Sandra Schulz: Heute versetzt der Erdogan-Besuch Berlin in den Ausnahmezustand; morgen reist der türkische Präsident weiter nach Köln, um dort die neue Zentralmoschee der türkisch-islamischen Union Ditib zu eröffnen. Begleitet ist sein Besuch von Protesten, aber viele Stimmen sind jetzt auch zu hören von Menschen mit Wurzeln in der Türkei, die es gut finden, dass – so war es jetzt immer wieder zu hören – ihr Präsident jetzt in Deutschland mit rotem Teppich und Staatsbankett empfangen wird.
Mitgehört hat Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Türkei-Kenner und bei der SWP in der Forschungsgruppe EU-Europa. Schönen guten Tag.
Günter Seufert: Hallo!
Schulz: Wenn wir darauf schauen, wie Erdogan jetzt in Berlin empfangen wird – roter Teppich, Staatsbankett -, ist dann jetzt schon klar, dass dieser Besuch ein Riesenerfolg für ihn ist?
"Er mischt sich in die deutsche Politik ein"
Seufert: Das würde ich nicht sagen, weil er in Gefahr steht, wirklich den Bogen zu überspannen. Ich meine, Herr Yeneroglu hat ja schon betont, dass das kein Bittbesuch ist, aber er kann nicht wegdiskutieren, dass die Türkei in einer wirtschaftlichen Krise ist, dass der türkische Finanzminister hier war, Gespräche geführt hat, dass es große Hoffnungen gibt in der Türkei, dass Deutschland die Türkei wirtschaftlich unterstützt, zumindest aber den Weg ebnet zum IWF oder die deutsche Industrie ermutigt, ihre Investitionen weiterzuführen. Das heißt, das kann man nicht wegdiskutieren.
Warum kann Erdogan den Bogen überspannen, wenn er so auftritt, wie Sie gerade gesagt haben, dass er Forderungen stellt – nicht nur im Hinblick darauf, was Deutschland für die Stabilisierung seines Landes tun kann, sondern sich auch noch direkt in die deutsche Politik einmischt, nämlich Auslieferungen fordert und letzten Endes sagt, wir bestimmen, wem ihr hier Asyl gewährt, und wir bestimmen, wen ihr als Terroristen einzuschätzen habt. Und das geht natürlich nicht.
Schulz: Da sind wir unmittelbar auch bei dem Fall Can Dündar. Wir haben jetzt von den offensichtlichen Drohungen im Vorfeld berichtet, oder gerade auch gehört von Barbara Schmidt-Mattern, wonach Erdogan gedroht habe, sollte Dündar kommen, der Journalist, der für Erdogan unbequeme Meldungen in der Türkei publiziert hatte, dem deswegen ja auch der Prozess gemacht wurde in der Türkei und der deswegen auch im deutschen Exil ist. Jetzt erreicht uns in dem Moment die Meldung von der Deutschen Presseagentur, dass Can Dündar gar nicht teilnehmen will an dieser Pressekonferenz. Welchen Reim machen Sie sich darauf?
"Ein Interesse daran, dass die Türkei nicht weiter abdriftet"
Seufert: Wir wissen natürlich nicht, warum er nicht teilnehmen will. Ich weiß, dass er in der Türkei kritisiert worden ist für seinen geplanten Auftritt auf der Pressekonferenz. Es kann sein, dass das eine Antwort auf diese Kritik ist.
Ich denke, wichtig für den Besuch ist einerseits, dass die Bundesregierung Erdogan deutlich macht, dass wir als Bundesregierung oder als Bundesrepublik ein Interesse daran haben, dass die Türkei nicht weiter abdriftet – weder außenpolitisch Richtung Russland, noch ökonomisch -, weil wir haben genug zerfallende Staaten im Nahen Osten und wir sehen, dass Wirtschaftskrisen nicht automatisch zu einer Verbesserung der demokratischen Freiheiten führen, sondern dass wir oft eine Radikalisierung haben. Und wir haben ja gesehen: Im Juni waren die letzten Wahlen in der Türkei. Die Regierungspartei hat verloren, aber die Stimmen sind gegangen an die extremen Nationalisten. Das heißt, wir können kein Interesse daran haben, dass das Land abschmiert.
Gleichzeitig muss ihm aber deutlich gemacht werden, dass er sich nicht in deutsche Politik einmischt und dass man bestimmte Mindestanforderungen an Rechtsstaatlichkeit stellt, auch um Investitionen natürlich zu sichern und um deutsche Staatsangehörige freizubekommen.
Schulz: Aber erklären Sie das an dieser Stelle mal, Herr Seufert. Welche Möglichkeiten hat denn die Bundesregierung, darauf einzuwirken, dass dieser Prozess, den Sie als Abdriften bezeichnen, sich nicht fortsetzt? Die letzten Jahre haben doch das Gegenteil gezeigt.
"Erdogan braucht die Hilfe des Westens"
Seufert: Die letzten Jahre haben das Gegenteil gezeigt. Erdogan hat eine Wirtschaftspolitik gemacht, an der er teilweise schuld ist, teilweise nicht. Die türkische Wirtschaft hat strukturelle Schwächen wie eine niedrige Sparrate, eine geringe Produktivität. Gleichzeitig kam aber jetzt hinzu, dass über den politischen Konfrontationskurs Erdogans mit den USA, aber auch natürlich mit seinen eigenwilligen ökonomischen Vorstellungen – zum Beispiel ist er total gegen die Zinsen, aus islamistischen Erwägungen heraus -, dass viele Investoren sich abgewendet haben und die Lira jetzt sich im freien Fall befunden hat die letzten Wochen. Das ist ein Stück weit hausgemacht, das ist ein Stück weit Ergebnis seiner Politik.
Jetzt versucht er gegenzusteuern, und braucht dafür natürlich wieder die Hilfe des Westens, weil von daher nun mal die Kapitalströme kommen, die gebraucht werden, um die Kredite umzustrukturieren, um Umschuldungen durchzuführen und um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Insofern kann die Bundesregierung natürlich schon etwas dafür tun, dass sich die Lage in der Türkei nicht verschlechtert.
Schulz: Was denn?
Seufert: Sie kann wie gesagt ihre Unterstützung ankündigen für einen Gang zum Internationalen Währungsfonds, für ein neues Kreditprogramm für die Türkei. Sie kann die eigenen Investoren ermuntern, in der Türkei zu bleiben. Und sie kann, was ganz wichtig ist, ihren Widerstand aufgeben gegen eine Neuverhandlung der Zollunion mit der Türkei, weil die jetzt bestehende Zollunion ist ja Teil des Beitrittsprozesses der Türkei. Sie ist eigentlich eine Zwischenlösung dafür, bis die Türkei Mitglied der EU wird. Nun ist dieser Beitrittsprozess aber faktisch zum Stocken gekommen und es braucht eine neue Grundlage für die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der Türkei, und da hat die Bundesregierung bisher gebremst. Sie kann jetzt diese Bremse lockern. Sie kann sagen, wir sind grundsätzlich bereit, hier unser Einverständnis für Neuverhandlungen zu geben, fordern dafür aber bestimmte Mindestgarantien hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, und diesen Weg sollte sie gehen.
Schulz: Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik heute hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Danke dafür!
Seufert: Keine Ursache.
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