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Deutsch-türkische Wirtschaftsbeziehungen
"Man wird sich zurückziehen, soweit man kann"

Die deutsche Wirtschaft werde keinesfalls neue Engagements in der Türkei eingehen, sagte der Präsident des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel, Anton Börner, im DLF. Die Risiken von Investitionen seien unkalkulierbar. Sollte die EU sich für Sanktionen gegen die Türkei entscheiden, werde die deutsche Wirtschaft das akzeptieren.

Anton Börner im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Anton Börner, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA)
    Anton Börner, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) im Interview mit dem Deutschlandfunk. (imago/Müller-Stauffenberg)
    Der BGA-Präsident warnte im Interview mit dem Deutschlandfunk vor einer wachsenden Bedrohungslage in der Türkei: "Das Ganze wird zu einer gewaltigen Instabilität führen". Ohne Freiheit und der Achtung vor Menschen- und Persönlichkeitsrechten gebe es langfristig weder Stabilität noch Wirtschaftswachstum und Wohlstand, betonte Börner.
    "Die Wirtschaft akzeptiert das Primat der Politik"
    Besonders fatal sei für die Türkei auch der Wegfall von Intelligenz im Land: "Das ist eine Katastrophe, die da auf die Türkei zukommt". Die Menschen würden das Land verlassen oder in die "innere Emigration" gehen, sagte Börner. Der türkische Staat züchte Korruption und Angst, die ganz schlecht für die Wirtschaft seien.
    Wirtschaftssanktionen halte er generell für sinnvoll, jedoch nur als gesamteuropäisches Mittel: "Das kann man nicht national machen, weil das nichts bringt." Die Wirtschaft akzeptiere das Primat der Politik und werde daher auch Sanktionen akzeptieren. Börner sprach sich zwar dagegen aus, die geplante Visumsfreiheit für türkische Bürger aufzugeben, betonte jedoch: "Wenn Erdogan nicht aufhört und die Menschenrechte mit Füßen tritt und vielleicht sogar noch die Todesstrafe einführt, was ja auch im Gespräch ist, dann ist das Thema Europäische Union zu Ende."

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Ausnahmezustand in der Türkei, Massenverhaftungen, Entlassungen, Säuberungen, die Abschaffung der Pressefreiheit: Den Protest aus dem Ausland gegen dieses Vorgehen nimmt Ankara bisher unbeeindruckt hin, aber wirtschaftlich könnte es sich die Türkei nach Ansicht von Experten nicht leisten, die Europäer zu verprellen, auch nicht die etwa 6.000 deutschen Unternehmen oder Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei.
    Kann, soll da vielleicht sogar Druck ausgeübt werden, möglicherweise sogar mit Sanktionen? Von Anton Börner, dem Präsidenten des Bundesverbandes des Groß- und Einzelhandels in Deutschland, wollte ich wissen, wie sehr die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen schon jetzt unter dieser angespannten Situation in der Türkei leiden.
    Anton Börner: Der Trend in der Türkei geht ja schon seit vielen, vielen Monaten nach unten. Wenn man sich die Situation anschaut: Wir haben hier einmal dieses verheerende politische Signal mit dem Putsch und mit der Niederschlagung des Putsches. Das muss man aber in einem größeren Zusammenhang sehen. Wir haben in der Türkei seit Jahren, fast hätte ich gesagt Jahrzehnten, das ungelöste Kurden-Problem, das sich immer mehr zu einem Bürgerkrieg ausweitet.
    Wir haben zum anderen aufgrund der geografischen Nähe zu den Bürgerkriegs-Situationen in Syrien und im Irak und dort auch zu der Nähe zum IS die Problematik, dass die Anschlagsserie in der Türkei permanent zunimmt. Das heißt, die Bedrohungslage in der Türkei wächst von Tag zu Tag und da sind natürlich jetzt noch solche innenpolitischen Situationen, wie wir sie jetzt erleben, Öl ins Feuer ist noch gelinde ausgedrückt.
    "Deutsche Unternehmen werden sich anderweitig orientieren"
    Das droht wirklich zu eskalieren, und was will man da als Wirtschaftler machen - eigentlich wenig bis gar nichts. Man wird sich zurückziehen, soweit man kann. Keinesfalls wird man neue Engagements eingehen. Man wird nichts investieren, man wird seine Pläne revidieren und sich dann als deutsches Unternehmen anderweitig orientieren.
    Zagatta: Melden sich da bei Ihnen schon Firmen, die jetzt ganz konkret sich zurückziehen wollen?
    Börner: Die Firmen melden sich jetzt hier im Detail bei uns nicht, aber das ist ja eigentlich eine völlig klare Entwicklung, die wir ja auch aus anderen Regionen der Welt kennen. Es ist ja leider so, dass so etwas immer wieder mal passiert, und das ist immer das gleiche Verhaltensmuster. Das muss man auch verstehen, weil natürlich die Risiken, wenn man dort investiert, ja unkalkulierbar sind.
