Inzwischen forderte die Staatsanwaltschaft laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Anadoglu 18 Jahre Haft gegen Yücel. Das Gericht habe die Anklageschrift akzeptiert und dann die Freilassung Yücels aus der Untersuchungshaft angeordnet. (Aktuelle Entwicklungen und Reaktion auf die Freilassung: Haftentlassung nach einem Jahr.
Am 14. Februar 2017 stellte sich der "Welt"-Korrespondent der türkischen Polizei. Diese hatte bereits gegen den Journalisten ermittelt – wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorpropaganda und Datenmissbrauch. Fast genau ein Jahr saß Yücel in Untersuchungshaft und wartet auf einen Prozess – allerdings liegt bislang keine Anklageschriftvor.
In einem ARD-Interview mit dem türkische Außenminister Yildirim hatte sich die Freilassung nicht abgezeichnet. Aber Yilddirim hatte betont, dass nicht seine Regierung, sondern die Justiz über den Fall Yücel entscheide: "Jede Verhandlung ist eine Chance, damit er frei kommt."
Die türkische Justiz sei aber keinesfalls unabhängig, betonte der stellvertretende SPD–Fraktionschef Mützenich im Deutschlandfunk. Vielmehr agierten einzelne Staatsanwälte und Richter in der Türkei im Sinne der Regierung. Diese würde Deniz Yücel und sechs weitere inhaftierte Bundesbürger als Geiseln instrumentalisieren, so der SPD-Außenpolitiker.
"Deniz Yücel ist ein politischer Häftling"
Frank Überall sagte im Dlf, es sei richtig, dass die mediale Aufmerksamkeit in Deutschland auf Deniz Yücel fokussiert sei. Allerdings dürfe nicht vergessen werden, dass insgesamt die Pressefreiheit in der Türkei massiv unter Druck stünde. Es säßen noch mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen, Journalistinnen und Journalisten in der Türkei im Gefängnis.
Als zynisch bezeichnete die stellvertretende Fraktionschefin der Linkspartei, Heike Hänsel, die Äußerung von Ministerpräsident Yildirim. Im Dlf sagte Hänsel vor Yücels Freilassung: "Deniz Yücel ist ein politischer Häftling. Wir müssen hier von wirklich einem politischen Prozess sprechen. Es sind ja diejenigen, die ihn verhaften haben lassen, die jetzt fordern, dass er möglichst schnell freikommen soll." Hänsel forderte deutliche Worte der Bundesregierung gegenüber der Türkei.
Kaum Kontakt zu anderen Menschen
Yücel war in der Haftanstalt der türkischen Stadt Silivri. Dort hatte er bis Anfang Dezember in strikter Einzelhaft gesessen. Anwälte und Angehörige, wie seine Ehefrau Dilek Mayatürk durfte Yücel nur für wenige Stunden in der Woche sehen.
In Silivri können sich bis zu 13.000 Gefangene aufhalten. Es handelt sich bevorzugt um sogenannte Terrorverdächtige, wie Anhänger der Gülen-Bewegung. Diese ist laut türkischer Regierung für den Militärputsch im Sommer 2016 verantwortlich. Einer der Gefängnisinsassen war Ende 2015 und Anfang 2016 auch Can Dündar, Ex-Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet". Er hält sich nun seit geraumer Zeit in Deutschland auf.
Yücel war unbequem für die türkische Regierung
Kurz nach Yücels Festnahme berichtete seine Zeitung die "Welt" auf ihrer Homepage über mögliche Gründe. So ginge es um gehackte E-Mails aus dem Mailkonto des türkischen Energieministers Berat Albayrak und gleichzeitig Schwiegersohn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Die Mails kamen in Umlauf, da sie eine Hackergruppe namens Redhack veröffentlichte. Diese gilt in der Türkei als Terrororganisation. Über Redhack hatte Yücel wiederum zwei Artikel verfasst.
