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Deutsch-türkische Freundschaft
"Auch die Türkei muss sich entscheiden"

Der EU-Außenpolitiker Dietmar Nietan (SPD) hat die Gespräche zwischen dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und seinem türkischen Amtskollegen positiv bewertet. Man habe zwar die unterschiedlichen Auffassungen nicht ausräumen können, sich aber darauf verständigt, wieder zivilisiert miteinander zu reden, sagte Nietan im DLF.

Dietmar Nietan im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (l) und sein türkischer Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu stehen einander gegenüber und reden.
    Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (l) und sein türkischer Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu am 08.03.2017 im Hotel Adlon in Berlin. (dpa/Bundesregierung)
    Martin Zagatta: Mitgehört hat Dietmar Nietan. Er ist der Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für alle Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik in der Europäischen Union und außerdem Leiter der Koordinierungsgruppe Türkei des SPD-Parteivorstands. Guten Tag, Herr Nietan.
    Dietmar Nietan: Hallo, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Nietan, wenn das jetzt heißt, dieses Gespräch sei gut und kontrovers gewesen, ist das eine Umschreibung dafür, dass nicht viel herausgekommen ist?
    Nietan: Nun ja. Ich war bei dem Gespräch nicht dabei. Deshalb kann ich Ihnen nicht sagen, wie viel es am Ende konkret bedeuten kann. Aber was, glaube ich, wichtig ist, ist, dass sich beide Seiten nach diesem Gespräch konstruktiv geäußert haben. Der türkische Außenminister hat gesagt, er würde seinen Freund Sigmar Gabriel bald auch in der Türkei empfangen. Das zeigt, dass man an einem Gespräch miteinander interessiert ist. Er hat auch deutlich gemacht, dass es für die Türkei jedenfalls aus Sicht des türkischen Außenministers keinen Grund gäbe, Deutschland als Feind zu sehen. Das sehe ich schon nach all dem, was passiert ist, als ein Bemühen an, wieder in ein etwas konstruktiveres Fahrwasser zu kommen, und ich glaube, mehr konnte man von diesem Gespräch nach dieser aufgeheizten Stimmung auch nicht erwarten.
    "Die unterschiedlichen Auffassungen, die haben wir nicht ausräumen können"
    Zagatta: Auf der Haben-Seite ist wohl auch, zumindest wurde das so gesagt nach dem Gespräch, dass die Türkei zugesagt habe, dass der inhaftierte "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel von deutscher Seite konsularisch betreut werden darf. Ist das nicht selbstverständlich?
    Nietan: Das ist selbstverständlich. Da müssen wir gar nicht lange drüber reden. Aber allein die Tatsache, dass mit der türkischen Seite abgestimmt noch einmal kommuniziert wird, dass er jetzt konsularisch betreut wird, ist ein Zeichen dafür, dass man vielleicht aufseiten der Türkei erkennt, dass es auch nicht im Interesse der Türkei ist, weiterhin aus einem Journalisten einen Staatsfeind zu machen, oder gar, wie es der türkische Präsident gesagt hat, einen deutschen Agenten. Noch mal: Nach dieser aufgeheizten Stimmung, glaube ich, hätten wir uns alle die Augen gerieben, wenn der türkische Außenminister gesagt hätte, es ist wieder alles gut und unsere Kritik war völlig überzogen und Herr Gabriel hat in allen Punkten recht. Ich glaube, das hat niemand erwartet. Aber die Wortwahl, die jetzt gewählt wurde, zeigt, dass man einen Gesprächsfaden wieder stärker aufnehmen will. Gabriel will jetzt auch in die Türkei reisen und das, glaube ich, ist der richtige Weg, einfach wieder dahin zu kommen, dass man sagt, okay, die unterschiedlichen Auffassungen, die haben wir nicht ausräumen können, das wäre auch ein Wunder gewesen, aber wir haben uns darauf verständigt, zivilisiert und wie es sich unter Freunden gehört vernünftig über diese unterschiedlichen Auffassungen wieder miteinander und nicht in scharfer Form gegeneinander oder übereinander zu reden.
    "Pauschal Auftrittsverbot zu erteilen, ist mit unseren Werten nicht in Einklang zu bringen"
    Zagatta: In dem Gespräch – so hat es zumindest der türkische Außenminister geschildert – soll auch besprochen worden sein der Wunsch des türkischen Präsidenten Erdogan, auf alle Fälle nach Deutschland zu kommen. Jetzt tagt ja morgen die EU, um über einen Antrag Österreichs zu beraten, der vorsieht ein EU-weites Auftrittsverbot für türkische Regierungspolitiker. Das kommt aus Ihrer Sicht nicht in Frage?
