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Deutsch-türkisches Verhältnis
"Erdogan nutzt die Schwäche der Bundesregierung brutal aus"

Nach der Verurteilung des Deutschen Patrick K. zu einer mehrjährigen Haftstrafe kritisierte der FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai im Dlf die Strategie der deutschen Bundesregierung. Gegenüber dem türkischen Präsidenten müsse man viel vehementer auftreten, als das Bundeswirtschaftsminister Altmaier jüngst getan habe.

Bijan Djir-Sarai im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Der Politiker Bijan Djir-Sarai ist Mitglied der FDP-Fraktion des Deutschen Bundestages.
    Der Politiker Bijan Djir-Sarai ist Mitglied der FDP-Fraktion des Deutschen Bundestages. (imago/photothek)
    Daniel Heinrich: Der Deutsche Patrick K. ist in der Türkei zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, Burcu Arslan berichtete aus Istanbul. Am Telefon ist jetzt Bijan Djir-Sarai, außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Guten Abend, Herr Djir-Sarai!
    Bijan Djir-Sarai: Guten Abend, ich grüße Sie.
    Heinrich: Die türkische Seite sagt, Patrick K. habe sich der JPG, also der Schwesterorganisation der Terrororganisation PKK als Kämpfer angeboten. Seine Familie, seine Freunde sagen, er war zum Wandern in der Türkei. Was machen Sie sich denn für einen Reim?
    Djir-Sarai: Das kann man aus der Ferne zum jetzigen Zeitpunkt sehr schlecht sagen und man kann das sehr schlecht bewerten. Fakt ist nur, das kennen wir aus der Vergangenheit, dass man Menschen mit Scheinargumenten in der Türkei festgehalten hat, inhaftiert hat, ob türkischer Staatsbürger oder ausländischer Staatsbürger. Das heißt, in den letzten Jahren ist es leider Gottes Mode geworden, beinahe inflationär, dass Menschen in der Türkei aus politischen Gründen verhaftet werden. Die Argumente, da gibt es eine ganze Palette von Vorwürfen. Aber der Fall, die Inhalte, die Einzelheiten sind uns natürlich, also mir zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt. Aber ich befürchte, dass das wieder einer von diesen Fällen ist, die wir auch in der Vergangenheit erfahren haben.
    Heinrich: Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier, gerade zu Besuch in der Türkei, sagt, Patrick K. werde konsularisch betreut. Aus Kreisen der Familie war immer wieder zu hören, dem jungen Mann gehe es gesundheitlich sehr schlecht, wir hören von einer Mittelohrentzündung, von ausgefallenen Zähnen angeblich. Die Pflichtverteidigung oben drüber sei eine Katastrophe. Tut denn da die Bundesregierung zu wenig?
    Djir-Sarai: Ich gehe davon aus, dass die Deutsche Botschaft sich um die Angelegenheit vor Ort kümmert. Allerdings sind mir diese Vorwürfe seitens der Familie auch bekannt, auch darüber habe ich gelesen. Mehr Information habe ich zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht. Wir werden das selbstverständlich nachprüfen, wir werden auch bei der Bundesregierung gezielt Fragen stellen, ob diese Vorwürfe, die die Familie in den Raum stellt, stimmen, und vor allem ob die Deutsche Botschaft oder das Konsulat sich hier um die betroffene Person auch ausreichend kümmert.
    In der Öffentlichkeit mehr Sensibilität schaffen
    Heinrich: Nun sitzt der junge Mann ja schon seit März in der Türkei in Haft. Er ist, wenn man sich das anguckt, was aus Gießen, seiner Heimatstadt kommt, nie wirklich politisch aktiv gewesen, er war zum Beispiel auch nie bei Demonstrationen gegen den Militäreinsatz in Afrin dabei, er hat keine kurdischen Wurzeln und aus seinem Freundeskreis kommen Stimmen, die sagen, er sei kein Kämpfertyp. Muss da nicht öffentlich einfach mehr passieren?