Auch 2013 war Yücel für die türkische Regierung unbequem, fasst ARD-Korrespondentin Karin Senz zusammen. Der 44-jährige berichtete damals kritisch über die Gezi-Park-Proteste. Zu dem Zeitpunkt arbeitete er noch für die linksgerichtete "taz". 2015 wechselte er dann als Türkei-Korrespondent zur eher konservativ ausgerichteten Tageszeitung "Welt", für die er unter anderem einen PKK-Anführer interviewte. In der Türkei gilt die kurdische Arbeiterpartei PKK als Terrororganisation.
Bis zu Yücels Festnahme wurden ausländische Journalisten in der Türkei weitestgehend verschont. Yücel gilt in der Türkei aber als Einheimischer, da er neben der deutschen die türkische Staatsbürgerschaft besitzt. Terrorismusvorwürfe seien die "Standardkeule gegen Journalisten", wie der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, gegenüber dem Dlf mitteilte. Eine Mitgliedschaft in einer Terrororganisation läge in den Fällen der inhaftierten Journalisten, die Reporter ohne Grenzen bekannt sind, aber nicht vor.
Yücel: prominent, stilisiert, eine Ikone
In Deutschland erfährt der Fall Yücel viel Aufmerksamkeit. Seine Heimatsatdt Flörsheim hatte für den inhaftierten Journalisten seit fast einem Jahr Mahnwachen abgehalten und die "taz"-Journalistin Doris Akrap, eine Freundin und ehemalige Kollegin von Yücel, organisierte regelmäßig Solidaritätsaktionen mit dem Freundeskreis #FreeDeniz. Nun hat Akrap ein ironisch-satirisches Buch von ihm herausgegeben, das heimlich in seiner Haft entstanden ist. Yücel beschreibt darin unter anderem den Beginn seiner Inhaftierung.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu kritisiert diese Prominenz. So sei Yücel erst nach seiner Festnahme zu einem Helden in Deutschland geworden. Seine Schwester, Ilkay Yücel, bestätigte im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass der Fall ihres Bruders in der Türkei nicht so bekannt sei wie in Deutschland.
Weniger Solidarität für andere Inhaftierte?
Fest steht, dass der Fall des "Welt"-Korrespondenten schneller mediale Aufmerksamkeit erfuhr als die Schicksale von rund 160 weiteren inhaftierten Journalistinnen und Journalisten in der Türkei. So zum Beispiel der Fall von Mesale Tolu: Ihre Verhaftung sei nicht über den "üblichen Weg" bekannt geworden, erklärt ARD-Korrespondent Christian Buttkereit im Dlf. Die türkischen Behörden hätten die deutschen nicht informiert. Erst über Freunde habe man von der Verhaftung erfahren.
Knapp acht Monate saß die Übersetzerin Mesale Tolu aus Ulm mit ihrem inzwischen dreijährigem Sohn in türkischer Untersuchungshaft. Wie Yücel wurden auch Tolu Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen. Aus der Türkei ausreisen darf die 33-jährige Tolu bislang nicht.
"Willkürjustiz von Erdogan höchst persönlich"
Auch der mittlerweile freigelassene Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner stand unter Terrorverdacht: In einem Seminar bei Istanbul habe er Teilnehmer darin geschult, wie Nachrichten auf Mobiltelefonen verschlüsselt werden könnten. Auf Intervention von Altkanzler Gerhard Schröder, kam Steudtner letztlich frei.
Die Fälle von Tolu und Steudtner seien allerdings kein Zeichen dafür, dass die Türkei sich auf dem Weg in eine Demokratie bewege, sagte Linken-Politikerin Sevim Dagdelen im Dezember dem Dlf. Die Zahl der noch Inhaftierten sei hoch. Anhand von Tolu und Steudtner werde vielmehr sichtbar, so Dagdelen, dass in der Türkei eine Willkürjustiz von Erdogan höchstpersönlich stattfinde.
Eine Chronologie des Falls Yücel können Sie im Dlf-Medienmagazin @mediasres nachhören.
(chs/nin/cp)