    Und Risiken, die man nicht kalkulieren kann, die kann man nicht bewerten, und wenn man sie nicht bewerten kann, kann man sie auch nicht finanzieren, und damit ist die Sache eigentlich relativ klar. Und was für die Türkei jetzt ganz fatal wird - und das muss ich wirklich sagen: Das ist eine Katastrophe, die da auf die Türkei zukommt -, dass sie die Intelligenz verliert. Ich meine, die Leute wollen aus der Türkei raus. Jetzt hat man ja auch etwas ganz Unerhörtes gemacht, indem man Akademikern die Ausreise verwehrt.
    Aber wir wissen das auch aus der Geschichte. Das kann man zwar so machen, politisch gesehen wird das aber keinen Erfolg haben. Zumindest werden die Leute in die innere Emigration gehen. Das heißt, sie werden nichts mehr tun, sie werden sich verweigern. Und woher soll dann irgendwo noch Stabilität und wirtschaftliches Wachstum herkommen? Das Ganze wird zu einer gewaltigen Instabilität führen und die Menschen, die darunter leiden, die werden irgendwann unzufrieden werden. Bei den ohnehin ungelösten Bevölkerungsproblemen kann man sich ja unschwer vorstellen, wo das hinführt.
    Regierung sollte sich nicht in Investitionsvorhaben einmischen
    Zagatta: In Österreich hat die Regierung jetzt sogar die Unternehmen aufgerufen, sich mit Investitionen in der Türkei zurückzuhalten. Können Sie das nachvollziehen?
    Börner: Ja. Emotional kann ich schon nachvollziehen, dass ein Staatssekretär so was sagt. Ich halte es allerdings auf der Regierungsebene für nicht besonders hilfreich, denn der Weg kann innerhalb der Europäischen Union nur gemeinsam beschritten werden, und wenn jetzt ein Land, eine Regierung sich in Investitionsvorhaben von Unternehmen einmischt, das halte ich für schlecht, weil da gibt es tausend andere Möglichkeiten, wo man das genauso tun kann, und irgendwo haben wir dann eine staatsgelenkte Wirtschaft am Ende, wenn wir dieser Entwicklung das Wort reden.
    Wie gesagt: Menschlich kann ich es verstehen, wenn jemand so was sagt, aber politisch betrachtet halte ich es eher für wenig hilfreich. Ich denke, man muss jetzt mal sehen, wie das mit der Entwicklung in der Türkei weitergeht.
    Zagatta: Aber die ist doch relativ eindeutig. Es gibt jetzt diese Säuberungen, es gibt Festnahmen, es gibt Massenentlassungen, es gibt die Einschränkung der Pressefreiheit. Kann man da auch als deutsche Wirtschaft sagen, geht uns eigentlich gar nicht so an, da warten wir ab, wir machen unsere Geschäfte weiter, wenn es geht?
    "Angst ist ganz schlecht für die Wirtschaft"
    Börner: Na ja. Unsere Geschäfte, das hatte ich ja vorher gesagt, können wir natürlich nicht weiter machen, weil das eigentlich auch nicht geht, und die deutsche Wirtschaft ist ja bekannt auch dafür, dass wir immer dafür plädieren, das, was in der Europäischen Union an Wertekorsett da ist, auch zu verkörpern.
    Ich selber habe viele Reden gehalten zu dem Thema auch in autokratischen Ländern und gesagt, ohne Freiheit und ohne Achtung der Menschenrechte und der Persönlichkeitsrechte gibt es langfristig keine Stabilität und kein Wirtschaftswachstum und keinen Wohlstand. Und das ist unser Credo! Davon sind wir auch überzeugt. Denn letztlich besteht Wirtschaft darin, dass man in einem weltweiten Wettbewerb steht, gewinnen tut immer der Bessere, und dazu brauchen Sie die besser motivierten und besser ausgebildeten Leute.
    Ausbildung und Motivation hängt zusammen. Sie können nicht ausbilden, ohne dass Sie die Leute motivieren, weil die dann auch nichts lernen wollen. Wenn Sie aber die Leute ausbilden, dann kommen die sehr schnell auf einen Punkt, wo sie Fragen stellen, und dann stellen sie die Sinnfrage, und das ist eine für die Motivation auch im Unternehmen eine ganz entscheidende Situation. Menschen sind keine Maschinen oder keine Roboter, sondern Menschen sind Wesen, sind Individualitäten, die dann sich verweigern können oder sich ganz voll in das Unternehmen und in ihren Beruf einlassen.
    Dazu brauchen sie auch diese Motivation und wenn ein Staat herkommt und alle Freiheitsrechte und alle Menschenrechte wegnimmt, dann bleibt für die Motivation nichts übrig. Dann züchten Sie Korruption, Sie züchten Angst. Angst ist ganz schlecht für die Wirtschaft, das können wir überhaupt nicht gebrauchen. Korruption ist ein Grundübel, das man überhaupt bekämpfen muss, weil es jeglichen Wettbewerb aushebelt und jede freie Entwicklung hemmt. Da gibt es im Grunde genommen für die Wirtschaft nur einen Weg, und das ist der, den wir in der freien westlichen Welt mit sehr großem Erfolg führen.
