Archiv

Deutsch-türkische Beziehungen
"Besuchsverbot in Konya ist Erdogans Retourkutsche"

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte beim jüngsten Besuch in der Bundesrepublik nicht zu seinen Landsleuten sprechen dürfen und sich darüber verärgert gezeigt. Das Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete bei Bundeswehrsoldaten im türkischen Konya sei Erdogans "Retourkutsche", sagte SPD-Politiker Dietmar Nietan im Dlf.

Dietmar Nietan im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Porträtbild des SPD-Außenpolitikers Dietmar Nietan
    SPD-Außenpolitiker Dietmar Nietan (imago / Metodi Popow)
    Nach der Einschätzung des SPD-Politikers Dietmar Nietan, können deutsche Soldaten nicht dauerhaft auf dem Nato-Stützpunkt in Konya stationiert bleiben, wenn Bundestagsabgeordneten auch künftig kein Besuchsrecht mehr eingeräumt wird. Forderungen aus der Opposition nach einem sofortigen Abzug halte er aber für undiplomatisch, betonte der Leiter der Koordinierungsgruppe Türkei im SPD-Parteivorstand. Zuvor sollte man versuchen, die Regierung in Ankara zu überzeugen.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Dietmar Nietan, der Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für die Außen- und Sicherheitspolitik in der Europäischen Union und außerdem Leiter der Koordinierungsgruppe Türkei des SPD-Parteivorstands, mit ihm will ich natürlich darüber sprechen, dass die Türkei jetzt auch noch den Besuch deutscher Abgeordneter bei der Bundeswehr auf der NATO-Basis in Konya untersagt hat. Guten Morgen, Herr Nietan!
    Dietmar Nietan: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Nietan, dieses Besuchsverbot jetzt, ist das die Retourkutsche dafür, dass Präsident Erdogan bei seinem Deutschland-Besuch vergangene Woche nicht zu seinen Landsleuten sprechen durfte, oder wie schätzen Sie das ein?
    Nietan: Da es bis jetzt keine nachvollziehbare, stichhaltige Begründung seitens der Türkei gibt, außer dass die deutsch-türkischen Beziehungen nicht so gut seien, muss man das als Retourkutsche sehen. Und wer die Psychologie des derzeitigen Präsidenten der türkischen Republik kennt, weiß, dass es auch nichts anderes als eine Retourkutsche sein kann.
    Zagatta: Wie bewerten Sie das, dieses Vorgehen? Ist das hinnehmbar?
    Nietan: Es ist nicht hinnehmbar. Nicht etwa in dem Sinne, dass wir jetzt beleidigte Leberwurst sind, weil man uns irgendwo auslädt, sondern, das muss auch der türkische Präsident akzeptieren: Wir haben eine Parlamentsarmee. Und für uns als Bundestagsabgeordnete ist es absolut notwendig, dass wir dann, wenn wir es für nötig erachten, oder auch wenn es die Soldatinnen und Soldaten für nötig erachten, jederzeit unsere Soldatinnen und Soldaten besuchen können, egal wo sie sind. Und wenn ein gastgebendes Land, das NATO-Partner ist, unseren Bundestagsabgeordneten so etwas verwehrt, dann, muss man ganz klar sagen, können zumindest auf Dauer die Soldatinnen und Soldaten in diesem Land nicht weiter stationiert sein.
    Zagatta: Dann müssten diese Bundeswehrsoldaten genauso abgezogen werden wie die zuletzt aus Incirlik. Sie sagen, auf Dauer, aus der Opposition kommen jetzt Forderungen nach einem sofortigen Abzug.
    "Wir sollten auch einen kühlen Kopf bewahren"
    Nietan: Also, bei allem Ärger über Herrn Erdogan und wie er gerade wirklich mit absoluter Präzision Tag für Tag die Demokratie in der Türkei scheibchenweise abbaut: Wir sollten auch einen kühlen Kopf bewahren und erst einmal schauen, ob wir hinter den Kulissen die Türkei davon überzeugen können, dass das absolut kontraproduktiv ist, nicht akzeptabel für uns und es vielleicht doch noch einen Weg gibt, Konya zu besuchen. Wenn das scheitert, schließe ich mich den Forderungen aus der Opposition an, dann darf man auch nicht lange warten. Aber ich sage mal, 24 Stunden nach der Absage Konya sofort zu sagen: und jetzt ziehen wir ab – das halte ich einfach für undiplomatisch.
    Zagatta: Aber man könnte ja sagen, wenn die Türkei nicht sehr schnell einlenkt, dann ziehen wir ab. Das, was Sie sagen, was man jetzt auch aus den Reihen der Union hört, das läuft ja darauf hinaus, dass man der Bundeswehr, auch wenn es bei diesem Verbot bleibt … dass dann die Bundeswehr trotzdem noch Monate oder vielleicht bis zum Jahresende in der Türkei bleibt. Macht sich die Bundesregierung, wenn es so kommt, damit nicht lächerlich?
