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Deutsch-türkische Verwicklungen

Mit der Verpflichtung von Rainer Werner Fassbinders Muse Hanna Schygulla für eine tragende Rolle in seinem neuen Film "Auf der anderen Seite" hat der Hamburger Regisseur Fatih Akin Vergleiche mit dem großen Filmemacher provoziert. Dabei haben beide Regisseure kaum etwas gemeinsam, außer: International kann Akin wie einst Fassbinder kein deutscher Regisseur das Wasser reichen.

Von Josef Schnelle | 27.09.2007
    Wenn Goethe noch lebte, dann würde er bestimmt Drehbücher schreiben, sagt Fatih Akin aus Hamburg, der seinen Abituraufsatz über die Leiden des jungen Werthers geschrieben hat und so erfolgreich ist wie kaum ein anderer deutscher Filmregisseur. Goldener Bär in Berlin für "Gegen die Wand", bewundert von den gestrengen Kunstrichtern des Wettbewerbs in Cannes, wo er schon zwei Mal seine Filme im Hauptprogramm zeigen durfte, als neuen Fassbinder etikettieren ihn manche, obwohl er weder exzentrisch noch arbeitswütig ist. Eher einnehmend nett, ein Filmemacher zum Kuscheln und gern haben. Seine bisher fünf Spielfilme sind allerdings mindestens gelegentlich knallhart: Sie porträtieren Typen am Rande des Zusammenbruchs und an den Rändern zwischen deutscher und deutsch-türkischer Emigrantenkultur. Akin lebt in Hamburg, hat aber neulich in einem Dokumentarfilm über deren Musikszene seine Traumstadt Istanbul für sich neu entdeckt. Auch sein neuer Film "Auf der anderen Seite" spielt zur Hälfte in Hamburg und zum anderen teil in der Stadt am Bosporus. Babylonisches Sprachengewirr ist also garantiert.

    "Auf der anderen Seite" erzählt die Geschichten von sechs Menschen, für die Deutschland und die Türkei ihr Schicksal bestimmen. Der pensionierte Witwer Ali möchte in Hamburg seinen Lebensabend mit der Prostituierten Yeter verbringen. Sie bekommt seine Pension, er ein bisschen Zärtlichkeit. Das passt seinem Sohn Nejat gar nicht. Der ist zwar Germanistik-Professor und liebt Goethe, doch der merkwürdige Plan seines Vaters passt ihm nicht - bis er erfährt, dass Yeter nur ein Ziel hat - ihre Tochter Ayten als vermeintliche Schuhverkäuferin in Deutschland zu unterstützen. Ayten aber ist politische Aktivistin und längst illegal in Deutschland. Sie trifft Lotte - die Liebe ihres Lebens in der Studentenmensa.

    Lottes Mutter Susanne, die mit dieser Beziehung ihre Schwierigkeiten hat, wird gespielt von Hanna Schygulla, der große Schauspielerin des "Neuen Deutschen Films" und Rainer Werner Fassbinders Muse, die schon lange nach einem Filmregisseur fahndet, der sich mit dessen Kreativität messen kann. In Fatih Akin glaubt sie, eine Prise vom Genius Fassbinders wieder gefunden zu haben. Dabei unterscheidet sich der freundliche nette sympathische Hamburger in ziemlich allem extrem von RWF. Er dreht alle drei Jahre einen Film, schart keine Schauspielerfamilie um sich und improvisiert gerne. Fassbinder bestand immer darauf, dass Zeile für Zeile seines Textes im Film wiedergegeben wurden. Nur in Einem sind die beiden Filmregisseure vergleichbar: International kann Akin wie einst Fassbinder kein deutscher Regisseur das Wasser reichen. Auch Tom Tykwer nicht, dessen Projekte zwar immer größer und international erfolgreicher werden, der aber immer im Verdacht steht, seine Seele für das nächste Großprojekt - das neuste heißt auch passend "The International" - zu verkaufen . Fatih Akin gilt demgegenüber als der große Authentische, der um seine deutsch-türkische Seele ringt. Wie seine Figuren, die tapfer kämpfen und selten gewinnen. Nejat beschimpft seinen Vater liebevoll und Susanne sucht nach ihrer Tochter, die in Istanbul verschwunden ist.

    Fatih Akins Filme haben offene Wunden und Schwachstellen. Seine Geschichten wirken stets ein bisschen konstruiert, am Schreibtisch erdacht und kein wahres Abbild der Wirklichkeit. Auch visuell sind sie nicht wirklich überraschend und aufregend. Doch kein deutscher Filmemacher kann derzeit mit ein paar Bildern und ein paar Dialogsätzen derart glaubwürdige Charaktere auf die Leinwand zaubern. Da sitzt ein alter Mann am Meer. Schaut hinaus. Nein eigentlich schaut er in ein Buch, das er in der Hand hält. Hanna Schygulla sucht nach den Spuren ihrer Tochter in Istanbul und findet die Intensität der Liebesbeziehung zwischen Ayten und Lotte wieder. Die große Kunst Fatih Akins hat keinen langen Atem aber keiner kann wie er aus melodramatischen Miniaturen das Letzte heraus holen. Er ist vielleicht doch einer wie Fassbinder, der sich als Schüler von Douglas Sirk sah. Jedenfalls merkt man: Ein filmisches Meisterwerk muss gar nicht perfekt sein. Nur einmal in 90 Minuten muss man denken könne: Ja das ist sie die Wahrheit die nur die schönen Gefühle auslösen können. Und so landet Hanna Schygulla am Bosporus. Allein dafür dass er ihre schöne Stimme wieder zum klingen gebracht hat, dafür gebührt Fatih Akin schon jeder greifbare Oskar im Jubiläumsjahr.