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Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
Ein neues Forum zum freien Meinungsaustausch

In dem vom Krieg zerstörten Land wollten ihre Gründer einen Neuanfang wagen: Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. An Goethes 200. Geburtstag, am 28. August 1949, wurde sie in der Paulskirche gegründet.

Von Katja Lückert |
    Jugendstil-Portal am Haus Glückert I, Sitz der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt
    Wollte nie politisch sein und ist es doch bis heute - die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt (picture alliance/imageBROKER/Caroline Kreutzer)
    Eines Tages werde sie zu dem Ort der geistigen Repräsentanz der Deutschen werden, so formulierte es der Vater des Akademiegedankens, der Dramaturg und Kritiker Oskar Jancke. Anlässlich der Feier zu Goethes 200. Geburtstag am 28. August 1949 in der Frankfurter Paulskirche annoncierte der ehemalige Kultusminister und Direktor des Norddeutschen Rundfunks Adolf Grimme die Gründung eines aus den Erfahrungen der Diktatur hervorgegangenen neuen Forums zum freien Meinungsaustausch.

    Zitat: "Wir verkünden die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung als eine Stätte der Freiheit. Die Akademie braucht Unabhängigkeit von Staat, Politik und allen Einflüssen, die ihrem Wesen nicht gerecht werden."
    Vorbild: die Académie française
    Hehre Ziele, doch eigentlich waren schon die ersten Monate von politischen Konflikten geprägt, erzählt der Ehrenpräsident Klaus Reichert in seiner Rede zum 60-jährigen Bestehen der Akademie.
    "Die Zusammensetzung der Mitglieder ist aufschlussreich: Konservative, Deutschnationale, Christen, Wendehälse, Verteidiger des Abendlandes und des deutschen Geistes, die einen Neuanfang wollten, freilich um den Preis, so steht es in den Protokollen, des 'Vergessenkönnens'. Aber in dem verdeckt geführten Streit um die Emigration entdeckten Viele dann das, was sie Innere Emigration nannten und besonders am vehement geführten Streit um Thomas Mann, er sollte Ehrenmitglied werden, wäre die Akademie in ihren Anfangsjahren fast zerbrochen. Die Akademie wurde politisch, obwohl sie es nicht sein wollte."
    Nach dem Vorbild der Académie française wünschten sich die Gründer auch für das Deutsche, immerhin die am meisten gesprochene Sprache in Europa, eine Institution, die über die Sprache wachte. Floskeln, Bürokratismen, Überreste der braunen Sprache der Nazis, alles sollte verschwinden. Dank der guten Verbindungen Kasimir Edschmids, dem Generalsekretär des P.E.N-Zentrums der Bundesrepublik, zu den Honoratioren seiner Vaterstadt, kam die Akademie bald in Darmstadt unter. Rudolf Pechel, der erste Präsident der Akademie, dankte im Sommer 1951 der Stadt für die Übergabe des restaurierten Ernst-Ludwig-Hauses auf der Mathildenhöhe:

    "Die Deutsche Akademie kann das Versprechen, gegen den Ungeist in jeder Form zu kämpfen, abgeben, weil wir uns im Sinne Goethes bemühen, die von ihm dem Dichter gestellten Aufgaben zu erfüllen, die auch diesem Hause die innere Weihe geben können."
    Die Akademie wollte nie politisch sein
    Durchgesetzt und als nationale Institution behauptet hat sich die Akademie nach 1950, als auch der Georg-Büchner-Preis zum bedeutendsten deutschen Literaturpreis wurde. Im ersten Jahrzehnt gehörten Max Frisch, Gottfried Benn und Paul Celan zu den Trägern.
    Auch den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa und den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay vergibt die Akademie jedes Jahr. Sie wünschte sich immer auch für die österreichische und Schweizer Sprachgemeinschaft zu gelten. Besonders während der Teilung Deutschlands wollte sie eine Institution sein, in der die Grenze keine Rolle spielte. 1977 nahm sie Christa Wolf auf, 1981 Günter Kunert, 1983 Jurek Becker. Der Germanist und ehemalige Vizepräsident der Akademie Norbert Miller:
    "Die Tendenz der Darmstädter Akademie war immer darauf gerichtet zu sagen, wir wollen die deutschsprachige, nicht die deutsche, die deutschsprachige Literatur als eine europäische Einheit sehen, und deshalb war natürlich immer der Versuch durch Preisvergaben, aber auch durch Zuwahl von Mitgliedern, nach Möglichkeit politische Spaltungen rückgängig zu machen."
    Als die Rechtschreibreform in den 1990er-Jahren heftig diskutiert wurde, stellte sich die Akademie zunächst gegen die Reform, forderte später ein Moratorium und entwickelte zuletzt einen Kompromissvorschlag zur Wiederherstellung des Rechtschreibfriedens in Deutschland. Seit 2013 gab die Akademie zwei Berichte zur Lage der deutschen Sprache heraus, sie arbeitet oft eher beschreibend, als reglementierend, was die Entwicklungen in der Sprache angeht. In den letzten Jahren steht eine Öffnung nach Europa auf der Agenda, die alljährlichen Frühjahrs-und Herbsttagungen werden schon längst nicht mehr nur in Darmstadt gehalten. Die Akademie wollte nie politisch sein und ist es doch bis heute, weil Politik Sprache ist und Sprache auch immer politisch.