    Nietan: Wenn das längere Verbleiben, nachdem klar ist, es gibt kein Einlenken der Türkei, rein taktischer Natur ist, nach dem Motto, na ja, wenn viel Wasser den Rhein runtergeflossen ist, dann kann man vielleicht noch mal reden, dann würden wir uns lächerlich machen. Aber ich bin nicht der große Militärexperte, aber so ein Abzug innerhalb auch eines NATO-Verbandes ist nicht trivial, nach dem Motto: Wir brauchen einen Tag fürs Kofferpacken, einen Tag fürs Einpacken der Maschinen und dann sind wir weg. Das dauert schon ein paar Wochen. Aber noch mal: Es soll jetzt noch mal nachverhandelt werden. Wenn die Türkei nicht einlenkt, lassen Sie es mich so sagen, dann sollen die Maßnahmen, die sicherstellen, dass wir abziehen können, unverzüglich beginnen.
    Zagatta: Man muss ja gar kein großer Militärexperte sein, um zu sehen, dass die NATO unter Umständen sehr dringend auf die Türkei angewiesen ist. Sitzt Erdogan da am längeren Hebel?
    "Dann muss man ihn auch isolieren"
    Nietan: Die Frage ist, ob man sich erpressbar machen lässt. Kein Zweifel, wer jetzt einen Blick auf die Landkarte wirft, weiß, warum die Türkei schon immer ein absolut strategisch wichtiger Ort war. Kein Zweifel, wer sieht, in welch einem schlechten Zustand die Region rund um die Türkei ist, weiß, dass die Türkei jetzt mehr denn je eine strategisch wichtige Rolle hat. Aber noch einmal: Die Tatsache, dass ein NATO-Mitgliedsland einer Wertegemeinschaft, die sich ja schimpft, als Wertegemeinschaft auch die Demokratie verteidigen zu wollen, wenn dieses Land in eine Diktatur abrutscht, wenn sein Präsident in purer Willkür entscheidet, wann wer wen besuchen darf, dann darf es keine Frage sein, dass man diesem Mann sagt: Egal wie strategisch wichtig du bist, du führst uns Staaten der westlichen Wertegemeinschaft nicht am Nasenring durch die Manege, sondern dann muss man ihn auch isolieren. Denn eins ist klar: Die Menschen in der Türkei, selbst die, die oft sagen, die Blöden im Westen, die haben uns ja immer schon nicht gemocht, die sind nicht dumm. Die merken, wie ihr großer Führer ihr Land immer mehr isoliert. Und ich sage das sehr deutlich an dieser Stelle: Jederzeit müssen wir diplomatisch miteinander reden, alles versuchen, um die Sache zu deeskalieren. Aber wenn wir merken, dass dieser Mann sich nicht von seinem Weg abbringen lässt, dann dürfen wir nicht zu unfreiwilligen Weggefährten dieses undemokratischen Weges werden.
    Zagatta: Jetzt hoffe ich, dass die Leitung noch für meine letzte Frage beziehungsweise Ihre Antwort dann reicht. Sie sagen, man darf sich nicht am Nasenring durch die Manege führen lassen. Wie ist das denn in diesem Fall des verhafteten Journalisten Deniz Yücel? Hat man da überhaupt Möglichkeiten, irgendwie etwas zu tun, auf die türkische Regierung einzuwirken? Da hat man ja im Moment den Eindruck, das hat überhaupt keine Wirkung!
    "Deniz Yücel ist zu einer Geisel von Erdogan geworden"
    Nietan: Nein, das hat keine Wirkung, weil dieser Mann leider, wenn man so will, zu einer Geisel von Erdogan geworden ist, um auf uns wiederum Druck auszuüben. Und keine Regierung sagt leichtfertig, na ja, das ist zwar ein Staatsbürger, jemand, der für unsere demokratischen Werte, nämlich einen fairen Journalismus dort einsitzt, und jetzt gehen wir da mal einfach drüber hinweg. Aber auch da gilt: Es muss klar sein, dass Herr Erdogan nicht ein ganzes Volk und jetzt auch noch Mitgliedsstaaten der NATO für seine Politik in Geiselhaft nehmen kann. Da wird der Punkt kommen müssen – den kann ich nicht aus der Ferne arrogant genau bestimmen –, aber er wird kommen müssen, wo man ihn links liegen lässt und sagt: Dann bitte schön, nicht wir, wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass wir in irgendeiner Form, nur weil wir ein Flüchtlingsabkommen haben oder weil du Staatsbürger von uns ungerechtfertigterweise in Haft nimmst, zulassen, dass du mit uns machst, was du willst. Das geht am Ende des Tages nicht, damit würden wir auch den 49 Prozent Menschen in der Türkei, die beim Referendum mit Nein gestimmt haben – fast die Hälfte –, im Stich lassen. Die erwarten glaube ich auch von uns, dass wir gegen Erdogan klare Kante zeigen und zumindest wir ihm zeigen, dass das, was er macht, nicht geht und nicht akzeptabel ist.
    Zagatta: Der SPD-Politiker Dietmar Nietan heute Morgen im Deutschlandfunk, er ist der Leiter der Koordinierungsgruppe Türkei des SPD-Parteivorstands. Herr Nietan, danke und schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.