Es gehört schon eine Portion Mut dazu, sich vor die Berliner Presse zu stellen und als Model für – bzw. gegen Aids – aufzutreten. "Kampagnengesicht" heißt das in der Sprache des Marketings. Die Deutsche Aids-Hilfe hat heute Vormittag Regina und Maik vorgestellt. Beide waren vor noch nicht allzu langer Zeit fast tot und sind jetzt die Gesichter für das Ziel, bis 2020 in Deutschland keine Aids-Erkrankungen mehr diagnostizieren zu müssen: Die Vereinten Nationen wollen das Ziel erst 2030 erreichen, aber in Deutschland, sagt die Aids-Hilfe, sei unser Gesundheitssystem so gut, dass man damit eben ein Jahrzehnt früher fertig sein kann. Sie spricht "von den letzten Metern gegen Aids", große Plakatkampagnen starten jetzt, die regionalen Aids-Hilfen organisieren Informationsprojekte, die Ärzteschaft wird angesprochen, vermehrt HIV-Tests anzubieten.
Als Regina nach Leipzig umzieht, packt sie wochenlag keine Kiste aus. Burnout, totale Antriebslosigkeit, die weiteren Diagnosen sind Marker eines Martyriums: Gürtelrose, Warzen, Hirnhautentzündung, chronischer Durchfall. An Aids denken weder sie noch die zahlreichen behandelnden Ärzte: chronisch krank mit psychosomatischen Ursachen – Reginas Leben ist eine Aneinanderreihung von Fehldiagnosen.
"Sie haben zu viel Probleme mit Ihrem Mann – hatte ich auch, stimmt schon, ich war auch seelisch am Ende. Das ist ja dann auch so, dass die Krankheit viel schneller greift, aber dann mal zu sagen, Machen wir mal was Anderes, Gucken wir mal da oder machen wir mal den Test. Nein, nix!"
Der HIV-Test, der die Ursache des ganzen Leidens ans Licht bringt, geschieht fast zufällig.
"HIV-Test ist das immer noch ein sehr großes Tabuthema"
Maik arbeitet in einem großen deutschen Konzern und musste erstmal selbst Mut fassen, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Sechs Wochen lang rang er mit dem Tode, das Immunsystem nicht mehr existent. Seine Botschaft – insbesondere auch an die beim Thema Aids recht arglose schwule Jugend: Man muss: "den Mut haben zu sagen: Ja, geh doch mal zum HIV-Test, mach einen HIV-Test. Bei jedem anderen medizinischen Fall würde man einen Test machen, beim HIV-Test ist das immer noch ein sehr großes Tabuthema, auch in den Arztpraxen."
Maik lebte offen schwul, aber sich mit HIV auseinanderzusetzen, dazu hatte er jahrelang keine Lust. Karriere, Liebe, ein schönes Leben, aber das Virus, das Leiden schafft, das wollte er nicht wahr haben.
Vom Krankheitsbild war er ein noch viel klarerer Aids Fall als Regina, doch auch sein schwuler Arzt begleitete ihn bei der Verdrängung. Als die Diagnose schließlich kam, gab es in Maiks Blut so gut wie keine Helferzellen mehr, statt dessen so viel HIV-Viren, dass er sich auf seinen Tod vorbereitete – das Immunsystem war nicht mehr existent.
Und so ist die heute gestartete Kampagne eben auch ein Appell an die niedergelassenen Ärzte und an die Kollegen in den Kliniken, besser hinzuschauen bei Symptomen, die auf Aids verweisen. Björn Beck aus dem Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe erzählt von einem jungen Mann, 22, schwul.
"Der kam mit einer Lungenentzündung in die Klinik, wurde auf diese Lungenentzündung hin auch behandelt. Man hat einen HIV-Test gemacht, hat ihm das aber nicht mitgeteilt. Und am Ende der Behandlung der Lungenentzündung hat man ihn entlassen mit dem Hinweis, er möge doch mal zur Aids-Hilfe gehen. Damit hat er so nonchalant seine HIV-Infektion mitgeteilt bekommen in einem Aids definierendem Stadium! Und das passiert 2017 in Deutschland in einer Universitätsstadt!"
HIV-Test für zu Hause
Und so will Regina dafür werben, frühzeitig an einen HIV-Test zu denken und findet die Pläne des deutschen Gesundheitsministeriums gut, auch in Deutschland einen HIV-Test zu Hause zuzulassen. Denn viele Menschen wollen erst einmal selbst mit einem solchen Ergebnis klar kommen.
"Wenn man sich darüber klar ist, dass man offen damit umgehen will, dann muss man auch wissen, dass es nicht nur positive Reaktionen gibt, dass es auch negative Reaktionen geben kann. Und damit muss man umgehen können. Wenn nicht, kann man das nicht machen."
Die Deutsche Aids-Hilfe schätzt, dass über 12.000 Menschen in Deutschland nichts von Ihrer HIV-Infektion wissen:
"Guten Morgen, liebe Interessierte, liebe Presse!"
Die Kampagne "Kein Aids für Alle bis 2020" hatte heute eine prominente Protagonistin. Rita Süßmuth war Bundesgesundheitsministerin, als die Aids-Krise in Deutschland begann und sie erzählte von den Auseinandersetzungen im damaligen Kabinett, als es vor mehr als 30 Jahren darum ging, Haushaltsgelder für Prävention und Forschung locker zu machen. Ein halbes Jahrhundert später, so Süßmuth, könnte das Thema Aids – zumindest in Deutschland – erledigt sein. Damals hieß sie in der Szene "Lovely Rita." Den Stolz, nicht nur gegen Aids, sondern auch gegen Gauweiler und Kohl gewonnen zu haben, den sieht man ihr heute noch an:
"Meine Aussage ist dann: das schaffen wir! Dennoch: Ich kann auch anders! Danke."