    Nietan: Nein. Das kommt aus meiner Sicht nicht in Frage, weil pauschal türkischen Politikerinnen und Politikern Auftrittsverbote zu erteilen, ist mit unseren Werten der Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit nicht aus meiner Sicht in Einklang zu bringen. Aber was man noch mal betonen muss ist: Das eine ist, dass wir das hohe Rechtsgut auch hochhalten der Meinungsfreiheit und auch der Versammlungsfreiheit. Das andere ist aber, dass wir nicht jede Versammlung und nicht jede Meinung, die geäußert wird, unkommentiert stehen lassen dürfen. Deshalb ist es, glaube ich, noch mal wichtig, dass auch die Bundesregierung, aber auch wir als politisch Verantwortliche im Parlament deutlich machen: Ein türkischer Minister, auch der türkische Präsident Erdogan, sind uns als Repräsentanten eines Landes, mit dem wir eine lange Freundschaft pflegen, immer willkommen. Sie sind uns aber nicht willkommen, wenn sie in Deutschland Auftritte haben, mit denen sie eine Verfassung herbeiführen wollen, die auf dem Weg in eine Autokratie mündet. Ich glaube, das ist das, was wir deutlich machen müssen, dass wir unterscheiden zwischen der völlig anderen Meinung, die wir haben zu den Entwicklungen in der Türkei, und den guten Beziehungen, die wir zum Land Türkei, auch zu seinen Menschen, zu der Zivilgesellschaft haben, und wir sollten uns davor hüten, indem wir pauschal sagen, zum Beispiel Auftrittsverbot generell für alle Politiker, dass wir genau denen in die Hand spielen in Deutschland auf der rechten Seite und auch auf der türkischen nationalistischen Seite, die sich ja gerade wünschen, dass wir nicht mehr viel zusammen machen, dass wir nicht miteinander reden, dass wir uns als Gegner sehen. Deshalb sage ich an dieser Stelle, auch wenn es mir persönlich oft schwerfällt, weil ich manches, was in der Türkei passiert, wirklich für unerträglich halte: Es gebietet an diesem Punkt bei allem, was im eigenen Herzen vorgeht, einen kühlen Kopf zu bewahren.
    "Einfach alle Vorbeitrittshilfen zu kappen, wäre falsch"
    Zagatta: Und wie weit soll das gehen, dieses kühle Kopf bewahren? Noch ganz kurz, Herr Nietan, vielleicht. Die EU zahlt der Türkei ja weiterhin Milliarden als Annäherungshilfen. Ist das der deutschen Öffentlichkeit in dieser Situation noch zu vermitteln, oder sollte man die aussetzen?
    Nietan: Auch da würde ich sagen, es wäre nicht zu vermitteln, wenn wir die Annäherungshilfe – ich spitze es jetzt mal bewusst zu – einfach auf ein türkisches Konto überweisen, sondern worüber wir nachdenken müssen ist, welche Annäherungshilfen, welche Programme, welche Gesprächsformate sind zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll und welche sind es nicht. Ich glaube, jetzt einfach alles zu kappen, zu sagen, es gibt keine Vorbeitrittshilfen mehr, egal ob es sich dabei um den Austausch von Schülerinnen und Schülern handelt oder zivilgesellschaftliche Gespräche, wäre falsch. Aber was wir auf den Prüfstand stellen müssen ist, dass auch die Türkei sich entscheiden muss: Will sie weiter mit einer antiwestlichen Propaganda, die rein innenpolitisch motiviert ist, Hass schüren, Misstrauen schüren? Dann soll sie sich auch erklären. Oder will sie auf der anderen Seite doch ein geachteter Partner Europas sein? Wir sollten ihr mal deutlich machen, eine Türkei, die an unseren Werten festhält, ist jederzeit ein herzlich willkommener Partner. Aber wir werden nicht kritiklos und ohne uns zu äußern Entwicklungen einfach geschehen lassen, die im Moment in der Türkei die Demokratie gefährden.
    Zagatta: Der SPD-Politiker Dietmar Nietan heute Mittag im Deutschlandfunk. Danke für dieses Interview, Herr Nietan.
    Nietan: Danke Ihnen auch. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.