsstaatssystems in der Türkei, die Politisierung der Justiz, die ja in erster Linie nicht nur Ausländer betrifft, sondern vor allen Dingen Türkinnen und Türken. Da sitzen natürlich immer noch viele sehr prominente Leute in Haft. Ich sage zum Beispiel der sehr prominente Zivilgesellschaftsaktivist Osman Kavala. Das sind Personen, für die wir auch möchten, dass sich die Bundesregierung für sie sehr verstärkt einsetzt.
    "Glaube nicht, dass die Bundesregierung an diesem Punkt nachgeben wird"
    Dobovisek: Aber wo sollte Deutschland denn besser anfangen als bei den eigenen Staatsbürgern, die im Gefängnis sitzen? Sollte das eine Art Bedingung sein für weitere Annäherungen?
    Brakel: Ich denke, schon ganz klar die eigenen Staatsbürger. Da gibt es ja auch sogar eine rechtliche Verpflichtung für den Außenminister, sich um die zuvorderst zu kümmern. Und natürlich muss das eine Bedingung sein, um weitere Schritte zu machen. Das denke ich auch. Aber ich glaube auch, was nicht sein kann – und diese Gefahr sehe ich eher: Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung an diesem Punkt nachgeben wird. Die Gefahr sehe ich eher, sobald die deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus dem Gefängnis frei sind, dass man dann sagt, jetzt können wir zu Business as usual wieder übergehen, und was in der Türkei innenpolitisch passiert, das ist nicht so sehr unser Problem, das ist ein innertürkisches Problem. Das halte ich für einen sehr großen Trugschluss, der auch der Stabilität in der Türkei nicht nützen wird.
    Dobovisek: Heiko Maas will in der Türkei auch das Thema Syrien ansprechen - das hat er gestern gesagt -, die Kämpfe um Idlib, die wieder aufflammen. Mit welcher Position geht die Türkei in das Treffen mit Iran und Russland am Freitag?
    Brakel: Ich glaube, mit sehr, sehr großer Sorge, auch durchaus geschwächt. Wir wissen, der türkische militärische Fußabdruck in Syrien ist gerade im Vergleich mit Iran und mit Russland äußerst gering. Man hat den Eindruck gehabt, dass das, was man in Astana verhandelt hat, nämlich diese Schutzzonen zu schaffen, auf die die Russen ja auch sehr stark gedrungen haben – sie haben darauf gedrungen, dass die Türken diese Checkpoints in Idlib etablieren und gegen radikale Gruppierungen vorgehen -, dass das nicht mehr eingehalten wird und dass das einfach vom Tisch gefegt werden wird. Oder, wenn die Russen es nicht sind, die es vom Tisch fegen, dass sie zumindest nicht genügend Druck auf den Iran und auf Damaskus machen, um die Vereinbarungen einzuhalten. Ich glaube, diese Befürchtungen sind sehr, sehr real. Militärisch hat die Türkei sehr, sehr wenig, was sie dem entgegenhalten kann.
    Dobovisek: Bereitet sich die Türkei auf eine neue Flüchtlingswelle vor?
    Brakel: Auf jeden Fall. Wir haben gesehen, gestern, vorgestern hat die Türkei neue Verbände, auch Panzerverbände an die Grenze verlegt, vor allen Dingen in die türkisch kontrollierten Gebiete in Nordsyrien. Und zumindest das öffentliche Statement dazu ist nicht, dass diese dazu da sind, möglicherweise Kampfhandlungen mit dem syrischen Regime aufzunehmen, sondern dass sie dafür sein sollen, syrische Geflüchtete von der türkischen Grenze abzuhalten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.