    Djir-Sarai: Noch einmal, wir alle, was wir jetzt gerade auch machen, ist ein Stück Kaffeesatzleserei. Wir wissen, wir kennen alle die Argumente nicht, wir kennen die Sachlage nicht. Aber in der Tat ist es so, er ist deutscher Staatsbürger. Und da haben Sie völlig recht, da muss man auch für dieses Thema, aber auch für die anderen Fälle, die auch existieren, vor allem in der Öffentlichkeit mehr Sensibilität schaffen.
    Heinrich: Wenn Sie die anderen Fälle schon ansprechen, insgesamt gibt es fünf Deutsche in türkischer Haft, politische Gefangene heißt das dann im Auswärtigen Amt. Und bevor diese nicht frei seien, könne es keine Normalisierung der Beziehungen geben. Wenn Sie jetzt sagen Kaffeesatzleserei, dann gehen wir doch mal ins Konkrete: Peter Altmaier in der Türkei sagt, mehr Kooperation sei jetzt gefragt. Wie ist das denn in Ankara aufzunehmen?
    Djir-Sarai: Ich teile Ihre Auffassung. Wir können nicht von einer Normalisierung der Beziehungen sprechen, solange diese Einzelfälle nicht geklärt sind. Und für uns sind diese Fälle alle sehr wichtig. Übrigens, es geht nicht nur um die deutschen Staatsbürger, sondern es gibt ja auch eine Reihe von türkischen politischen Gefangenen in der Türkei, auch über diese Fälle sollte man diskutieren. Und solange diese Fälle nicht geklärt sind, kann man nicht von einer Normalisierung von Beziehungen sprechen. Herr Altmaier versucht natürlich über die Wirtschaftsschiene, die Normalisierung der Beziehungen zu begründen. Das eine hat aber mit dem anderen direkt was zu tun. Schauen Sie sich die jetzige wirtschaftliche Situation in der Türkei an, Unternehmen oder Investoren werden nicht in einem Land investieren, wo keine Planungssicherheit existiert, wo keine Rechtssicherheit existiert und vor allem wo man tagtäglich Angst haben könnte, dass Mitarbeiter aus scheinheiligen Gründen einfach verhaftet oder verschleppt werden. Das heißt, das eine hat sehr wohl mit dem anderen zu tun. Solange keine politische Normalität existiert, solange demokratische oder Bürgerrechte in der Türkei nicht hergestellt sind, kann es auch keine Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen geben.
    Heinrich: Die Diskussion über die Beispiele, die Sie jetzt gerade gebracht haben in der Türkei, gibt es ja schon länger. Welche Druckmittel gibt es denn wirklich außer zu sagen, wir sind besorgt und wir schauen da genauer drauf? Weil, die Argumentation wird ja langsam langweilig.
    Djir-Sarai: Schauen Sie mal, das ist eine außerordentlich wichtige Frage, die Sie stellen. Wenn ein amerikanischer Staatsbürger in der Türkei verhaftet wird – und einen konkreten Fall hatten wir ja auch vor Kurzem –, dann reagieren die Amerikaner glasklar. Das heißt, die fordern glasklar die Freilassung der betroffenen Person und die gehen sogar hin und sanktionieren die Minister zumindest in der Justiz, die in dem Bereich die Verantwortung tragen. Wenn deutsche Staatsbürger verhaftet werden, dann gehen wir immer hin und vertiefen den Dialog. Das kann nicht der richtige Ansatz sein, mit Menschen wie Herrn Erdogan kann man nicht so sprechen, das ist definitiv die falsche Strategie. Deutschland ist wirtschaftlich ein starkes Land, die Türkei ist an einer Normalisierung der Wirtschaftsbeziehung interessiert, und da finde ich es auch besonders wichtig, dass wir auch klarmachen: Die Normalisierung der Beziehung gibt es nur, wenn tatsächlich Veränderungen herbeigeführt werden. Ich bedauere das außerordentlich, dass es dem deutschen Wirtschaftsminister Altmaier nicht gelungen ist bei seiner Reise, diesen kausalen Zusammenhang herzustellen.