    Auf Ebene der EU "über Sanktionen reden"
    Zagatta: Aber, Herr Börner, im Moment sagen Experten, alle Proteste gegen dieses rigorose Vorgehen von Präsident Erdogan im Moment in der Türkei, alle Proteste aus dem Westen, die werden überhört, die kommen nicht an. Das einzige was ihn beeindrucken könnte ist, wenn es mit der Wirtschaft den Berg hinunter geht.
    Börner: Das dauert natürlich ein bisschen.
    Zagatta: Müsste man das dann nicht sogar, um sich da vielleicht Gehör zu verschaffen, irgendwie fördern? Es gibt ja auch schon erste Forderungen, wie wir es mit Russland erlebt haben, nach Wirtschaftssanktionen. Wäre das in dem Fall nicht sogar angebracht?
    Börner: Ich sage ja: Jetzt in dem Zusammenhang mit Österreich, das wäre der richtige Weg, dass man sich auf der Ebene der Europäischen Union hinsetzt und sagt, haben wir eine Eskalationsstufe. Das Erste ist, dass man sagt, Erdogan, reiß Dich am Riemen, führ das alles zurück, mach das so nicht weiter. Wenn er das nicht tut, wenn er meint, er kann seinen Weg alleine gehen, dann muss er es spüren.
    Dann wird er erst mal spüren, dass die Investitionen wegbleiben, dass die Währung kaputt geht, die Touristen kommen nicht mehr. Dann wird die Wirtschaft sehr schnell leiden. Wenn ihn das auch nicht interessiert, da haben wir ja genug Beispiele von Diktatoren, die das alles überhaupt nicht interessiert hat, dann muss man die nächste Stufe zünden, und das ist dann über Sanktionen reden. Aber das kann man nicht national machen, das ist ganz wichtig, weil das nichts bringt. Wenn Deutschland das macht, dann machen es die anderen nicht. Das geht nur europäisch!
    "Visumsfreiheit kann nicht aufgegeben werden"
    Zagatta: Auf europäischer Ebene würden Sie sich dem, wenn es so kommt, nicht widersetzen?
    Börner: Ich würde mich nicht widersetzen. Ich habe immer gesagt, wir in der Wirtschaft, wir akzeptieren den Primat der Politik. Wir haben eine heiße Diskussion gehabt schon früher mit Südafrika, dann mit Iran, dann mit Russland. Nein, wir akzeptieren den Primat der Politik, und es ist auch sinnvoll, dass wir das so tun. Und wenn die Politik gemeinsam sagt, wir wollen Sanktionen machen, dann respektieren wir das selbstverständlich!
    Zagatta: Auch aus der Sicht der Wirtschaft sind es jetzt ja schon fast Sanktionen, wenn man die Beitrittsverhandlungen mit der EU auf Eis legt, das wird gefordert, wenn man die Visumsfreiheit, die die Türken wünschen, nicht einführt. Würde das aus Ihrer Sicht, aus Sicht der Unternehmen etwas bringen? Sollte man das machen jetzt?
    Börner: Die Visumsfreiheit kann man meines Erachtens überhaupt nicht aufgeben in der Phase, wo wir uns jetzt bewegen. Wenn Erdogan nicht aufhört und die Menschenrechte mit Füßen tritt und vielleicht sogar noch die Todesstrafe einführt, was ja auch im Gespräch ist, dann ist das Thema Europäische Union zu Ende. Das muss man ganz klar sagen.
    Hier gibt es eine rote Linie, die darf man nicht überschreiten. Da würden wir uns selbst unglaubwürdig machen und damit würden wir uns selber aufgeben und unsere eigene Identität aufgeben. Das können wir nicht! Das ist letztlich in der Entscheidung von Herrn Erdogan. Das muss er selber wissen, wie weit er gehen will und wie weit er das ausreizen will und ausreizen kann.
    Zagatta: Herr Börner, haben Sie denn noch Ansprechpartner in der Wirtschaft, in der Politik, die Sie im Moment erreichen können in der Türkei? Oder sagen Sie, das muss man in dieser angespannten Situation der Politik überlassen?
    Börner: Heute, wenn Sie mich so fragen, werden Sie keinen Menschen finden in der Türkei, der wirklich irgendwas Substanziiertes sagt, außer der Staatslinie. Das ist auch verständlich und auch klar. Noch mal: Man muss das jetzt abwarten, wie das die nächsten drei Monate sich entwickelt, und dann werden wir sehen. Ich habe ja immer noch die Hoffnung, dass die Vernunft siegt, aber leider ist diese Hoffnung oft schon enttäuscht worden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.