    Heinrich: Fehlt da aus Ihrer Sicht den Beteiligten in Berlin der Mumm oder glauben die ihrer eigenen Argumentation tatsächlich?
    Djir-Sarai: Nein, ich glaube, die Bundesregierung hat a) keine Strategie, wie man mit der Türkei von Herrn Erdogan umgeht, und b) glaube ich nicht, dass die Bundesregierung hier entschlossen handelt. Es gab genügend Gelegenheiten, auch in der Vergangenheit, gegenüber der Türkei klipp und klar seine Positionen vorzutragen. Aber was soll ein Herr Erdogan auch denken? Wir alle wissen, was gerade in der Türkei geschieht, er ist vor Kurzem hier gewesen, er hat den roten Teppich ausgerollt bekommen, mit militärischen Ehren plus Staatsbankett, also, daraus wird er seine Schlussfolgerungen ziehen, dass man zumindest mit Deutschland oder mit dieser Bundesregierung alles machen kann, sie wird nicht protestieren.
    Türkei für deutsche Wirtschaft außerordentlich interessant
    Heinrich: Also das ist einfach nur ein Zeichen der Schwäche, das die Bundesregierung gerade abgibt aus Ihrer Sicht?
    Djir-Sarai: Herr Erdogan nutzt die Schwäche der Bundesregierung brutal aus.
    Heinrich: Lassen Sie uns mal auf die Konzernchefs auch gucken! 30 Konzernchefs waren jetzt dabei bei Peter Altmaier, unter anderem der E.ON-Chef Johannes Teyssen. E.ON hat mehrere Milliarden Euro in der Türkei investiert und Teyssen spricht von ungeahnten Möglichkeiten bei der Energiezusammenarbeit. Müsste da nicht auch die Politik auf die Wirtschaft mal einwirken und sagen, Leute, ihr müsst auch mit uns an einem Strang ziehen und auch von Geschäften in der Türkei schlicht und ergreifend absehen, wenn solche Vorgänge da weiterhin passieren?
    Djir-Sarai: Selbstverständlich ist die Türkei ein hoch attraktiver Standort und für die deutsche Wirtschaft außerordentlich interessant und spannend, keine Frage. Und wir alle sind daran interessiert, dass die Beziehungen sich normalisieren. Wir alle wollen, dass die Rahmenbedingungen eines Tages wieder stimmen, damit deutsche Unternehmen oder europäische Unternehmen in der Türkei investieren können. Aber der entscheidende Punkt ist, und das ist auch ähnlich wie in der Debatte um Saudi-Arabien: Die deutsche Politik, und darüber müssen sich die Unternehmen auch im Klaren sein, sie vertreten nicht nur ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, sondern im Ausland vertreten sie auch Deutschland. Und die deutsche Politik ist nicht nur interessengeleitet, sondern sie ist auch werteorientiert. Wir können diese Debatten nicht voneinander trennen. Wenn Menschenrechtsverletzungen in der Türkei stattfinden, wenn Bürgerrechte in der Türkei tagtäglich abgebaut werden, wenn Menschen einfach verschwinden, dann kann die deutsche Wirtschaft diese Dinge nicht ignorieren. Übrigens, es ist ein Gebot der unternehmerischen Planungssicherheit, dass man diese Rahmenbedingungen mitberücksichtigt. Denn diese Rahmenbedingungen sind außerordentlich investitionsfeindlich. Es kommt nicht von ungefähr, dass die türkische Wirtschaft in so einer schwierigen Situation ist, das hat unmittelbar was mit der falschen Politik von Herrn Erdogan zu tun.
    Heinrich: Bijan Djir-Sarai, Außenpolitiker der FDP. Vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.